1 Gigabyte für 62 Cent – und die Leute jammern

GEMA nachrechnen!

Als wir Anfang der Achtziger Tonbandkassetten im Zehnerpack kauften, BASF CrO2 Maxima C90 oder TDK-SA 90, wusste niemand, wieviel vom Kaufpreis an die GEMA ging. Es interessierte auch niemanden. Hauptsache, die Kassetten waren nicht so teuer. Damals kostete eine Kassette 6,50 Mark, ein 10er-Pack 59,50 Mark.

Ich gestehe, dass ich 1985 nicht einmal mitbekommen habe, dass eine Leerkassettenabgabe eingeführt wurde. Bis dahin war nämlich nur für den Kassettenrekorder selbst eine Abgabe fällig gewesen, nicht aber für die Tonträger. „1 Gigabyte für 62 Cent – und die Leute jammern“ weiterlesen

Darf’s ein bisschen mehr sein?

Oder weniger? Hauptsache, der Kunde wird verwirrt.

Tja: Als voriges Jahr den Konsumgüter- und Lebensmittelherstellern freigestellt wurde, welche Füllmenge ihre Packungen haben dürfen, habe ich noch über die Verbraucherschützer gelästert, die das skandalös fanden. Leider hatten sie recht. Zwar ist mir noch keine 879-ml-Milchtüte und kein 234-Gramm-Stück Butter untergekommen, auch keine 921-ml-Flasche Apfelsaft. Aber sonst ist heute alles möglich. Sogar eine 187,5-Gramm-Tafel Schokolade beim Aldi, den ich bisher für so konservativ  und reell gehalten hatte, dass ich dachte, der macht diesen Mist nicht mit. Hier mal ein aktuelles Beispiel aus der Norma-Werbung:

A propos Süßwaren: Lindt ist ja alles andere als eine Billigmarke. Deren Tafeln wiegen jetzt je nach Sorte nicht mehr entweder 100 oder 150 Gramm, sondern gerne auch mal 97 oder 140 Gramm. Denen ist offensichtlich nichts mehr peinlich.

…und noch ein kleiner Naturalrabatt gefällig?

Wussten Sie schon, dass in der Packung Calgonit Finish Powerballs normalerweise 52 3/4 oder 56 1/2 Stück enthalten sind? Jedenfalls muss es so sein, wenn es stimmt, dass die Produkte hier mit zehn respektive 15 Prozent Naturalrabatt angeboten werden. Es hat aber noch niemand Bruchstücke von Geschirrspültabs in Kartons gefunden, es sei denn, letztere wären vom Gabelstapler gestürzt.

Tatsächlich sind nur 52 bzw. 56 Stück drin, der Rabatt ist also sogar höher: 11,5/16 Prozent. Da man die dummen Verbraucher nicht mathematisch überfordern will, rundet man ab.

Das Marketing von Reckitt-Benckiser folgt der Devise: „Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?“ Deshalb hat das Unternehmen derzeit folgende Packungsgrößen im Sortiment: bei einer Sorte 14, 28, 56 oder 70 Tabs, bei der  anderen 13, 26, 52 und 64 (warum eigentlich nicht 65?). Die Dinger zu 20, 40, 60  Stück zu packen, wäre zu einfach und transparent. Beim Klarspüler geht es allerdings auch: Wieviel Bonus in einer 1150-ml-Flasche gegenüber der klassischen Literflasche enthalten ist, erkennt sogar ein bildungsferner Konsument auf den ersten Blick.

Es gibt aber, wie ich im Internet sah, auch eine Version mit 20 Prozent Malus:


Rasen mit reinem Gewissen?

Ist der Elektroflitzer Tesla alltagstauglich? TR-Autor Ulf J. Froitzheim hat die Probefahrt aufs Exempel gemacht.

Ein Roadster ist kein Vernunftauto und ein 100 000-Euro-Zweisitzer natürlich ein Spielzeug für neureiche Angeber. Mit diesen Vorurteilen gewappnet, klettere ich – Inbegriff des unauffälligen VW-Kombi-Fahrers – in München in den knallroten Tesla. An diesem Vormittag werden die Leute mich für einen Großkotz halten.

Das Gefühl, etwas furchtbar Dekadentes zu tun, reicht bis zur dritten Ampel – etwa gleich weit, wie ich brauche, um mich mit den Eigenheiten des Akku-Autos vertraut zu machen.

Ausparken: Hat der denn keine Servolenkung? Nein, die macht das Auto schwer, und es ist ja ein Roadster. Ich drücke die R-Taste, prompt wirft die Rückfahrkamera den Bordcomputer aus dem Display. Die Weitwinkellinse hängt tief: So muss ein Dackel die Welt sehen. Taste D gedrückt, die Reichweitenanzeige kehrt zurück. Bremse gelöst – und los geht’s in Fahrradlautstärke.

Ab Ampel Nummer vier habe ich mich an die Rekuperation gewöhnt: Der Wagen rollt nicht aus, wenn man den Fuß vom Strompedal hebt, sondern nutzt den Dynamoeffekt zum Kraftrecycling. Er bremst, ohne dass ich bremsen muss – und das viel stärker als gedacht. Auf der A96 rollen wir mit Tempomat dahin, bei 100 Sachen macht nur der Wind Lärm. Der E-Motor säuselt. Als ein Audi-Rowdy hinter uns Druck macht, genügt ein kurzer Kick, um ihn in ein Betatier zu verwandeln. Aber Tesla-Fahrern wird es schnell langweilig, Q7er und 911er zu deklassieren.

In der Community gilt der etwas, der mit einer Ladung am weitesten kommt. Außerdem flitzt man, wenn man kein Zwerg ist, besser mit Mütze: Ab Tempo 120 wird’s stürmisch.

Zum Raser werde ich auf der Landstraße, ziehe am Stinkediesel-Pritschenwagen eines Lumpensammlers schneller vorbei, als ich im VW die Kupplung treten würde. Schlechtes Gewissen? Ach was, wir haben ja Ökostrom getankt. Und beim Überholen heißt Beschleunigung Sicherheit. Jetzt ist mir klar, warum manche Tesla-Käufer ihren als Zweitwagen gekauften Roadster als Erstwagen nutzen.

Erschienen in der Technology Review 8/2011