Multimediale Briefe: Salto postale

Elektronische Briefträger greifen den Zustelldienst der Post an. Jetzt reagiert sie mit modernen Mitteln.

WIRTSCHAFTSWOCHE NR.13/1998

Was wirklich wichtig ist, schicken Amerikaner nicht mit der Post. Sechs Milliarden Dollar weniger als noch vor fünf Jahren, klagt Generalpostmeister Marvin Runyon, geben Geschäftskunden für First Class Mail aus, weil sie immer mehr Briefe durch Faxe und E-Mails ersetzen. Der 35prozentige Umsatzeinbruch zeigt deutlich: Die schnellen und vor allem billigen elektronischen Postboten haben den klassischen Briefträger längst eingeholt. Der moderne Zustelldienst der Telefongesellschaften gräbt der „Snail mail“, der Schneckenpost, das Wasser ab.

Der Deutschen Post AG droht über kurz oder lang ähnliche Unbill. Trotz massiver Investitionen in hochautomatisierte Verteilzentren ist sie immer noch langsam. Das Ziel, fast alle Standardbriefe einen Tag nach Einlieferung (postintern: E+1) zuzustellen, erreicht die Post nur durch einen Trick: Sie leert viele Briefkästen bereits Stunden vor Büro- und Geschäftsschluß. Auf dem Land, wo der gelbe Wagen nur einmal täglich vorfährt, ist eine Leerung um 11 Uhr nicht ungewöhnlich; danach gilt E+2.

Für immer mehr Deutsche heißt deshalb die wahre Post inzwischen Telekom, T-Online, Compuserve oder AOL. Nach Faxgeräten sind mittlerweile auch Modems Massenware. Fast jeder zweite Online-Nutzer, ermittelte die Fachzeitschrift „PC Welt“, schreibt lieber E-Mails als Briefe. Wer die komfortable Technik erst einmal nutzt, gewöhnt sich schnell daran. Binnen eines Jahres, ermittelte das Fachblatt in einer Umfrage unter 500 Lesern, sei der Anteil der E-Mail-Fans von 19 auf 46 Prozent gestiegen.

Für dramatisch hält Postmanager Frantisek Bumba den Trend zur Papierlosigkeit noch nicht: „Nur sechs Prozent der E-Mails verdrängen den Brief.“ Tatenlos zusehen will der Geschäftsführer der Postcom, einer virtuellen Tochterfirma der Post AG, allerdings auch nicht, wenn sich Telefonfirmen ein Scheibchen nach dem anderen vom Briefgeschäft abschneiden. Nach der Devise „Angriff ist die beste Verteidigung“ rüstet Bumba zum Gegenschlag, schnürt neue Dienstleistungspakete, in denen Papier und Elektronik einander ergänzen. „Sie liefern ein, wie Sie wollen“, erklärt Bumba die simple Firmenphilosophie der künftigen Multimediapost, „und wir stellen zu, wie es der Empfänger haben will.“ Und das heißt: auf Wunsch sogar von Anfang bis Ende ohne ein einziges Blatt Papier.

Die ersten Gehversuche auf dem telekommunikativen Terrain hat die Postcom souverän hinter sich gebracht. E-Post, ein 1994 nach finnischem Vorbild eingeführter Dienst, floriert. Über 150 Firmen, Verbände und Behörden ließen sich bereits überzeugen, keine Postkörbe und -säcke mehr anzuliefern, sondern Datenträger oder Online-Input. Zu Papier gebracht werden die Schriftstücke – etwa Kontoauszüge der Ford-Bank, Beitragsbescheide der Handwerkskammer Düsseldorf oder Auslandskrankenscheine der Barmer Ersatzkasse – erst wenige Stunden vor der Zustellung in der Nähe des Empfängers. In sechs Städten, nach logistischen Kriterien ausgewählt, hat die Postcom regelrechte Brieffabriken eingerichtet: Fertigungsstraßen aus Computern, Hochleistungsdruckern, Falz- und Kuvertiermaschinen. Selbst siebenstellige Auflagen sind für diesen Verbund kein Problem.

Ein geschäftlicher Volltreffer, wie es scheint: Auf 165 Millionen Sendungen steigerte Postcom 1997 den Ausstoß – ein Plus von satten 120 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Kein Wunder bei untemehmerischen Rahmenbedingungen, von denen andere nur träumen können. Mit durchschnittlich 1,1 Millionen Briefen pro Auftraggeber im Jahr 1997 ist E-Post ein reines Großkundengeschäft, die Verwaltungskosten bleiben überschaubar.

Das Restmonopol der Post garantiert bis Ende 2002, daß sich jeder Wettbewerber ins eigene Fleisch schneidet, wenn er die dezentrale Briefproduktion der E-Post kopiert; das Modell, den Monopolisten wie beim Telefon nur für die letzte Meile zu nutzen, funktioniert hier nicht, weil es beim Porto keinen Ortstarif gibt. Discounter aus dem Ausland sind keine Alternative mehr, seit der Postvorstand rigoros jeden Remailing-Versuch als Verstoß gegen internationale Postabkommen vor Gericht bringt.

