Bravo, BDZV: Gratiskultur abschaffen!

Erst Springer, VDZ und New York Times, jetzt Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger: Die Medienmanager und -unternehmer haben nach 15 Jahren eingesehen, dass das damals mit dem Verschenken geistigen Eigentums via Internet nicht wirklich die allertollste Geschäftsidee war. Die tagesaktuelle Erkenntnis:

„Die Onlinewerbung allein wird nicht ausreichen, publizistische Qualität im Internet zu finanzieren.“

Das war zwar eigentlich schon von Anfang an klar. Aber auf Journalisten hört ja ein Verlagskaufmann nicht so gern, die verstehen ja als tumbe Idealisten und brotlose Künstler nix vom Geldverdienen (sonst wären sie ja Kaufleute geworden).

Jetzt aber wird das, was Journalisten intuitiv wussten, zu Allgemeinwissen. Rekapitulieren wir mal die Fakten, die die Herren Chefs hätten kennen können, sollen, müssen:

Interessante journalistische Berichte waren vor dem Online-Boom das einzige Vehikel, das im Huckepackverfahren Werbeanzeigen zu den Rezipienten transportieren konnte. Das Ganze funktionierte prima, weil  lokale Oligo- und Monopole den Markt beherrschten. Mehr als zwei Zeitungsverlage in einem Verbreitungsgebiet gab es fast nirgends im Lande. Die Markteintrittsbarrieren, die einen Verleger an der Expansion in Nachbarregionen hinderten – eine Lokalredaktion und einen dito Vertrieb aufzubauen, ist personalintensiv, also teuer – schützten ihn gleichzeitig vor Angreifern, die ein ansonsten weitgehend identisches Produkt anzubieten hatten: den dpa-strotzenden Mantelteil.

Und wem gehört die dpa, deren redaktioneller Output heute eine ganz zentrale Rolle bei der Misere spielt? Den Verlegern. Die Agentur arbeitet nach dem Prinzip der Genossenschaft. War es also schlau, der dpa zu erlauben, die von ihrer Belegschaft zusammengetragenen Nachrichten auch Dritten zu verkaufen, die sie überregional kostenlos zugänglich machen? War es klug, den in der Printwelt naturgemäß vorhandenen Schutzzaun des Lokalen umzureißen und sich in einen Wettbewerb mit allen anderen Verbandskollegen zu stürzen, mit denen man sich doch jahrzehntelang via Gebietsschutz so schön die Pfründen geteilt hatte? Kaufmännisch gesehen war es kurzsichtig.

Doch die Gratiszeitung kam – nicht auf Papier, nur online. Plötzlich war der Wettbewerb da, den Politiker, Zeitungswissenschaftler und Journalistengewerkschaften immer angemahnt hatten, weil es galt, die „Pressekonzentration“ zu stoppen und eine Springerisierung der Tagespresse zu verhindern. Da hatten sich aber schon längt die Lokalmonopole breitgemacht, die stets beschworene publizistische Meinungsvielfalt endete meist an der Landkreisgrenze. Plötzlich wurde offenbar, dass die Nachrichtenmedien im Web keinen USP hatten, weder für Leser noch für Inserenten. Eigentlich eine alte Geschichte, die man von Kartoffeln, Schweinebäuchen und Speicherchips kennt: Wird ein Gut masshaft in vergleichbarer Qualität verfügbar, sprechen die Ökonomen von einer „Commodity“. Nur dass man News als Commodity jetzt „Content“ nannte. Zu deutsch: Füllmenge.

Hat hier jemand „geistiges Eigentum“ gerufen, „Intellectual Property“?

Jawohl, die Sprecher des Verlegerlagers. Okay, sie nennen es anders, sie beklagen die von ihnen selbst erst ermöglichte „Gratiskultur“ und den in ihr üblichen „Content-Klau“, den sie mittels eines „umfassenden“ Leistungsschutzrechts nicht verhindern können, aber wenigstens eindämmen wollen.

