Wirtschaftswoche-Mitarbeiter Ulf J. Froitzheim über Tarifnepp, Pannen und Servicemängel.
Wenn mich Freunde, Familie und Kollegen je um etwas beneideten, dann um mein Zahlengedächtnis. Als Student konnte ich die wichtigsten Preise im Supermarkt mit der Präzision einer Aldi-Kassiererin herunterrattern. Später wußte ich Umsatz und Gewinn sämtlicher Computerhersteller auswendig, aber auch die Geheimzahlen fast aller Plastikkarten in meiner Geldbörse. Zwölfstellige Telefonnummern, die ich einmal gewählt hatte, tippte ich fortan zielsicher wie ein Gottschalkscher Wettkönig in die Tasten.
Für das Überleben in der ziffernfixierten Telewirtschaft der Jahrtausendwendezeit schien ich der fitteste Verbraucher zu sein, den man sich denken kann – einer, den man immer fragen kann, unter welcher Nummer es noch ein bißchen billiger geht.
Denkste. Eineinhalb Jahre Call-by-call-Telefonieren haben gereicht, mein Selbstvertrauen nachhaltig zu zerstören. Bei jedem Auslands- und Handygespräch, das ich nicht über den Kurzwahlspeicher führen kann, vergleiche ich sorgsam das Display mit meinem Spickzettel.
Nicht, daß ich ein Geizkragen wäre. Ich habe nur mal die „Einzelverbindungsübersichten“ (EVÜ) genauer studiert, die bei mir schon einen halben Leitzordner füllen. Schmerzliche Erkenntnis: Auch mir, dem vermeintlichen Profi, ist die Kontrolle längst entglitten. Nur mit größter Mühe kann ich nachvollziehen, was mir da so alles vom Konto abgebucht wird. Bei Unstimmigkeiten frage ich mich mittlerweile: Wer ist doof? Ich oder die anderen?
Zum Beispiel bei den Tarifen: Trotz vielgerühmten Preisverfalls im sogenannten Festnetz kommt es nicht nur für Pfennigfuchser auf die richtige Vor-Vorwahl unter den Netzbetreiberkennzahlen von 010050 (Drillisch) bis 01099 (Econophone) an. Schon kleinste Ausrutscher rächen sich: Wer vor einer Handynummer statt der 01078 (3U) die 01079 (Viatel) wählt, spart nächtens zwar fünf Pfennig pro Minute; Gespräche bei Tage kosten ihn aber fast 75 Prozent mehr. Eine vergessene Null bei der 010050 (Drillisch, 22 Pfennig für USA) verdoppelt glatt die Kosten (01050, Talkline, 45 Pfennig).
Wäre ein solcher Verlust noch zu verschmerzen, brächte das Telefonat mit dem Freund in Gibraltar echte Probleme: Die Wahl der falschen Netzbetreiberkennzahl (01050 statt 01090) kann die Kosten um 669 Prozent steigern. Wo sich Viag Interkom mit 0,39 Mark begnügt, läßt Talkline mit drei Mark selbst die Deutsche Telekom (1,20 Mark) als billigen Jakob erscheinen. Wehe dem, der angesichts seiner bisher schwindsüchtigen Telefonrechnung hemmungslos drauflosplaudert, weil es ja „nix mehr kostet“.
Paradox: Während sich die Telefongesellschaften in absurden Preiskämpfen die letzten Zehntelpfennige um die Ohren hauen, die sich bei den Kosten noch wegknapsen lassen, versuchen es nicht wenige von ihnen parallel mit Nepp und Wucher. „Die meisten Firmen arbeiten wohl seriös“, meint Thilo Salmon, als Gründer der Internetdatenbank „Cheap-Call“ der anerkannte Tarzan in Deutschlands Tarifdschungel. „Aber es gibt ein paar echte Betrüger und viele Trickser. “
Letztere tummeln sich bevorzugt in Bereichen, wo es weniger auffällt. Besonderes Talent zeigt hier die amerikanische Gesellschaft Viatel, die im freien Call-by-call zu erreichen ist und das Inkasso der Telekom übertragen hat. Sie läßt ihre Kunden ausgerechnet bei 1-800er-Nummern zur Ader, die innerhalb der USA gebührenfrei sind: 53,2 Pfennig statt des Normaltarifs von 24,3 Pfennig – ein Aufschlag von 119 Prozent. Branchenüblich ist die gewöhnliche US-Rate. Seit ich das weiß, steht die 01079 bei mir auf der schwarzen Liste.
