BJV auf neuem Kurs

Gute Nachricht: Der Bayerische Journalisten-Verband hat einen neuen Landesvorstand. Die Zeit, in der sehr viele Kolleginnen und Kollegen mit in der Tasche geballter Faust herumliefen, ist vorbei. Wir packen’s an und machen den Verband wieder attraktiv.

An dieser Stelle stand bis zum vorigen Wochenende ein längerer Text von der Sorte, die ich nicht gerne schreibe. Er befasste sich mit selbstverschuldeten Problemen, unter denen mein Berufsverband, der BJV, leidet. Die „zehn zähen Jahre“ habe ich diese Zeitspanne genannt, die nicht verdient, als „Ära“ bezeichnet zu werden. Es war eine Zeit, in der viele gute Leute aus Ehrenamt und Hauptamt den BJV verlassen haben, teils im offenen Streit, teils aus Frust, weil nichts voranging und notwendige Projekte nicht angepackt wurden. Es war eine Zeit, in der ein Vorsitzender auf begründete Kritik damit reagierte, den Kritiker zum „notorischen Besserwisser“ zu stempeln. Es war eine Zeit fast feudalistischer Attitüden, eine Zeit der Lagerbildung, eine Zeit demotivierender Erfahrungen. Fast zweieinhalbtausend Mitglieder kehrten dem BJV in diesem Jahrzehnt den Rücken. So, und nun schauen wir bitte alle Agent Jay und Agent Kay in ihr Blitzdings!

Dank einer sehr klaren Entscheidung der Mitgliederversammlung am Samstag können wir jetzt einen Neustart versuchen. Vorgestern, am Sonntag, dem zweiten Tag der Versammlung, durfte ich gemeinsam mit meinem Kollegen Michael Anger als Tagungsleiter einspringen. Vom Podium aus war klar zu spüren: Die Stimmung unter den Aktiven ist gut wie lange nicht mehr. Wir haben es geschafft, die festgefressene Handbremse wieder gängig zu machen. Es wird sicherlich noch etwas quietschen und schleifen, bis wir wieder richtig in die Pedale steigen können, aber dass etwas im Werden ist, haben alle gespürt. 

Ich bin ab sofort wieder mit dabei – als einer von fünf „Beisitzenden“ im Landesvorstand, das sind direkt gewählte Funktionäre und Funktionärinnen. Und meine Hoffnung ist, dass man uns künftig genderneutral als „Funktionierende“ bezeichnet. Denn nur dabeizusitzen, ist wirklich nicht mein Ding.

Und noch etwas ist vom vergangenen Wochenende zu vermelden: Auch in der VG Wort bin ich auf den Stuhl zurückgekehrt, den ich 2019 freigemacht hatte. Bis 2027 vertrete ich die Journalistinnen und Journalisten (und natürlich auch alle, die Sach- und nonfiktionale Drehbücher schreiben oder übersetzen) im Verwaltungsrat. Ich freue mich sehr, dass mein Name auf 94 Prozent der 358 digitalen Stimmzettel ein Häkchen hatte, und bin ehrlich gesagt auch ein bisschen stolz darauf. Herzlichen Dank allen, die mir per Mausklick oder Fingertipp ihr Vertrauen ausgesprochen haben. Es ist mir eine Ehre.

Wenn Journalisten sich streiten

Ein bizarres Geplänkel liefern sich zwei Kollegen in aller Öffentlichkeit – via Twitter und Facebook. Der NDR ist involviert und macht eine unglückliche Figur. Bushido meldet sich zu Wort, Online-Promis wie Sascha Lobo, Stephan Anpalagan und Chan-jo Jun sind irritiert und kommentieren den Vorgang, Medientwitter hat einen neuen Aufreger. Da es um die Berichterstattung über den Nahostkonflikt geht und um problematische Personalien in international arbeitenden Medienhäusern, öffnen und füllen sich rasch lauter Schubladen, in die man jemanden stecken kann. Eine kleine Einordnung und ein bescheidener Friedensappell.