Es ist die alte „Haltet-den-Dieb“-Masche: Den Löwenanteil dessen, was die fraglichen Online-Seiten füllt, haben sich die nach Leistungsschutz Rufenden billig unter den Nagel gerissen – nämlich Agenturmaterial, PR-Texte oder Werke von freien Mitarbeitern, die per Knebelvertrag alle Verwertungsrechte abtreten mussten. Dieselben Juristen und Verlegerfunktionäre, die immer noch die im Urheberrechtsgesetz von 2002 (!) vorgeschriebenen Einigungen mit den Autoren über „angemessene“ Vergütung verschleppen, jammern lautstark darüber, dass sie an der  bloßen Weiterverbreitung nicht angemessen verdienen. Das nennt man Chuzpe.

Laut Kress lobte Verleger-Repräsentant Wolff anlässlich der Verkündung seines Klagelieds die deutschen Verleger – sie machten „die besten Zeitungen der Welt“. Es wäre vielleicht mal an der Zeit, daran zu erinnern, dass es immer noch Journalisten sind, die die Zeitungen machen. Der Job der Verleger ist es, sich (im beiderseitigen Interesse und auch dem der Gesellschaft) zur Abwechslung endlich mal Geschäftsmodelle auszudenken, die im Online-Zeitalter wirklich funktionieren – und etwas nachhaltiger sind als das, was heute branchenüblich ist

Der Ruf nach einem „umfassenden“ Leistungsschutzrecht offenbart jedenfalls nur eines: tiefe Ratlosigkeit.

Ein Zeitungsverleger will klüger werden

Schaden macht klug, und darum werden jetzt auch Tageszeitungsverleger klüger. Oder sie tun wenigstens so. In einem Gastbeitrag für carta.info legt der als knallharter Kaufmann gefürchtete Geschäftsführer des Nordkuriers,  Lutz Schumacher, dar, warum es für ihn dumm ist, sich für schlauer zu halten als seine Leser.

Zu originelleren seiner Thesen gehört die Forderung an sich selbst und seinesgleichen, Mittel für Forschung und Entwicklung bereitzustellen. Die derzeitige Qualitätsdebatte hält der Mann aus dem Nordosten für verlogen, Begriffe wie „tiefgründige Analyse“, „ausgewogene Hintergrundberichterstattung“, „gesellschaftspolitische Aufgabe“ und „für die Demokratie unverzichtbar" empfindet er als hohle Phrasen. Es gehe darum, Zeitungen zu machen, die für die Leser attraktiv seien; dies könnten die Macher derzeit aber gar nicht richtig einschätzen. Indes: Schumacher ist immer noch in der Zielgruppendenke verhaftet, die allein schon semantisch den Leser degradiert – zum Objekt einer Jagd auf zahlende Kunden. So dient der Abonnent dem Verlag, nicht umgekehrt.

Aus dieser altväterlichen Denke resultieren dann Zitate wie "wir müssen viel mehr Geld und Zeit in eine wirklich gute Marktforschung stecken" oder "genaue Leserforschung und Geomarketing werden immer wichtiger". Vielleicht müssten ja nur die Redakteure mit den Bürgern reden, am besten nicht nur webzwonullig, sondern sogar live im Richtigen Leben 1.0 – und siehe da, auch darüber hat sich Schumacher schon einen Kopf gemacht: "Wir müssen die Leser durch leibhaftige Vorort-Präsenz, etwa Sprechstunden in Cafés, Rundreisen etc., aber auch durch Mikroblogs und als Plattform für lokale Gemeinschaften (Communities) einbeziehen." Wenn aber das Interesse des Lesers für ihn alles ist, warum fordert der Mann dann: "Wir müssen verstärkt selbst die Themen setzen, über die dann gesprochen wird"? Ist das nicht auch altes Denken? Der bevormundende Schlaumeier-AllesBesserWisser-Journalismus, der doch die jüngeren, internet-affinen – ähem – Zielgruppen bekanntlich so anödet?

