Das Ende des Telefon-Monopols rückt näher, doch die neuen Wettbewerber haben ohne Schützenhilfe vom Regulierer schlechte Karten im Kampf gegen die Bonner Telekom.
Die flinken Werbestrategen der Kommunikationskonzerne sind ihren Rechtsabteilungen voraus. Mit kühnen Versprechungen für 1998 wollen sie schon jetzt die Kunden heiß auf den Wechsel machen. Dabei wissen die Vorstände selbst noch nicht, was sie wann wirklich realisieren können. Der Postminister soll nun die Abwehrtaktik der Telekom stoppen.
Fast könnte man meinen, den Zug der Zeit verpaßt zu haben. „Fair statt ungefähr“, springt es den Lesern der Wirtschaftsseiten rot auf blau entgegen, sei die „sekundengenaue Abrechnung im Festnetz“ bei Arcor. Als wäre es längst höchste Eisenbahn für alle, die der Telekom den Rücken kehren wollen, drängeln die Werber der neuen Telefongesellschaft: „Wollen Sie noch mehr Zeit verlieren?“
Die Annonce macht Appetit. Mit dem „völlig taktlosen“ Tarif, der nur Tag und Nacht sowie drei Entfernungszonen kennt, präsentiert die Bahn-Tochter eine attraktive Alternative zum undurchdringlichen Gebührendickicht der Telekom: pfenniggenaue, lineare Abrechnung statt bundespostalischer „Einheiten“, die je nach Ziel, Tag und Stunde für so bizarre Intervalle wie 5,46 oder 21,5 Sekunden stehen.
Indes: Kaum einer der servicehungrigen Leser, denen die – vom DB-Partner Mannesmann gemanagte – Arcor mit dem Inserat Appetit machen will, hat in nächster Zeit Aussicht auf Sättigung. „Bis zum Wegfall des Sprachmonopols am 1. Januar 1998“, halten die „telephone people“ per Fußnote lästige Kleinverbraucher vom Anruf bei ihrer Hotline ab, „dürfen wir nur Geschäftskunden betreuen.“
Doch selbst die müssen sich meist bis zum kommenden Jahr vertrösten lassen: Wer weder ein Netz eigener Niederlassungen betreibt noch mit einem guten Kunden oder Lieferanten liiert ist, fällt nicht unter die gesetzlichen Bestimmungen für Corporate Networks – und kann bis Silvester der Telekom kaum entkommen.
Arcor steht mit seinen vorwitzigen Sprüchen – die weniger der Kundengewinnung dienen als der Markenbildung – nicht allein. Alle neuen Netzbetreiber und Telekommunikationsdienstleister bearbeiten mögliche Sympathisanten in Wirtschaft und Medien mit einem Dauerfeuer aus PR und Werbung – oft hart an der Grenze zur Irreführung unbedarfter Leser. So prahlte Peter Zaboji, Geschäftsführungsmitglied von Otelo, in einem Beitrag für den „Media Report“ des Münchener Pro-Sieben-Vermarkters MGM: „Sofort mit der vollständigen Marktöffnung am 1. Januar 1998 können Privatleute und Unternehmen mit Otelo telefonieren. Wir gehen damit als einziger neuer Anbieter zeitgleich mit der Liberalisierung in den Massenmarkt.“
Sieht man von den Teilnehmern des Pott-Projekts „Infocity NRW“ ab, die der gemeinsame Sproß von RWE und Veba ungeachtet des Stichtags schon heute bedienen darf, sind derlei Aussagen bestenfalls Wunschdenken. Zwar kann Otelo über Halbschwestern aus der Stromversorgerbranche (wie RWE Energie und Preußen Elektra) in verschiedenen Regionen auf halbwegs flächendeckende Kabelstrecken zurückgreifen. Damit ist aber noch lange nicht gesagt, daß bis zum 1. Januar ein funktionstüchtiges Netz bereit steht, das mehr als Alibicharakter hat.
