Globales Dorf nur für Städter

aus Computerwoche Spezial 5/1998

Infrastruktur – Standortfaktor Netztechnik

Niedrige Steuern und eine verkehrsgünstige Lage genügen heute nicht mehr, um einen Wirtschaftsstandort attraktiv zu machen. Ein guter Anschluß an die globale Infobahn ist mindestens ebenso wichtig. Das Stadt-Land-Gefälle droht trotz neuer Techniken für die „Letzte Meile“ größer zu werden.

Wolfgang Clement ist der erste Ministerpräsident in Düsseldorf, der sich nicht mehr mit kohlschwarzem Gesicht und Grubenlampe auf dem Kopf vor den Kameras der Journalisten aufzubauen braucht, um beim Wählervolk anzukommen. Kaum jemand weiß besser zu vermitteln als der Nachfolger von Johannes Rau, daß die wahren Bodenschätze an Rhein und Ruhr heute in einer Teufe von wenigen Dezimetern lagern, mitten in den Städten unter dem Trottoir. Sein Nordrhein-Westfalen ist das erste Bundesland, das diese erst wenige Jahrzehnte alte Ressource zielstrebig auszubeuten trachtet: Kohle machen ohne Zeche.

Daß die allgegenwärtige Kupferdoppelader, mit der die Telekom die Teilnehmer an ihre Ortsvermittlungen angeschlossen hat, zum wertvollen Rohstoff avanciert ist, liegt an einer Technik namens Asymmetric Digital Subscriber Line (ADSL). Hinter diesem Fachausdruck, unter dem sich bis vor zwei, drei Jahren nur hauptberufliche Nachrichtentechniker etwas vorstellen konnten, verbirgt sich eine hochkomplexe Signalverarbeitungssoftware, die selbst voluminöseste Multimedia-Inhalte so dicht zusammenpackt, daß sie durch normale Telefonstrippen passen. Seit dem Frühsommer testet die Telekom diesen potentiellen ISDN-Killer in Dortmund, Düsseldorf, Köln und Bonn; für die bisherigen High-Tech-Hochburgen München, Stuttgart und Frankfurt hieß es erst einmal: „Bitte warten!“

Dem Rau-Erben Clement, der die lange Wartezeit bis zu seiner Beförderung im Ministerium für Wirtschaft und Technologie zugebracht hat, geht der Fachjargon der Telekommunikatoren längst genauso locker über die Lippen wie seinem Vorgänger die Bergmannssprache. „Globales Dorf nur für Städter“ weiterlesen

Blinde Bosse

Um den Produktionsfaktor Information besser zu nutzen, treten jetzt die Chief Information Officer an.

 

WIRTSCHAFTSWOCHE 11/1998

Die Sprücheklopfer der EDV-Steinzeit lagen gar nicht so falsch mit der Auswahl ihrer Angriffsziele. Ein Chef, der seinen Betrieb ruinieren wolle, hänselten sie beim Mittagstisch die Programmierer, habe drei Möglichkeiten: Am schönsten sei es mit einer Geliebten. Am schnellsten gehe es in der Spielbank. Die sicherste Methode jedoch sei die Anschaffung eines Computers.

Die meisten Geschäftsführer entschieden sich damals offenbar für die dritte Variante. Heute schieben jedenfalls Softwareexperten in aller Welt kräftig Überstunden, um zu verhindern, daß aus dem Kantinenspott der Hippiezeit bitterer Ernst wird. Überall lauern digitale Zeitbomben, die irgendwann während der letzten 30 Jahre ohne böse Absicht scharf gemacht wurden: Gelingt es den Computerleuten nicht, bis zum 31. Dezember 1999 in sämtlichen Programmen alle traditionellen Datumsfelder (Schema: TT.MM.JJ/01.01.00) aufzustöbern und die Jahreszahl auf vier Ziffern zu verlängern, beginnt für sie das erste Jahr des dritten Jahrtausends womöglich mit einem geschäftlichen Super-Gau. Schon eine einzige Doppelnull an der falschen Stelle kann eine virtuelle Zeitreise ins Jahr 1900 auslösen, die vielleicht nicht zum Ruin des ganzen Unternehmens, aber zu unkalkulierbaren Betriebsausfällen und massivem Ärger mit den Kunden führt.