Letztlich bleibt von Schumachers halbgaren Thesen im Gehirn hängen, dass Journalismus in seiner heutigen Form zu teuer ist: "Wirtschaftlich arbeiten heißt in der Zukunft, bei einem weiterhin sehr hohen Personalkostenanteil den Journalisten vernünftige Rahmenbedingungen für unabhängiges  und dennoch zielgruppenorientiertes Arbeiten zu bieten und sie zu motivieren – etwa indem man sie am Erfolg partizipieren lässt." Aber woran soll denn, bitteschön, die Erfolgsbeteiligung gemessen werden? Per Readerscan? Je nach Anzeigenschaltung im Ressort? "Die alten Zeitungstarife", wettert der Verlagschef, "sind … undifferenzierte, gleichmacherische Auslaufmodelle, die unter ehrgeizigen Redakteuren nur Frust erzeugen und die innerbetriebliche Solidarität auflösen." Interessante Idee: Kollegiale Solidarität stärken, indem man den Ehrgeizlingen mehr bezahlt als denen, die einfach nur einen guten Job für die Leser machen möchten und zufrieden sind, ein Berufsleben lang Lokalredakteur zu sein. (Nicht, dass ich das für eine erstrebenswerte Lebensplanung hielte, aber ich kenne und schätze ein paar Kollegen, die genau darin ihre Berufung sehen.)

Aber seien wir nicht unfair: Wenn ein Verleger mal nicht zuerst an die Inserenten denkt, sondern an die Leser, sollten wir das loben. Den Rest lernt er mit etwas Glück auch noch.

Weniger für mehr

Olaf Kolbrück, Autor der Online-Kolumne off the record im Medienbranchenblatt Horizont, beschreibt mit einer gastronomischen Metapher die suizidale Tendenz mancher Medienhäuser:

Verlage aber reagieren auf die ausbleibende Kundschaft wie jener anekdotischer Restaurantbesitzer, der angesichts sinkender Umsätze erst die Preise erhöht, dann die Portionen verkleinert, und weil die Rendite dann immer noch nicht stimmt, an der Qualität spart, die Blumen schießlich vom Tisch verschwinden lässt , die Vorhänge an den Fenstern nicht mehr wäscht, die Tischdecken nicht mehr austauscht, undsoweiter, bis das Tagesmenu Insolvenz lautet.

Auch mir fallen spontan einige Verlage ein, die in der Tat agieren wie besagter Wirt – oder wie Karcandorstadtquelle & Co. Dennoch würde ich diese Aussage nicht verallgemeinern. Es kommt doch sehr darauf an, wer mit der "ausbleibenden Kundschaft" gemeint ist. In diesem Fall liest es sich, als seien die Leser gemeint. Was mich bei einem Objekt mit der Zielgruppe des "Horizonts" erstaunt: Normalerweise sind ja die Leser aus Verlagssicht gerade keine Kunden. Sie sind demütige, unbezahlte Lieferanten der Handelsware "Awareness", die netterweise noch einen marginalen Deckungsbeitrag als Mitgift mitbringen (jedenfalls solange der Abo-Erlös höher ist als der EK minus WKZ der ausgelobten Espressomaschine). „Weniger für mehr“ weiterlesen

Beyonce belief – oder wie dpa die Sorgfaltslosigkeit ihrer Kunden bloßstellte

Pannen, die einen fast im Boden versinken lassen, passieren jeder Redaktion mal. So  wie das rätselhafte Wort "Imagewinn" (statt "Imagegewinn") in einer Überschrift, das einst mein Kollege, mein Chef, unser Layouter und ich während der Produktion einer Nullnummer hundertmal überlesen hatten; es sprang uns sofort ins Auge, als wir die Andruckexemplare auf den Tisch bekamen.