In diesem rundum geschützten Umfeld hat Bumba große Pläne. „Im Grunde“, läßt sich der Geschäftsführer anläßlich der Cebit zitieren, „ist jede per EDV erzeugte Korrespondenz ein Fall für uns.“ Bei knapp 20 Milliarden Briefen, die deutsche Postboten jährlich austragen, beziffert er das Potential für die sogenannten hybriden Postsendungen auf 1,5 Milliarden Sendungen pro Jahr.

Dieser Zahl will Bumba nicht nur durch einen Ausbau des „klassischen“, vier Jahre alten E-Post-Dienstes näherkommen. Der promovierte Volkswirt und langjährige Managementberater (Spezialität: Logistik) hält Lösungen für ein Problem parat, unter dem viele Unternehmen leiden: die Vielfalt inkompatibler Kommunikationsformen. Wo heute Brief, Fax, E-Mail, Lotus-Notes-Nachrichten und Electronic Data Interchange (EDI) aufeinandertreffen, sollen Software und Services von Postcom alle Medienbrüche kitten. Die Post mausert sich zum Outsourcing-Partner, der den kompletten externen Schriftverkehr seiner Mandanten managt – vom Kurzbrief, den der Außendienstler via Laptop und Handy in die postalische Pipeline schickt, bis zur Archivierung der gesammelten Korrespondenz
auf CD-ROMs.

Manchmal genügt schon eine simple Internethomepage, um seinen Kunden einen großen Dienst zu erweisen – vielen Mittelständlern beispielsweise. Viele fühlen sich von den großen Industrie- und Handelsunternehmen unter Druck gesetzt, Routinekorrespondenz wie Auftragsbestätigungen oder Rechnungen papierlos nach der internationalen Edifact-Norm abzuwickeln. „Wer nicht mitmacht, dem wird bei der nächsten Rechnung eine Pauschale fürs Papierhandling abgezogen“, weiß Postcom-Produktmanager Peter Müller. Die Alternative zur Investition in neue Software heißt Web-2-EDI. Auf der Postcom-Website können die Zulieferer ihre Rechnungen online in ein Klartextformular eintippen; die Post formatiert die Daten Edifact-konform um und leitet sie elektronisch an den Empfänger weiter.

Das Verfahren funktioniert auch in Gegenrichtung. Der Auftraggeber kann seine Bestellung im Edifact-Standard an die Postcom schicken, die sie umgehend als Brief oder Fernkopie zustellt. Demnächst wollen die Bonner ein Verfahren testen, mit dem sogar hartnäckige Papierfanatiker Anschluß an die Zukunft bekommen. Normale Auftragsblätter werden gescannt und der Informationsgehalt mittels künstlicher Intelligenz in ein digitales Dokument übersetzt.

Vielleicht werden solche Verrenkungen bald gar nicht mehr nötig sein. Bumba und seine Mitarbeiter grasen derzeit den Markt nach Vertriebs- und Softwarepartnern ab. Diese sollen die Nachfrage der vielen potentiellen Kleinkunden bündeln, deren direkte Betreuung der Postzentrale zu aufwendig ist. Wenn die Marktforscher recht haben, gibt es für sie reichlich zu tun: Der Postcom-Kundenstamm soll in den nächsten Jahren von 150 auf 50.000 Firmen anwachsen. Noch bevor das Monopol fällt, will die E-Post nach Stückzahl und Umsatz die Milliardengrenze durchbrechen.

Bis dahin Monopolgewinne abzusahnen, liegt Bumba nach eigenem Bekunden fern: „Wir wollen preislich so tief über dem Boden fliegen, daß keiner mehr auf die Idee kommt, uns zu unterfliegen.“ Gewinn wird der Salto postale dennoch bringen, glaubt nicht nur Bumba. Runyon, der Sanierer des U.S. Postal Service, ist von dem europäischen Geschäftsmodell so angetan, daß er überlegt, es zu importieren.

ULF J. FROITZHEIM

Blinde Bosse

Um den Produktionsfaktor Information besser zu nutzen, treten jetzt die Chief Information Officer an.

 

WIRTSCHAFTSWOCHE 11/1998

Die Sprücheklopfer der EDV-Steinzeit lagen gar nicht so falsch mit der Auswahl ihrer Angriffsziele. Ein Chef, der seinen Betrieb ruinieren wolle, hänselten sie beim Mittagstisch die Programmierer, habe drei Möglichkeiten: Am schönsten sei es mit einer Geliebten. Am schnellsten gehe es in der Spielbank. Die sicherste Methode jedoch sei die Anschaffung eines Computers.

Die meisten Geschäftsführer entschieden sich damals offenbar für die dritte Variante. Heute schieben jedenfalls Softwareexperten in aller Welt kräftig Überstunden, um zu verhindern, daß aus dem Kantinenspott der Hippiezeit bitterer Ernst wird. Überall lauern digitale Zeitbomben, die irgendwann während der letzten 30 Jahre ohne böse Absicht scharf gemacht wurden: Gelingt es den Computerleuten nicht, bis zum 31. Dezember 1999 in sämtlichen Programmen alle traditionellen Datumsfelder (Schema: TT.MM.JJ/01.01.00) aufzustöbern und die Jahreszahl auf vier Ziffern zu verlängern, beginnt für sie das erste Jahr des dritten Jahrtausends womöglich mit einem geschäftlichen Super-Gau. Schon eine einzige Doppelnull an der falschen Stelle kann eine virtuelle Zeitreise ins Jahr 1900 auslösen, die vielleicht nicht zum Ruin des ganzen Unternehmens, aber zu unkalkulierbaren Betriebsausfällen und massivem Ärger mit den Kunden führt.