Das „Jahr-2000-Problem“ ist symptomatisch für den distanzierten Umgang vieler Konzernlenker mit der Informationstechnik. Als handle es sich um den Fuhrpark, delegieren sie das Thema am liebsten an den Kassenwart – und damit an den Falschen. „Finanzvorstände achten auf Kriterien wie Zuverlässigkeit, Kosten- und Termintreue“, moniert der Münchner Managementberater Helmuth Gümbel, „welche Wettbewerbsvorteile eine neue Technik bringt, ist für sie von untergeordnetem Interesse.“ Darum fallen auch Versäumnisse erst auf, wenn sie ins Geld gehen.

In kaum einem Bereich verlassen sich Bosse so blind auf das Urteil interner und externer Spezialisten wie in der Informationstechnik. Zwei bis drei Prozent vom Umsatz – mitunter Milliardenbeträge – pumpen Vorstände von Banken und Versicherungen, von Handelsgruppen und Speditionen, von Fluggesellschaften und Autoherstellern jedes Jahr in Unterhalt und Modernisierung ihrer weitverzweigten Computernetze. In der Hoffnung, die Wettbewerbsfähigkeit ihres Unternehmens
zu verbessern, steigern sie bedenkenlos dessen Abhängigkeit von Softwarepaketen, deren Komplexität selbst Fachleute nur mit Mühe durchdringen.

Dabei geht ihnen offenbar selbst der kaufmännische Überblick verloren. „Nicht einmal zehn Prozent der Vorstände“, schätzt der Leonberger Branchenveteran Bernhard Dorn, seien sich darüber im klaren, wieviel Geld sie in die Informationstechnik stecken. Dom muß es wissen: Als IBM-Geschäftsführer hat er der Topriege der deutschen Wirtschaft jahrelang sündhaft teure Großrechner samt Software, Service und Zubehör verkauft.

In seiner neuen Funktion als selbständiger Unternehmerberater will Dorn seiner Kundschaft jetzt helfen, das Instrumentarium der Hardware- und Softwareindustrie professioneller einzusetzen. Der Ex-Vertriebsmann erinnert die Vorstände an eine alte Empfehlung einschlägiger Consultingfirmen: Wer in der Informationsgesellschaft bestehen will, solle sich kompetente Unterstützung in die Chefetagen holen – am besten das, was die Amerikaner Chief Information Officer (CIO) nennen.

Der typische CIO ist ein Wanderer zwischen den Welten: Sein Hauptquartier ist der Markt, auf dem das Unternehmen verwurzelt ist; von dort aus unternimmt er seine Expeditionen in die Gefilde der Computerei. Wenn es um die Vergabe solcher Jobs geht, haben phantasielose Technokraten aus der EDV schlechte Karten; technisches Verständnis wird zwar erwartet, gilt aber als Sekundärtugend. „Diese  Leute müssen etwas von Informationskonzepten verstehen und vom Geschäft“, postuliert Helmuth Gümbel, „Techniker, die etwas verdrahten, findet man immer.“

Während hierzulande die ersten Visitenkarten mit der importierten Berufsbezeichnung in Umlauf kommen – Chief Information Officers gibt es zum Beispiel bei Bahn und Bertelsmann, Rheinmetall und Siemens – pokern cros in den USA bereits ihre Gehälter hoch. Für diese Manager im Alter zwischen 30 und 40, die als Kommunikationsstrategen über einen direkten Draht zum großen Boß verfügen, ist ein Jahressalär von 300000 Dollar nicht ungewöhnlich. „Seit drei Jahren beobachten wir weltweit eine unglaubliche Nachfrage nach CIOs“, bestätigt Tilman Gerhardt, Koordinator Informationstechnik bei der Personalberatung Egon Zehnder International GmbH in München,
„die Nachfrage ist immens.“

Besonders bei amerikanischen Banken sind gute Leute so begehrt, daß ein hochkarätiger CIO einschließlich Erfolgsprämie bis zu zwei Millionen Dollar pro Jahr mit nach Hause nehmen kann. Aber nicht nur die Vergütung ist hoch, auch der Anspruch. „New Enablers“ hätten die CIOs zu sein, meint das US-Magazin „Farbes“, Leute, die ein Unternehmen in die Lage versetzen, etwas zuvor für unmöglich Gehaltenes zu tun.

