Volle Kraft voraus: Power gegen Pentium

Seit über zehn Jahren hält Intel den PC-Markt im Klammergriff. Jetzt bekommt das Monopol des einzigen Markenartiklers der Branche Risse: Die „Power“-Allianz aus IBM, Apple und Motorola greift an, Nachahmer rüsten auf

Ein Phantom war der absolute Knüller der diesjährigen CeBIT in Hannover. Ein Chip, von dem niemand sicher weiß, wer ihn hergestellt hat. Bekannt ist nur der Entwickler, die Firma Nexgen, ein bisher nahezu unbekanntes Ingenieurbüro aus dem Silicon-Valley-Städtchen Milpitas.

Seinen Ruhm verdankt der geheimnisumwitterte Mikroprozessor der Behauptung des Nexgen-Managements, er sei ein preiswerter, aber vollwertiger Ersatz für das Topmodell des Marktführers Intel, den Pentium – und keineswegs ein plumpes Plagiat. Die Redaktion des auflagenstarken Fachblatts „Chip“ zeigte sich von dem Rumpelstilzchen so begeistert, daß sie es spontan zum „CeBIT-Highlight“ kürte und seinen Erfindern den Sonderpreis für eine „zukunftsweisende Innovation“ verlieh.

Tatsächlich steckt im Nexgen-Prozessor Brisanz: Wenn sich die lückenhaften ersten Informationen bestätigen, wird das kleine Stück Silizium die gesamte Machtbalance im Computermarkt verändern. So stehen hinter Nexgen (Kürzel für „Next Generation“) nicht nur potente Geldgeber – etwa die Intel-Großkunden Compaq und Olivetti, das renommierte Venture-Capital-Haus Kleiner Perkins Caufield Byers sowie die New Yorker Investmentbank Paine Webber. Auch der mutmaßliche Produzent der Neuheit ist nicht gerade ein Nobody. Ausgerechnet mit dem Computerriesen IBM verhandeln die Kalifornier über die Serienfertigung. Schon ab Juni soll geliefert werden, zunächst an asiatische No-name-Produzenten.

Damit steht die erfolgsverwöhnte Intel Corporation vor einer ungewohnten Aufgabe: Bisher hatte der Branchenpionier keine Konkurrenz zu fürchten. Während Motorola, der größte Rivale, als Apple-Zulieferer zum Nischenanbieter wurde, bekam Intel durch seine Allianz mit IBM und Microsoft fast 80 Prozent des PC-Markts unter Kontrolle. Um das Monopol abzusichern, verweigert der Konzern seit Jahren Nachbaulizenzen; wer es trotzdem wagte, am großen Kuchen zu knabbern, wurde vor den Patentrichter gezerrt. Bislang zahlte sich diese Politik aus. Im Geschäftsjahr 1993 kletterte der Umsatz um 28 Prozent auf 8,8 MilLiarden Dollar, der Gewinn auf bombastische 2,3 Milliarden Dollar – damit ist Intel ein vorderer Platz in den Top Ten der profitabelsten Unternehmen der Welt sicher.

Mit seiner Gewinnmaximierung hat Intel-Chef Andy Grove viele Kunden gegen sich aufgebracht. Die Rendite, klagen Computerhersteller, sei vor allem auf überhöhte Preise zurückzuführen. Plötzlich ist auf langjährige Kunden kein Verlaß mehr. Mehr und mehr sucht die Branche Alternativen zum Monopolisten.

Besonders gestört ist Intels Verhältnis zu IBM: Der Branchenriese bringt nach den Sommerferien seine neue PC-Baureihe „PSIPower“ auf den Markt, deren Chips gemeinsam mit Apple und Motorola entwickelt wurden. Zwar bleibt die bisherige Intel- Linie parallel im Sortiment, aber Insider gehen davon aus, daß sich die Marketer voll auf die Power-Produkte konzentrieren wollen. IBM sucht Distanz und verzichtet darauf, den aktuellen Spitzen-Prozessor Pentium für den Eigenbedarf selbst zu bauen. Bis auf weiteres produziert ihn Intel für Big Blue. Die Nachricht, daß IBM den Nexgen fertigt, gilt deshalb als besonders heißer Tip.