Das „Jahr-2000-Problem“ ist symptomatisch für den distanzierten Umgang vieler Konzernlenker mit der Informationstechnik. Als handle es sich um den Fuhrpark, delegieren sie das Thema am liebsten an den Kassenwart – und damit an den Falschen. „Finanzvorstände achten auf Kriterien wie Zuverlässigkeit, Kosten- und Termintreue“, moniert der Münchner Managementberater Helmuth Gümbel, „welche Wettbewerbsvorteile eine neue Technik bringt, ist für sie von untergeordnetem Interesse.“ Darum fallen auch Versäumnisse erst auf, wenn sie ins Geld gehen.

In kaum einem Bereich verlassen sich Bosse so blind auf das Urteil interner und externer Spezialisten wie in der Informationstechnik. Zwei bis drei Prozent vom Umsatz – mitunter Milliardenbeträge – pumpen Vorstände von Banken und Versicherungen, von Handelsgruppen und Speditionen, von Fluggesellschaften und Autoherstellern jedes Jahr in Unterhalt und Modernisierung ihrer weitverzweigten Computernetze. In der Hoffnung, die Wettbewerbsfähigkeit ihres Unternehmens
zu verbessern, steigern sie bedenkenlos dessen Abhängigkeit von Softwarepaketen, deren Komplexität selbst Fachleute nur mit Mühe durchdringen.

Dabei geht ihnen offenbar selbst der kaufmännische Überblick verloren. „Nicht einmal zehn Prozent der Vorstände“, schätzt der Leonberger Branchenveteran Bernhard Dorn, seien sich darüber im klaren, wieviel Geld sie in die Informationstechnik stecken. Dom muß es wissen: Als IBM-Geschäftsführer hat er der Topriege der deutschen Wirtschaft jahrelang sündhaft teure Großrechner samt Software, Service und Zubehör verkauft.

In seiner neuen Funktion als selbständiger Unternehmerberater will Dorn seiner Kundschaft jetzt helfen, das Instrumentarium der Hardware- und Softwareindustrie professioneller einzusetzen. Der Ex-Vertriebsmann erinnert die Vorstände an eine alte Empfehlung einschlägiger Consultingfirmen: Wer in der Informationsgesellschaft bestehen will, solle sich kompetente Unterstützung in die Chefetagen holen – am besten das, was die Amerikaner Chief Information Officer (CIO) nennen.

Der typische CIO ist ein Wanderer zwischen den Welten: Sein Hauptquartier ist der Markt, auf dem das Unternehmen verwurzelt ist; von dort aus unternimmt er seine Expeditionen in die Gefilde der Computerei. Wenn es um die Vergabe solcher Jobs geht, haben phantasielose Technokraten aus der EDV schlechte Karten; technisches Verständnis wird zwar erwartet, gilt aber als Sekundärtugend. „Diese  Leute müssen etwas von Informationskonzepten verstehen und vom Geschäft“, postuliert Helmuth Gümbel, „Techniker, die etwas verdrahten, findet man immer.“

Während hierzulande die ersten Visitenkarten mit der importierten Berufsbezeichnung in Umlauf kommen – Chief Information Officers gibt es zum Beispiel bei Bahn und Bertelsmann, Rheinmetall und Siemens – pokern cros in den USA bereits ihre Gehälter hoch. Für diese Manager im Alter zwischen 30 und 40, die als Kommunikationsstrategen über einen direkten Draht zum großen Boß verfügen, ist ein Jahressalär von 300000 Dollar nicht ungewöhnlich. „Seit drei Jahren beobachten wir weltweit eine unglaubliche Nachfrage nach CIOs“, bestätigt Tilman Gerhardt, Koordinator Informationstechnik bei der Personalberatung Egon Zehnder International GmbH in München,
„die Nachfrage ist immens.“

Besonders bei amerikanischen Banken sind gute Leute so begehrt, daß ein hochkarätiger CIO einschließlich Erfolgsprämie bis zu zwei Millionen Dollar pro Jahr mit nach Hause nehmen kann. Aber nicht nur die Vergütung ist hoch, auch der Anspruch. „New Enablers“ hätten die CIOs zu sein, meint das US-Magazin „Farbes“, Leute, die ein Unternehmen in die Lage versetzen, etwas zuvor für unmöglich Gehaltenes zu tun.