Da nicht alle, die mein Wortgepresstes lesen, die Gegeben- und Gepflogenheiten meiner Branche kennen, zunächst ein paar zum Verständnis wichtige Erläuterungen zur Arbeitssituation und -weise: „Wenn Journalisten sich streiten“ weiterlesen

Die Köch*innen und der Gender-Schluckauf

Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk bemühen sich immer mehr Kolleg*innen, also Kolleginnen und Kollegen, das geschlechtsverwischende Binnensternchen akustisch umzusetzen. Ich muss sagen: Ich bin froher denn je, dass ich nicht beim Radio oder beim Fernsehen arbeite. Aber da mein einstiger Kollege Joachim Herbert das Resultat dieser Herausforderung so schön mit der Wortschöpfung „Gender-Schluckauf“ umschrieben hat, fühle ich mich bemüßigt, ein paar Takte über die praktischen Schwierigkeiten dieser akustischen Innovation zu intonieren.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Die Absicht hinter dem Mit-Schluckauf-Sprechen ist gut. Ja, es ist wirklich gut gemeint. Aber wenn ich nur ganz kurz darüber nachdenke, schaltet mein Gehirn auf Englisch um und flüstert mir, dass students, teachers, butchers, bakers, doctors and nurses nur in einer Form existieren, der man das Geschlecht der Person nicht ansieht. Ob die im Berufs- oder Funktionsbezeichung die im Deutschen als generisches Maskulinum geltende Endung „er“ trägt oder nicht, spielt dabei keine Rolle. In den USA sind sogar Vornamen weit verbreitet, deren Besitzer nicht grundlos „she/her“ beziehungsweise „he/him“ in ihr Twitterprofil schreiben. In manchen Texten der New York Times lese ich einen ganzen Absatz, bis the author (tja, da geht es schon los: welcher bestimmte Artikel ist in unserer Sprache denn bitte genderneutral?) endlich das Geheimnis lüftet, ob ich mir nun eine Frau oder einen Mann vorstellen sollte.

Wer jetzt fragt: „Was geht Dich das an? Wir sind alle Menschen, das ist doch egal“, dem sage ich: Ja, ich will mir das vorstellen können. „Die Köch*innen und der Gender-Schluckauf“ weiterlesen

Rezo oder die Zerstörung der Blauhaarfrisur – Teil IV und Schluss

Lieber Rezo,

Du hast Dich kürzlich bei Deinen Youtuber-Freunden Fabian und Steven hämisch über zwei Themen ausgelassen, die mich beruflich wie demografisch leider triggern: Printmedien und ältere Mitbürger.

Dazu kommt hier der Levitenlesung 4. Teil:

Nicht zerstören, sondern ändern und aufbauen!

Lieber Rezo,

Dir verdankt die deutsche Sprache den Neologismus „Zerstörungsvideo“. Das kann kein Grund sein, stolz zu sein. Die Welt braucht konstruktive Kritik, nicht Destruktion und Disruption. Oder wenn, dann bedarf es der „schöpferischen Zerstörung“ nach Joseph Schumpeter, also der Verdrängung des (vermeintlich) Guten durch das Bessere. Was gut ist, besser und am besten, ist in der Tat eine Frage, die vor allem Deine Generation betrifft, die zugleich die meiner Kinder ist. Wer heute unter 40 ist, muss sich darauf einstellen, die Folgen kurzsichtiger, mutloser und populistischer Umwelt-, Klima-, Entwicklungs- und Migrationspolitik noch mitzuerleben. Wer eine Karriereentscheidung trifft, die auf ein Weiterso hinausläuft, wer sich hedonistisch verhält und ausblendet, welchen Schaden sein Lifestyle oder der Geschäftszweck seiner Firma den Menschen anderswo auf der Erde zufügt, kann die Schuld nicht den Alten in die Schuhe schieben.

Wir Medienmenschen, alte wie ich und junge wie Du, können die Welt zwar nicht retten. Aber wir können das Unsere tun, Informationen zu finden und in verständlicher Form weiterzuverbreiten, mit deren Hilfe das Leben auf diesem Planeten für die Menschheit einigermaßen erträglich bleibt. Wir können Anwälte der Vernunft sein.

In dem Sinne: Du hast es geschafft, die Aufmerksamkeit von Millionen zu wecken. Verspiele dieses Kapital nicht, indem Du Dich sinnlos an der BILD-Zeitung abarbeitest und sagst, „mimimi, die FAZ stellt mir keine gescheiten Fragen“! Zeig, was Du drauf hast, dass Du mehr bewirkst als wir traditionellen Medienheinis!

