Mutmaßliche Nachrichtenredakteure

Nachrichtensendungen im Radio und Fernsehen, aber auch Zeitungsberichte sind für mich zur Zeit schwer erträglich. Es sind nicht nur die grauenvollen Inhalte der Nachrichtenbeiträge, es ist auch der erschreckend unsensible, unpräzise, inkompetente Umgang mit der Sprache.

Der ZDF-Kollege Mitri Sirin, Redakteur im Studio bei heute, ist nur einer von vielen. Dass ich ihn exemplarisch herausgreife, kommt allein daher, dass mir bei seiner gestrigen Sendung etwas besonders drastisch auffiel, das beileibe nicht nur er praktiziert: Formulierungen, die mich fast zu Mutmaßungen darüber treiben, ob der russische Botschafter in Berlin vielleicht heimlich einen Sitz im Fernsehrat erhalten hat. Allerdings müsste dann auch die Süddeutsche Zeitung bedroht worden sein, denn meine Tageszeitung drückt sich sehr ähnlich aus wie „heute“.

Es ging in Sirins Anmoderation und im Bericht von Katrin Eigendorf um die Greueltaten in Butscha. Bekanntlich waren dort die Leichen gefesselter und gefolterter Zivilisten aufgefunden worden. Um passende Worte für die Taten zu finden, muss ein Moderator oder eine Korrespondentin kein zweites juristisches Staatsexamen abgelegt haben. Man kann vielleicht noch darüber streiten, ob die spitzfingerige Distanzierung „sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten“ nur ein tollpatschiges Zugeständnis an die vielen unbelehrbaren Putin-Apologeten im Lande ist, die das deutsche Gebührenfernsehen eh hassen. „Mutmaßliche Nachrichtenredakteure“ weiterlesen

’s Täschli und die Redak-Toren

Nennt die Schweizer Journaille die Affäre um die Zürcher Boutique, in der Oprah Winfrey ihren Pretty-Woman-Moment erlebte, wirklich „Täschligate“? Das ist dann dumm, zu dumm jedenfalls, als dass der stern (von gestern) dies hätte nachplappern müssen.

Erstens: Watergate war der Name eines Hotels, das Tatort einer politisch motivierten Straftat war. Geht es hier um ein Hotel oder eine Straftat? Nein.

Zweitens: Hatte die Straftat etwas mit Wasser zu tun? Nein, wenn man davon absieht, dass das Hotel wohl Zimmer hatte, von denen aus man den Potomac River sehen konnte.

Drittens: Hat Gate – also Pforte, Schleuse oder einfach Tor – mehr mit der Straftat zu tun als das Wasser? Wieder nein.

Viertens: Kandidiert Oprah Winfrey für das Amt der amerikanischen Präsidentin und gehört die Trois-Pommes-Boutique Barack Obama? Auch das nicht, jedenfalls nach allem, was man als Nicht-NSA-Mitarbeiter weiß.

Das einzige, um was es hier geht, ist eine Verkäuferin, die sich wohl krass daneben benommen hat (dass ihre selbstbekundeten Erinnerungen, die denen von Mrs. Winfrey widersprechen, Schutzbehauptungen sind, ist zumindest plausibel, denn die Prominente hätte keinen Grund, so etwas zu erfinden).

Darum sei heute und für alle Zukunft konstatiert: An irgendein Wort „gate“ als Suffix anzuhängen, um besagtes Wort in einen Skandalkontext zu stellen, ist nicht witzig, sondern bescheuert. Ein Journalist, der „Gate“ so verwendet, ist selber einer: ein Tor. Er handelt redak-töricht.

P.S.: Gerade lese ich bei Techdirt in einem Leserkommentar „Prismgate“. Es ist eine Sucht. Addictiongate.

Wie viel ist 1000-mal weniger?

Diese Frage richtet sich stellvertretend an Dr. med. Werner Bartens vom Wissenschaftsressort der Süddeutschen. Der Kollege sollte es wissen, er schreibt von Phänomenen wie der Senkung des Krankheitsrisikos um das 1000-fache.

Ich mit meinen bescheidenen Mathematikkenntnissen steige beim Anblick solcher Formulierungen regelmäßig aus. Für mich ist das 10-fache eine Steigerung um 900 Prozent, das 100-fache eine solche um 9900 Prozent, das 1000-fache gar eine um 99900 Prozent. Bei einer Steigerung um das 1000-fache wiederum bekomme ich 1+1000=1001 mal 100 Prozent, also 100100 Prozent des Ausgangswerts. Soweit noch alles klar?

