TELEFONKARTEN: Kriminell billig

Nepp oder Schnäppchen? Das Angebot an international nutzbaren Karten wird immer bunter.

WIRTSCHAFTSWOCHE 23/1998

Der neue Trend roch so sehr nach leichtem Geld, daß sich John „Junior“ Gotti, Sproß des berüchtigten New Yorker Mafiaclans Gambino, nicht zurückhalten konnte. Der 34jährige Nachwuchspate – seinen einst mächtigen Vater hat das FBI vor ein paar Jahren aus dem Verkehr gezogen – engagierte sich in der Telekommunikation. Genauer gesagt: im Vertrieb von Guthabenkarten, mit denen man von jedem beliebigen Telefon bargeldlos zum Discounttarif im In- und Ausland anrufen kann.

Diese „Prepaid Cards“ – zu Preisen ab zehn Dollar erhältlich an der Tankstelle, am Zeitungsstand oder im Supermarkt – haben sich in den USA binnen kürzester Zeit zum absoluten Renner bei Immigranten und zum Geheimtip unter europäischen Touristen entwickelt. Ihre Tarife liegen meist deutlich unter denen der klassischen Calling Cards von AT&T, MCI oder der Deutschen Telekom, bei denen der Kunde Rechnungen mit Einzelverbindungsnachweis bekommt, und drastisch unter den horrenden Gebühren der öffentlichen Münztelefone oder gar der Hotels (siehe Kasten). Erst 1992 eingeführt, bescheren die Papp- oder Plastikkärtchen der Branche bereits Milliardenumsätze und stattliche Gewinnmargen.

Gotti Junior bekommt von den Penunzen allerdings nichts mehr ab. Die Staatsanwaltschaft hat der Diversifikation des Unterweltunternehmers in die lukrative Wachstumsbranche ein Ende gesetzt. Zusammen mit 39 mutmaßlichen Komplizen landete Gotti im Januar hinter Gittern. Eine der zahlreichen Anschuldigungen lautet, er habe Telefongesellschaften und auch Käufer seiner Telefonkarten um Millionenbeträge geprellt. Der Vorwurf: Die Telefonkarten waren wertlos, weil von den Telefongesellschaften zum Zeitpunkt des Verkaufs bereits gesperrt. Sie wollten nicht mehr länger auf die von Gotti versprochenen Verkaufserlöse warten.

So schnell kann’s gehen: Noch im vorigen Frühjahr hatte das New Yorker Szeneblatt „Village Voice“ dem Ehrenmann grimmig bescheinigt, seine mit dem Bild der Freiheitsstatue verzierte Liberty Tel Card „scheine tatsächlich zu funktionieren“ und gehöre bei Inlandsgesprächen zu den günstigeren Angeboten.

Die Stillegung des Gotti-Sohnes bedeutet auf keinen Fall Entwarnung für Geschäftsreisende und Touristen. Auf dem liberalisierten Markt tummelt sich zwar alles, was in der Telekommunikation Rang und Namen hat; was weder Rang noch Namen hat, allerdings erst recht. In amerikanischen Medien ist von bis zu 500 Anbietern die Rede sinnlos, da einen bestimmten zu suchen, wenn man gerade telefonieren muß.

Diese Unübersichtlichkeit gibt Betrügern reichlich Gelegenheit, ihr Talent und ihre Kreativität auszuleben. Ihre bevorzugten Opfer sind Ausländer – die wollen ein Schnäppchen machen, haben aber kaum einen Überblick, wer zu den seriösen Anbietern zählt. „Das Wachstum dieser lukrativen Branche“, klagt Bill Clintons oberste Verbraucherschützerin Jodie Bernstein, „macht es den Geschäftemachern allzu leicht, Zehntausende von Karten zu verkaufen und dann einfach zu verschwinden.“

Die Prepaid Calling Cards sind nicht von ungefähr zum beliebten Betätigungsfeld der Ganoven geworden: Im Gegensatz zum in Europa vorherrschenden Verfahren wird das Gebührenguthaben nicht auf einem Chip oder Magnetstreifen gespeichert, sondern im Zentralcomputer einer Telefongesellschaft, deren Name in der Regel gar nicht auf der Karte steht. Der Rechner prüft nur die Bonität des Zwischenhändlers und bucht die verbrauchten Gesprächsminuten von dessen Guthaben ab. Der Endkunde besitzt weder einen Beleg, noch kann er den Restwert erkennen. Hinzu kommt, daß jeder, der die elfstellige Zugangsnummer erspäht hat, auch ohne Karte den gesamten Betrag abtelefonieren kann.

