Da staunte die Branche: 93 Prozent der unterhaltungsfreudigen US-Bürger, eruierten die Marktforscher von Dataquest, lehnen Internetfernseher und Zusatzboxen ab, die das World Wide Web (WWW) per Fernbedienung auf ihren TV-Schirm holen. „Das Internet-TV hat – zumindest in seiner jetzigen Form – kein nennenswertes Marktpotential“, verkündete Van Baker, Dataquest-Chefanalyst für digitale Konsumgüter.
Hat er recht, stehen Gerätehersteller wie Philips und Sony vor einem neuen Flop. Das holländisch-japanische Duo, das einst den CD-Spieler im Markt durchgesetzt hat, versucht seit Oktober mit massiver Werbung, träge Fernsehkonsumenten in den USA mit ihrer Internet-Erweiterungsbox WebTV vom Reiz des Web zu überzeugen. Allein die Philips-Tochter Magnavox, einer der großen US-Fernseherhersteller, investierte 50 Millionen Dollar in das Projekt. Bislang erfolglos: Nur gut 30.000 von 100.000 ausgelieferten Geräten, schätzt das „Wall Street Journal“, wurden für 329 Dollar pro Stück verkauft.
Der müde Absatz macht auch Steve Perlman zu schaffen. Der frühere Apple-Manager hatte zusammen mit seinen Exkollegen Bruce Leak und Phil Goldman Konzept und Software für das WebTV entwickelt. Sie spekulierten auf ein lukratives Folgegeschäft: Wer eines der Geräte von Philips oder Sony nutzen will, muß vorab für 20 Dollar monatlich den Online-Dienst des Trios abonnieren. Denn im häuslichen TV-Gerät sind nur solche Web-Texte lesbar, die WebTV Networks zuvor typographisch aufbereitet hat. Jetzt muß Perlman mit monatlichen Einnahmen von deutlich unter einer Million Dollar wirtschaften.
Doch ans Aufgeben denkt vorerst niemand. WebTV-Protagonisten wie Philips-Bereichsvorstand Ed Volkwein glauben an ihr Produkt und suchen die Fehler im Marketing. WebTV-Chef Perlman geht sogar in die Offensive und kritisiert öffentlich die Methodik von Dataquest. Die Attacke fällt ihm um so leichter, als die Gartner-Group-Tochter traditionell der Computerindustrie verbunden ist, die Internetneulingen lieber PCs als Settop-Boxen verkaufen möchte.
Hersteller von Naturkost und Bio-Produkten haben das Internet als neuen Vertriebsweg entdeckt.
Die Kaffeetasse lässig in der Rechten, wirkt Arthur Darboven wie die personifizierte Seriosität. Mit seinem Bildschirmdebüt im feinen Zwirn folgt der Sproß einer Hamburger Kaffeeröster-Dynastie der Familientradition: Schon seit den sechziger Jahren verbürgen sich Darbovens im Werbefernsehen für den „magenfreundlich veredelten“ Idee-Kaffee.
Den 33jährigen Chef der Burkhof Kaffee GmbH im Münchner Vorort Sauerland dagegen sucht man auf TV-Monitoren vergeblich. Sein Konterfei wirbt im Internet – auf einer Seite des Feinkostversands Nur Natur Stillern-Mooseuracher, der das Burkhof-Produkt exklusiv vermarktet. Der Web-Auftritt hat finanzielle Gründe: Kosten und Streuverlust von Fernsehspots für den „Cavallo Nero“ (schwarzer Hengst), einen politisch korrekten Premiumkaffee für den Nischenmarkt, wären viel zu hoch.
Arthur Darboven ist nicht der einzige Alternativ-Kaufmann im weltweiten Netz. Die gesamte Öko- und Dritte-Welt-Branche hat den Computer für die Kundenbindung entdeckt. Alles, was der Naturwarenhandel zu bieten hat, läßt sich mittlerweile per Tastatur bestellen: von ökologisch an- und ausgebautem Wein über giftfreie Textilien und Möbel bis zu baubiologisch unbedenklichen Materialien. Im Zweifelsfall weist ein grünes Online-Branchenbuch den schnellsten Weg zum nächstgelegenen Bioladen.