Wenn ich nun einen Wert um sein 1000-faches, mithin um 100000 Prozent senke, lande ich bei 100000-100 = 99900 Prozent. Wenn das möglich ist, gibt es offensichtlich etwas besseres als das so genannte Nullrisiko, welches man bei bereits einer unspektakulären Senkung des Risikos um das Einfache alias 100 Prozent erreicht: ein Negativrisiko, also eine Chance. Um ein 100-prozentiges Risiko in eine 100-prozentige Chance zu verwandeln, reicht es „Wie viel ist 1000-mal weniger?“ weiterlesen

„Scuffgate“: Handelsblättler greifen ins Water-Loo

Kollege Niggemeier nervt zwar manchmal, aber nicht selten hat er Recht. Neulich sprach er mir wieder mal aus der Seele mit diesem Medienlexikon zum Thema „gate“. Irgendwie hat es sich eingebürgert, bei Pannen, Peinlichkeiten und Skandalen jeder Art ein Schlagwort mit dem Pseudo-Suffix „gate“ zu bilden, und Stefan Niggemeier weist dankenswerterweise darauf hin, dass es sich beim Namensgeber keineswegs um einen Wasserskandal handelte. „Watergate“ bedeutet in der Tat einfach nur „Schleuse“; das Watergate-Hotel hätte in Old Europe „Hotel zur Schleuse“ geheißen.

Diesen Fingerzeig haben die Kollegen vom Handelsblatt leider übersehen. Sie plappern nämlich das Wort „Scuffgate“ nach. Wollte man Scuffgate übersetzen, käme dabei das dadaistische Wort „Wetzgatter“ heraus.

Wer solchermaßen vor der Sprache kapituliert, von dem kann man sagen, er erlebe sein Waterloo. Kürzen wir analog zu Watergate das Water weg, bleibt ein trockengelegtes „Loo“. Und das heißt auf Deutsch schlicht und ergreifend „Klo“.

Nicht unpassend für einen linguistischen Griff in dasselbe.

Weniger Pathos, mehr Tacheles!

„Mein“ Verband, der Bayerische Journalisten-Verband (BJV), und sein gesamtdeutscher Dachverband DJV haben eine seltsame Angewohnheit. Von Zeit zu Zeit nutzen sie ihre „innerverbandlichen“ Versammlungen zur Verabschiedung mehr oder weniger pathetischer Deklarationen, die den gesammelten Frust der Delegierten über alle halbwegs relevanten Missstände des Medienwesens auf einem Blatt Papier konzentrieren und von den Adressaten zuverlässigst ignoriert werden.

Diese gut gemeinten Statements, denen man gemeinhin aus falscher Höflichkeit zustimmt, kommen zumeist als nach dem Tagungsort benannte Erklärungen daher. Da der diesjährige DJV-Verbandstag in Würzburg zusammentrat, also auf dem Hoheitsgebiet des BJV, bescherte uns der Verband also diesmal auf maßgebliches Betreiben des BJV eine „Würzburger Erklärung“.

Ich weiß, dass ich mir jetzt wieder Feinde mache, aber mir ist diese Deklaration peinlich.

Sie ist mir peinlich, weil sie – nicht zum ersten Mal – offenbart, wie unproduktiv und wie wenig kreativ diese ritualisierten Hauptversammlungen sind. Wenn der Verbandstag ein Berg ist, dann kam er in Würzburg mit einem rhetorischen Mäuslein nieder. Bestenfalls erwecken wir mit diesem Text Mitleid. Man muss sich das vorstellen: Wir Journalisten appellieren an den Gesetzgeber, dass er bitte für anständige Arbeitsmöglichkeiten in/bei anständigen Medienunternehmen sorgen möge!?!?! Wie naiv ist das denn?

Machen Sie sich, macht Euch einfach selbst ein Bild davon, wie die größte Journalistenvereinigung im Land zum x-ten Mal über längst bekannte Entwicklungen lamentiert, statt konkrete und realistische Forderungen an diejenigen zu richten, die etwas ändern könnten.

Hier noch mal der Link zum Original – und wenn Sie mein Senf dazu interessiert, gibt’s hier noch mehr zum Thema: „Weniger Pathos, mehr Tacheles!“ weiterlesen