Civil: Journalismus an die Blockkette gelegt

Der Journalismus wird ja regelmäßig neu erfunden, oft mit ganz tollen Geschäftsmodellen, die dafür sorgen sollen, dass man vom Schreiben wieder besser leben kann – und das unabhängig, da anzeigenfrei. Nur eines fehlte noch: dass jemand die Reizworte „Zukunft des Journalismus“ und „Blockchain“ zusammenbringt. Blockchain, das ist diese Technik hinter der vermeintlichen Digital-„Währung“ Bitcoin, die schon viele unersättliche Gierhammel ins Unglück gestürzt und viele Geschäftemacher reich gemacht hat. „Civil“ heißt das Projekt, das uns an die Blockkette legen will. Das klingt schön nach Zivilgesellschaft und engagierten Bürgern. Wer jetzt meint, es seien Journalisten, die da an ihrer Zukunft basteln, schaue lieber einmal, was die Gründer und ihr Personal für einen beruflichen Hintergrund haben und wer das Vorhaben finanziell angeschoben hat.

Der Geschäftsführer (CEO) und Mitgründer von Civil, Matthew Iles, hatte zwar mal Journalistik studiert (an der Duke University), sich dann aber für eine Unternehmerlaufbahn im digitalen Marketing entschieden und nach eigener Darstellung innovative Geschäftsmodelle entwickelt. Seine Mitgründerin und rechte Hand Lillian Ruiz kommt ebenfalls aus dem Digitalmarketing. Zum Gründerteam gehören ferner Matt Coolidge mit der Berufsbezeichnung „Communications Lead“ (ehemals in der Technikbranche und im „federal sector“ tätig, eine in den USA gängige Selbstbeschreibung unter Auftragnehmern von Militär und Geheimdiensten), die Chef-Produktdesignerin Nguyet Vuong, die unter anderem für die Organisation „nationaler und internationaler Industrie-Events“ zuständige PR-Frau Christine Mohan, als Chefingenieur der E-Commerce-Spezialist Dan Kinsley, der sich rühmen kann, der Edelschuhmarke M.Gemi zu einem guten Start verholfen zu haben, ferner die zur Grafikdesignerin umgeschulte Sommelière Julia Himmel und last, not least, noch eine waschechte New Yorker Lokaljournalistin, Nicole Bode.

Die Mitarbeiter, die sich die Gründer dazugeholt haben, sind ganz überwiegend Techies:  „Civil: Journalismus an die Blockkette gelegt“ weiterlesen

Der Zucht-Perlentaucher oder: Kontrollieren Verleger wirklich die VG Wort?

Es ist an der Zeit, sich mal wieder über das spannungsgeladene Verhältnis zwischen Autoren und Verlegern zu unterhalten – ganz im Allgemeinen, aber auch über konkrete Vertreter beider Berufe: den Urheber Martin Vogel und den Rechteverwerter Thierry Chervel, Gründer der Online-Verlags Perlentaucher GmbH, der das Kulturportal perlentaucher.de betreibt.

Nein, möchte ich nicht.

Wer sich ein wenig mit dem Schmuck-Markt auskennt, weiß, dass es drei Sorten von Perlen gibt: natürlich gewachsene Perlen, Zuchtperlen und Kunstperlen. Das zur Metapher gewordene Wort Perlentaucher, also die gediegene Alternative zum leicht anrüchigen Trüffelschwein, bezeichnet jene Menschen, die uns die erste und ursprüngliche Variante bescherten. Sie tauchten hinab zu den Muschelbänken und holten die Austern an die Oberfläche, um an die verborgenen Schätze  zu gelangen. Sie taten aber nichts dafür, dass die Perlen wuchsen. Sie ernteten, was sie nicht gesät hatten. Sie investierten nichts weiter als ihre Arbeitszeit, nahmen aber ein großes Risiko auf sich, zu ertrinken oder zur Beute für Haie zu werden.