Die ungewohnte Reklamestrategie zahlt sich aus, wenngleich erst in bescheidenem Umfang. Die Online-Bestellungen hätten zwar „wirtschaftlich noch kaum Relevanz“, gesteht Nur-Natur-Geschäftsführer Franz Josef Grenzebach. Immerhin sei der Anfang ermutigend. Im ersten Jahr kamen immerhin 2000 Bestellungen über www.nurnatur.de herein, zum Teil sogar von Stammkunden, die sonst per Post geordert hätten.
„Die Kosten für den elektronischen Katalog im Internet sind längst wieder drin“, freut sich Grenzebach. Kein Wunder: Er muß keine gedruckten Kataloge mehr verschicken, und digital eingehende Aufträge werden vom Computer abgewickelt. Daß die Online-Kundschaft stetig wächst, liegt in einer selbst für Insider überraschenden Erkenntnis begründet: Die Klientel der Ökohändler und die der Online-Dienste haben weit mehr Gemeinsamkeiten, als die gängigen Klischees vom technikfeindlichen Müslifreund oder Junk-food-süchtigen Computerfreak vermuten ließen.
„Den Birkenstock tragenden Alternativen gibt es nicht“, lernte Rolf Mütze, Architekt der großen Naturkost-Internet-Baustelle des Schaafheimer Verlags Gesund Essen, aus einer Marktstudie seines Hauses. Der traditionelle Naturkostladen habe sich vielmehr zum Fachgeschäft weiterentwickelt, dessen Kunden gebildeter und finanzkräftiger sind als der deutsche Durchschnittsbürger.
Auch Versender Grenzebach mußte sich aufgrund von Marktstudien von alten Überzeugungen verabschieden. Nun weiß er, wie elitär sein Publikum ist: 92 Prozent der Nur-Natur-Besteller sind akademisch gebildet, ungewöhnlich viele haben sogar promoviert. Und auch die Geschlechts- und Altersstruktur stimmt: Die Hälfte der Kunden ist männlich, und mit durchschnittlich 35 Jahren sind sie noch nicht zu alt für den Computer. Online-Spezialisten mit Antenne fürs Alternative sind demnach gesuchte Leute. Als der Bamberger Diplom-Ingenieur und Web-Autodidakt Thomas Hörner, 30, im vorigen Sommer sein virtuelles Ökokaufhaus eröffnet hatte, dauerte es nicht lange, bis das erste Übernahmeangebot eines Verlags auf dem Tisch lag. Er schlug es aus und darf sich heute als König der Marktnische fühlen. Seine Kleinfirma Mag List arbeitet unter anderem für Nur Natur, den Möbelanbieter Mac Bett und die Drogerie Spinnrad.
Für die weitere Expansion hat Hörner vorgesorgt: Rechtzeitig sicherte er sich die Internetadreßnamen www.umwelt.de, www.oekologie.de und www.naturwaren.de. Inzwischen meint der Softwaremann seine Ideen bereits bei mehreren anderen Anbietern wiedererkannt zu haben. „Daß jetzt Nachahmer kommen“, freut sich Hörner, „bestätigt mich nur.“
Nicht minder clever war der Schachzug des Verlags Gesund Essen, sich für sein Infopaket rund um Naturwaren und Umweltschutz die Adresse www.naturkost.de registrieren zu lassen. Hier zeigt sich freilich sehr deutlich, daß viele Anbieter die möglichen Vorteile des Internets noch nicht vollständig nutzen: In der Adreßdatenbank sind zwar die Anschriften nahezu aller deutschen Bioläden und Versender verzeichnet. E-Mail oder gar eine eigene Internetadresse lassen sich aber an den fünf Fingern abzählen.
