Haarsträubende Geschichten

chip-kaufberatungWer sich vor windigen Willis und schraubenden Siggis schützen will, sollte nicht alles glauben, was in bunten Werbebeilagen steht. Mit solchen Discount-Hallodris muß der Kunde überall rechnen – selbst in Läden, die vor ihnen warnen.

Sein Hemd ist bunt, seine Weste auffallend weiß. Heller Borsalino und dunkle Brille verleihen ihm einen mafiösen Touch. Er beweist seine „Kompudenz“ durch die Art, wie er Computer „kontifugiert“: Willi Windig, Zerrbild des deutschen Computerhändlers, ist sogar zu dämlich, seine Kunden nach Strich und Faden übers Ohr zu hauen. Sein Kumpan Siggi Schrauber ist keinen Deut vertrauenswürdiger.

Die derben Späße, die sich die Werbeagentur des Großdiscounters Escom seit Juli mit der Konkurrenz erlaubt, lenken die Aufmerksamkeit der PC-Branche wieder auf Themen, die vor lauter Preiskampf schon vergessen schienen: Beratung. Qualität und Service. Freilich bringt das Heppenheimer Unternehmen diese Themen nicht aus Gründen des Verbraucherschutzes aufs Tapet. sondern um damit Geld zu verdienen. Gegen Gebühr fahren Techniker zum Kunden, um dort zu installieren, instruieren, reparieren. Marktführer Vobis mußte gleichziehen.

Zeitlich hätte Escom die Attacke nicht besser landen können. Als die erste Zeitungsbeilage mit den beiden zwielichtigen Gestalten erschien. war jener Vobis-„Denkzettel“ gerade zwei Tage alt, auf dessen Titelseite die Firmengründer Theo Lieven und Rainer Fraling mit betont seriöser Miene von einem expressionistischen Ölschinken blickten.

Erfahrungen einer Testperson

Doch hat sich Escom-Chef Manfred Schmitt das richtige Angriffsziel für seine Kampagne ausgesucht? Geht der Schuß vielleicht sogar nach hinten los? Wir machen die Probe aufs Exempel. Als Interessentin schickten wir eine Frau vor, die angeblich ein Schreibbüro einrichten will und in puncto Computer überhaupt nicht up to date ist. „Unsere Geräte sind standardmäßig mit ’ner 170-Mäcbyte-Festplatte ausgestattet“, konfrontiert der Verkäufer eines Münchner Vobis-Ladens seine Kundin prompt mit einer neuen Maßeinheit für Massenspeicher. Dabei gibt es einen Mäc (-intosh) hier doch gar nicht zu kaufen.

Das Beratungsgespräch könnte Gerhard Polt als Sketchvorlage dienen. Ein nachdenkliches „Mmmh… Mmmh… Mmmh…“ ist das einzige. was der Mann hinter der Theke unaufgefordert von sich gibt. Der Vobist versucht nicht einmal, die Initiative zu ergreifen und ein echtes Verkaufsgespräch zu führen. Statt dessen zieht er sich wiederholt mit einem Jein aus der Affäre. wenn er Tacheles reden soll. Die Hardwareentscheidung beeinflußt er fast gar nicht, nur mit Microsoft Office als Softwarebündel wähnt er sich auf der sicheren Seite.

Zum Schluß läßt sich der Thekenamateur gerade noch entlocken. daß im Fall der Fälle die Reparaturzeit „zwischen drei Minuten und drei Wochen“ liegen dürfte. Daß Vobis neuerdings für 249 Mark einen 24-Stunden- vor-Ort-Service im Sortiment hat. scheint er nicht zu wissen. Leihgeräte? Gibt’s „je nachdem“. Einen Pudding an die Wand nageln ist leichter, als diese Filiale mit dem Gefühl zu verlassen, beraten worden zu sein.

Nächster Versuch, selbe Stadt, anderer Vobis: In eine Wolke von Zigarettenqualm gehüllt, fertigt ein dynamischer Kundenberater die Interessenten im Fast-food-Tempo ab. Auch bei unserer Testperson fackelt der Boxenschieber nicht lange. Schon nach dem ersten Stichwort (Schreibbüro) hat er die Patentlösung parat: kein 08/ 15- Modell, sondern den billigsten Colani-Rechner (386 DX-40), dazu einen Deskjet 510, macht zusammen schlappe 2798 Mark. Daß es für 50 Mark mehr schon ein Paket mit HP-Farbdrucker gäbe, bleibt unerwähnt, und an eine Textverarbeitung denkt er auch nicht. Liegt es daran. daß die Kundin ihm gestanden hat, sie bekomme das nötige Geld erst nächste Woche?