In der Wikipedia finden wir diesen fast ausgestorbenen Beruf nicht einmal auf einer „disambiguation„-Seite, auf der Begriffe mit unterschiedlicher Bedeutung auseinandersortiert werden. Der Suchbegriff „Perlentaucher“ führt exklusiv zum gleichnamigen Online-Kulturportal  des französischen Berliners Thierry Chervel, während die Namensgeber unter „Perlenfischer“ zu finden sind, als hätte die Tätigkeit irgendetwas mit Fischen zu tun, mit Netzen und Angelruten. „Der Zucht-Perlentaucher oder: Kontrollieren Verleger wirklich die VG Wort?“ weiterlesen

Metis: Jetzt die fairen „Verleger“ beteiligen

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die VG Wort hat soeben die Ausschüttung der Online-Tantiemen (METIS) für 2016 gestartet. In den nächsten Tagen kommt Geld auf unsere Konten. Aber soweit es sich um per Zählpixel erfasste Texte handelt, überweist die VG Wort erst einmal 60 Prozent des fälligen Gesamtbetrags – also den bisherigen Autorenanteil – als Abschlagszahlung. (Die sogenannte Sonderausschüttung ist abgeschlossen.)

Was mit dem Anteil geschieht, der früher dem Betreiber („Verleger“) der jeweiligen Website zustand, müssen wir jetzt entscheiden. Dies ist zwar umfänglich, aber auch etwas umständlich im Begleitschreiben des Vorstands zur Ausschüttungsmitteilung beschrieben. Deshalb hier noch mal das Wichtigste als FAQ:

Was passiert, wenn ich nichts tue?

Dann bekommt der Website-Betreiber von der VG Wort kein Geld. Statt dessen bekommen Sie auch den zurückbehaltenen Rest. 

Warum sollte ich überlegen, ob ich dem Website-„Verleger“ nicht doch einen Anteil (meist 30 %) zugestehe?

Die Betreiber sind nicht verpflichtet, Zählpixel in die Texte einzubauen. Wer es auf freiwilliger Basis tut, hat aber Kosten. Daher besteht die Gefahr, dass Verleger aus METIS aussteigen. „Metis: Jetzt die fairen „Verleger“ beteiligen“ weiterlesen

Das Märchen vom Geldverdienen mit Online-Essen

Mehr als 15 Jahre ist es her, dass ich das erste Mal über den LEOH geschrieben habe, den Lebensmittel-Onlinehandel. Schon damals konnte man haltbare Spezialitäten – etwa Kaffee, Tee, Gewürze – im Internet bestellen. Was nie richtig ans Laufen kam, waren Vollsortiments-Angebote. Wer sich im LEH (Lebensmittel-Einzelhandel) auch nur ein bisschen auskennt, weiß: Im Netz lässt sich ein normaler Supermarkt nicht mit vertretbarem Aufwand 1:1 abbilden. Das Sortiment an industriell konfektionierten Markenartikeln mag zwar leicht zu handhaben sein, der USP jedes guten Ladens ist jedoch seine abwechslungsreiche Auswahl an frischen Produkten, die entweder nach Marktlage zu Tagespreisen eingekauft werden wie Obst, Gemüse, Fleisch und Fisch, oder den regionalen Vorlieben angepasst sein müssen wie das Käsesortiment oder Brot und Kuchen von regionalen Bäckereien. Selbst wenn diese nur 20 Prozent des Umsatzes beisteuern, verursachen sie gewiss mehr als 80 Prozent des Aufwands für die Pflege der Produktdatenbank.

Vor allem ist bei Frischware Out-of-Stock keine Seltenheit: Wenn Kopfsalat aus ist oder nur noch ein paar welke Exemplare in der Kiste gammeln, kommt frühestens am nächsten Morgen Nachschub. Der Präsenzkunde greift in so einem Fall vielleicht zur Endivie oder zum Eisbergsalat, achtet aber auch dabei auf Frische, Größe und Preis. Der Onlinekunde kann nicht wissen, ob er überhaupt den Salat bekommt, den ihm der Markt mit einem perfekten Symbolfoto schmackhaft gemacht hat. Das Warenwirtschaftssystem, das zwischen ihm und der Ware vermittelt, kennt nun einmal nicht den Zustand der noch nicht abverkauften Salatköpfe und sieht nicht, ob die Bananen grasgrün, schön gelb oder braungesprenkelt sind. Kommt die Lieferung nicht aus einem Logistikzentrum, sondern aus einem normalen Supermarkt mit Publikumsverkehr, kann auch jedes abgepackte Frischprodukt vergriffen sein. Welche der acht Sorten Milch oder 30 Sorten Jogurt soll es dann sein?