Trägt also ein Text, der von dem neuen Film der Sängerin Beyoncé Knowles ("If I Were A Boy") handelt, die Überschrift einer ziemlich weit davon entfernten Meldung über Frank Schirrmacher, und ist er auch noch mit einem Foto illustriert, auf dem der FAZ-Mann eine Frau busselt, die wiederum mit Beyoncé herzlich wenig Ähnlichkeit hat, dann ist das eigentlich prima Futter für unsere Schadenfreude. Haha, die anderen machen auch mal Bockmist.

Was der bildbloggende Medienblogger Stefan Niggemeier unter der, sagen wir, leicht uncharmanten Rubrik "Geht sterben" präsentiert*, hat jedoch eine gänzlich andere Qualität als die alltäglichen Einzelpannen (und auch eine andere als das durchschnittliche Material, aus dem Medienblogs gewirkt sind). Nämlich eine scheinbar pandemische: Als habe sich via Internet der Erreger der Schlafkrankheit von Redaktion zu Redaktion fortgepflanzt, zeigen Screenshots eine identische Fehlleistung auf den Online-Seiten des Stern, der Zeit, „Beyonce belief – oder wie dpa die Sorgfaltslosigkeit ihrer Kunden bloßstellte“ weiterlesen

Lieber Martin Balle, lieber Herr Professor Dr. Juniorverleger!

Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer gelungenen Berufswahl – wenn Sie mir die literarische Freiheit gestatten, „Sohn“ als Profession zu werten. In die Fußstapfen Ihres werten Herrn Vaters zu treten, der im Verlag der Landshuter Zeitung und des Straubinger Tagblatts seinerseits seinem Schwiegervater nachgefolgt war, dürfte ein weiser Ratschluss gewesen sein. Wie sonst wären Sie je in die Lage gekommen, nach Herzenslust und Laune in der Zeitung schwadronieren, ja unredigiert Texte absondern zu dürfen, die Ihnen – wären Sie normalsterblicher Journalist geworden – jeder halbwegs professionelle Jungredakteur links und rechts um die immergrünen Löffel gehauen hätte?
Die Gnade der Geburt als Spross der richtigen Familie hat Sie einst vor dem herben Schicksal bewahrt, Ihre publizistische Ambition als freier Mitarbeiter im Reich des alten Balle, des als „Bayerischer Sparlöwe“ berühmt gewordenen Großverlegers, testen zu müssen, ergo als junger Mensch für geschätzte 17,8 Pfennige pro Druckzeile aus den Niederungen des niederbayerischen Vereinslebens Ihrer niederbayerischen Heimat Niederbayern Bericht zu erstatten, bevor Ihnen bei guter Führung eventuell ein Volontariat, ein Pauschalistenposten und irgendwann eine Redakteursplanstelle gewährt geworden wäre.
Dankbar, wie Sie dem Herrn sowie Ihrem Alten Herrn sind, kam Ihnen eines Tages in den Sinn, die Leser-Blatt-Bindung mittels feinsinniger, in jeglicher Hinsicht offener Briefe an bayerische Persönlichkeiten zu stärken (und gleichzeitig das Honorarbudget Ihrer Redaktion um stolze 100 Zeilen zu entlasten). Jeder Leser, jede Leserin des Straubinger Tagblatts und der Landshuter Zeitung sollte sich schadenfroh ergötzen dürfen an Ihrer so phantasievollen wie monologischen, nun ja, Korrespondenz mit Menschen, die auf Ihre Bekanntschaft vermutlich nicht ungern verzichtet hätten und auf Ihre eigenwilligen An-die-Leser-Briefe allemal.
Nehmen wir den ST-Rezipienten, JU-Veteranen und gebürtigen Straubinger Bernd Sibler (37), dessen Berufung zum Staatssekretär im Kultusministerium Sie für einen „Aprilscherz“ gehalten haben wollen, obwohl ein Blick in den Kalender Ihnen verraten hätte, dass es längst Oktober war. Möglicherweise könnte man sich darauf einigen, dass der christsoziale Aufsteiger wirklich (noch) kein Weltstaatsmann ist, über den eine respektable deutsche oder auch bayerische Tageszeitung viele Worte verlieren müsste, es sei denn, er träte öfter als bisher mit klugen Gedanken aus dem ministeriellen Schatten hervor. Ihnen aber war der vormalige „Stadionsprecher mit Nebenjob im Bayerischen Landtag“ eine satte vierspaltige Kolumne wert, deren hauptsächlicher Reiz für den Leser darin bestand, dass am Ende gar nicht der vermeintlich Derbleckte wie ein Depp da stand, sondern – mit Verlaub – der Autor der Brief-förmigen Kolumne, nämlich Sie.