Auch die Nummer zwei im PC-Weltmarkt, Compaq, schwimmt sich frei. Selbstbewußt streicht der Hersteller das Logo „Intel inside“ aus seinen Inseraten – der Name Compaq, so ist zu hören, sei Qualitätsmarke genug. Um noch billigere PCs anbieten zu können, bezieht Compaq-Boß Eckhard Pfeiffer neuerdings einen Teil seiner Prozessoren von Advanced Micro Devices (AMD) – einem Nachbauer, der gerade einen jahrelangen Patentprozeß gegen Intel gewonnen hat. Wenn sich die Power-Chips am Markt durchsetzen, will Pfeiffer zusätzlich bei der IBM-Motorala-Allianz einkaufen. Überdies hat Compaq eine Option auf den Pentium-Ersatz von Nexgen.

Ein Handicap hat die Power-Gruppe indes: das magere Softwareangebot. Ein Entwicklungsteam bei IBM in Boca Raton/Florida arbeitet an einer Power-Version des Betriebssystems OS/2, damit Anbieter von Anwendungsprogrammen – wie Lotus Development oder Borland – die immense Leistung des Chips überhaupt ausnutzen können. Herkömmliche Windows-Programme laufen auf Power-Rechnern nur mit gebremstem Schaum.

Axel Hartstang, in der Motorola-Geschäftsführung für das Halbleiter-Marketing zuständig, blickt optimistisch in die Zukunft: „Mit dieser Prozessorarchitektur können wir unseren Marktanteil in zwei Jahren auf zwanzig Prozent ausbauen.“

Erschienen in w&v werben & verkaufen 15/1994

Amerika investiert, Europa diskutiert

Damit es keine Mißverständnisse gibt: Den Nobelpreis hat Professor Carlo Rubbia sicherlich nicht unverdient bekommen. Auch gehört der italienische Kernphysiker, dessen wissenschaftliche Arbeit am Genfer Hochenergieforschungszentrum CERN in der Fachwelt hohes Ansehen genießt, ganz gewiß zu den versiertesten Anwendern von Höchstleistungscomputern.

Das Problem besteht darin, daß ihn die Kommission der Europäischen Gemeinschaft vor einiger Zeit mit einem bedeutenden Projekt betraut hat, bei dem ökonomische Kompetenz wesentlich wichtiger wäre als naturwissenschaftlicher Genius. So sitzt der Renommierwissenschaftler seit zwei Jahren an der Spitze eines Gremiums, dessen Arbeitsergebnisse im wesentlichen darüber entscheiden werden, ob es zur Jahrtausendwende noch eine eigenständige europäische Computerindustrie gibt – die internationale „Rubbia-Kommission“ soll die europäische Antwort auf das milliardenschwere High Performance Computing and Communications (HPCC) Program der amerikanischen Regierung formulieren. Bis heute freilich ist außer der Produktion von immer neuen Papieren, die nicht einmal einen Minimalkonsens aller Teilnehmer wiedergeben, nicht dabei herausgekommen.

Vordergründig geht es beim laufenden amerikanischen wie beim geplanten europäischen Förderprogramm darum, einen Ausweg aus der technologischen Sackgasse zu finden, in die die klassische Datenverarbeitung geraten ist. In Wirklichkeit geht es darum, ob Europa seine endgültig letzte Chance verpaßt, in der DV-Technik Standards zu setzen, nachdem die Großen der Branche wie Siemens-Nixdorf oder Bull längst zu bloßen Technologie-Importeuren verkümmert sind. Europas Chance liegt in der Innovationskraft
von kleinen Chip- und Hardwareherstellern wie Inmos und Parsytec.

Hier kommt das Problem Rubbia ins Spiel. Als Wortführer der Liga von Allwendern, denen es um nichts als reine PS-Stärke der Computer geht, egal ob amerikanischen oder japanischen Ursprungs, kümmert ihn die Wettbewerbsfähigkeit hiesiger Produzenten wenig. Er will nur endlich gute parallele Software, mit der er schnell seine physikalischen Berechnungen durchziehen kann. Andere Mitglieder seiner Kommission, die weiter denken, suchen inzwischen Verbündete in der Politik, um das Schlimmste zu verhindern. So warnt Hans-Martin Wacker von der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR), die HPCC-Initiative drohe die noch vor kurzem sehr leistungsfähige europäische Parallelrechnerindustrie völlig auszurotten. Er versucht nun im Schulterschluß mit dem BMFT „das Ruder herumzureißen, bevor wir von der amerikanischen Walze plattgemacht werden“.

Und daß heißt: Solange die US-Regierung Hersteller wie Thinking Machines und Intel durch massive Investitionsbeihilfen für Anwender subventioniert, dürfen ähnliche Hilfen für die Handvoll europäischer Produzenten nicht tabu sein.

EDITORIAL FÜR EDV ASPEKTE JULI 1992