Falls Du darauf keinen Bock hast: Halt einfach die Klappe.

Rezo oder die Zerstörung der Blauhaarfrisur – Teil III

Lieber Rezo,

Du hast Dich kürzlich bei Deinen Youtuber-Freunden Fabian und Steven hämisch über zwei Themen ausgelassen, die mich beruflich wie demografisch leider triggern: Printmedien und ältere Mitbürger.

Dazu kommt hier der Levitenlesung 3. Teil:

Schluss mit der Verherrlichung des Digitalen!

Du hast studiert. Das geht auch heute nicht ohne Bücher. Ja, viele gibt es als (piratisch kopierte) PDF. Aber da kann man nicht gut an den Rand kritzeln. Ob man am Tablet liest, am großen Bildschirm oder auf Papier, ist keine Frage für ideologische Streitereien. Das Digitale erweitert, wie gestern schon gesagt, die Möglichkeiten, Texte zu lesen, nicht mehr und nicht weniger. Was dem Leser lieber ist, geht keinen etwas an. Niemand sollte auch nur versuchen, andere zu bevormunden. Einen ökologischen Preis hat nicht nur das Drucken, sondern auch das Am-Bildschirm-Lesen. Also hör bitte auf, Dich über Papier-Leser lustig zu machen. Diese alte Leier langweilte uns schon, als Du in die Pubertät kamst.

Wichtiger als der Kampf gegen die Zellstoff verarbeitende Industrie ist, dass Du lernst, welchen Preis die Verwirklichung der alten Vision vom individualisierten, non-linearen Nachrichtenangebot für die Gesellschaft hatte und hat.

Du meinst, eine Tageszeitung sei per definitionem Schnee von gestern, weil wir jetzt das schnelle Internet haben? Blanker Unsinn! Seit bald 100 Jahren erfährt man von allen wesentlichen Ereignissen, bevor dazu eine Zeile gedruckt ist – aus dem Radio. Nach dem Hörfunk kam das Fernsehen, und immer noch wurden Zeitungen x-millionenfach gelesen, ja sie steigerten noch ihre Auflagen. Denn sie vertieften das Wissen über die Ereignisse, von denen man bereits gehört hatte, ordneten sie ein, überprüften Tatsachenbehauptungen und reicherten dies mit Meinungsbeiträgen an. Wer will, kann mittlerweile die Ergebnisse dieser Bemühungen noch am selben Tag lesen, vor dem Schlafengehen, als E-Paper oder in der App.

Ganz ehrlich: Brauchst Du Breaking News 24/7? Reicht es für uns Normalbürger nicht, am Abend zu erfahren, was an einem Tag los war? In guten Zeitungen stehen täglich viele Reportagen und Hintergrundberichte, die man sogar am Wochenende noch mit Gewinn lesen kann – ganz in Ruhe. Die werden nicht in ein paar Tagen irrelevant oder obsolet. Man reißt Beiträge raus, wenn der Rest der Zeitung ins Altpapier fliegt, und dann liegen sie da und erinnern einen von selbst daran, dass man sie noch lesen wollte. Ein Online-Beitrag, den man nicht sofort liest oder anschaut, ausdruckt (!) oder bookmarkt, ist aus den Augen, aus dem Sinn.

Aber sind Zeitungen denn nicht uninteressant geworden? Manche leider ja. Zur Blütezeit der Massenmedien bot die Zeitungslandschaft viel mehr publizistische Vielfalt als heute. Die Verlage konnten sich das leisten, weil sie im Wesentlichen von Rubrikanzeigen lebten (Stellenmarkt, Miet- und Immobilienmarkt, Gebrauchtwagen), die komplett ins Internet abgewandert sind, ohne dass damit noch guter Journalismus querfinanziert würde. Ohne Geld für Honorare, Gehälter und Reisekosten kann man das nicht bieten.