Den Gesund-Essen-Verlagsexperten Rolf Mütze ficht das nicht an. Er träumt bereits von einer elektronischen Kommunikation zwischen Herstellern und Händlern – und sieht seinen Verlag, der die Naturkost-Kundenzeitschrift „Schrot & Korn“ herausgibt, als Vorreiter. „Wir müssen die Entwicklung vorwegnehmen“, fordert Mütze Gleichgesinnte auf. „E-Mail wird bald so normal sein wie heute das Telefax.“
Die Bilanz hat Sanierer Gilbert Amelio im Griff, die Partnerschaft mit IBM bislang nicht.
Wahre Apple-Fans kann nichts mehr schrecken. Der Umsatz des US-Computerherstellers ging im soeben abgelaufenen Geschäftsjahr 1996 (Ende September) um elf Prozent zurück, sackte im letzten Quartal gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum sogar um fast ein Viertel ab. Der operative Verlust kumulierte sich auf astronomische 1,4 Milliarden Dollar – ein Siebtel der Einnahmen von nur noch 9,8 Milliarden Dollar. Während das gegnerische Gespann Intel/Microsoft Rekordeinnahmen feiert, steht der Branchenpionier aus Cupertino, Kalifornien, mehr denn je als Außenseiter des PC-Markts da. Dennoch ist Archibald Horlitz der Humor nicht vergangen: „Was Apple angeht, bin ich hoffnungsloser Optimist.“
Daß der Berliner Computerhändler, Chef des Macintosh-Discounters Gravis, in der gegenwärtigen „extrem spannenden Phase“ sogar den Kauf von Apple-Aktien empfiehlt, geht auf das Konto des neuen Vorstandsvorsitzenden Gilbert Amelio. Der stille, eher behäbig wirkende Manager – ein harscher Kontrast zu seinem polternden Vorgänger, dem Deutschen Michael „The Diesel“ Spindler – hat das Unternehmen nämlich binnen weniger Monate einer rabiaten Roßkur unterzogen, die jetzt Wirkung zeigt.
So reduzierte Amelio die kurzfristigen Verbindlichkeiten um 60 Prozent, verringerte die Außenstände um mehr als 400 Millionen Dollar und räumte – um den Preis hoher Abschreibungen – die übervollen Läger. Saß Apple vor Jahresfrist noch auf Bergen zugekaufter Bauteile im Gesamtwert von 841 Millionen Dollar, kommt das Unternehmen nun mit einem Lagerbestand von 213 Millionen aus. Die Halden fertiger Produkte schrumpften wertmäßig um mehr als ein Drittel. Zudem brachte der Sanierer Schwung in die Fertigung. „Niemand fragt mich mehr“, klopft sich Amelio auf die Schulter, „ob wir überleben werden.“
Noch ist Apple freilich nicht über den Berg. Zwar konnte Finanzchef Fred Anderson fürs vierte Quartal einen kosmetischen Gewinn von 25 Millionen Dollar ausweisen. Doch indirekt gesteht der Vorstand ein, daß er das nächste Zwischenergebnis wieder mit roter Tinte schreiben wird – nicht zuletzt wegen der kostspieligen Einführung einer neuen Notebook-Baureihe. Erst „ab Ende des zweiten Quartals 1997“, formuliert Amelio vielsagend, rechne er mit einer „anhaltenden Profitabilität“. Selbst wenn der Umsatz 1997 auf neun Milliarden Dollar abrutschen sollte, werde Apple den Break-even schaffen und sich gesundschrumpeln.
Dieses Versprechen wird in der allfälligen Aktionärsmitteilung zum Jahresabschluß gleich wieder durch einen Rattenschwanz von Wenn und Aber relativiert. Denn nach dem großen Kehraus in Cupertino, dem fast die komplette zweite Ebene zum Opfer fiel, hat der promovierte Physiker Amelio seine schwierigsten Hausaufgaben noch vor sich:
❏ Innovative Produkte wie das Betriebssystem MacOS 8 müssen wesentlich schneller marktreif gemacht werden.
❏ Trotz vielversprechender Multimedia-Software hat sich Apple – im Gegensatz zu seinen Kooperationspartnern Sun Microsystems und Netscape – noch nicht als führende Kraft im zukunftsträchtigen Internet-Markt positionieren können.