Für Menschen mit solchen Talenten kann der CIO-Posten ein Sprungbrett nach ganz oben sein. So beförderte Amerikas größte Bank Chase Manhattan kürzlich ihren obersten Informationsmanager Denis O’Leary, unter dessen Aufsicht die Chase-Rechner täglich zwei Billionen Dollar umwälzten, zum Vizechef des weltweiten Privatkundengeschäfts. Von der Ausbildung her Volkswirt und klassischer Banker, glaubt der 41jährige EDV-Autodidakt O’Leary: „Wer im Banking gut sein will, muß die Technik beherrschen.“

Nicht nur dort. „In der Medienbranche wächst die Informationsverarbeitung aus ihrer Dienstleisterrolle heraus und wird zum Geschäft“, erklärt Michael Behrens, CIO bei Bertelsmann und gleichzeitig Chef des konzerneigenen Systemhauses Media Systems. „Damit bekommt die CIO-Funktion einen zusätzlichen unternehrnerischen Aspekt.“

Als Helmut Grohmann 1993 von Thyssen zur Deutschen Bahn (DB) wechselte, gab es seinen heutigen Titel noch nicht. Der Eisenbahn-CIO und Ex-IBM-Mann begann als Chef des Bereichs Informationsverarbeitung (IV). Erst Ende 1996 überredete Bernhard Dorn die DB-Führung, die nach Jahren der Mangelverwaltung ein konzernweites Informationsmanagement etablieren wollte, mit dem CIO-Konzept auch die Bezeichnung einzuführen. „Ich habe ein Störgefühl mit dem Namen“, gesteht Grohmann, „Chief Operating Strategist wäre mir lieber.“ Dafür lobt der Manager mit Doppelstudium Betriebswirtschaft und Elektrotechnik die Kooperationsbereitschaft seiner Vorgesetzten: „Ich habe Zugang zu allen Vorständen.“ Direkt unterstellt ist er freilich nach alter Sitte dem Finanzchef.

Während andere Konzerne erst einmal klein anfangen, wird bei Siemens in München richtig geklotzt. Im vergangenen Jahr berief der Zentralvorstand des Elektromultis mit Chittur Ramakrishnan den ersten Konzern-CIO. Der 47jährige Ramakrishnan, weit im Konzern herumgekommen und eine Zeitlang Chef der Auslandsrevision, sieht seine Aufgabe zwar durch die Brille des Kaufmanns, aber nicht durch die eines Sparkommissars: „Die Investitionen, die uns strategische Wettbewerbsvorteile verschaffen sollen, werden gleichbleiben oder sich sogar erhöhen.“

Ramakrishnans Ehrgeiz geht dahin, Heinrich von Pierers Vision vom Unternehmen als „lernender Organisation“ umzusetzen, in der jeder Mitarbeiter an jedem Standort jederzeit Zugriff auf das benötigte Wissen hat. Und weil der Konzern festgestellt hat, daß der Dienstleistungsanteil
an seiner Wertschöpfung stetig wächst, hat die CIO-Organisation auch noch eine Infrastruktur zu schaffen, die es erlaubt, beliebige Siemensianer ad hoc zu virtuellen Teams zusammenzuschalten – egal, in welcher Region oder Tochterfirma auch immer.

Formale Macht hat der kosmopolitische Manager, der als Inder jahrelang die Interessen seines deutschen Arbeitgebers in den USA vertrat, allerdings nicht. Er sieht sich als Diplomat, dem es zugute kommt, daß er im Laufe eines Vierteljahrhunderts „die meisten handelnden Personen“ kennengelernt hat. Eines seiner ersten Erfolgserlebnisse ist, daß mehrere Mitglieder des Zentralvorstands das interne E-Mail-System nutzen, dessen konzernweite Vereinheitlichung zu den Jobs der CIO-Mannschaft gehört. „Die Vorstände lassen sich die E-Mails nicht durch ihre Sekretariate filtern und antworten auch selber.“