Damit die knapp 10.000 Mitleser dieses Briefes an Sie verstehen, wovon ich schreibe, hier ein exemplarischer Auszug ballejuniorscher Holperprosa: „Dass Sie weit mehr Macht und Einfluss haben als andere Stadionsprecher, das fiel mir immer wieder auf. Oft begegneten wir wichtigen Personen der Zeitgeschichte. In der Regel machten Sie mich dann darauf aufmerksam, dass Sie denen zu ihrem Amt verholfen hätten.“ Mit einer knackigen Pointe nach diesem vergeigten Anlauf hätten Sie die Kurve vielleicht noch gekriegt.
Statt dessen zeilenschinderten (oder heißt es „zeilenschunden“?) Sie weiter mit dem sprachlichen und logischen Feingefühl eines Kreisligafestredners: „Schulamtsleiter, leitende Finanzbeamte, Krankenhausdirektoren, Flughafenkonstrukteure, Hochseeschiffskapitäne, dem Dalai Lama, der Witwe von John F. Kennedy.“ Falls Sie damit Staatssekretär Sibler als Reinkarnation von Lee Harvey Oswald karikieren wollten, hätten Sie das schon ein wenig deutlicher sagen können!
Auch wenn Sie, lieber Herr Professor Dr. Balle, im Fachbereich Medientechnik der Fachhochschule Deggendorf Vorlesungen über Darstellungsformen im Fach Journalismus halten dürfen, welches sie selbst nie studiert haben; auch wenn Sie mit den Studiosi medienethische Fragestellungen diskutieren und Exkursionen zu Ihrem Straubinger Tagblatt unternehmen: In einer Zeitung, die nicht im Besitz Ihrer Familie ist, wäre jener Text im Papierkorb gelandet. Und zwar nicht aus Mitleid mit dem armen Herrn Sibler oder aus Angst vor juristischen Konsequenzen, die solch ein textliches Elaborat nur adeln würden. Sondern aus Verantwortung der Redaktion gegenüber dem Autor, der sich im Falle eines Abdrucks für eine Spontanverbannung in den trostlosesten Landstrich des Verbreitungsgebiets Isar-Donau-Wald qualifiziert hätte. Dass niemand Sie gebremst hat bei Ihrem Generalangriff auf die eigene Reputation, lässt zwei Interpretationen zu: Entweder hat sich niemand getraut. Oder Sie waren vollständig beratungsresistent.
So war es an Mitgliedern der CSU-Prominenz, Sie in jene Verlegenheit zu bringen, die Ihnen in der folgenden Woche Anlass zum beherzten Kopfsprung ins nächste Fettnäpfchen gab. „Ich hatte niemals die Absicht Ihnen zu schreiben“, schrieben Sie in einer dadaistischen Volte an Siblers Staatssekretärskollegen Markus Sackmann, dem Sie in einem Postskriptum ebendiesen Brief angedroht hatten, „mein Hinweis, dass ich auch Ihnen schreiben wollte, war nur ein kleiner literarischer Einfall.“ Somit ist ein Kulturbanause, wer Ihnen jetzt nachsagen würde, Sie hätten sich in den folgenden Absätzen um Kopf und Kragen fabuliert. „Die Menschen, an die ich schreibe, verwandeln sich mir unter der Hand in Figuren, die – so scheint es – mit ihrer eigenen Wirklichkeit plötzlich nur noch zum Teil zu tun haben…“
Die Höflichkeit gegenüber meinen Lesern gebietet es mir, nicht noch mehr Beispiele Ihres Geschwurbels wiederzugeben, dieser grotesken Mixtur aus halbherziger Verunglimpfung und hasenfüßigem Sichherauswinden aus dem gesellschaftlichen Abseits, in das Sie sich selbst manövriert haben. Es bleibt Ihren natürlich unbenommen, weiter in Ihrer literarischen Welt zu leben, die Sie sich so ausmalen, wie Sie sie sich vorstellen. (Oh Verzeihung, jetzt habe ich doch schon wieder Balle zitiert!) Hauptsache, Sie verwechseln diese Balletristik nie wieder mit Journalismus.