❏ Apple braucht dringend renommierte Mitstreiter aus dem Hardwarelager, die den in Kooperation mit IBM und Motorola gebauten Power-PC-Prozessor anstelle der marktbeherrschenden Pentium-Chips von Intel einzusetzen wagen.
Die Zeit droht dem Sanierer wegzulaufen. Denn der Umsatzeinbruch des Geschäftsjahrs 1996 ist wesentlich auf den Kurswechsel nordamerikanischer Großkunden zurückzuführen. Chemie- und Pharmakonzerne von Dow Chemical über Eli Lilly bis Monsanto musterten heuer Tausende von Macintosh-Maschinen aus und schlossen sich dem Microsoft-Troß an. Wirtschaftsprüfer wie Ernst & Young und KPMG Peat Marwick gingen fremd oder liebäugelten zumindest mit Bill Gates‘ Windows 95. Allein die kanadische Northern Telecom startete im Frühjahr den Austausch von insgesamt 30000 Apple-Computern gegen Pentium-PC. Nur die Medienbranche erwies sich bisher als resistent gegen die Versuchung, dem Quasi-Monopol nachzugeben.
Auch hierzulande machen Apple-Loyalisten mitunter schwere Prüfungen durch. Der Kemptener Unternehmensberater Gerhard Pleil fühlt sich von Klienten immer öfter als Exot belächelt. Bisher freilich hat er dem Druck nicht nachgegeben. Seine Hoffnung stützt sich auf Gespräche mit Managern anderer PC-Produzenten: „Viele Hardware- und Softwarehersteller würden liebend gerne dem Monopolisten eins auswischen.“ Bisher ist kein Anbieter in Sicht, der einen offenen Streit mit Intel und Microsoft riskieren würde. Welche Folgen Untreue haben kann, erfuhr Compaq-Chef Eckhard Pfeiffer 1995, als er einen Teil seiner Chips beim Intel-Erzrivalen Advanced Micro Devices (AMD) eingekauft hatte. Zähneknirschend kehrte der Deutsche zurück – sonst hätte er sich bei künftigen Pentium-Versionen hinter deutlich kleineren Konkurrenten anstellen müssen.
Doch die Verhältnisse ändern sich. Im nächsten Frühjahr präsentieren Apple, IBM und Motorola nach jahrelangen Vorbereitungen endgültig ihre PowerPC-Plattform. Dieser gemeinsame Standard macht alle mit diesem Chip-Typ ausgestatteten Rechner miteinander kompatibel. Der Clou: Der Kunde kann damit nicht nur das Mac-Betriebssystem oder Unix-Versionen wie das AIX von IBM verwenden, sondern genausogut das Windows NT von Microsoft.
Wenn sich, wie viele Branchenkenner glauben, NT zum Renner bei mittelgroßen PC-Netzen entwickelt, könnte Apple zumindest als Hardwarelieferant davon profitieren. Doch IBM bietet seinen Power-PC nur im obersten PC-Segment an. Alle Großserien-PCs kommen mit Intel und Windows daher. Power-PCs für den Massenmarkt, so der IBM-Manager Horst Oehler, seien bis auf weiteres nicht geplant. Für Apple-Anhänger Pleil ist diese Haltung ein Witz: „IBM hätte die Kraft, das Monopol von Intel und Microsoft zu beenden.“
Ohnehin sähe Gilbert Amelio sein Unternehmen – ganz in der Tradition seiner Vorgänger – lieber als Softwareunternehmen. Gerade bei neuen Konzepten für die weiche Ware war Apple dem Rivalen Microsoft früher immer um mehrere Nasenlängen voraus. So soll es auch wieder werden. Es wäre doch eine feine Sache, schwärmte Amelio bei seinem letzten Deutschland-Besuch, wenn Apple eines Tages die Hälfte seiner Einnahmen mit Software erzielte.
ULF J. FROITZHEIM
„Eiertanz sorgt für Verwirrung“
Jan Gesmar-Larsen*, General Manager Apple Europe, über das geplante Comeback seines Unternehmens, unzufriedene DV-Manager und die Zusammenarbeit mit IBM.
