Seit einem Vierteljahrhundert spielt er den David, dabei ist er längst der Goliath: Autoverleiher Erich Sixt ist der wohl erfolgreichste Sprücheklopfer der deutschen Wirtschaft. Doch als Person setzt er sich nicht gern in Szene.
Text: Ulf J. Froitzheim
Es ist nicht zu übersehen, dass der Mann wieder einmal Strohwitwer ist. Seine Frau hätte ihn so nicht aus dem Haus gelassen, wenn ein Reporter und sogar ein Fotograf sich angemeldet haben. Doch Regine Sixt ist keine Hausfrau, die Zeit hat, immer auf ihren Göttergatten aufzupassen. Sie, von bunten Blättern oft fotografiert und als
„Society-Lady“ betitelt, wuselt gerade in Berlin herum, wo sie sich um den Auftritt der Sixt AG auf der Internationalen Tourismusbörse kümmert. Darum hat sich Erich Sixt an diesem Morgen zielstrebig einen Anzug gegriffen, dem man ansieht, dass er ihn gerne trägt: An der rechten Hosentasche gehört eine Naht gerichtet. Der Schlips ist nicht weit genug gebunden, um lässig zu wirken – aber weit genug, um den geschlossenen Kragenknopf freizugeben. Als Sixt des kleinen stilistischen Fauxpas gewahr wird, nestelt er mit abwesendem Blick am Binder herum, doch Sekunden später ist der Blick auf den Knopf wieder frei.
Unwichtig, so etwas Äußerliches. Wichtig ist das Geschäft. Das hat nicht darunter gelitten, dass irgendwelche bösartigen Medienfiguren Erich Sixt vor Jahren zum schlechtest gekleideten Unternehmer des Landes gewählt haben. Die Leute wollen ja keinen aus dem Ei gepellten Vorzeigeunternehmer à la Wolfgang Grupp mieten, sondern einen Mercedes zum Golf-Preis. Wenn der gewaschen und gesaugt ist, möglichst keine Kratzer und einen vollen Tank hat, sind sie zufrieden.
Der 62-Jährige tanzt wirklich nicht auf jeder Hochzeit, die Umschreibung als „vielseitig desinteressiert“ trifft es eher. Er hatte, was nicht jeder von sich behaupten kann, im Herbst eine Einladung zum Bundespresseball. Doch die war ihm gleichgültig. Genauso wie der Zukunftskongress „Digital Life Design ’07“ von Verleger Hubert Burda im Januar, ein Riesen-Event, auf dem kein Adabei der Münchner Society fehlen durfte. Viel Trend, viel Haargel, viel Wichtigkeit, mittendrin allerdings auch viel globale Prominenz aus dem Web-Zwonull-Umfeld, die den E-Commerce-Pionier und leidenschaftlichen Software-Tüftler Sixt sicher interessiert hätte. Trotzdem war er nicht dort, sein Name allerdings stand unübersehbar im Raum, in Schwarz-Weiß-Orange – auf einem Event-Counter, den Gattin Regine bei solchen Anlässen herankarren lässt.
„Ich bekenne“, sagt der Unternehmer, dessen Stimme bei unangenehmen Themen gerne in einem ottfriedfischerhaften Brabbeln versinkt, klar und vernehmlich, „dass ich mich vor Großveranstaltungen drücke.“ Auch Golfen lässt ihn völlig kalt, obwohl man doch zu wissen glaubt, dass viele lukrative Deals auf dem Green ihren Anfang nehmen. „Läuft denn nicht viel mehr bei der Jagd?“, fragt er leise zurück. Er hat da keine Erfahrung. Wenn er jagt, dann im Büro. Legt an auf seine Konkurrenten. Das sagt er selbst und lacht schelmisch.
Für seine Blattschüsse ist Sixt berühmt. Das heißt er und sein alter Jagdgefährte, der Agenturgründer Jean-Rémy von Matt. Der Jäger und der Büchsenspanner, mit wechselnder Rollenverteilung. Seit 25 Jahren stecken die beiden ungleichen Geschäftsfreunde die Köpfe zusammen, erfinden neue Werbekonzepte, brüten Sprüche aus. Manche sind einfach nur albern, manche genial, manche verboten gut.
