Was kostet ein gutes weißes Oberhemd aus fair gehandelter Biobaumwolle, und was kostet seine Produktion? Eine Antwort auf die zweite Frage war neulich in der Süddeutschen zu lesen (Printausgabe: „Korrekte Klamotten“, Geld-Teil vom 1.12.2012): 96,02 Euro. Als Beispiel dient die – angebliche! – Kalkulation eines Hemds von Bruno Pieters aus der „Honest By“-Kollektion aus Belgien. Was der Konsument für so ein gutes Stück hinlegen muss, war der Infografik nicht zu entnehmen.
Dass ein Textilanbieter unter einer Marke auftritt, die Aufrichtigkeit und Anstand verheißt, muss aber nicht bedeuten, dass man seine Angaben für bare Münze nehmen sollte. Stutzig macht schon mal, dass allein das Tütchen aus Altpapier, in dem der Ersatzknopf mitgeliefert wird, im Einkauf 47 Cent kosten soll oder dass die Transportkosten – wohlgemerkt gerechnet bis zur Fertigstellung des Hemds, nicht bis zum Kunden – acht Euro betragen sollen. Über solche Kosten lacht sich jeder Einkäufer schief, auch solche in der Bio- und Fairtrade-Branche.
Sollte das kaufmännische Talent der belgischen Bioschneider tatsächlich derart unterentwickelt sein, dass sie sich das Geld so aus der Tasche ziehen lassen, sollte man ihnen schleunigst einen Profi an die Seite stellen. Zu den Preisen, die „Honest by“ seinen Kunden abverlangt, können sich nämlich so wenige Menschen die „korrekten Klamotten“ leisten, dass nur gaaaanz, gaaaanz wenigen Baumwollpflückern damit geholfen ist. Auf die 96 Euro Selbstkosten kommen nämlich 100 Prozent Großhandelsmarge, auf diese 192 Euro noch einmal 100 Prozent Einzelhandelsmarge drauf, so dass das Hemd am Ende für 384 Euro angeboten wird – plus Mehrwertsteuer. Wer bitte legt für ein Hemd 460 Euro hin?
Das immanent Unehrliche an der Rechnung ist, dass die Kosten des Handels nicht proportional zum Einkaufspreis steigen. Die Miete, der Strom, die Personalkosten pro verkauftes Kleidungsstück sind gleich hoch, egal, wie teuer es hergestellt wurde. Wer sich unter dem Vorwand, den Ärmsten am Anfang der Wertschöpfungskette etwas Gutes zu tun, für jeden „fair“ gezahlten Euro selbst drei Euro Aufschlag gönnt, agiert keinen Deut moralischer als ein Kik-Geschäftsführer. Bezeichnend ist, dass besagtes Hemd der so reichen wie dummen Zielgruppe inzwischen mit 50 Prozent Rabatt angeboten wird.
Wäre schön, wenn die Kollegen von der SZ sich darüber auch mal Gedanken machten, bevor sie solche mit der heißen Nadel genähten Texte als Verbraucherjournalismus ausgeben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Blatt seine Redakteurinnen dermaßen über Tarif bezahlt, dass solche Preise sie nicht stutzig machen.
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