Herr Gesmar-Larsen, Apple schrumpft in den USA. Die Europa-Tochter kam bisher mit einem blauen Auge davon. Fühlen Sie sich jetzt als Musterknabe des Konzerns?
GESMAR-LARSEN: Als Musterknabe nicht. Aber in letzter Zeit haben wir uns bemüht, verstärkt in Märkte zu verkaufen, die höherwertige Produkte verlangen – etwa in die Medienbranche, in Forschung und Lehre. Dadurch hatten wir hier eine viel stabilere Ertragsgrundlage als in den USA, wo das meiste über die großen Einzelhändler verkauft wird. Allerdings haben auch wir gelitten: Unsere Großkunden wollten abwarten, was bei Apple in den USA passiert, bevor sie zusätzliche
Systeme einkaufen.
Wirkliche Großkunden wie in den USA, die bis zu 30000 Macintosh-Rechner betreiben, haben Sie hier kaum. Waren Sie deshalb weniger verwundbar?
GESMAR-LARSEN: Nein. Wir sind im Prinzip sogar abhängiger von unseren Großkunden wie Bertelsmann oder Springer. Aber zu denen haben wir viel stabilere Beziehungen. Hier gibt es nicht diese internen Computer-Glaubenskriege, wie sie sich in US-Betrieben entzünden.
In Amerika schwenken sogar Apple-gläubige Manager um. Sie glauben, Macintosh zu kaufen, sei ihrer Karriere schädlich.
GESMAR-LARSEN: ln den USA schwingt das Pendel immer sehr weit nach links und nach rechts. An einem Tag ist Apple „great“, am nächsten nur schlecht. Großkunden, die auch in Europa tätig sind – wie KPMG oder Boston Consulting -, sehen das nicht so schwarz-weiß.
Auf die nächste Version Ihres Mac-Betriebssystems, die 1997 kommen soll, wartet die Geschäftswelt ja nicht gerade.
GESMAR-LARSEN: Wir wissen natürlich, daß viele Unternehmen Microsoft NT einführen wollen. Darum werden wir Betriebssystem-unabhängige Computer anbieten, auf denen auch NT läuft. Wir arbeiten gemeinsam mit Motorola an Prozessoren mit bis zu 500 Megahertz Taktfrequenz. Das wäre die Führungsposition in puncto Rechnergeschwindigkeit.
Woher kommt Ihre Zuversicht, daß dieser Kundenkreis ausgerechnet auf Apple-Rechner wartet?
GESMAR-LARSEN: Zur Zeit kann ich mich über mangelnden Auftragseingang nicht beklagen. Wir haben Mühe, alles zu liefern, was die Kunden von uns erwarten. Und wir haben in den vergangenen 18 Monaten gelernt, was Time-to-Market bedeutet.
Wann ziehen IBM und Apple an einem Strang, um dem Kartell Windows-Intel Paroli zu bieten?
GESMAR-LARSEN: Da rühren Sie an einen wunden Punkt. Die IBM ist eine so komplexe Organisation, daß sie zwangsläufig viele Ziele gleichzeitig verfolgt. Die Halbleiterleute ziehen mit Motorola und uns an einem Strang. Sie kämpfen Tag und Nacht, damit wir Monate vor Intel schnellere Prozessoren auf den Markt bringen. Aber IBMs PC Company arbeitet nun einmal eng mit Microsoft zusammen und kann deshalb gar nicht gegen die Wintel-Welt antreten. Dieser Eiertanz hat für einige Verwirrung im Markt gesorgt. Aber wer Hardware verkaufen soll, kann nicht zu 100 Prozent die gleichen Ziele haben wie jemand, der ein Betriebssystem vermarkten will.
ULF J . FROITZHEIM
* Jan Gesmar-Larsen, 36, ist seit Juni 1996 als Vice-President und General Manager Apple Computer Europe, Middle East and Africa verantwortlich für das Europa-Geschäft. Ende 1992 kam Gesmar-Larsen zur Apple Computer GmbH in Ismaning bei München, deren Geschäftsführung er im April 1994 übernahm. Ende 1995 wurde er Vice-President Sales & Customer Service für Europa.