Im Oktober hat Sixt, nach mehreren Jahren, im Rechtsstreit gegen Oskar Lafontaine obsiegt und registriert nun mit Genugtuung, dass ihm der Schröder’sche Ex-Superminister die Anwaltskosten erstatten muss. Nach der Bundestagswahl 1998 hatte sich Sixt in einem großformatigen Inserat über das kurze Gastspiel Lafontaines im Kabinett Schröder lustig gemacht. Damals hielt der Mietwagenunternehmer die Zeit für reif, die von der Kunstfreiheit geschützte Sphäre des Kabaretts auf die kommerzielle Werbung auszudehnen, was der selbstbewusste Saarländer partout nicht einsah. Lafontaine zerrte Sixt vor den Kadi. Unter Berufung auf das Persönlichkeitsrecht – in Millionenauflage dargestellt als „Politiker auf Probezeit“ – ein happiges Fotomodellhonorar, das er nicht für sich behalten wollte, sondern der gemeinnützigen Stiftung seiner Frau Christa Müller zukommen zu lassen gedachte. „Wir haben ja Entgegenkommen gezeigt, aber wir wollten uns nicht die Organisation vorschreiben lassen“, sagt Sixt, der einen Vergleich verweigerte.
Da ist ihm jemand wie Angela Merkel erheblich sympathischer: Als er sie mit einer Vorher- und einer wilden Nachher-Frisur in einer Cabrio-Reklame zeigte, habe die Kanzlerin das souverän ignoriert. Aktuell testet er die Geduld von Familienministerin Ursula von der Leyen: Ihr Bildnis steht im Inserat neben dem einer attraktiven Sixt-Mitarbeiterin. Text: „Von der Leyen. Oder von der leihen!“
Sixt, der Studienabbrecher, erinnert sich gerne an die wilden Jahre, als Unternehmer ist er merklich stolz darauf, mit seinen Provokationen den Markt aufgemischt zu haben. Das verrät seine Mimik, wenn er sagt: „Das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb beherrsche ich inzwischen. Man wird mit der Zeit zum halben Juristen.“ So lernte er auch, dass man es besser unterlässt, den Spruch „Lieber zu Sixt als zu teuer“ mit dem
grünen Logo eines Konkurrenten zu illustrieren. Jahrelang trieb der Bayer das Spiel, testete immer wieder Grenzen aus, und lange Zeit begriffen die Objekte seines Spotts nicht, dass es wenig Sinn hat, Unterlassungserklärungen von einem Menschen zu fordern, der sich nie dafür angucken lassen würde, denselben Witz zweimal zu reißen.
Sie hatten bislang noch immer einen Pfeil im Köcher, Sixt und von Matt. Der Aufstieg des einen ist schwer vorstellbar ohne die Karriere des anderen. Als sich die beiden in den 80er-Jahren kennen und schätzen lernten, war der Schweizer eine talentierte Nachwuchskraft bei einer aufstrebenden Münchner Werbeagentur namens Eiler & Riemel, sein Kunde hatte eine aufregende Zeit als Jungunternehmer. Im Vermietgeschäft war die Firma eine lokale Größe, im deutschen Markt ein Fliegengewicht verglichen mit den Kolossen Hertz oder Interrent – trotz der Kooperation mit dem US-Vermieter Budget, die Sixt 1977 eingefädelt hatte. Damals war er 33 und hatte gerade den Laden, den Opa Martin 1912 als Chauffeurdienst gegründet hatte, von seinem Vater Hans übernommen. Es war in seinen ersten Jahren als Alleingeschäftsführer auch keineswegs klar, dass die Zukunft seiner Firma im Vermietgeschäft lag: Als Juniorchef hatte er mit dem Mut des Unerfahrenen begonnen, Leasing als zweites Standbein aufzubauen. In einem noch weitgehend brachliegenden Markt gelangen ihm rasch Deals mit Krauss-Maffei, Texas Instruments und Avon Cosmetics, doch finanziell wuchsen dem Unternehmen die Aufträge bald über den Kopf. „Ich hatte plötzlich Hunderte von Millionen Mark an Verbindlichkeiten“, erinnert sich Sixt. „Aber wenn man jung ist, traut man sich viel zu, ist voller Kraft und unbefangen, hält alles für möglich.“ Er rettete seinen Kopf, indem er 1980 die Dresdner-Bank-Tochter Disko Leasing zu Hilfe holte.
Damit war die Entscheidung gefallen, dass sich der Unternehmer auf sein unbescheidenes Ziel konzentrieren musste, „der beste unter den Autovermietern“ zu werden. Es war glückliche Fügung, dass Daimler-Benz in jener Zeit gerade mit dem C-Klasse-Vorläufer 190E auf den Markt strebte – und Sixt gute Connections zu einem Mann hatte, der ihm dieses interessante Fahrzeug, das natürlich Lieferzeit hatte, in interessanten Stückzahlen zu interessanten Konditionen beschaffen konnte: Karl Dersch, Niederlassungsleiter von Mercedes-Benz in München. Der hatte Hans Sixt schon 1957 die ersten Taxen verkauft, da war Sohn Erich zwölf. Dem lieferte der „geniale Verkäufer“ (Sixt) eines Tages die ersten Direktionsfahrzeuge für seine Leasing-Kundschaft.