Für Menschen mit solchen Talenten kann der CIO-Posten ein Sprungbrett nach ganz oben sein. So beförderte Amerikas größte Bank Chase Manhattan kürzlich ihren obersten Informationsmanager Denis O’Leary, unter dessen Aufsicht die Chase-Rechner täglich zwei Billionen Dollar umwälzten, zum Vizechef des weltweiten Privatkundengeschäfts. Von der Ausbildung her Volkswirt und klassischer Banker, glaubt der 41jährige EDV-Autodidakt O’Leary: „Wer im Banking gut sein will, muß die Technik beherrschen.“

Nicht nur dort. „In der Medienbranche wächst die Informationsverarbeitung aus ihrer Dienstleisterrolle heraus und wird zum Geschäft“, erklärt Michael Behrens, CIO bei Bertelsmann und gleichzeitig Chef des konzerneigenen Systemhauses Media Systems. „Damit bekommt die CIO-Funktion einen zusätzlichen unternehrnerischen Aspekt.“

Als Helmut Grohmann 1993 von Thyssen zur Deutschen Bahn (DB) wechselte, gab es seinen heutigen Titel noch nicht. Der Eisenbahn-CIO und Ex-IBM-Mann begann als Chef des Bereichs Informationsverarbeitung (IV). Erst Ende 1996 überredete Bernhard Dorn die DB-Führung, die nach Jahren der Mangelverwaltung ein konzernweites Informationsmanagement etablieren wollte, mit dem CIO-Konzept auch die Bezeichnung einzuführen. „Ich habe ein Störgefühl mit dem Namen“, gesteht Grohmann, „Chief Operating Strategist wäre mir lieber.“ Dafür lobt der Manager mit Doppelstudium Betriebswirtschaft und Elektrotechnik die Kooperationsbereitschaft seiner Vorgesetzten: „Ich habe Zugang zu allen Vorständen.“ Direkt unterstellt ist er freilich nach alter Sitte dem Finanzchef.

Während andere Konzerne erst einmal klein anfangen, wird bei Siemens in München richtig geklotzt. Im vergangenen Jahr berief der Zentralvorstand des Elektromultis mit Chittur Ramakrishnan den ersten Konzern-CIO. Der 47jährige Ramakrishnan, weit im Konzern herumgekommen und eine Zeitlang Chef der Auslandsrevision, sieht seine Aufgabe zwar durch die Brille des Kaufmanns, aber nicht durch die eines Sparkommissars: „Die Investitionen, die uns strategische Wettbewerbsvorteile verschaffen sollen, werden gleichbleiben oder sich sogar erhöhen.“

Ramakrishnans Ehrgeiz geht dahin, Heinrich von Pierers Vision vom Unternehmen als „lernender Organisation“ umzusetzen, in der jeder Mitarbeiter an jedem Standort jederzeit Zugriff auf das benötigte Wissen hat. Und weil der Konzern festgestellt hat, daß der Dienstleistungsanteil
an seiner Wertschöpfung stetig wächst, hat die CIO-Organisation auch noch eine Infrastruktur zu schaffen, die es erlaubt, beliebige Siemensianer ad hoc zu virtuellen Teams zusammenzuschalten – egal, in welcher Region oder Tochterfirma auch immer.

Formale Macht hat der kosmopolitische Manager, der als Inder jahrelang die Interessen seines deutschen Arbeitgebers in den USA vertrat, allerdings nicht. Er sieht sich als Diplomat, dem es zugute kommt, daß er im Laufe eines Vierteljahrhunderts „die meisten handelnden Personen“ kennengelernt hat. Eines seiner ersten Erfolgserlebnisse ist, daß mehrere Mitglieder des Zentralvorstands das interne E-Mail-System nutzen, dessen konzernweite Vereinheitlichung zu den Jobs der CIO-Mannschaft gehört. „Die Vorstände lassen sich die E-Mails nicht durch ihre Sekretariate filtern und antworten auch selber.“

Zu von Pierers Vision vom Kulturwandel gehört freilich mehr als der reibungslose Versand von E-Mails. Wolfgang Heimsch, CIO der Siemens Nixdorf Informationssysteme, wird sich künftig die Arbeit mit einem Chief Knowledge Officer (CKO) teilen, der sich gerade einarbeitet. „Der CKO analysiert, wer welche Informationen braucht und wo er sie innerhalb der Organisation bekommt“,  umreißt Heimsch das Konzept, „der CIO sorgt dafür, daß die Technik dies wirtschaftlich in die Tat umsetzt, und der Personalchef kümmert sich um die Schulung der Mitarbeiter, die diesen Kulturwechsel mitmachen sollen.“

Jemanden, der die Geschäftsprozesse des ganzen Konzerns neu gestalten soll, nach dem Vorbild der Chase Manhattan Bank direkt dem Vorstandsvorsitzenden zu unterstellen, dazu konnten sich bisher allerdings weder die Bahn noch Bertelsmann oder Siemens durchringen. Zumindest Berater Gümbel hält das für einen Fehler: „Selbst bei einem CIO wie Ramakrishnan würde eine direkte Anbindung an die Unternehmensspitze die Produktivität um ein Vielfaches steigern.“

ULF J. FROITZHEIM

RISIKOKAPITAL: Engel dringend gesucht


Wie deutsche Investmentgesellschaften agilen Jungunternehmern den Start ins Geschäftsleben erleichtern und welche Ideen erfolgreich sind.

Aufstrebende Firmengründer zu enttäuschen ist für Waldemar Jantz Routine. Jeder zweite, der dem Managing Partner der TVM Techno Venture Management schreibt, erhält eine Absage. Weitere 30 Prozent der Aspiranten scheitern an gezielten Nachfragen des Münchner Venture-Capital-Spezialisten. Nur das verbleibende Fünftel hat eine Chance, zu einem persönlichen Treffen eingeladen zu werden – und am Ende vielleicht von einem der millionenschweren TVM-Fonds zu profitieren.