Erst im dritten Münchner Vobis-Laden ist der Verkäufer wirklich bei der Sache. Er trägt sogar korrekt sein Namensschild und strotzt vor Fachwissen in Sachen Hardware. Stolz führt er die Dame zu seinem Lieblingsmonitor, der objektiv das beste Stück im Hause ist. Vor lauter Begeisterung für Localbus und den CHIP-prämierten 15-Zoll-Schirm vergißt er allerdings, der Kundin eine Software anzubieten, mit der sie die Prozessorpower überhaupt nutzen kann. Eine echte Kundin hätte 5045 Mark hingelegt und erst daheim in der Schreibstube gemerkt, daß ihr noch das Textprogramm fehlt.

Vobis-Vorstandsvorsitzender Theo Lieven („Wir sind kein Consulting-Unternehmen.“) weiß durchaus, wie es in seinen Geschäften zugeht. „Sie brauchen nur alle unsere 130 Filialen abzuklappern“, kokettiert er mit dem durchwachsenen Ruf seines Unternehmens, „dann werden sie haarsträubende Sachen finden.“ Doch solange der Umsatz stimmt, ist Lieven nicht aus der Ruhe zu bringen (siehe Interview).

Herausforderer Manfred Schmitt macht sich größere Sorgen um seinen Ruf: „Bei uns soll der Kunde König sein“, beschwört der Heppenheimer alte Traditionen, „er hat einen Anspruch auf eine sehr gute Beratung.“ (Siehe Interview auf der nächsten Seite.) Ob dieser Anspruch mit der Wirklichkeit übereinstimmt, zeigen Stippvisiten in drei Escom-Filialen – der Fairneß halber wiederum in München und mit derselben Kandidatin.

Laden Nummer eins unterscheidet sich zwar durch sein unaufdringliches Ambiente wohltuend von den Verkaufsräumen des Konkurrenten. Doch Gerhard Polt könnte auch hier ungestört Stoff für eine boshafte Szene über Computerfritzen sammeln – allein schon, weil dem Kunden hier so viel Zeit zum Zuschauen gelassen wird. Im Büro, im Lager, an der Kasse und in der Werkstatt – überall genug Personal, nur an der Verkaufsfront nicht: Dort plagt sich ein freundlicher Mitarbeiter aus Fernost mit dem Verständnis deutscher Stimmen – er hört immer nur „Localbus“ und bringt gehörige Verwirrung unter die Käuferschar.

Nach rund 20 Minuten ist jemand frei für ein Beratungsgespräch: ein sehr junges und sehr höfliches Bürschchen. Der Knabe reagiert fix, tastet sich zielstrebig an die Bedürfnisse der Kundin heran und argumentiert sehr plausibel für eine Apple-Konfiguration, stellt eine teurere Alternative dagegen. Zu einer guten Note für dieses Escom-Office kann sich die Testperson dennoch nicht durchringen: „Der clevere junge Mann jobbt dort leider nur stundenweise.“

Sein Kollege in der zweiten Filiale entpuppt sich als Spezialist für Intel-Rechner. Bei Fragen nach Apple wendet er sich hilfesuchend an seinen Mitstreiter. Doch dann lenkt er das Gespräch auf ein Escom-Gerät und empfiehlt – wohlgemerkt für ein Schreibbüro – mit dem Q-Tower 4 DX 2/66-250 eine Maschine knapp unterhalb der Workstationklasse, aber dazu den billigsten Tintenspritzer.

Ärger mit dem Kundendienst

Auf die optionale Police für Reparaturen vor Ort weist der Mann korrekt hin – wie später auch sein Kollege in der dritten Münchner Niederlassung. Nur daß dieser den allerkleinsten und billigsten Intel-Rechner aus dem Escom-Katalog für völlig ausreichend hält: den Desktop 4 SX 25-170 für 2099 Mark einschließlich Textverarbeitung und Lotus 1-2-3, lediglich aufgepäppelt durch Cirrus-Acceleratorkarte, Speichererweiterung und Trinitron-Monitor. Umsatz will dieser Spezialist mit dem Drucker einfahren: Sein Vorschlag (HP Laserjet 4, 3175 Mark) ist bei weitem der teuerste im Test; die Gesamtsumme übertrifft mit 5864 Mark sogar die der 66-Megahertz-Tower-Offerte. Resümee unseres Versuchskaninchens nach sechs Gesprächen und sechs verschiedenen Vorschlägen: „Ein Glück, daß ich nicht wirklich ein Schreibbüro ausstatten muß.“