Das macht das Argumentieren fast unmöglich, wenn die Roboterstimme plötzlich behauptet, das Guthaben sei verbraucht, obwohl die Karte neu ist. Solche Fälle kommen immer wieder vor, aber nur selten gelingt den Ordnungshütern ein Coup wie im Fall des indischstämmigen Geschäftsmannes Rajesh Kalra, den Jodie Bernstein von der Federal Trade Commission kürzlich vor Gericht in die Knie zwang. Der Inhaber dreier Calling-Card-Firmen mit tönenden Namen wie Trans American Systems Inc. hatte indische Einwanderer mit Dumpingtarifen dazu verführt, Karten zum Stückpreis von 100 Dollar per Post zu bestellen. Die eingesandten Schecks wurden rasch eingelöst, doch die Karten ließen auf sich warten. Wer die Lieferung anmahnte, den hielten die Call-Center-Mitarbeiter mit Ausflüchten hin. Bei vielen der tatsächlich ausgelieferten Karten verringerte sich wie von Geisterhand das Guthaben, auch wenn niemand telefoniert hatte. Kalra kam zwar mit einer Geldbuße davon, weil sich der kriminelle Vorsatz nicht beweisen ließ. Bevor er sich wieder in der Branche betätigen darf, muß er aber eine Million Dollar als Sicherheit hinterlegen.

Der Imageschaden, den die Goldgräber und Raubritter den seriösen Kartenanbietern zufügen, scheint sich dennoch in Grenzen zu halten. Deren Lobbyorganisation International Telecard Association in Washington rechnet damit, daß sich der Umsatz von 2,4 Milliarden Dollar im vorigen Jahr bis 2001 verdoppelt. Die Prognose ist nicht unrealistisch, denn die großen Supermarkt- und Drugstoreketten haben entdeckt, daß sie mit den Prepaids gute Geschäfte machen können. Branchengrößen wie MCI/Worldcom, Sprint und Smartalk gewähren den Händlern großzügige Gewinnspannen. Zudem eigne sich die Karten als Werbeträger. Künftig sollen Stammkunden der Märkte sogar Gratistelefonminuten als Naturalrabatt erhalten. Der letzte Schrei sind Calling Cards, die erst bei Bezahlung freigeschaltet werden: Wenn die Scannerkasse die Seriennummer auf der Packung erfasst, wird automatisch per Datenleitung der Zentralrechner der Telefonfirma informiert. Die Sicherheitsmaßnahmen und der Marketingaufwand sind allerdings preistreibend. Mit den zu Markenartikeln aufgewerteten Kärtchen telefoniert man zwar durchweg günstiger als mit Münzen, von denen man kaum so viele besorgen kann, daß es für einen Anruf nach Deutschland reicht.

Billiger als mit der aus Deutschland mitgebrachten Otelo-, Telepassport- oder T-Card kommt man aber nicht in jedem Fall davon – ein Preisvergleich, gerade bei Auslandsgesprächen, lohnt sich. USA-Profis fahren deshalb zweigleisig: Wenn ihnen ein Amerikaner eine günstige Prepaid-Karte empfehlen kann, schlagen sie zu – vor allem, wenn sie wissen, daß sie innerhalb der Vereinigten Staaten viele Inlandsgespräche führen müssen. Zur Sicherheit haben sie die konventionelle Calling Card ihrer deutschen Telefongesellschaft dabei.

ULF J. FROITZHEIM

KOSTENSENKUNG: Die Qual der Wahl

Mit der richtigen Telefonkarte lassen sich die Telefonkosten auf Reisen erheblich drücken.

Chipkarten

Vorteile: Das Guthaben ist auf der Karte gespeichert und damit überprüfbar. In vielen Ländern gibt es keine billigere Art zu telefonieren.

Nachteile: Man braucht für jedes Land eine eigene Karte (Ausnahme: Deutschland/Holland). Ärgerlich: nicht vertelefonierte Restguthaben.

Calling Cards

Der Nutzer wählt eine gebührenfreie Rufnummer an, identifiziert sich durch Eingabe seines Kartencodes sowie einer Geheimzahl und erhält dann eine freie Leitung. Die Gesprächskosten werden später vom Girokonto abgebucht. Auch Anbieter wie Otelo, Telepassport und Viag haben Calling Cards im Sortiment. Die Deutsche Telekom hat mit der T-Card einen Zwitter auf den Markt gebracht: Der eingebaute Chip ermöglicht zusätzlich die Benutzung deutscher Kartentelefone.

Vorteile: Mit diesen Karten kann man in einer Vielzahl von Ländern nahezu jedes Telefon bargeldlos nutzen. Der Kunde bekommt monatlich eine Rechnung mit Einzelverbindungsnachweis. Die meisten Karten sind zumindest gegenüber den teuren Telefongesprächen aus Hotelzimmern recht günstig.