Mit einem herzlichen Vergeltsgott für die weise publizistische Selbstbeschränkung, die Sie sich seither auferlegt haben, verbleibe ich

Ihr Ulf J. Froitzheim
Diplom-Journalist und Kolumnist

P.S.: Wer sich die Original-Kolumnen partout in voller Länge antun möchte, findet sie im kostenpflichtigen Online-Archiv von idowa.de, Suchbegriffe „Sibler“ und „Sackmann“.

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Soweit meine Persiflage auf Martin Balles Kolumnen aus dem Herbst 2008. Da die Originaltexte leider nicht mehr abrufbar sind, erlaube ich mir im Folgenden zwecks besseren Textverständnisses ausnahmsweise eine Vollzitation.   UJF, Juni 2014

Balle Sibler

Balle Sackmann

Lieber Bernd Sibler, lieber Herr Staatssekretär!

Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer, Beförderung! Es ist also doch wahr. Am Anfang dachten wir alle noch eher an einen Aprilscherz. Aber jetzt ist alles amtlich und steht schwarz auf weiß in den Zeitungen dieser Welt: Sie, Bernd Sibler, sind Staatssekretär!

Ich kann mich noch gut an unser erstes Zusammentreffen vor zehn Jahren erinnern: Sie waren damals Stadionsprecher bei einem Plattlinger Fußballverein. Gerade war allerdings deren Vereinsheim abgebrannt. Nach einer Trikotspende unserer Zeitung, weil buchstäblich alles verbrannt war, kam ich nicht umhin, auch noch das nachfolgende Fußballspiel anzuschauen. Das Spiel war eher mittelmäßig. Außergewöhnlich war nur Ihre hochdynamische Begleitung dieses mittelmäßigen Spiels durch die verrosteten Stadionmikrophone. Offensichtlich blitzte dort Ihr rhetorisches Talent auf.
Nach dem Spiel lernen wir uns dann kennen. Sie wurden mir als Stadionsprecher vorgestellt – im Nebenberuf freilich Landtagsabgeordneter. Sie waren so jung, dass ich beides kaum glauben konnte. Ich kenne Stadionsprecher. Die sind sonst immer eher etwas verlebt. Häufig sieht man ihnen an, dass sie die letzte Nacht wieder nicht zu Hause waren. Bei lhnen war das merklich anders: Sie standen schon so blitzblank geputzt in der frischen Herbstsonne, dass mir gleich klar war, dass auf Sie eine politische Karriere wartet. Auch weil Sie eben schon damals diesen Nebenjob im Bayerischen Landtag hatten. Die anderen Stadionsprecher haben in der Regel keine Nebenjobs, jedenfalls keine, die man in eimer seriösen Zeitung ansprechen wollte.
Wir sind uns dann immer wieder begegnet. Dass Sie weit mehr Macht und Einfluss haben als andere Stadionsprecher, das fiel mir immer wieder auf. Oft begegneten wir wichtigen Personen der Zeitgeschichte. In der Regel machten Sie mich dann darauf aufmerksam, dass Sie denen zu ihrem Amt verholfen hätten. Bauamtsleiter, leitende Finanzbeamte, Krankenhausdirektoren, Flughafenkonstrukteure, Hochseeschiffskapitäne, dem Dalai Lama, der Witwe von John F. Kennedy. „Mei, dem hob‘ I damals a g’holfn, dass a werd, was a is“, pflegten Sie dann in aller Zurückhaltung und großer Vertraulichkeit zu mir zu sagen.
Nur am Anfang war ich überrascht, wie weit Ihr Einfluss reichte. Manchmal freilich, wenn ich schlecht einschlafen konnte, überlegte auch ich mir, ob auch ich Ihnen meinen Posten zu verdanken hatte. Ich schlief dann schlecht, träumte unruhig, erwachte am Morgen wie gerädert. Nur die ersten Sonnenstrahlen und ein versichernder Blick auf mein verstaubendes Studienzeugnis in einer lange nicht mehr geöffneten Schublade klärten mir meine Situation einigermaßen.
Einmal sind wir uns auf einem Podium zur Situation der Bildung in Bayern begegnet. Ich kann mich noch gut erinnern. Als ich beklagte, dass die jungen Menschen heute kaum mehr Goethe und Schiller, geschweige denn Hölderlin kennten, erwiderten Sie, dass das auch gar nicht mehr so wichtig sei. Wichtig seien vielmehr neue Kommunikationsformen wie E-Mail oder SMS per Handy. Textanalyse einer Botschaft also wie: „Hallo Schatz, bin schon da; wo bist Du?“ Da wurde mir schnell klar, dass Sie jetzt zum innersten Zirkel der CSU-Fraktion im Landtag gehören, zu den Intellektuellen gleichsam. Ich dachte mir zudem, dass Sie wahrscheinlich sogar für das G 8 verantwortlich sind. Geht es nicht auf eine Idee von Ihnen zurück? Sicher, die Entschlackung der Lehrpläne von überflüssigem Bildungsmüll war längst überfällig. So wurde mir klar: Sie werden entweder Staatssekretär im Umwelt- oder sogar im Kultusministerium.
Ich bin heute übrigens der Meinung, dass Sie sogar der heimliche Minister sind. Denn das tapfere Schneiderlein ist ja eher Volksschullehrer, Sie aber durften sogar einmal am Gymnasium unterrichten! Und das noch an einem, das Sie zu dem gemacht haben, was es heute ist, das Sie also gleichsam selbst verursacht haben.
Ich weiß ehrlich gesagt nicht genau, was Staatssekretäre überhaupt tun. Mein Bild vom Leben und Arbeiten eines Staatssekretärs stammt aus der Fernsehserie „Monaco Franze“. Dort kommt ein Staatssekretär vor, der allerdings gar nichts arbeitet, sondern immer nur versucht die Frau vom „Monaco“, das „Spatzl“, zu verführen. Im richtigen Leben kenne ich zwar flüchtig einen Staatssekretär aus einem anderen Ministerium, der genauso aussieht wie der aus dem Film und sich auch genauso verhält, aber ich weiß nie, ob der’s ernst meint oder nur die Figur aus dem Film imitiert.
Und deshalb wünsche ich Ihnen, dass Sie Ihren Weg erfolgreich weitergehen auf den sicheren Schneisen, die Ihnen die CSU jetzt in Ihre Zukunft schlägt.

 

Mit fast untertänigem Gruß

Ihr Professor Dr. Martin Balle,
Verleger und Herausgeber

 

P.S. Den Brief an den Kollegen Sackmann schreibe ich dann nächste Woche.

 

 

Lieber Markus Sackmann, lieber Herr Staatssekretär!

