Nudelsieb-Journalismus

Bis vor ein paar Tagen kannte niemand Niko Alm, heute jeder. Der Mann, der beim Autofahren die kultische Kopfbedeckung der Pastafari trägt, hat sich durch seinen dadaistischen Triumph über Österreichs Bürokraten seine 15 Minuten Ruhm verschafft und so bewiesen, was nicht zu beweisen war: Je blödsinniger eine Idee ist, desto mehr fahren die Leute darauf ab, insbesondere in den „sozialen“ Medien.

A propos: Hat eigentlich schon mal jemand den alten Habermas gefragt, was er von diesem bescheuert wörtlich eingedeutschen Begriff hält? Medien haben schließlich noch nie ohne die Gesellschaft funktioniert. Als „sozial“ gilt heute ein Medium, bei dem der Sender im Gegensatz zum klassischen Massenmedium nur einen winzigen Bruchteil der Gesellschaft erreicht und genötigt wird, viel Zeit damit zu verbringen, aus dem Feedback das Relevante heraus zu sieben. Womit wir zurück wären bei Nudelsieb-Niko.

Der Pasta-Öhi hilft jetzt Hajo Schumachers und Sebastian Essers Medienpostille V.i.S.d.P. dabei, ein „Social Media Ranking“ der deutschen Journalistenszene aufzustellen. Die simple Idee: Wer viel twittert und am besten auch facebookt, wer nicht nur „Aktivität“, sondern auch „Engagement“ beweist, kriegt viele Punkte und darf sich toll fühlen.

Die Ergebnisse dieser Scheinempirie nach willkürlichen Kriterien sind so weltbewegend und nutzenstiftend wie Haare im oder unter dem Pastasieb.

Das sieht man schon, wenn man die Werte für die beiden bestplatzierten Freiberufler-Kollegen Richie Gutjahr (Rang 31) und Mario Sixtus (Rang 36) vergleicht: Der „elektrische Reporter“ hat 33.477 Gefolgsleute beim Zwitscherdienst, der Apple-Experte nur 12.786.  Marios „Reach Score“, neudeutsch für Reichweite, ist

Sigst Du's, Sixtus: der Richie aus Bayern ist aktiver als Du!

größer, obwohl der Gute im Gegensatz zum bayerischen Rivalen nicht auch aufs Gesichtsbuch setzt. Richtig viele Facebook-Fans hat auch Gutjahr nicht zu bieten (was sind in der Szene schon 1.891 Hanseln und Greteln?), aber sein „Activity Score“ ist höher (ja, auch der Engagement Score, ein bisschen jedenfalls). Warum der Düsseldorfer ZDF-Zulieferer fünf Plätze hinter dem Münchner BR-Lokalmatador liegt, wird nicht so richtig klar.

Überhaupt: Einzelne freie Journalisten, die einem irgendwie im Netzzwonull aufgefallen sind, mit ganzen öffentlich-rechtlichen Kanälen, einzelnen Sendungen oder großen Zeitungen zu vergleichen, mag ja als Einmal-Idee noch originell sein, trägt aber kein wöchentlich aktualisiertes Ranking.

Deshalb sage ich: „gefällt mir nicht“, Null Gugelpluspunkte.  Die ViSdP-Macher können diese Hitparade gleich an die Kollegen von Neon weiterreichen, die mit einer ihrer Websites auf Platz 16 gelandet sind. Die heißt „Unnützes Wissen“.

 

Schnatternde Gurugurus

Neueste Innovation in der IT: die Anbetung der relevanzbefreiten Kommunikation.

Kürzlich hielt Hubert Burda, der technikbegeisterte Großverleger, wieder einmal Hof. Digital,Life,Design nennt er in unorthodoxer Interpunktion sein jährliches Gipfeltreffen, für das die schillerndsten Exponenten des (nicht nur) digitalen Fortschritts auf dem Weg nach Davos gern eine Zwischenlandung in München einlegen. Als Gast, der andere D,L,D-Gäste studiert, kann man über die Jahre hinweg recht gut beobachten, wie sich unser Kommunikationsverhalten wandelt im Zeitalter der softwaregestützten Übermittlung von, tja, Nachrichten? Wissen? Informationen? Bleiben wir besser mal beim wertfreien kleinsten gemeinsamen Nenner oberhalb der Byte-Ebene: Content. (Gewiss kein Zufall, dass dieser Terminus technicus aus der Welt der VerpackungshersteIler, die „Inhalt“ quantitativ meinen, in die Online- und Medienindustrie diffundiert ist.) Es ist, wie ich befürchtet hatte: Dieses Jahr wird getwittert, gnadenlos.

Wer nicht als verbohrter, rückständiger IT-Banause gelten will, muss der voll angesagten Sekte der Microblogger beitreten, die ihre alltäglichsten Verrichtungen mit den Mitteln des mobilen Internets in Echtzeit protokollieren. Ein typisches „Tweet“ ist hochverdichtete Irrelevanz – 140 Zeichen, die die Welt nicht braucht, aber live serviert bekommt. Vielleicht etwa so:

Würde ich jemanden auf diese Art an meinem Job und Leben teilhaben lassen, wäre er automatisch mein „Follower“, also Gefolgsmann oder Jünger. Ich wäre für ihn dann wohl der Guru – und der, dem ich „followe“, sein Guruguru? So nannte Obelix einst in Amerika den Truthahn, einen zwar schmackhaften, aber doch etwas komischen Vogel.

Twitterer übersetzen den Namen ihrer Lieblings-Website gern als liebenswertes „Gezwitscher“. Nach meinem Wörterbuch ist das nicht so eindeutig; es übersetzt „to twitter“ auch als „aufgeregt schnattern“. Wenn ich die Verlautbarungen aus diesem anthropo-ornithologischen Zoo vor meinem geistigen Ohr ablaufen lasse, höre ich allerdings ein Tier viel stärker heraus als die tirilierende Nachtigall, die gurugurrende Pute oder die schnatternde Gans: das hysterische Huhn, das über jedes gelegte und ungelegte Ei gackert.

Aus der Technology Review 3/2009, Kolumne FROITZELEIEN