Kein Zweifel: In der Informationstechnik ist eine neue Gründerzeit angebrochen. Motiviert nicht zuletzt durch die Interneteuphorie und ein florierendes Geschäft mit Computerspielen, drängen junge Informatiker in die unternehmerische Selbständigkeit. Zwischen 700 und 1000 Kandidaten, schätzen deutsche Wagnisfinanzierer, suchen dieses Jahr Geldgeber. Ihre Ideen sind nicht immer originell. „Der 193. Internet Service Provider“, stöhnt Jantz, „interessiert uns nicht.“ Auch Systemintegratoren, die im Kielwasser großer Konzerne wie SAP und Microsoft schwimmen, haben schlechte Karten. Bei der ebenfalls in München ansässigen Atlas Venture fallen rund 97 Prozent der Anträge durch den Rost.

Die Investoren glauben den Grund zu kennen, warum immer noch viele unausgegorene Ideen auf ihren Schreibtischen landen: Das Wort Business-Plan ist ein Fremdwort im Sprachschatz der meisten Informatiker. Ohne überzeugendes Geschäftskonzept gibt’s jedoch kein Geld für die Jungunternehmer. Doch „welche deutsche Universität bietet denn schon Unternehmensführung als Lehrfach an?“, macht Atlas-Venture-Partner Werner Schauerte seinem Unmut Luft, „in den USA kann man an jeder Hochschule Kurse dafür belegen“. In Deutschland hingegen beginnen gerade erst zarte Pflänzchen heranzuwachsen. So erhält die European Business School in Oestrich-Winkel bei Rüdesheim zum  Wintersemester den ersten Lehrstuhl für Existenzgründung, gesponsert von der bundeseigenen Deutschen Ausgleichsbank und dem Bonner Wirtschaftsministerium. An der Isar plant derweil der Förderkreis Neue Technologien (FNT), der eng mit den örtlichen Unis zusammenarbeitet, eine „Münchener Entrepreneur-Akademie“.

Die Technologieholding VC (TH) in München greift zur Selbsthilfe. Auf Anfrage verschickt die Holding Business-Pläne als Vorlage. „Die Einstiegshilfe Business-Plan“, so VC-Geschäftsführer Falk Strascheg, „muß man schon nehmen, wenn man zum Gespräch eingeladen werden will.“ Auch die Unternehmensberatung McKinsey leistet Starthilfe. Vor einigen Monaten luden die Unternehmensberater angehende Existenzgründer in München und Berlin zu Business-Plan-Wettbewerben
ein. Die Teilnehmer konnten dabei nicht nur bis zu 30.000 Mark gewinnen, sondern bekamen auch einen erfahrenen Manager als Ratgeber an die Seite gestellt.

In München kam die Veranstaltung so gut an, daß die Technologieförderer vom FNT solche Wettbewerbe jährlich veranstalten wollen. Für Geschäftsführer Curt Winnen und seinen Vereinsvorstand Eberhard Färber, im Hauptjob Chef des Softwarehauses Ixos, ist der Wettbewerb „das ideale Werkzeug, um ein Gründerumfeld zu institutionalisieren“.

Die Softwarelandschaft braucht mehr als jede andere Branche finanzielle Aufbauspritzen. Der Grund: Im Internetzeitalter gibt es für solche Produkte keine geschützten nationalen Märkte mehr. Außerdem werden die Innovationszyklen immer kürzer. Um da mitzuhalten, braucht man jede Menge Kapital. Doch Geldinstitute rücken allein für eine tolle Idee nichts heraus. „Von Banken bekommt man nur Geld für Dinge, die man wegschmeißen kann“, spottet der Holländer Peter Vos, dessen Paderborner Softwarefirma Onestone mit Geld aus dem TVM-Topf derzeit auf den US-Markt drängt.

„Ein Unternehmen dieser Branche braucht ein Eigenkapital von fünf bis zehn Millionen Mark“, steckt Waldemar Jantz den Rahmen ab. Als Gegenleistung verlangen die Venture-Capital-Firmen freilich Mitspracherechts – etwa bei der Besetzung wichtiger Managementpositionen in Vertrieb und Marketing. Mit erfahrenen Branchenprofis, die bereits Zugang zu den richtigen Etagen haben, lasse sich die Markterschließung durchaus um ein Jahr abkürzen, schätzt Schauerte.

Dem Münchner Jungunternehmer Gregor vom Scheidt hingegen kam neben Können für seinen unternehmerischen Einstieg auch der Zufall zu Hilfe. Dem 26jährigen Informatikdoktoranden (und 1992er Bundessieger bei „Jugend forscht“) war während seines Studenten jobs als Programmierer von Softwarespielen eine Idee gekommen, wie sich zeitraubende Routinearbeiten mit einem Programmierwerkzeug automatisieren lassen. Er versuchte sein Glück beim Münchner Business-
Plan-Wettbewerb. Sein Coach Keith Gruen, einer der Gründer des erfolgreichen Hotelsoftwareherstellers Fidelio und ein alter Hase in der Branche, fand das Konzept so überzeugend, daß er beschloß, es gemeinsam mit seinem Schützling in die Tat umzusetzen. Seit Juli teilen sich vom Scheidt und sein sechs Jahre älterer Rat- und Geldgeber Gruen nun die Geschäftsführung der NxN Digital Entertainment GmbH.