Vorsicht vor privaten Kreditkartentelefonen. Die Gespräche können teuer werden.
Die Plexiglas-Telefonhaube im Internationalen Congress Centrum (ICC) in Berlin wirkt auf den ersten Blick vertraut. Der Fernsprecher, der jetzt unter der Haube hängt, stammt jedoch eindeutig nicht aus dem Fundus des Fernmeldeamts: rechts neben der Tastatur ein Schlitz zum Durchziehen einer Kreditkarte, links vom Hörer ein grünliches LC-Display, in der Mitte das rote Emblem „CCC“.
Ungewohnte Anblicke bieten sich auch eine Etage tiefer, im ICC-Foyer.
Auf dem Tresen springt eine türkisfarbene Werbetafel den Besucher an: „Hier können Sie mit Kreditkarten faxen, telephonieren, kopieren“. Davor thront das „Wellcom Fax & Phone“, ein Kombigerät im Design einer Registrierkasse mit einem türkisfarbenen Hörer als Blickfang.
Ein Anblick, an den der Reisende sich gewöhnen muß: Immer öfter begegnet er den Kreditkartentelefonen privater Anbieter. Doch nutzen sollte der Kunde die Angebote lieber nicht. Denn die Tarife der Gesellschaften liegen erheblich über denen der Deutschen Telekom AG.
Statt mit deutschen Gebühreneinheiten oder den auf dem Weltmarkt üblichen Minutenpreisen operiert etwa die 3C Communications GmbH mit einer eigenen Variante. „Eine Gesprächseinheit ist sieben Sekunden“, liest der Kunde auf dem Display. Falls der Benutzer sich an einem jener Standorte befindet, an denen tatsächlich eine Preisliste aushängt, erfährt er auch, was diese Einheit kostet – nämlich zwischen zwei Pfennig für ein Ortsgespräch und üppigen 1,45 Mark für Verbindungen zu Zielen außerhalb Europas.
Ein simples fünfminütiges Gespräch Frankfurt-Hamburg vom Terminal 2 des Frankfurter Flughafens, wo 3C Communications unlängst neben der Delta-Lounge ein „Calling Center“ eingerichtet hat, schlägt sich so auf der Kreditkartenabrechnung mit 17,19 Mark nieder. Zuschlag gegenüber einem Kreditkartentelefon der Telekom: 155 Prozent.
Der zweite Anbieter benimmt sich korrekter. Jedes Gerät der Wellcom Secur Computer Systems GmbH listet übersichtlich sämtliche Preise auf. Obendrein betreibt Wellcom eine kostenlose Hotline und druckt Quittungen mit Verbindungsdaten und Mehrwertsteuernachweis aus.
Billig ist der Kreditkartenapparat dennoch nicht: Für jeden Telekom-Zählimpuls berechnet Firmengründer Hans Weller 35 Pfennig – zuzüglich drei Mark Grundgebühr und alle zehn Sekunden 15 Pfennig Zuschlag. Damit kostet Anrufer das Fünf-Minuten-Gespräch zwischen Hamburg und Frankfurt 16,95 Mark. Fast so viel wie beim privaten Konkurrenten 3C Communications.
Da lohnt es sich, auf einen freien Kreditkartenapparat der Telekom zu warten. Mit 6,75 Mark für fünf Minuten stellt der Kommunikationsriese bei weitem das billigste Angebot für Kreditkartennutzer. Zumindest derzeit noch. „Wir hoffen, daß wir unsere Preise in Flughafenlounges bald selber festlegen dürfen“, sagt Telekom-Sprecher Stephan Althoff. Eine Untersuchung zum Thema läuft gerade beim Bundespostministerium.
Am meisten sparen Reisende sowieso mit den Standard-Telefonkarten der Telekom. Damit kostet die Tarifeinbeit am öffentlichen Apparat 20 Pfennig – nur acht Pfennig mehr als beim Telefonat von zu Hause.