Aus diesem Grund begnügen sich Supermärkte – auch dann, wenn sie so tun, als böten sie ein Vollsortiment an – im Netz grundsätzlich mit einer geringeren Sortimentsbreite und -tiefe als in ihren Filialen. Nur lagerfähige Schnelldreher, die das Kernsortiment bilden und deshalb ständig hinreichend bevorratet sind, dürfen in den Onlineshop.

Das erkläre man mal meinen Kollegen, die zwar über diese Thematik schreiben, sich ihr Branchenwissen aber nicht als mitdenkende Verbraucher oder mittels eigener Handelserfahrung angeeignet haben, sondern in Gesprächen mit Managern und Unternehmensberatern. Sprich: die wiedergeben, was jene sich am grünen Tisch ausgedacht haben, um den LEOH endlich aus der Nische zu holen.  „Das Märchen vom Geldverdienen mit Online-Essen“ weiterlesen

Echokammern sind nicht harmlos

Carta lässt den Nachwuchs-Kommunikationswissenschaftler Ben Thies über den „Mythos Filterblase“ sinnieren. der Digital Native vermisst die empirische Evidenz für dieses Phänomen. Der Beitrag hat eine fundierte Replik verdient, die über die 1500 Zeichen hinausgeht, die ein Kommentar bei Carta haben darf. Deshalb habe ich dort nach hier verwiesen. Meine These: Es geht nicht um Filter-Algorithmen, sondern um Menschen – die Meinungsführer in den Echokammern. Dass deren Wirken sich der EMpirie entzieht, macht es nicht irrelevant.

„Dass sie (die Filteralgorithmen) eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen, da sie Nutzern eine ganz bestimmte Realität diktieren, kann nur dann der Fall sein, wenn wir die Gesellschaft davor als gefährdet durch ein Diktat der Funk- und Printmedien betrachten.“

Ben Thies

Lieber Ben Thies,

das ist zu kurz gesprungen. Filteralgorithmen stellen eine Gefahr für die Gesellschaft dar, aber sie diktieren den Nutzern ebenso wenig etwas, wie dies die Funk- und Printmedien konnten. Sie sind der Einstieg, ein Anfang.

Die Gefahr hängt also nicht damit zusammen, dass man seiner Filterblase nicht mehr entkommen könnte, wenn man sich einmal in ihr häuslich eingerichtet hat. Sie liegt in dem sozialpsychologischen Belohnungssystem, in das sie instabile oder verunsicherte Menschen hineinziehen. Die Metapher der Echokammer ist insofern die wichtigere und richtigere, und darum sollten wir uns auf sie konzentrieren: Die Filterblase sorgt als Positivauswahl nur für einen steten Zustrom an vermeintlichen Neuigkeiten, die einem ins Weltbild passen. Sie verhindert nicht den Zustrom an diesem Weltbild widersprechenden Nachrichten. Diese kommen durchaus noch beim Rezipienten an – allerdings meist auf Umwegen, mit entsprechenden Stille-Post-Effekten, wobei der Bias beabsichtigt sein kann oder unbewusst hineingebracht wird.

Die Resonanz in der Echokammer, die den sprichwörtlichen Bürgermeister von Wesel zum Esel macht, unterscheidet sich grundlegend von einem Aussieben des Inputs nach Nutzervorlieben. Bei Letzterem geht es nur um Aufmerksamkeitsmanagement, also eine Relevanzfilterung, bei ersterem um die Einordnung des für relevant befundenen Inputs auf einer Gut-Böse- oder einer Wahrheitsskala. Die Filterblase ist ein algorithmisches Konstrukt, die Echokammer ein menschliches Phänomen. „Echokammern sind nicht harmlos“ weiterlesen