 

Ich bin in einer Verlegenheit. Ich habe letzte Woche an gleicher Stelle einen Brief an Ihren Kollegen Bemd Sibler geschrieben. In einem Postscriptum hahe ich etwas gedankenverloren hinzugefügt, dass ich diese Woche auch Ihnen schreiben würde. Um die Wahrheit zu sagen: Ich hatte niemals die Absicht, Ihnen zu schreiben. Mein Hinweis, dass ich auch Ihren schreiben wollte, war nur ein kleiner literarischer Einfall. Eine Erfindung sozusagen – ohne ernsthafte Absicht.
Mein Brief an Ihren Kollegen Bernd Sibler allerdings ist – weitgehend ohne mein
Zutun – offensichtlich einer größeren Anzahl von Lesern zugänglich gemacht worden. Die fordern jetzt von mir einen zweiten Brief. Diesmal an Sie. Ich aber weigere mich standhaft, Ihnen morgen zu schreiben.
Schon mein letzter Brief an Ihren Kollegen hat mich in eine ernsthafte Verlegenheit gebracht. Meine Briefe sind allesamt eher literarische Entwürfe.
Die Menschen, an die ich schreibe, verwandeln sich mir unter der Hand in Figuren, die – so scheint es – mit ihrer eigenen Wirklichkeit plötzlich nur noch zum Teil zu tun haben. Unangenehm für mich freilich wird es immer dann, wenn mir die wirklichen Personen in nächster Zeit auch noch wirklich begegnen. Oder mir selbst einen Brief schreiben. Oder mich sogar anrufen. So rief mich diese Woche Ihr ehemaliger Fraktionsvorsitzender Alois Glück an und rügte mich deutlich für meinen Brief an Bernd Sibler.
Weil ich Alois Glück doch schätze und es draußen auch noch regnete, war mein Tag war mein Tag insgesamt recht verdorben. Und dass der echte Alois Glück angerufen hatte und nicht ein von mir auf brieflichem Weg erfundener, das verschärfte meine Situation abermals. Auch mein Hinweis, dass eine Glosse letztlich ein literarischer Text sei, der von einer gewissen Ironie lebe, wurde von Alois Glück mit dem Hinweis gekontert, dass am Ende echte Menschen solche Ironie ausbaden müssten.
Deshalb habe ich entschieden, Ihnen morgen nicht zu schreiben.
Das hat auch für mich Vorteile. Denn weil viele Leser den Unterschied zwischen Realität und Erfindung so allzu genau unterscheiden wollen, habe ich mit meinen fiktiven Entwürfen oft die größten Schwierigkeiten. So schrieb mir jetzt ebenfalls der richtige Bemd Sibler und nicht der von mir brieflich erfundene, dass seine Zeit als Stadionsprecher der Spielvereinigung Plattling deutlich vor seinem ersten Landtagsmandat liege. Und auch das mit Goethe und Schiller verhalte sich doch wenigstens etwas anders, als ich das brieflich erinnerte.
Und deshalb schreibe ich Ihnen morgen nicht: Weil ich nicht möchte, dass sich meine Vorstellung von der Welt und die Welt, wie sich sich selber sieht, immer mehr entzweiten. Es gibt einen wunderbaren Satz des Schriftstellers Martin Walser in seinem Roman „Halbzeit“. Er fühle sich wie Don Quijote, nachdem er las, was Cervantes über ihn schrieb.
Ich persönlich möchte lieber weiter in meiner literarischen Welt leben.
Eine Welt, die ich mir so ausmale, wie ich sie mir vorstelle. Und ich möchte nicht weiter darauf hingewiesen werden, dass die Welt sich anders verhält oder sich wenigstens anders sieht. Nicht von Cervantes, nicht von Ihrem Kollegen Bernd Sibler und eben auch nicht von lhnen.

Und deshalb schreibe ich Ihnen morgen also nicht
und grüße Sie hiermit herziich.

 

Ihr Professor Dr. Martin Balle
Verleger und Herausgeber