Online-Dienste brauchen Werbeeinnahmen, um Profit zu machen. Noch fehlen Konzepte, die die Verbraucher akzeptieren.
McDonald’s war dabei. Bei der Premiere des Microsoft Network (MSN) prangte das Logo des Hamburger-Konzerns auf jeder Newsseite. Damit profitierte der Klopsebrater indirekt von dem gewaltigen Marketingrummel, den Microsoft um seine Software Windows 95 und den Online-Dienst MSN inszenierte.
Was der Reklamegag gekostet hat, wird streng geheimgehalten. Es war so etwas wie ein Testlauf. Eine Preisliste für Annoncen gibt es im Microsoft-Netz noch nicht. Auch die dazugehörige Software Blackbird, die eine genaue Selektion der Zielgruppen möglich machen soll, kommt erst zum Jahresende heraus.
Werbung in Online-Diensten steckt noch in den Kinderschuhen. Dabei ist sie langfristig von größter Bedeutung. „Die Aboerlöse werden in den Hintergrund treten“, erwartet Berthold Stukenbröker, Partner der Consulting Trust in Ratingen bei Düsseldorf. „Die Online-Dienste“, sekundiert eine Studie der MGM Media Gruppe München, „werden nur über Werbung finanzierbar sein.“
Auch die Diensteanbieter, die sich zunehmend auf dem Internet tummeln, brauchten die zusätzlichen Geldquellen – vor allem um die Anlaufverluste möglichst gering zu halten. Wer etwa unter der Adresse http://nytimesfax.com die vor wenigen Wochen installierte Kurzausgabe der „New York Times“ aufruft, erblickt zuerst ein Logo des Hardwareanbieters Insight.
Beim Microsoft-Dienst sind Einnahmen aus Werbung und Marketing von Anfang an fest eingeplant. Fachverlage wie IDG („PC-Welt“) oder Vogel („Chip“) können, wenn sie demnächst mit Online-Ausgaben ihrer gedruckten Titel auf den Markt gehen, Teile ihrer Bildschirmseiten an ihre Inserenten vermieten. MSN, eine 80prozentige Tochter der Microsoft Corp., hat Anspruch auf 20 Prozent der Erlöse. An Reisen, die via PC und Modem gebucht werden, will Multimilliardär Bill Gates ebenso mitverdienen wie am Versandhandel im Cyberspace. Für jedes Geschäft, das über seine Datenleitungen läuft, kassiert MSN eine Provision von mindestens fünf Prozent. Vorteil für den Verbraucher: Dank dieser Mischfinanzierung halten sich die Kosten für die Nutzung des MSN mit einer Pauschale von 14
Mark pro Monat für maximal zwei Stunden Netzsurfen in Grenzen.
Damit ist automatisch der Kalkulationsrahmen für die Nachzügler festgezurrt. Denn Microsoft hält im Grand Prix der neuen Online-Dienste die Poleposition. In der kommenden Weihnachtssaison wird MSN für neun von zehn Computerkäufern das einzige Datennetz sein, dessen Zugangssoftware sie fix und fertig installiert auf der Festplatte vorfinden werden. MSN ist Bestandteil von Windows 95. Die Herausforderer Bertelsmann und Europe Online, die demnächst an den Start gehen, müssen ihr Publikum dagegen erst einmal motivieren, die für die Nutzung dieser Dienste nötigen Kommunikationsprogramme eigenhändig auf die Festplatte zu kopieren.
Daher dürfte es für die Nachzügler schwer werden, die ehrgeizigen Ziele zu erreichen. Bertelsmann-Vorstandsmitglied Thomas Middelhoff beispielsweise hatte noch im Frühjahr getönt, das Joint Venture mit dem US-Marktführer America Online (AOL) werde zur Jahrtausendwende mit über einer Million Mitgliedern mehr als eine Milliarde Mark Umsatz erwirtschaften – eine Rechnung, die nicht einmal ansatzweise aufgeht, wenn nicht Werbekunden oder Sponsoren den Löwenanteil der Kosten tragen. Doch genau da tut sich der Mediengigant aus Gütersloh schwer: Die kritischen deutschen Kunden dürften nicht mit aufdringlicher Reklame verschreckt werden, heißt es.