Zu von Pierers Vision vom Kulturwandel gehört freilich mehr als der reibungslose Versand von E-Mails. Wolfgang Heimsch, CIO der Siemens Nixdorf Informationssysteme, wird sich künftig die Arbeit mit einem Chief Knowledge Officer (CKO) teilen, der sich gerade einarbeitet. „Der CKO analysiert, wer welche Informationen braucht und wo er sie innerhalb der Organisation bekommt“,  umreißt Heimsch das Konzept, „der CIO sorgt dafür, daß die Technik dies wirtschaftlich in die Tat umsetzt, und der Personalchef kümmert sich um die Schulung der Mitarbeiter, die diesen Kulturwechsel mitmachen sollen.“

Jemanden, der die Geschäftsprozesse des ganzen Konzerns neu gestalten soll, nach dem Vorbild der Chase Manhattan Bank direkt dem Vorstandsvorsitzenden zu unterstellen, dazu konnten sich bisher allerdings weder die Bahn noch Bertelsmann oder Siemens durchringen. Zumindest Berater Gümbel hält das für einen Fehler: „Selbst bei einem CIO wie Ramakrishnan würde eine direkte Anbindung an die Unternehmensspitze die Produktivität um ein Vielfaches steigern.“

ULF J. FROITZHEIM

Wissen isst Macht

Unternehmen lassen wertvolles Wissen ihrer Mitarbeiter brachliegen. Sie könnten diesen Produktionsfaktor leichter erschließen, meint der Organisationspsychologe Lutz von Rosenstiel, wenn Schulen und Universitäten ihre Methoden konsequent modernisierten: Statt Lehrbuchwissen zu pauken, sollen die Schüler lernen, sich jederzeit aktuelles Wissen anzueignen – und es mit anderen zu teilen. Darum macht sich der Münchner Professor, im Nebenjob Prorektor der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), für das neue Studienfach“ „Wissensmanagement“ Stark.

Wenn es nach den Propheten der Informationsgesellschaft geht, liegt das Wissen der Welt vor uns wie ein aufgeschlagenes Bilderbuch. Praktiker klagen aber, in der stetig anschwellenden Datenflut fänden sie nur noch unter größten Mühen die relevanten Informationen. Geht es Ihnen manchmal ebenso?

Natürlich. Auch für uns an der Uni ist die Wissensflut ein Problem. Wir haben 20 Fakultäten mit 120 Studiengängen; da gibt es Berge von Papier, massenhaft Seiten im Internet, und keiner findet mehr durch . Von Kollegen hören wir immer dieselbe Doppel-Klage: Mal heißt es „wir sind nicht informiert worden“, mal „wir ersticken an den vielen Informationen“.

Relevanz wird offenbar unterschiedlich beurteilt: auf der einen Seite ungezügelter Mitteilungsdrang, auf der anderen niemand, der das Mitgeteilte braucht.

Ich nenne Ihnen ein Beispiel, unter dem ich leide: In allen Fakultäten gibt es sehr viele Sitzungen, und viele Fakultäten schicken jedes Sitzungsprotokoll an jedes Mitglied des Rektoratskollegiums. Solche Protokolle haben häufig 15, 20 Seiten. Bei 20 Fakultäten entsteht so jede Woche ein dickes Buch…

…Junk-mail auf bürokratisch!

Ja. Das ist genau der Punkt.

Ihre Lösung?

Wir bauen ein internes Netz, wo man diese Texte nach Klassifikationen abrufen kann. Das ist der eine Weg. Der andere sind regelmäßige Treffen des Rektorats mit den Dekanen „verwandter“ Fakultäten; die sieben geisteswissenschaftlichen treffen sich zum Beispiel mit mir. Wir besprechen die relevanten Dinge, da wird wirklich hingehört. Beides ergänzt sich: die direkte zwi schenmenschliche und die EDV-gestützte Kommunikation.

Und dabei machen alle mit?

Je nach Bereich und Person ist das unterschiedlich. Zum Teil bevorzugen die Kollegen noch Kärtchen. Einer spielt mit seiner Kärtchenmethode sogar die anderen an die Wand. Weil er genau im Gedächtnis hat, wo was ist. Wir können ihn schlecht auf EDV zwingen. Aber wenn er geht, ist sein Wissen verloren. Dies ist das Dilemma. Wenn ein kompetenter Mensch seinen Arbeitsplatz verläßt, ist sein Wissen dann total verloren? Oder hat die Organisation von ihm gelernt?

Was tut die Uni München, damit der akademische Nachwuchs sein Wissen eben nicht auf Kärtchen hortet?