Du mokierst Dich darüber, dass in der B.Z. der gleiche Mist steht, der Dich in der BILD fassungslos macht. Doch das ist heute ein ganz normales Phänomen: Aus Kostengründen bilden auch seriöse, nicht krawallige Verlage „Redaktionsgemeinschaften“ und verkaufen die gleichen Inhalte unter mehreren Medienmarken. Absurderweise führen solche kaufmännisch folgerichtigen, aber publizistisch fatalen Entscheidungen dazu, dass die Rechten von „Gleichschaltung“ fantasieren. Dieses „Narrativ“ glauben auch junge Leute. Du solltest es nicht ungewollt fördern, sondern Deiner Generation erklären, wie es dazu kam – und dass es etwas mit dem Anspruch bereits der frühen Netzbewohnerschaft zu tun hatte, „Content“ (was für ein Unwort) sei zwar „King“, müsse aber zugleich „free“ sein, wobei man „free“ dümmlichsterweise mit „gratis“ statt mit „frei und ungehindert zu erwerben“ übersetzte und die Verlagsmanager so naiv waren, zu glauben, sie könnten diese Nachfrage allein auf Basis von Werbeeinnahmen befriedigen, ohne die Qualität zu opfern.

Und das lineare Fernsehen? Das ist für Dich nicht mehr zeitgemäß? Das sagt nur, wer Scheuklappen aufhat. Das analoge Antennenfernsehen wurde allein deshalb als Massenmedium groß und wichtig, weil – bei einer geringen Anzahl übertragbarer Kanäle – viele Menschen das Gleiche gesehen hatten. Die Fernsehsendungen lieferten der Gesellschaft den Gesprächsstoff. Alle Bürger waren mehr oder weniger auf dem gleichen Informationsstand, bevor sie sich eine Meinung bildeten.

Als Kabel und Satellit eine Fülle an Programmen entstehen ließen, hatten bald nur noch 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung das Gleiche gesehen. Die mediale Angebotsfülle, die zehn Jahre vor dem Web entstand, führte zu einem Boom der Videorekorder: Das non-lineare Fernsehen begann nicht etwa mit den Mediatheken, Netflix oder Youtube, sondern Mitte der Achtziger mit VHS-Kassetten, denen DVDs und Festplattenrekorder folgten. Wir hielten das für eine Befreiung vom Diktat der Programmplaner, schauten aber viele unserer Video-Aufzeichnungen gar nicht mehr an, weil schon wieder so viel Neues kam. Aus Medien für die Masse wurde eine Masse von Medien für Minderheiten. Das video-fähige Breitband-Internet, das Ihr so liebt, verstärkte lediglich diesen Trend. Folge: Wer nicht mehr Fernsehen schaut, trifft außerhalb von Netzcommunities kaum noch Bekannte, die den gleichen Input kennen. Die Öffentlichkeit löst sich auf in winzige Grüppchen.

Von dieser Zersplitterung profitieren Extremisten. Der Traum der frühen Netzaktivisten von Basisdemokratie durch mediale Teilhabe und Autarkie war eine Utopie. Diese kann als gescheitert gelten. Es ist kein Zufall, dass die Jahrzehnte, in denen es den Massenmedien (Print und Funk) gut ging (weil die Nachfrage hoch genug war für einen gesunden Wettbewerb), zugleich die Jahrzehnte waren, in denen es in weiten Regionen der Welt bei relativem Frieden wachsenden Wohlstand für breite Bevölkerungsschichten gab. Dass heute jeder noch so durchgeknallte Spinner per Mausklick eine Community von Leuten mit dem gleichen Spleen findet, macht es jenen leicht, die keinen Konsens und Kompromiss wollen, den Spaltern und Extremisten. Wie soll eine Gesellschaft, geschweige denn eine Staatengemeinschaft, so noch eine Basis finden für nur gemeinsam lösbare Aufgaben wie das Aufhalten des Klimawandels, wenn die Menschen keine gemeinsame Sprache mehr sprechen und jeder überzeugt ist, sein Mikro-Grüppchen habe (alleine) Recht?

Man kann es auch so sagen: Wir haben die Digitalisierung des öffentlichen Diskurses vergeigt, alle zusammen. Ihr Jungen, indem Ihr uns abgebürstet habt: „Ihr Alten versteht das Internet nicht.“ Wir Alten, indem wir uns die Diskurshoheit in Netzfragen widerstandslos haben abnehmen lassen, obwohl wir es besser wussten oder wissen konnten. Schließlich waren wir dabei, als das alles entstand. Die Digital Natives fanden es vor.