Das Problem mit den Preisen

Oft offenbaren Deutschlands PC-Spezialisten ihre windige „Kompudenz“ allerdings erst nach dem Kauf, wenn das gute Stück einmal nicht funktioniert. Selbst gut informierte CHIP-Leser erleben dabei – wie Zuschriften an die Redaktion belegen – nicht selten ein böses Erwachen. Da reklamiert etwa ein hessischer Polizeibeamter bei Escom in Frankfurt seinen Personalcomputer wegen des defekten Diskettenlaufwerks. Als das zwischendurch sogar einmal verschollene Gerät nach Wochen wieder auftaucht, ist die völlig intakte Festplatte ausgetauscht worden.

Ein andermal schickt ein schwäbischer Kaufmann ein CD-ROM-Laufwerk zur Gutschrift an den Versender Pearl Agency zurück. Er bekommt auch irgendwann einen Scheck über den Kaufpreis, aber Wochen später wird ihm das gleiche Teil erneut geliefert und berechnet. Und in München fahrt ein autoloser Journalist seinen Sonderangebot-PC stets aufs neue im Taxi zu Saturn Hansa, wo die halbe Computerabteilung über Wochen hinweg immer wieder am Festplattencontroller laboriert, bis der Kunde entnervt sein Geld zurückverlangt. Saturn-Reaktion: „Das kommt uns sehr entgegen.“

Fast noch öfter als mit Reparaturen gibt es Scherereien mit den Preisen. So ist der Gärtner Roland Münz aus Prüm sauer auf den Versender Joachim Hübner („2fach Computer“) aus Herzogenrath, weil dieser für den in der CHIP-Ausgabe vom Juni zu 1222 Mark angebotenen HP-Drucker 550 C schon am 10. Juni 177 Mark mehr haben wollte. Der Hamburger Student Michael Braunheim ärgert sich hingegen über Vobis: Beim Kauf seines 486er-Computers im Januar hatte ihm der Verkäufer mündlich zugesichert, er könne Winword 2.0 innerhalb eines halben Jahres zum günstigen Bundlingpreis von 400 Mark nachkaufen. Im März verlangte Vobis 1098 Mark. Die Versandabteilung dieses Unternehmens brachte es außerdem fertig, der Unternehmensberaterin Christel Nigrin aus Weil im Schönbuch eine Nachnahme über 812,48 Mark zu schicken, obwohl sie nur eine Speichererweiterung für 200 Mark bestellt hatte. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Solange sich die Hersteller nach einer berechtigten Beschwerde wenigstens entschuldigen, sind die meisten Kunden zur Versöhnung bereit. Doch oft genug stellen sich die Firmen taub. Hotlines frieren plötzlich ein, Beschwerdebriefe gehen verloren, versprochene Rückrufe werden vergessen. Spätestens dann schwillt die Wut der Käufer so sehr an, daß sie negative Mundpropaganda machen. Diese Aussicht läßt die Missetäter kalt: Kritische Kunden. die Ärger machen, überläßt man gern der Konkurrenz. Unterm Strich hebt sich der Effekt ohne Schaden auf: Es machen schließlich alle so.

»Der Erfolg gibt uns Recht«

Interview mit Theo Lieven, Vorstand Vobis Microcomputer AG

CHIP: Wenn man in Ihren Filialen anruft, geht oft kein Mensch ran, oder man kommt erst gar nicht durch.

Lieven: Schreiben Sie doch, welche Filialen das sind. Dann werden die ein bißchen ermahnt.

CHIP: Ist das alles, was Sie tun können?

Lieven: Manche Kunden glauben, wir wären Consultingunternehmen, Hersteller, Installateur und Wartungsfirma in einem. Wir sind ein Einzelhandel. Jeder, der sich irgendwo einen Videorecorder kauft, geht damit in den Laden, wenn er Probleme hat. Außerdem ist der Normalfall doch, daß man jemanden erreicht. Lassen Sie sich doch mal in einem Geschäft beraten, wenn dauernd das Telefon klingelt: Soll der Verkäufer jetzt ans Telefon gehen oder Sie bedienen?