Für FNT-Geschäftsführer Winnen ist diese Konstellation, die in den USA unter der Bezeichnung „Business Angel“ geläufig ist, „ein Glücksfall“. Er hofft, daß das Beispiel Schule macht. Weitere prominente Mitstreiter zur Gründung eines „Angel-Clubs“ hat er schon gefunden. Die beiden ehemaligen Geschäftsführer von Microsoft und Orade, Christian Wedell und Franz Niedermaier, wollen sich bei FNT mit Managementwissen und Finanzspritzen engagieren. Derweil verhandelt “ Engel“ Gruen gerade um die erste Unterstützung: rund vier Millionen Mark. Dabei soll es nicht bleiben.

In fünf Jahren will NxN 250 Mitarbeiter beschäftigen, davon die Hälfte in Großbritannien, USA und Singapur. „Unser Traum“, verrät der gebürtige Kalifornier, „wäre es, in der zweiten Runde mit einer kalifornischen Venture-Capital-Firma zusammenzuarbeiten.“ Der rechtzeitige Blick über den Atlantik ist ein Muß in der Softwarebranche. Ob ein Produkt zum Hit wird, entscheidet sich stets in den USA. Viele deutsche Newcomer drängen über den großen Teich oder wandern sogar aus:
❏ Stephan Schambach, Erfinder der Internet-Shopping-Software Intershop, verlagerte sein Hauptquartier von Jena ins kalifornische Burlingame;
❏ Dirk Bartels, Gründer des Hamburger Objektsoftwarehauses Poet, ist jetzt President der Poet Holdings Inc. in San Mateo;
❏ Alex Pinchev, Entwickler einer kostensenkenden Steuersoftware für große PC-Netze, zog mit seiner Neugründung Maincontrol nach Vienna in Virginia.

Mit einer Identität als US-Unternehmen haben es die Europäer leichter, den US-Kapitalmarkt anzuzapfen, auf dem das Geld nach wie vor munter sprudelt. Das hat auch Michael Hoppe erkannt, dessen Firma FIT derzeit große Stückzahlen ihrer Organisationssoftware „Focus Manager“ in den Media-Märkten umschlägt. In spätestens sechs Monaten will er eine Fit Inc. gründen, die dann mit amerikanischem Kapital und amerikanischen Mitarbeitern den amerikanischen Markt abgrasen soll.

Dabei wäre es aus finanziellen Gründen gar nicht mehr unbedingt nötig, in die USA zu gehen. Nicht zuletzt durch den Neuen Markt, der den Anlegern lukrative Ausstiegsmöglichkeiten beschert, verbessert sich hierzulande das Umfeld für Venture-capital. „Sogar Investoren, die sich früher gescheut haben, mit Hochtechnologie-Firmen überhaupt zu reden“, weiß Werner Schauerte, „fangen an, neugierig zu werden.“

Das Hauptproblem derzeit ist der Mangel an erfahrenen Fonds-Managern – Folge der Branchenkrise Ende der achtziger Jahre, die diesen Beruf hatte unattraktiv werden lassen. Die Venture-capital-Firmen könnten expandieren, wenn sie die richtigen Leute bekämen. Bedauert Waldemar Jantz: „Es gibt viel Geld, aber nicht genug Geld mit Know-how.“

Hoffentlich sind die neuen Experten so weit, bevor den Exponenten des neuen Softwarebooms die Puste ausgeht.

ULF J. FROITZHEIM


(Text im Heft am Schluss leicht gekürzt)






Hoher Geräuschpegel*

* erschienen unter „Geld sparen“

Virtuelle Seminare, Studium per Netz – Reformer wollen den Lehrbetrieb effizienter gestalten.

Studenten kennen das Ritual: Semester für Semester referieren Professoren immer gleiche Texte, deren Inhalt sich in schriftlicher Form viel besser aufnehmen ließe. Für den Saarbrücker Wirtschaftsinformatiker August-Wilhelm Scheer gehört dieser Urtypus des Frontalunterrichts ins Museum. „Die Vorlesung ist antiquiert“, wettert Scheer. „Sie stammt aus der Zeit, als es noch keine Bücher gab.“

Scheer, der an der Saarbrücker Universität lehrt und zugleich ein erfolgreiches Softwareunternehmen führt, ist längst weiter. Sein Lehrbuch über Wirtschaftsinformatik ist komplett auf einem Universitätsrechner gespeichert. Die Studenten können sich die Texte per Datenleitung jederzeit auf den eigenen Rechner laden und durchackern. Zudem hat Scheers Lehrstuhl im Internet eine Plauderecke eingerichtet, in der die Studenten via elektronischer Post (E-Mail) fachsimpeln.