Den Anbietern schmilzt nämlich die Zeit nur so dahin. In den neun Monaten seit Inkrafttreten des Telekommunikationgesetzes (TKG), das den Telekom-Rivalen die geforderte Planungssicherheit für ihre Milliardeninvestitionen geben sollte, hat sich in Sachen Infrastruktur kaum etwas bewegt. Den Newcomern fehlt immer noch ein direkter Draht zu ihren Kunden – und das nicht etwa, weil Arcor-Boß Peter Mihatsch, Otelo-Oberhaupt UIf Bohla oder Viag-Interkom-Chef Lutz Meyer-Scheel keine innovativen Konzepte für den „Local Loop“ hätten.
Sämtliche Pläne für eine Versorgung der Telefonkunden per Funk oder Fernsehkabel haben einen Haken: Sie sind kurzfristig nur die Absicherung, falls die Wunschlösung der Telekonkurrenten nicht zustande kommt – der direkte Zugang zu den „Teilnehmeranschlußleitungen“ der Deutschen Telekom.
Otelo-Chef Ulf Bohla fordert freien Zugang zu den TAE-Dosen der Bürger
Bei dem seit Monaten anhaltenden Gezerre geht es um nicht weniger als die letzte Trumpfkarte, die der künftige Ex-Monopolist im Ärmel hat. Und um Pfennigbeträge, die sich schnell zu Milliarden summieren. Gelegenheit zum Pokern gaben die TKG-Paragraphen bezüglich der Zusammenschaltung der Netze (Interconnection) und der Pflichten marktbeherrschender Anbieter: Sie lassen so viel Spielraum für Interpretationen, daß die Telekom bislang jeden Versuch der neuen Carrier abblocken konnte, sich auf diesem Weg das Entree in Büros und Haushalte zu sichern.
Die Ex-Behörde hatte sich schon vor Verabschiedung des Gesetzes mit Zähnen und Klauen dagegen gewehrt, die Strippe vom Verteilerkasten bis zur häuslichen TAE-Dose mit den Angreifern teilen zu müssen. So eine „Zwangsmaßnahme“, wetterte damals Hans-Willi Hefekäuser, als Telekom-Geschäftsbereichsleiter Regulierungs- und Wettbewerbsstrategie sozusagen Gralshüter des Monopols, „würde dem Unternehmen die Verfügungsgewalt über diesen Bestandteil seines Anlagevermögens entziehen“. Und er drohte mit den Folgen: Die Telekom habe dann „auf einen Schlag“ keinerlei Anreiz mehr, in lokale Infrastruktur zu investieren.
Die Verve des Spitzenbeamten hatte einen handfesten Hintergrund: Dürften die Rivalen diese Leitungen als „blanke Drähte“ anmieten und die Vermittlung mittels eigener Hardware und Software managen, wäre der Weg frei für alle technischen Varianten, die der traditionelle Kupfer-Doppeldraht hergibt: vom gewöhnlichen Telefon über ISDN bis hin zum neuen ADSL-Verfahren (Asymmetrische Digitale Teilnehmerleitung), mit dem auf Kurzstrecken multimediataugliche Bandbreiten von mehreren Megabit pro Sekunde machbar sind. Seit das Gesetz gilt, spielt die Telekom mit ihren Kontrahenten deshalb Katz und Maus. Mit allerlei Vorwänden und Ausreden, klagen die Herausforderer, schinde der Monopolist immer wieder Zeit, jongliere mit Paragraphen und Zuständigkeiten, schicke Antragsteller von Pontius zu Pilatus, versuche seiner Pflicht zur „Entbündelung“ von billigem Draht und lukrativer Dienstleistung zu entkommen.
Um ein offizielles Angebot für die Nutzung ihrer „letzten Meilen“ habe sich die Telekom stets gedrückt. „Die Wettbewerber laufen immer wieder gegen die Wand“, bedauert der Frankfurter Rechtsanwalt Richard Leitermann, der Mandanten aus der Branche vertritt, „wo Rechtsprobleme auftreten, reagiert die Telekom auf Anfragen einfach nicht.“ Im April wurde es Bohla und Mihatsch zu bunt: Sie reichten bei Postminister Wolfgang Bötsch, dem kommissarischen „Regulierer“, Beschwerden nach § 33 TKG ein (Mißbrauchsaufsicht).