Für neu angekommene Studenten gibt es jetzt in fast allen Fächern Einführungstage mit Führungen durch die Bibliotheken. Dabei zeigen wir ihnen Programme, die über Such begriffe finden, was man braucht. In der Schule wird dies nicht vermittelt. Leider sind diese Datenbanken fachspezifisch und für interdisziplinäres Arbeiten nicht geeignet. Dies ist ein Grund, weshalb wir einen neuen Studiengang planen: für Wissensmanagement. Da soll man konkret lernen, wie man interdisziplinär Wissen austauschen kann.

Wen haben Sie dabei im Auge?

Psychologen, Soziologen, Informatiker, Wirtschaftswissenschaftler, möglicherweise Kommunikationswissenschaftier… Für Betriebswirtschaftler ist es als Nebenfach interessant, um bessere Manager zu werden.

Ihr erklärtes Ziel, das Wissen von Einzelnen der gesamten Organisation zur Verfügung zu stellen, widerspricht dem gewohnten Führungsprinzip „Wissen ist Macht“.

In der Wirtschaft ist das Problem mit dem Herrschaftswissen sicherlich stärker ausgeprägt als bei einer Behörde: An der Uni hat man eine gesicherte Lebenszeitstelle, als Professor gefährde ich mich nicht durch die Preisgabe meines Wissens. Dagegen ist das, was Walter Volpert „Die Enteignung der Experten“ nennt, in der Wirtschaft eine im Extremfall existentielle Bedrohung. Wenn man bedenkt, daß es heute Software gibt, die einen Arzt bei medizinischen Diagnosen übertrumpft oder einen Schachgroßmeister schlägt, kann man verstehen , warum viele Fachleute ihr Wissen lieber für sich behalten. Wenn ich etwas ins Intranet meiner Firma gebe, wird es spontan Besitz der Organisation. Ich verliere die Macht, es dem einen zu sagen und dem anderen nicht. Von daher sind viele Unternehmen nicht gerade Vertrauenskulturen, sondern eher Mißtrauens-, ja Verschlossenheitskulturen.

Wie läßt sich das ändern? Mißtrauenswürdige Abstauber und Trittbrettfahrer mit Talent zur Selbstinszenierung gibt es doch tatsächlich…

…sicher…

…und die schreiben nicht in ihren Bewerbungsbogen rein, dass sie sich immer nur mit fremden Federn geschmückt haben.

Das ist wohl wahr. Empirische Studien zeigen, daß junge Führungskräfte, die ihre Kommunikationszeit vor allem darauf verwenden, ihre Mitarbeiter zu fördern, zwar mit ihrer Gruppe gute Leistungen erbringen. Rasch Karriere machen trotzdem diejenigen, die ihre Zeit nutzen für die Bildung von Koalitionen, für Mikropolitik und Beziehungspflege. Die anderen machen weniger Karriere – oder zumindest langsamer. Die Unternehmen fallen auf die Blender rein.

Was soll ein Unternehmen tun, wenn es das Wissen seiner guten Leute – etwa im Intranet – für alle zugänglich machen will?

Es muß dem Konzept „Wissen ist individuelle Macht“ andere Anreizsysteme gegenüberstellen. Werde ich belohnt für individuelle Leistung, wird es leicht ein Nullsummenspiel: Ich erinnere mich an einen Fall, wo ein Kaufhaus-Filialleiter wegen eines solchen Bonussystems lieber mit einem Konkurrenten kungelte, als seinem firmeninternen Rivalen aus der Nachbarstadt zu mehr Umsatz zu verhelfen. Steht aber der Geschäftsprozeß oder das Team im Mittelpunkt, wird das – finanzielle oder ideelle – Belohnungssystem anders aussehen: Wenn die Belohnung ein Mix ist aus individueller Leistung und Gruppenleistung, dann ist jeder interessiert, sein Wissen einzubringen, um die Gruppe zu optimieren.

Wenn Geld nicht alles ist, was motiviert die Menschen dann, sich zu öffnen?