Wie Scheer suchen auch andere Hochschullehrer nach Wegen, den schwerfälligen Lehrbetrieb an den Universitäten effizienter zu gestalten. Dabei setzen die Reformer auf die Nutzung neuester Informations- und Kommunikationstechniken. Ganze Arsenale von multimediafahigen Personalcomputern (PC), leistungsstarken Workstations und Videokonferenzsystemen sollen im Verbund mit schnellen Datennetzen die Dozenten von Routinetätigkeiten entlasten, den Studenten mehr Lernautonomie verschaffen – und obendrein die Kosten senken. „Unsere halb bankrotten Universitäten könnten mit einem systematischen Einsatz moderner Kommunikationstechniken viel Geld sparen“, glaubt Peter Glotz. Der SPD-Vordenker baut derzeit als Gründungsrektor die Universität Erfurt auf.

Die Befürworter sehen weitere Vorteile in der Vernetzung. Die Studenten erschließen sich via Internet das Wissen dieser Welt, statt in der Universitätsbibliothek nach längst inaktuellen Büchern anzustehen. Sie schalten sich von zu Hause aus in Vorlesungen und Seminare ein, statt in überfüllten Hörsälen zu sitzen. Bei den Überlegungen steht das pragmatische Konzept der Fernuniversität Pate: Egal, wo und wann die Studenten lernen – Hauptsache, sie beherrschen hinterher den Stoff.

Der Weg zur virtuellen Universität ist allerdings noch weit. Erst einmal sind multimediale Lehrveranstaltungen selbst Gegenstand der Forschung: Was ist die beste Technik? Welche Konzepte sind unter welchen Bedingungen rentabel? Wie muß sich die Didaktik ändern, damit die technischen Möglichkeiten optimal ausgeschöpft werden?

Ermutigt durch eine Empfehlung der Hochschulrektorenkonferenz, neue Kommunikationsmedien stärker für die Lehre zu nutzen, sammeln einige Universitäten erste Praxiserfahrungen. Ob Seminar, Vorlesung oder Tutorium, ob Hörsaal oder Übungsraum – das gesamte Hochschulvokabular bekommt Doppelgänger mit dem Präfix „Tele-“ oder „virtuell“. Eine Erhebung der Rektorenkonferenz zeigt allerdings, daß der Einsatz elektronischer Lernrnedien in den Fachbereichen noch stark auseinanderklafft. Während Informatiker, Physiker und Mathematiker Computer und Internet beinahe wie selbstverständlich nutzen, machen Juristen und Mediziner kaum davon Gebrauch (siehe Grafik Seite 187).

Im vergangenen März führte der Lernpsychologe Hermann Körndle von der Technischen Universität Dresden auf der Computermesse Cebit beispielhaft vor, wie der Studierplatz 2000 aussehen könnte: Als wäre die Uni ein Dienstleister und der Student ihr Kunde, soll dieser künftig in seiner Wohnheimbude online Zugriff haben auf die gesamte Pflichtlektüre seines Studiengangs. Die Dozenten sind verpflichtet, ihre Skripts mit weiterführenden Quellen im Internet zu verbinden. So verplempern die angehenden Akademiker keine Zeit mehr mit Lektürebeschaffung in Büchereien und Bibliotheken. Sie können tagsüber jobben und unabhängig von Öffnungszeiten und starren Seminarterminen ihr Studium vorantreiben – sogar mitten in der Nacht.

Was Körnle „effizientes Studieren“ nennt, würde den Lehrbetrieb an den Hochschulen völlig umkrempeln. Dozenten und Professoren müßten ihr Lehrmaterial komplett neu aufbereiten, die Studenten ihre gewohnte Rolle als passive Rezipienten verlassen. Per Internet durchstöbern
sie vielmehr Datenbanken auf der Suche nach aktuellem Wissen. Sie bestimmen Lemtempo, Lernort und Lernschwerpunkte weitgehend selbst – ungehindert von übereifrigen oder begriffsstutzigen Kommilitonen.

Mit dieser aktiven Rolle kommen längst nicht alle zurecht. Nach ersten Erfahrungen mit kursbegleitenden Internet-Diskussionsforen attestiert Jürgen Ewert, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bank- und Finanzwirtschaft an der Fernuniversität Hagen, den Studenten eine gewisse Medienscheu. Gerade ein Prozent der 8500 eingeschriebenen Teilnehmer habe sich per E-Mail zu Wort gemeldet.

Ähnlich ernüchternde Erkenntnisse sammelte vor zwei Jahren das Institut für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie der Ludwig-Maximilians-Universität München mit einem virtuellen Seminar. Die Teilnehmer hätten sich über E-Mail „eher selten“ ausgetauscht, resümieren Professor Heinz Mandl und sein Doktorand Nicolae Nistor. Bei einer Befragung am Semesterende stellte sich heraus, daß einige Studenten Angst hatten, sich mit naiven Fragen zu blamieren und dies auch noch schriftlich vor aller Augen zu dokumentieren.