CHIP: Sind die Anfragen am Telefon denn nicht auch wichtig?

Lieven: In den meisten Fällen handelt es sich bei den Anrufen um Rückfragen zum Setup. Jeden dritten Kunden sehen oder hören wir wieder. Das ist ein Lieblingssport von Neukunden, der Aufforderung „Press delete to enter set-up“ sofort Folge zu leisten. Wir versuchen seit Jahren, die BIOS-Hersteller dazu zu bringen, diese Zeile endlich rauszuwerfen. Wenn die dann einmal im Setup drin sind und das speichert sich nicht automatisch ab, hat man sofort eine Reklamation. Der Computer tut dann so, als wenn er kaputt wäre.

CHIP: Also ist bei Vobis die Welt heil?

Lieven: Was bei uns gemacht wird, muß irgendwie funktionieren. Sonst könnten wir den Erfolg nicht haben. So schlecht, wie es manchmal dargestellt wird, kann es nicht funktionieren. Solange das so ist, sehe ich keinen Grund, päpstlicher als der Papst zu sein. Wir bieten jetzt einen Vor-Ort-Service zusammen mit der Telekom. Das ist eine Versicherungsprämie, sonst nichts.

CHIP: Gegen einen schlechten Verkäufer kann man sich nicht versichern. Was tun sie für Ausbildung Ihrer Mitarbeiter?

Lieven: Das ist mehr eine Charakterfrage als eine Sache der Ausbildung. Wenn man für jede Neuerung in dieser Branche eine Schulung machen würde, wären die Leute nur noch auf Schulung.

»Manchmal kriegt man graue Haare«

Interview mit Manfred Schmitt, Vorstand Escom AG

CHIP: In Ihren Prospekten nehmen Sie mit den Figuren Willi Windig und Siggi Schrauber die Beratung und den Service Ihrer Konkurrenz aufs Kom. Werfen Sie da nicht mit Steinen aus dem Glashaus?

Schmitt: Wir bieten sicher nicht in jeder Filiale perfekten Service an. Bei großem Andrang kann die Beratung nicht immer optimal sein. Wenn es ruhiger ist, können wir den Kunden auch genügend beraten. Der Kunde hat Anspruch auf eine vernünftige Antwort, wenn er Fragen zu seinem Gerät hat.

CHIP: Muß er dafür hinfahren?

Schmitt: Nein, er kann auch anrufen.

CHIP: Unsere Leser klagen aber, daß sie sich bei Escom immer die Finger wund wählen.

Schmitt: Das hängt davon ob, wann sie anrufen. Am besten ist es vormittags am Wochenbeginn. Da machen wir den geringsten Umsatz und haben am meisten Zeit.

CHIP: Der Kunde soll sich also am Montag oder Dienstag einen halben Tag freinehmen.

Schmitt: Ich würde es so machen. Ich gehe auch nicht am Donnerstagabend oder Samstags zum Einkaufen.

CHIP: Ist es eigentlich schwer, gute Mitarbeiter zu finden?

Schmitt: Ja, schon. Aber die meisten Läden von uns haben Stammkunden und ein Stammpersonal. Wir versuchen, die Verkäufer so gut wie möglich zu schulen. Beschwerden sind an sich immer Ausreißer. Wenn sie sich mal bei einer Filiale häufen, wechseln wir das Personal aus.

CHIP: Was verstehen Sie unter Service?

Schmitt: Bei uns soll der Kunde König sein. Wir können dem Kunden bei unserer eng kalkulierten Gewinnspanne aber keine dreistündigen Gratis-Einführungskurse geben. Er kann bei uns verschiedene Servicepakete kaufen.

CHIP: Weisen Ihre Verkäufer die Kunden darauf hin?

Schmitt: Ich gehe davon aus, daß der Kunde unsere Werbung gelesen hat. Informationsmaterial über unsere Servicepakete erhält der Kunde selbstverständlich auch in jeder Filiale.

CHIP: Wir kriegen immer wieder Briefe von Lesern, die über Escom klagen. Läuft in ihren Filialen viel schief?

Schmitt: Es passiert, da können Sie nichts dran drehen. Ich ärgere mich da furchtbar drüber. Da kriegt man wirklich graue Haare, wenn man hört, was manchmal schiefgelaufen ist. Oftmals ist es eine Aneinanderreihung unglücklicher Umstände, die dann zur Verärgerung des Kunden führt.

 Aus dem Chip-Sonderheft Kaufberatung von 1993

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