Freiräume, die man ihnen gibt: Strenge Hierarchien sind weniger konstruktiv und produktiv, weil die Informationskanäle zu lang sind – jede Information muß den Dienstweg einhalten. Ein Doktorand von mir hat in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen zweier großer Elektronikunternehmen untersucht, welche Faktoren Produkt- und Prozeßinnovationen begünstigen. Das Ergebnis: Wichtiger als finanzielle Anreize, wichtiger als Strukturmerkmale der Organisation, wichtiger als Charaktereigenschaften der Personen war die Möglichkeit, außerhalb des Dienstweges mit jedem zu kommunizieren. Und der verstorbene Innovationsprofessor Stephan Schrader aus München hat am Beispiel der amerikanischen Metallindustriefestgestellt, daß besonders erfolgreich diejenigen Unternehmen waren, deren Forschungsmitarbeiter sich mit den Kollegen von der Konkurrenz über aktuelle Entwicklungstrends austauschen durften.

Das setzt das Vertrauen voraus, daß der andere die Informationen nicht ausnutzt und selbst ehrlich Auskunft gibt.

In diesem Fall scheint es geklappt zu haben. Die geheimniskrämerischen Unternehmen waren auch die weniger erfolgreichen. Das ist eine Frage der Kultur. Offenheit darf natürlich nicht Unbedarftheit heißen. Vertrauen bedeutet, in Vorleistung zu gehen mit einer Information, mit der mich der andere schädigen kann. Aber meistens wird dann die Brücke gebaut, auf jeder Seite ein Stein, bis sie sich schließt.

Sind die Amerikaner weniger mißtrauisch als wir in Deutschland?

Scheint so. Studien zur interkulturellen Kommunikation zeigen, daß in Deutschland eher eine Haltung der Verschlossenheit, der formalen Dienstwege herrscht, was natürlich immer Mittelwerte sind. Ausnahmen findet man sowohl bei einzelnen Menschen als auch bei Unternehmen. Es gibt Konzerne, die das Problem erkannt haben. Siemens hat einen Chief Information Officer installiert, Siemens-Nixdorf sogar schon einen Chief Know ledge Officer: Siemens willjetzt – um es mit einem geflügelten Wort zu sagen – offenbar endlich einmal wissen, was Siemens weiß. Die Frage ist natürlich, was eine solche Person tut. Die Einrichtung der Stelle ist zunächst ein Zeichen der symbolischen Führung.

Ein Signal an die Mitarbeiter?

Ja: „Wir nehmen das ernst, es ist uns wichtig.“ Dann wird es komplizierter: Wie müssen die internen Filter aussehen? Welches Wissen ist Spinnerei? Und welches ist wichtig? Gibt es hier Mechanismen, die den Wert des Wissens nicht nur vom Dienstweg und der Position bestimmen, sondern möglicherweise von dem Inhalt, der drinsteckt?

Also muß man Menschen bewerten, kategorisieren, festlegen?

Wissensmanagement beginnt bei der Erarbeitung vernünftiger Kriterien für eine Selektion. Dazu gehört auch, im Sinne der „lernenden Organisation“ das Wissen, das ein einzelner in seiner Zeit der Organisationszugehörigkeit gewonnen hat, ihm beizeiten „abzusaugen“. So könnte derjenige, der bestimmte Erfahrungen gemacht hat, grundsätzlich verpflichtet werden, dies in seinem Kreis zu kommunizieren.

Dies wird nur funktionieren, wenn die Bereitschaft zur Wissensherausgabe die eigene Position festigt.

von Rosenstiel: Wir brauchen ein Leitbild des Spezialisten, der nicht der Wissenshorter ist, sondern der Wissenskommunikator. Das muß belohnt werden. Und das geht in die jährliche Personalbeurteilung ein: „Haben sie Wissen weitergegeben?“

Dazu gehört ein permanentes Monitoring, das doch nur wieder die Angst der Leute schürt: Da oben sitzt jemand, der meine Leistung misst.

Kultur ist wichtiger als Kontrolle. Es muß eine Selbstverständlichkeit sein: „Wenn wir etwas haben, reden wir drüber.“ Es gibt Kollegen, die, kaum haben sie einen interessanten Artikel gefunden, auch darüber beim Mittagessen referieren. Andere schließen ihn sofort weg, damit kein anderer ihn findet.

Beides klingt nicht ideal. Wenn jeder über alles redet, hat doch auch keiner etwas davon.

