Blaue Butter bringt Bayern beste Preise

Folgenden Text schrieb ich 1994 – lange vor dem Verkauf des volkseigenen Milchbetriebs an Theo Müller – gemeinsam mit meiner Frau Angela, die ein paar Jahre zuvor in Weihenstephan ihr Diplom in Ökotrophologie abgelegt hatte, für die w&v werben & verkaufen:

Der bayerischen Staatsmolkerei Weihenstephan wird es im Süden zu eng. Mit einer neuer Firmenstruktur, einer erweiterten Produktpalette und professionellem Marketing will sie 1996 in ganz Deutschland die Nummer 1 unter den Premiummarken sein.*

BlauesWunderBayern, die auf dem Stuttgarter Hauptbahnhof den ICE aus München verlassen, fühlen sich fast wie zu Hause. Pink leuchten ihnen von einer königsblauen Plakatwand zwei riesige Himbeeren entgegen – „der einzige Zusatz in unserem Quark“. Mit dieser bis zur Unwahrheit vereinfachten Aussage (die Zutaten Zucker und Joghurt werden verschwiegen) wirbt die Staatliche Molkerei Weihenstephan aus Freising jetzt überregional für ihr neues Leadprodukt.

Die Beeren sind die ersten Früchte einer Arbeit, für die der bayerische Staatsbetrieb im vorigen Jahr erfahrene Markenprofis engagiert hat. Zum 1. Juli kam Paul Ritter (40), der zuvor bei Knorr-Maizena (Mondamin Fix-Soßenbinder) und Reemtsma-Rothhändle (West Quickies) nationale Marken aufgebaut hatte, an die Isar. Als Marketing- und Vertriebsleiter will er dafür sorgen, daß die Weihenstephan-Produkte möglichst bald bundesweit in aller Munde sind. Dabei setzt er auf die Münchener Agentur Serviceplan, die auch den Nordlichtern klarmachen soll, daß die weißblaue Dachmarke Weihenstephan stets für „Köstliches aus Milch“ steht – keine leichte Aufgabe, da Bayerns älteste (und ebenfalls staatliche) Brauerei denselben Namen trägt (Slogan: „Mit Weihenstephan fängt Bier an“).

Mit dem Schritt über die Mainlinie beginnt für die ehemalige Königlich-bayerische Molkereischule endgültig das Zeitalter der Marktwirtschaft. Denn der Freistaat will seinen „Musterbetrieb hinsichtlich der Führung nach kaufmännischen und wirtschaftlichen Grundsätzen“ (amtlicher O-Ton Süd) zur GmbH umwandeln und Mitte dieses Jahres teilprivatisieren. Für den geplanten Neubau der Molkerei – die alte platzt aus allen Nähten – fehlt das Geld; deshalb sollen private Investoren aus der Branche einspringen. Allerdings will der Staat die Mehrheit und das Sagen behalten – offiziell, um den Versuchs- und Lehrbetrieb an der Fachhochschule und der Universität zu garantieren.

Freilich nutzt das Unternehmen, das via Uni dem bayerischen Kultusminister untersteht, längst auch Verarbeitungskapazitäten privater Vertragsmolkereien – etwa die von Heinrich Gropper in Bissingen, wo Milch und Schlagrahm für Bayern in Pfandflaschen gefüllt werden. Denn die enormen Mengen, die von der „Blauen Linie“ schon in den vergangenen Jahren abgesetzt wurden, wären ohne Lizenzproduzenten nicht annähernd zu erreichen gewesen. „Unser Prinzip war schon immer Kooperation“, bestätigt Karl-Heinrich Haisch (61), Direktor und künftig Geschäftsführer in Weihenstephan, „und wir wollen das weiter ausweiten.“ Und zwar nicht nur in Bayern: Sofern die Nachfrage im Norden stimmt, könnte das bayerische Staatswappen künftig auch auf Flaschen mit Holsteiner oder vorpommerscher Milch prangen.

Für die nichtstaatlichen Vertreter der bayerischen Milchwirtschaft ist das Geschäftsgebaren des staatlichen Branchenriesen (geschätzter Jahresumsatz: 300 Millionen Mark) eine ständige Provokation. Denn das hoheitliche Emblem mit Löwen und Rauten flößt dem Kunden Vertrauen ein, und der kleingedruckte Abfüllort fällt nur dem aufmerksamen Betrachter auf. „Das ist eigentlich Verbrauchertäuschung“, wettert Helmut Pointner, Geschäftsführer der Milchwerke Berchtesgadener Land-Chiemgau eG in Piding, die ihre „Bergbauern-Milch“ als regionale Öko-Premium-Marke preislich nicht oberhalb der Blauen Linie positionieren können, „die rollen mit dem guten Namen den Markt auf und haben nicht einmal eine eigene Flaschen-Abfüllanlage.“

Direktor Haisch, ein Molkereiveteran mit 30 Dienstjahren, hat dennoch kein schlechtes Gewissen. Denn die Essenz der Weihenstephaner Philosophie besteht darin, immer und überall der Beste und Teuerste zu sein. „Wir sind Preisführer in allen Bereichen“, verkündet Haisch stolz, „aber wir verkaufen ja wirklich erstklassige Qualität.“ So hält er die Freisinger Rezepte, die auch für die Lizenznehmer verbindlich sind, für überlegen (eine Einschätzung, die mancher Wettbewerber als beleidigend ansieht). Daneben rechnet das Staatsunternehmen die Attribute Naturbelassenheit, Tradition und Umwelt zu seinem Markenkern.