Nachteile: Pro Verbindung wird meist eine Grundgebühr fällig (Telekom: 90 Pfennig). Viele Hotels berechnen eine sogenannte Service Charge für die Anwahl von 800er- und 0130er-Nummern. In den USA sind Beträge bis zu einem Dollar üblich, in München beispielsweise reichen die Kosten von null (Maritim) bis fünf Mark (Bayerischer Hof). In einigen europäischen Ländern (zum Beispiel in Österreich) muß man an öffentlichen Fernsprechern eine Münze einwerfen, bevor man die Zugangsnummer anrufen kann. Vor dem eigentlichen Anruf muß man sehr lange Zahlenkolonnen eintippen, es sei denn, man nutzt einen programmierbaren Tonwahlhandsender (bei Otelo und Telekom als Zubehör erhältlich). Gespräche zwischen Drittländern sind extrem teuer: Wer eine amerikanische Karte innerhalb Deutschlands oder eine deutsche innerhalb der USA einsetzt, zahlt das Doppelte des Tarifs für die Verbindung Deutschland-USA. Eine Kostenfalle sind auch die Taktzeiten: Die Telekom berechnet angefangene Minuten, Telepassport schaltet nach 30 Sekunden auf ein 6-Sekunden-Intervall, Otelo rechnet nach der ersten Minute sekundengenau ab.

Prepaid Cards

Seit 1992 gibt es in den USA vorausbezahlte Calling Cards ohne Chip. Das Konzept der Prepaid Card haben mittlerweile auch die Telekom (T-Card Holiday) und andere europäische Anbieter kopiert.

Vorteile: Die Gebühren sind meist günstig. Man braucht sich nirgends anzumelden und hinterläßt keine Datenspuren. Vor allem für Telefonate innerhalb der USA die mit Abstand preiswerteste Lösung.

Nachteile: Gerade bei billigen US-Karten tummeln sich sehr viele schwarze Schafe auf dem Markt. Ohne Empfehlung eines Ortskundigen sollte man von unbekannten Marken die Finger lassen. Bei den als seriös geltenden Anbietern steigen die Preise. Manche Firmen – wie die an der Ostküste weitverbreitete Phone Time Inc. – verlangen neuerdings eine Grundgebühr, weil die Betreiber derTelefonzellen in Washington eine Benutzungsgebühr von 28,4 Cent pro Anwahl einer „gebührenfreien “ Nummer durchgesetzt haben.

Call Back

Der Anbieter ruft zurück und schaltet dem Telefonierer eine Leitung frei. Die Call-Back-Dienstleister erlauben ihren Kunden, auf Reisen den Rückruf auf einen anderen Apparat umzuleiten.

Vorteile: Die Call-Back-Tarife sind in aller Regel die billigste Art, im Ausland zu telefonieren.

Nachteile: Der Anruf bei der Call-Back-Firma zum Umprogrammieren der Nummer ist meist gebührenpflichtig. In Hotels funktioniert Call-Back nur dann, wenn die Zimmer per Direktdurchwahl erreichbar sind. Sonst kann der Concierge auf Ihre Rechnung telefonieren.

UJF

Digitale Anrufbeantworter: Elektronischer Buchbinder

1992 war die Landplage Voicemail noch ein Novum. Eine kleine Innovationskritik aus dem Systems-Special der Wiwo.

Tim Browne in Cambridge/Massachusetts anzurufen, ist gar nicht so einfach. Denn wer den Kommunikationsmanager der Thinking Machines Corp. (TMC) sprechen will, muß fast immer zuerst mit dem Computer reden. Tim Browne hat sein Telefon auf einen neuartigen digitalen Anrufbeantworter umgestellt, der Bestandteil des hausinternen Computernetzes ist. Das kann einen darauf nicht vorbereiteten Gesprächspartner in tiefe Verzweiflung stürzen.

Voicemail, so nennt sich diese Technik, deren Einsatz sich in amerikanischen Firmen epidemieartig ausbreitet, ist dem gewöhnlichen elektronischen Butler deutlich überlegen. Läßt man die Marketingsprüche der Hersteller außer acht, besteht der entscheidende Fortschritt darin, daß Voicemail die eingehenden Anrufe nach Belieben weitervermittelt. Das sieht dann in der Praxis so aus: „Digitale Anrufbeantworter: Elektronischer Buchbinder“ weiterlesen

Die Telekom stolpert ins Unternehmertum

Das dritte und letzte highTech-Special der WiWo vor der Cebit 1992 drehte sich um Telekommunikation. Während das Multimedia-Special Zukunftsträchtiges behandelte, fand sich hier höchst Vergängliches. Wer kennt heute noch Temex, den Telemetrie-Dienst der Telekom? Und wer braucht noch Kartentelefone? Naja, die waren damals schon reif für eine Glosse.