Mit dem 190er hatte Sixt den USP, den er brauchte, und in von Matt den Partner, um das auch zu kommunizieren. Das Duo positionierte Sixt als „die Autovermietung mit den vielen Mercedes“. Zum Missfallen des Daimler-Vorstandes und der Rent-a-car-Rivalen eröffnete Sixt einen Preiskampf: Er bot den Baby-Benz zum marktüblichen Preis eines Golf. Das konnte er sich unter anderem deshalb leisten, weil Dersch ihm den Rückkauf der Autos garantierte. Das Kalkül, den Vermieter für Mercedes Reklame machen zu lassen, ging auf: Aus Mietern wurden Käufer. Es war eine Win-Win-Win-Situation, alle Beteiligten profitierten. Sixt vermietete, Dersch verkaufte, von Matt wechselte zu Springer & Jacoby nach Hamburg und wenig später waren Sixt und Mercedes dort Kunden. In Hamburg gründete von Matt, der „von niemandem mehr gelernt“ hat als von seinem wilden Auftraggeber, später auch die eigene Agentur Jung von Matt. Als Sixt 1986 an die Börse geht, bittet er wiederum Dersch, den Aufsichtsrat zu leiten. „Wir haben einen absoluten Gleichklang der menschlichen und geschäftlichen Philosophie“, sagt Dersch, Jahrgang 1935, über den neun Jahre Jüngeren.
Was Sixt heute noch schwer fassen kann, ist die Ignoranz der US-Branchenriesen: „Sie hätten alle Möglichkeiten gehabt, mich zu bekämpfen, aber sie haben ihre Kapitalkraft nicht richtig eingesetzt.“ Sixt gab sogar ein Kaufangebot über 100 Millionen Dollar für den US-Partner Budget ab. Als er damit scheiterte, ging auch die Partnerschaft in die Brüche. Geschadet hat dem einstigen David das nicht, heute ist er der Goliath. Gut jeder vierte Leihwagen auf deutschen Straßen fährt unter schwarz-weiß-oranger Flagge, Sixt ist Marktführer vor Europcar und Avis. Die AG – der Gründer hält 57 Prozent der Stammaktien – macht mit rund 2000 Mitarbeitern 1,4 Milliarden Euro Umsatz und 74 Millionen Euro Gewinn.
Zwar bieten Mitbewerber, schenkt man Verbraucherportalen wie Dooyoo.de Glauben, vergleichbare Qualität, aber deren Anzeigen würde sich eben niemand aus der Zeitung herausreißen. „In ungestützten Umfragen kennen 85 Prozent den Namen Sixt“, sagt der Chef. Ans Aufhören denkt er noch längst nicht. Seine beiden erwachsenen Söhne studieren, für die Firma sind sie derzeit kein Thema.
Um vor lauter Erfolg nicht abzuheben, muss Sixt ab und zu selbst abheben. Hinter dem Steuerknüppel seiner Cessna findet er die Distanz zu den Dingen, die er am Boden braucht. Vielleicht war es seine Liebe zur Fliegerei, die ihn en passant zum Innovator der Werbebranche machte: Sixt stellte als Erster Kofferattrappen mit Werbesprüchen auf die Gepäckbänder der Airports und versperrte den Reisenden in den Ankunftshallen mit Autos den Weg. Dass die Airports heute viel Geld mit der Vermietung von Werbeflächen in Gangways und an Trolleys verdienen, verbucht er ebenfalls als sein Werk.
Das alles ist ihm offenbar wichtig, dem publikumsscheuen Alleinunterhalter, der behauptet, sich noch niemals eine Aktennotiz gemacht zu haben, weil doch das Gedächtnis der beste Filter gegen Irrelevantes sei. Wortkarg wird er erst wieder bei der Frage, welches Auto er sich denn am liebsten aus seinem Fuhrpark ausleiht. Man darf annehmen, dass ihm die uniform gewordenen Karossen, mit denen er sein Geld verdient, nichts bedeuten und auch der Plakatspruch „Sixt liebt BMW“ sich nicht auf die Person bezieht. Privat besitzt er nur einen Mercedes 300 SL von 1954. Von dem Flügeltürer kann der Mille-Miglia-Fan richtig schwärmen – und das typische Brabbeln ist wie weggeblasen.
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