Mittlerweile scheinen sich solche Ängste abzubauen. Die Münchner verzeichnen neuerdings eine „hohe Akzeptanz“ – vor allem bei Studenten, denen erst die freie Zeiteinteilung das Studium ermöglicht, etwa alleinerziehenden Müttern. Nach dem fünften Tele-Semester weiß Nistor aber auch, daß nicht jeder mit dem elektronischen Lernen klarkommt. „Ob die Teilnehmer sich zurechtfinden, hängt mit ihrer Einstellung zum Computer zusammen“, erläutert der Wissenschaftler. „Es brechen vor allem die ab, die diese Art von Kommunikation langweilig finden.“

Tatsächlich müssen die virtuellen Studiosi schon viel Enthusiasmus mitbringen, um nicht vor den Tücken der noch unausgereiften Technik zu kapitulieren. Britta Schinzel etwa, Professorin am Institut für Informatik und Gesellschaft in Freiburg, blieb nichts anderes übrig, als ihre Televorlesung auf die unchristliche Zeit von acht Uhr morgens zu legen. Zu einer späteren Stunde hätte das einsetzende Datengewimmel im Wissenschaftsnetz die Bildübertragung der Vorlesung zum Glücksspiel macht. Zumal auch noch Übertragungskapazität für eine elektronische Tafel benötigt wurde, auf der die Professorin ihre Ausführungen mit Grafiken und Schaubildern erläuterte.

Der Bonner Informatiker Volker Wulf, der das Projekt im Breisgau mit aufgebaut hat, zieht aus dem Engpaß die Konsequenz: „Wir brauchen reservierte Bandbreiten, um virtuelle Vorlesungen zu jeder Zeit störungsfrei abhalten zu können.“ Das Problem: Reservierungen sind im Internet nicht vorgesehen. Der Dresdner Professor Alexander Schill, zuständig für die Rechnernetze an der dortigen Universität, testet zwar mit Unterstützung des Computerherstellers Digital diese Möglichkeit, doch wird sie frühestens zur Jahrtausendwende funktionieren.

Vor allem Bildübertragungen strapazieren die knappen Netzressourcen. Das zeigen Versuche in Bayern und Thüringen, wo sich Universitäten aus Kostengründen Professoren teilen. Damit sie nicht zwischen den Studienorten pendeln müssen, werden Vorlesungen und Seminare via Netz übertragen. Wenn jedoch das Bild etwa des Jenenser Professors in Ilmenau oder Weimar auf der Projektionsfläche erscheint, sind bereits bis zu 30 Prozent der 34-Megabit-Datenrennstrecke des Breitband-Wissenschaftsnetzes (BWin) okkupiert.

Das ist nicht das einzige Problem. Bei der Freiburger Fernvorlesung fiel Mitinitiator Wulf auf, daß ohne Aufsicht die Disziplin in den zugeschalteten Hörsälen schnell flöten ging. Wulf: „Die Studenten waren weniger aufmerksam als in normalen Vorlesungen, der Geräuschpegel war höher, und manche verschickten auf ihren PC lieber E-Mails, als dem Stoff zu folgen.“

Besser sind da die Erfahrungen, die der Saarbrücker Hochschullehrer Scheer mit interaktiven Lerngruppen gesammelt hat, in denen Studenten Themen via Internet gemeinsam bearbeiten. „Die fangen sofort an zu meckern, wenn das System mal acht Tage lang nicht aktualisiert worden ist“, berichtet Scheer. „Ein besseres Zeichen für die Akzeptanz kann es nicht geben.“

Scheer mahnt die hiesigen Universitäten, nicht den Anschluß an internationale Entwicklungen zu verpassen. So steigen in den USA immer mehr renommierte Universitäten wie Stanford, Harvard oder die wiederbelebte New York University in den Weiterbildungsmarkt ein. Karrierebewußte aus aller Welt können dort via Fernstudium gegen Gebühren Zusatzqualifikationen erwerben. Scheer will mit seinem Institut in diesem Geschäft ebenfalls reüssieren. Aus seiner Beratungstätigkeit, unter anderem für den Walldorfer Softwarekonzern SAP AG, weiß er, daß der Bedarf steigen wird. „Die Firmen verlangen zunehmend, daß sich Mitarbeiter auch in ihrer Freizeit weiterbilden.“ Scheer will die Mühe mit Programmen belohnen, bei denen das Lernen durch die Einbeziehung spielerischer Elemente Spaß macht.

Das wäre allerdings eine Revolution: Mit Unterhaltsamkeit hatten deutsche Professoren sich bislang noch keinen Namen gemacht.

ULF J . FROITZHEIM

 

aus der WIRTSCHAFTSWOCHE NR. 42/1997

Wie Bill Gates sich verspekulierte

Dieser Text über die absehbare kaufmännische und technische Kurzsicht euphorischer Manager aus der Telekommunikationsindustrie erschien 1997 in der August-Ausgabe des Magazins connect!

 

Kommunikationskrieg im Weltall

Handy und Internet heizen das Satelliten-Fieber bei Microsoft & Co. an. Für 50 Milliarden Dollar wollen acht Konsortien über 500 Satelliten in den Orbit schießen. Um die besten Plätze im Weltall und bei den Finanziers ist ein regelrechter Guerillakrieg entbrannt.

 

Iridium braucht Geld. Enorm viel Geld: Fünf Milliarden Dollar (8,5 Milliarden Mark) wird der Aufbau des ersten weltumspannenden Handy-Netzes verschlingen. Allein die 66 Fernmeldesatelliten, die das Unternehmen aus Arizona dazu bis Ende 1998 in den Orbit schießen will, kosten schon mehr als 1,3 Milliarden Dollar. Dazu kommen die Raketen, die Bodenstationen, die Werbung. „Wie Bill Gates sich verspekulierte“ weiterlesen