Das ökologische Image soll nun von den langjährigen Hauptumsatzträgern – Milch, Butter, Käse – auf die neuen, lukrativen Milchmischprodukte transferiert werden. Buttermilch, Joghurt oder Quark, mit Fruchtzubereitungen oder Kräutermischungen aufgewertet, sollen den Zeitgeschmack treffen und eine ernährungsbewußte, zahlungskräftige Klientel auf die Marke einschwören. Durch Flops wie den Joghurt mit Fruchthäubchen oder den „Obazd’n“-Käse vorsichtig geworden, begnügen sich die Staatsdiener allerdings mit Variationen von Produkten, die bei der Konkurrenz die Markteinführung bereits gut überstanden haben.

So gibt es Joghurt mit großen Fruchtstücken bereits bei der Georg Zott KG – kein Wunder also, daß Weihenstephan seine Gläser in Mertingen bei Donauwörth abfüllen läßt: Dort steht Zotts hochmoderne Abfüllanlage. Milram bekommt bei fertig gemischten Fruchtquarks eine Premium-Konkurrenz, Theo „Oderwas“ Müller muß angesichts blauer Packungen um Marktanteile bei fruchtiger Buttermilch bangen.

Paul Ritter jedenfalls findet die neuen Sachen „lecker“ und hat keine Angst, als Me-too-Anbieter zu gelten: „Wir versuchen mit jedem Produkt ein Original auf den Tisch zu stellen.“ Damit der Verbraucher dies auch merkt und einen Premium-Preis hinnimmt, lassen Ritter und das Serviceplan-Team (Etatbetreuer: Florian von Hornstein) die anonymen „Saisonfrüchte“ von den Etiketten verschwinden. Nach dem Motto „Unsere Neuen kommen aus den feinsten Gegenden“ heißt es jetzt in bester Zentis-Manier: schottische Himbeeren, Bühler Pflaumen, Pfirsiche aus Toskana. Und selbst von den guten alten Piemontkirschen hat Ferrero offenbar etwas für Weihenstephan übriggelassen.

Damit die Kundschaft den bayerischen Löwen so richtig brüllen hört, stecken die Freisinger heuer acht Millionen Mark je zur Hälfte in Werbung und Verkaufsförderung. Nach dem Auftakt mit der zur Zeit laufenden Aktion „Fit in den Frühling“ geht es Ende April weiter mit der Kampagne „Gesund und köstlich“, die den Milchfans die Fruchtbuttermilch und herzhaften Quarks näherbringen soll. Im Herbst schließlich brechen „sahnige Zeiten“ an, für die Weihenstephan derzeit noch an neuen Rahmjoghurts herumexperimentiert. Ungeduldige können sich einen Vorgeschmack schon mit Zotts Sahnejoghurts holen.

Im Mediamix zeichnet sich allerdings eindeutig ab, daß der Schwerpunkt des Angebots nach wie vor im Süden der Republik liegt. Damit will der der staatliche Milchkonzern die Streuverluste klein halten. Plakatiert wird in Bayern, Baden-Württemberg und Südhessen; Funkspots laufen auf Antenne Bayern und den 20 Sendern der „Radio-Kombi“ im Ländle. Auch die Printwerbung wird regional begrenzt eingesetzt. In den nördlichen Gefilden hingegen verläßt sich Ritter auf klassische Verkaufsförderung mit Promotions. Berlin, wo man für die Blaue Linie bisher extra ins KaDeWe fahren mußte, bildet den nächsten Schwerpunkt der Expansionspläne, nachdem die Listung bei der Edeka Handelsgesellschaft Minden-Hannover mbH die Markenpräsenz bis nach Sachsen hinein gesichert hat.

Das Argument, mit dem Ritter – abgesehen von den unvermeidlichen Listungsgebühren – die Handelsketten überzeugt: „Jeder verdient bei uns ein Zehnerl mehr.“ Als Zugpferde fungieren bei Neulistungen Butter, Milch und Schlagrahm in der Flasche. „Wenn wir die am Laufen haben“, so der Vertriebschef, „können wir nacheinander alle anderen Produkte dort reintun.“

Vom ganzen Sortiment freilich wird in zwei bis drei Jahren überhaupt nichts mehr aus Weihenstephan kommen. Das neue, halb private Milchwerk entsteht am Südrand von Freising auf dem Areal der aufgelassenen Treckerfabrik Schlüter. Auf dem historischen Klostergelände, wo in trauter Nachbarschaft zur Forschung seit über 100 Jahren Camembert gekäst wurde, wird dann nur noch die reine Lehre praktiziert.

Angela Froitzheim/Ulf J. Froitzheim

 

* Original-Vorspann. Die „Milchmagnaten“ im redigierten Vorspann (siehe Abbildung) waren nicht unbedingt eine Glanzleistung des diensthabenden Redakteurs – von den Marketing-„Maßnahmen“ und dem so überflüssigen wie undeklinierten Main ganz zu schweigen. 

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