Auch der Burda-Dienst tastet sich vorsichtig an die neuen Werbemöglichkeiten heran. Am Fuß jeder Bildschirmseite ist Platz für einen kleinen Hinweis auf Werbung an anderer Stelle. Informationsanbieter (und damit vor allem die an Europe Online beteiligten Medienkonzerne) können diese Fußleistenanzeigen an ihre Werbekunden vermieten – ein Verfahren, das nicht neu ist. In Bildschirmtext wird es seit Jahren praktiziert, etwa bei der Telefonauskunft der Detemedien oder bei der Düsseldorfer BBDO-Interactive-Tochter Infoplus.
Doch das ist schon alles. Mit eingeblendeten Grafiken, Bildern oder Logos, über die man bestenfalls zu mehr Informationen oder einem interaktiven Spielchen gelangt, erschöpft sich die Phantasie der Online-Werber. „Alles erinnert an die Printmedien“, findet Consultant Stukenbröker. Pech für die inserenten: „Noch bevor die Werbebotschaft auf dem Bildschirm erscheint, haben die Netzsurfer das Bild weggeklickt“, sagt Ingo Hamm, Leiter des virtuellen Forschungsinstituts
Netvertising (http://www.bwl.uni-mannheim.de/Hamm).
Ein denkbarer Ausweg aus der Werbemisere wäre, den Anwender mit einem konkreten Nutzwert zu locken. So wäre es technisch überhaupt kein Problem, eine regionale Gebrauchtwagen-Datenbank einzurichten, in der man sein Wunschfahrzeug suchen kann – etwa einen grünen Passat Variant Diesel ab Baujahr 1990 mit Schiebedach, der höchstens 15000 Mark kostet. Fast alles, was die Tagespresse in unübersichtlichen Rubriken abdruckt, könnte gleichzeitig in einer komfortablen Online-Version verbreitet werden: von der Hobby-Fundgrube über Wohnungsinserate bis zum Stellenmarkt. Und das, bei Bedarf, multimedial aufbereitet.
Wie so etwas geht, zeigt der New Yorker Online-Dienst Metroconnect Inc. in New York, der Anfang des Jahres seinen Probedienst aufgenommen hat. Zu den Tricks, die Metroconnect beherrscht, gehört etwa die automatische Buchführung über Anfragen und Bestellungen. Ist beispielsweise ein beworbenes Kontingent an Theaterkarten ausverkauft, nimmt der Computer das Inserat automatisch aus dem Netz. Für Bertelsmann-Vorstand Middelhoff sind solche virtuellen Anzeigenblätter jedoch nicht mehr als eine „Vision am Horizont“, obwohl regionale Tageszeitungen am deutschen AOL-Dienst beteiligt werden sollen. Und auch Burda, aus dessen Hause Metroconnect stammt, zog einen Test in New York vor, wohl weil der deutsche Markt dafür noch nicht reif erscheint.
So wird der deutsche Netzsurfer noch länger wenig profihaft gemachte Werbebotschaften ertragen müssen. Selbst renommierten Unternehmen sind dilettantische Auftritte etwa in Telekom-(T-)Online, dem mit über 800.000 Nutzern größten Dienst in Deutschland, anscheinend nicht peinlich. Da quält Mercedes-Benz sein Publikum mit einem grobkörnigen Bildchen der neuen E-Klasse, dessen Aufbau zwei Minuten dauert und das im Vergleich zu einem guten Fernseh-Werbespot so aufregend ist wie eine Klinikpackung Schlaftabletten. Insgesamt ist der Informationsinhalt dürftiger als in jeder Zeitungsanzeige.
Auch Volkswagen hat noch Mühe mit dem neuen Medium. Einsendeschluß des interaktiven Preisausschreibens, mit dem die Wolfsburger im September in T-Online auf sich aufmerksam machen wollten, war der 31. März 1995.
Ulf J. Froitzheim
aus der WirtschaftsWoche 42/1995
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