Stimmt. Es gibt Firmen, in denen gilt der Grundsatz: Wenn einer eine Nachricht über das Intranet an mehr als sieben Leute schickt, hat er nicht nachgedacht. Oder er will nur Wind machen, „schaut her: ich hab was getan“. Es braucht Disziplin beim Sender und Schutz beim Empfänger. Und das ist auch wieder ein Teil der Kultur. Man sagt: „Gib nicht an! Überleg – Dir, für wen das wirklich interessant sein könnte … “

Werden Menschen, Firmen, Organisationen lernen, besser zu unterscheiden zwischen Informationen, die des Langzeitgedächtnisses würdig sind, und solchen, die man sich wegen des kurzen Haltbarkeitsdatums eigentlich nicht über den Tag hinaus merken muss?

Im Augenblick habe ich Zweifel. Die Schule bringt den Schülern den Stoff so bei , als sei erfür die Ewigkeit. Sie lernen nicht, sich aktuell wichtige Infos zu beschaffen. Insofern ist die Methode, Wissen zu erwerben und zu verwerfen, als pädagogisches Ziel wichtiger als Wissensspeicherung. In dem Maß, wie Wissen rascher veraltet und immer wieder neu produziert wird, wird die Methode wichtig. Und nicht mehr der Inhalt.

Das spräche doch, trotz aller Einwände von Kulturkritikern, für „Schulen ans Netz“.

Durchaus. Aktives Lernen ist eine Voraussetzung, die sich im Beruf auszahlt. Wenn das an den Schulen nicht schnell genug vorangeht, sollten Eltern ihren Kindern einen pe mit Modem und einem Budgetfür Onlinenutzung zur Verfügung stell en. Das ist eine wichtige Kulturtechnik. Genau wie ich früher Bücher geschenkt gekriegt habe (die sollen sie auch weiter kriegen), gehört das heute einfach dazu.

Aus dem Microsoft Business Journal 1/1998

Hoher Geräuschpegel*

* erschienen unter „Geld sparen“

Virtuelle Seminare, Studium per Netz – Reformer wollen den Lehrbetrieb effizienter gestalten.

Studenten kennen das Ritual: Semester für Semester referieren Professoren immer gleiche Texte, deren Inhalt sich in schriftlicher Form viel besser aufnehmen ließe. Für den Saarbrücker Wirtschaftsinformatiker August-Wilhelm Scheer gehört dieser Urtypus des Frontalunterrichts ins Museum. „Die Vorlesung ist antiquiert“, wettert Scheer. „Sie stammt aus der Zeit, als es noch keine Bücher gab.“

Scheer, der an der Saarbrücker Universität lehrt und zugleich ein erfolgreiches Softwareunternehmen führt, ist längst weiter. Sein Lehrbuch über Wirtschaftsinformatik ist komplett auf einem Universitätsrechner gespeichert. Die Studenten können sich die Texte per Datenleitung jederzeit auf den eigenen Rechner laden und durchackern. Zudem hat Scheers Lehrstuhl im Internet eine Plauderecke eingerichtet, in der die Studenten via elektronischer Post (E-Mail) fachsimpeln.

Wie Scheer suchen auch andere Hochschullehrer nach Wegen, den schwerfälligen Lehrbetrieb an den Universitäten effizienter zu gestalten. Dabei setzen die Reformer auf die Nutzung neuester Informations- und Kommunikationstechniken. Ganze Arsenale von multimediafahigen Personalcomputern (PC), leistungsstarken Workstations und Videokonferenzsystemen sollen im Verbund mit schnellen Datennetzen die Dozenten von Routinetätigkeiten entlasten, den Studenten mehr Lernautonomie verschaffen – und obendrein die Kosten senken. „Unsere halb bankrotten Universitäten könnten mit einem systematischen Einsatz moderner Kommunikationstechniken viel Geld sparen“, glaubt Peter Glotz. Der SPD-Vordenker baut derzeit als Gründungsrektor die Universität Erfurt auf.

Die Befürworter sehen weitere Vorteile in der Vernetzung. Die Studenten erschließen sich via Internet das Wissen dieser Welt, statt in der Universitätsbibliothek nach längst inaktuellen Büchern anzustehen. Sie schalten sich von zu Hause aus in Vorlesungen und Seminare ein, statt in überfüllten Hörsälen zu sitzen. Bei den Überlegungen steht das pragmatische Konzept der Fernuniversität Pate: Egal, wo und wann die Studenten lernen – Hauptsache, sie beherrschen hinterher den Stoff.