Nüchtern betrachtet bleibt nur die nachträgliche Kontrolle. Dabei muß ich schon froh sein, daß alle Firmen, die sich von meinem Konto bedienen – Telekom, Telepassport, GTS Westcom und First Telecom – mir freiwillig die kostenlose EVÜ senden, die der Gesetzgeber unsereinem in der Telekommunikations-Kundenschutzverordnung zugestanden hat. Weil Teile der Branche die Vorschrift ignorieren, fiel dem Regulierer nichts Besseres ein, als eine Positivliste mit gesetzestreuen Firmen herauszugeben. Doch selbst die machen ihrer Kundschaft die Überprüfung der Verbindungsdaten nicht leicht: Wer weiß – gerade unter Selbständigen und Kleinunternehmern – so genau, mit wem er vor drei Monaten wann wie lange telefoniert hat? Oft trifft die Abrechnung erst ein, wenn sich die Tarife längst wieder geändert haben. Das ärgert auch Michael Wachs, den Justitiar der Verbraucher-Zentrale Niedersachsen: „Als Kunde darf man erwarten, daß die Firmen einigermaßen zeitnah abrechnen.“ Die Gescholtenen hingegen verweisen auf den doch erfreulichen Zinsgewinn für die Kundschaft und auf die Rechtslage: Ihre Forderungen können sie notfalls zwei Jahre lang anmelden, bevor diese verjähren.
Wirksame Kostenkontrolle wird damit so illusorisch wie der Versuch, Forderungen daraufhin prüfen, ob sie berechtigt sind. Der heimische Gebührenzähler funktioniert nur noch bei treuen Telekom-Kunden; Faxprotokolle und die Zeitangaben im Display des Telefons sagen nichts aus über die Dauer der gebührenpflichtigen Verbindung. Genau dabei, weiß Verbraucherschützer Wachs, wird aber durchaus getrickst. So habe sich ein korrekter Beamter, Abteilungsleiter eines Verkehrsbetriebs, bei ihm beklagt, für ein sehr kurzes Telefonat seien ihm fünf Minuten in Rechnung gestellt worden. Beweisen läßt sich nichts: „Wer legt sich schon eine Stoppuhr neben das Telefon?“
Manchmal genügt freilich schon ein Taschenrechner, um Ungereimtheiten zu ergründen. So kassiert Viatel für Gespräche, die in der Hauptzeit beginnen und in der Nebenzeit enden, durchgängig den höheren Tarif; zudem schwankt der rechnerische Minutenpreis bisweilen um Stellen hinter dem Komma, als sei er an den Dollar-Kurs des Euro gekoppelt.
Indizien für das etwas lockere Verhältnis der Amerikaner zu hiesigen Kundenschutzvorschriften fand auch Kai Petzke, Betreiber des Berliner Internetinfodienstes Teltarif: „Ein Kunde berichtet, daß Frankreich-Gespräche plötzlich teurer geworden waren. Nachrechnen schadet bei Viatel also nicht!“ Beim Discounter 01051 Telecom auch nicht: Aufmerksame Kunden stellten fest, daß die versprochenen neun Pfennig für Inlandsgespräche nicht brutto, sondern netto gemeint waren, die Mehrwertsteuer also obendrauf kam.