„Die Deutsche Telekom“, so Bohla entrüstet, „will ihre Marktmacht mißbrauchen, um zu verhindern, daß wir die Telefonkunden mit einem besseren Service und günstigeren Preisen versorgen können.“ Dabei können sich die Beschwerdeführer gar nicht direkt auf den Gesetzestext berufen; darin kommt das Zauberwort „Teilnehmeranschlußleitung“ nicht vor. Ihr Anspruch ergibt sich vielmehr aus der Verordnung über besondere Netzzugänge (NZV). Dort heißt es, die Telekom (die nach § 37 TKG zur „Zusammenschaltung von Netzen“ verpflichtet ist) müsse „entbündelten Zugang zu den Teilnehmeranschlußleitungen gewähren“ – sprich: Die Newcomer können selbst entscheiden, welche Services sie von der Telekom beziehen wollen.
Trotz eines auf den 30. April datierten Arcor-Ultimatums hat Bötsch bis Ende Juni Zeit, ein salomonisches Urteil zu fällen – wobei es nach Ansicht von Insidern nur darum gehen kann, der Telekom die Modalitäten sowie einen Zwangstarif zu verordnen, zu dem sie jedem „Universaldienstanbieter“ den Zugang zu ihren Kunden verschaffen muß.
Bonner ZWANGSTARIF kann die Situation noch entschärfen
Schöpft der Minister, wie Skeptiker fürchten, die Zeitspanne voll aus, könnte es für die Netzarchitekten eng werden. Billigt Bötsch dem noch zu 80 Prozent staatlichen Konzern zu generöse Zahlungen zu, müssen die neuen Anbieter auf ihre Alternativlösungen zurückgreifen oder ihr Recht in Brüssel suchen – mit der Folge, daß sie erst wesentlich später ihre angestrebten Marktanteile erreichen können. Als Meßlatte für eine faire Interconnection-Regelung gilt derzeit das französische Modell: Dort legte die Aufsichtsbehörde kürzlich den Minutenpreis für die Übernahme von Ortsgesprächen auf 6,09 Centimes fest (1,8 Pfennig).
Ausgerauft ist das Thema Interconnection auch bei Langstrecken und im Regionalbereich noch nicht. Hier allerdings sitzt die Telekom am kürzeren Hebel. So kann Arcor Richtfunkstrecken von Mannesmann Mobilfunk und Glasfaserstränge in den Gleisbetten der Bahn nutzen. Die Konkurrenten aus Düsseldorf und München haben über die E-Werke ihrer Mütter Zugriff auf bisher kaum genutzte Datenstrippen entlang der Stromkabel. Petra Heist von der Vereinbank Research in München warnt davor, diese „ziemlich massive schlafende Infrastruktur“ zu unterschätzen.
Für den Fall, daß alle Marktteilnehmer ihre angekündigten Investitionen verwirklichen, rechnet die Analystin gar mit Überkapazitäten. Die Telekom fahre besser damit, wenn sie zu moderaten Tarifen konkurrierende Dienste in ihr Netz lasse: „Die Kapazitäten sind da, mit ihrer Nutzung sind keine zusätzlichen Fixkosten verbunden. “
Von üppig ausgebauten innerdeutschen Netzen würden vor allem reine Dienstleister wie Thyssen Telecom oder die Stuttgarter Daimler-Tochter Debitel profitieren, aber auch US-Unternehmen wie die Preisbrecher Worldcom, Global Link und Telepassport. „Da wir kein eigenes Festnetz betreiben werden“, erläutert Debitel-Chef Joachim Dreyer, „können wir uns die erforderlichen Kapazitäten bei den günstigsten Anbietern besorgen.“
Ein Aspekt geht derweil im Kampfgetöse beinahe unter: worin der bessere Service konkret bestehen soll, mit dem die Neuen sich demnächst von der Telekom unterscheiden wollen. Der Grund: Solange die Fragen der Infrastruktur nicht beantwortet sind, mauern alle Carrier – schon allein deshalb, um sich von der übermächtigen Telekom nicht in die Karten schauen zu lassen. Denn daß der stets als Behörde beschimpfte Koloß lernfähig ist, hat inzwischen jeder in der Branche gelernt – wenn auch unfreiwillig.
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