Fehlerhafte Angaben in der Abrechnung bedeuten allerdings nicht zwingend, daß der Absender zu den schwarzen Schafen zählt. Auch die weißen scheitern immer wieder bei dem Versuch, Millionen von Pfennigbeträgen fehlerfrei zu verarbeiten – und im Fall des Call-by-call die Daten mit der Telekom auszutauschen. So fanden Arcor-Kunden Gespräche, die sie Ende Januar geführt hatten, auf der Telekom-Rechnung doppelt wieder, weil eine Software fehlte, die redundante Angaben automatisch korrigiert. RSL Com mußte sich entschuldigen, weil gebührenfreie innerdeutsche 0800-Verbindungen zum Inlandstarif berechnet wurden. Kunden von Telepassport hingegen freuten sich zu früh, daß in den Rechnungen für den März ein Teil der Verbindungen fehlte. Wegen einer Softwarepanne bei einem EDV-Dienstleister waren Daten vorübergehend im digitalen Orkus versickert. Sie erscheinen jetzt auf der Juni-Rechnung.
Immerhin: Alle Branchenkenner, mit denen man spricht, bescheinigen den neuen Telefongesellschaften Lernfähigkeit. Die Abrechnungspannen seien viel seltener geworden. Manche entdecken neben dem Preis sogar den Service als Verkaufsargument. So trumpfte First-Telecom-Geschäftsführer Bernhard Pussel kürzlich nicht nur mit kaum zu unterbietenden Auslandstarifen auf, sondern auch mit der ultimativen Telefonrechnung: Der üblichen Gesprächstabelle in portosparender Mikroschrift wird eine Top-Ten-Statistik beigelegt mit den jeweils zehn am häufigsten gewählten Rufnummern, meistangerufenen Ländern, teuersten Gesprächen und längsten Anrufen.
Bisweilen doppelt abgerechnet
Kunden deutscher Telefongesellschaften haben das Recht, ihre Rechnung Gespräch für Gespräch zu überprüfen. Auf Wunsch müssen die Netzbetreiber eine kostenlose Einzelverbindungsübersicht (EVÜ) liefern. Wer mit Unternehmen wie Deutsche Telekom, Arcor/Otelo, Telepassport oder Westcom einen Vertrag abschließt, wird deshalb routinemäßig gefragt, ob er mit seiner Monatsrechnung eine solche EVÜ erhalten möchte und ob die angewählten Nummern in voller Länge erscheinen sollen oder gekürzt. Außer dem Datum sind aus jeder EVÜ Beginn, Dauer und Nettopreis der Telefonate zu ersehen.
Wer im offenen Call-by-call Vorwahlnummern wie 01039, 01051 oder 01078 nutzt, findet die Gespräche früher oder später auf der EVÜ der Telekom: Die Verbindungen werden nach Telefongesellschaften sortiert.
Firmen mit hohem Gesprächsaufkommen können sich die EVÜ auch elektronisch anliefern lassen, beispielsweise per gesicherter Internetverbindung oder verschlüsselter E-Mail. Dann lassen sich die Daten nach eigenen Bedürfnissen sortieren.
Für Beanstandungen sollte es eine gebührenfreie Servicenummer geben (0130, 0800), deren Erreichbarkeit kluge Kunden vor Vertragsabschluß mindestens zweimal testen. Die Vorwahl 01805, die pro Minute mindestens 24 Pfennig kostet, darf als K.o.-Kriterium gelten: Diese Firmen signalisieren ihren Kunden, daß es für diese billiger ist, das Unternehmen nicht mit Beschwerden zu behelligen.
Grund zum Einspruch gibt es immer wieder: Durch Schlamperei und/oder Unfähigkeit bei den – teilweise externen – Datenverarbeitern werden Gespräche aufgrund von Softwaremängeln bisweilen doppelt abgerechnet, so daß es bei Nachberechnungen aus früheren Kalendermonaten stets sinnvoll ist, die vorherige Rechnung zum Vergleich heranzuziehen. Es gab auch schon Fälle, in denen ein Kunde per Einzugsermächtigung die Rechnung eines anderen zahlte.
Reagiert eine Telefongesellschaft, die bei einem Fehler ertappt wurde, nicht innerhalb von 14 Tagen, können sich Telefonkunden an den Schlichter der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RTP) in Berlin wenden (Telefon 030/22480500).
UJF
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