Der Weg zur virtuellen Universität ist allerdings noch weit. Erst einmal sind multimediale Lehrveranstaltungen selbst Gegenstand der Forschung: Was ist die beste Technik? Welche Konzepte sind unter welchen Bedingungen rentabel? Wie muß sich die Didaktik ändern, damit die technischen Möglichkeiten optimal ausgeschöpft werden?

Ermutigt durch eine Empfehlung der Hochschulrektorenkonferenz, neue Kommunikationsmedien stärker für die Lehre zu nutzen, sammeln einige Universitäten erste Praxiserfahrungen. Ob Seminar, Vorlesung oder Tutorium, ob Hörsaal oder Übungsraum – das gesamte Hochschulvokabular bekommt Doppelgänger mit dem Präfix „Tele-“ oder „virtuell“. Eine Erhebung der Rektorenkonferenz zeigt allerdings, daß der Einsatz elektronischer Lernrnedien in den Fachbereichen noch stark auseinanderklafft. Während Informatiker, Physiker und Mathematiker Computer und Internet beinahe wie selbstverständlich nutzen, machen Juristen und Mediziner kaum davon Gebrauch (siehe Grafik Seite 187).

Im vergangenen März führte der Lernpsychologe Hermann Körndle von der Technischen Universität Dresden auf der Computermesse Cebit beispielhaft vor, wie der Studierplatz 2000 aussehen könnte: Als wäre die Uni ein Dienstleister und der Student ihr Kunde, soll dieser künftig in seiner Wohnheimbude online Zugriff haben auf die gesamte Pflichtlektüre seines Studiengangs. Die Dozenten sind verpflichtet, ihre Skripts mit weiterführenden Quellen im Internet zu verbinden. So verplempern die angehenden Akademiker keine Zeit mehr mit Lektürebeschaffung in Büchereien und Bibliotheken. Sie können tagsüber jobben und unabhängig von Öffnungszeiten und starren Seminarterminen ihr Studium vorantreiben – sogar mitten in der Nacht.

Was Körnle „effizientes Studieren“ nennt, würde den Lehrbetrieb an den Hochschulen völlig umkrempeln. Dozenten und Professoren müßten ihr Lehrmaterial komplett neu aufbereiten, die Studenten ihre gewohnte Rolle als passive Rezipienten verlassen. Per Internet durchstöbern
sie vielmehr Datenbanken auf der Suche nach aktuellem Wissen. Sie bestimmen Lemtempo, Lernort und Lernschwerpunkte weitgehend selbst – ungehindert von übereifrigen oder begriffsstutzigen Kommilitonen.

Mit dieser aktiven Rolle kommen längst nicht alle zurecht. Nach ersten Erfahrungen mit kursbegleitenden Internet-Diskussionsforen attestiert Jürgen Ewert, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bank- und Finanzwirtschaft an der Fernuniversität Hagen, den Studenten eine gewisse Medienscheu. Gerade ein Prozent der 8500 eingeschriebenen Teilnehmer habe sich per E-Mail zu Wort gemeldet.

Ähnlich ernüchternde Erkenntnisse sammelte vor zwei Jahren das Institut für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie der Ludwig-Maximilians-Universität München mit einem virtuellen Seminar. Die Teilnehmer hätten sich über E-Mail „eher selten“ ausgetauscht, resümieren Professor Heinz Mandl und sein Doktorand Nicolae Nistor. Bei einer Befragung am Semesterende stellte sich heraus, daß einige Studenten Angst hatten, sich mit naiven Fragen zu blamieren und dies auch noch schriftlich vor aller Augen zu dokumentieren.

Mittlerweile scheinen sich solche Ängste abzubauen. Die Münchner verzeichnen neuerdings eine „hohe Akzeptanz“ – vor allem bei Studenten, denen erst die freie Zeiteinteilung das Studium ermöglicht, etwa alleinerziehenden Müttern. Nach dem fünften Tele-Semester weiß Nistor aber auch, daß nicht jeder mit dem elektronischen Lernen klarkommt. „Ob die Teilnehmer sich zurechtfinden, hängt mit ihrer Einstellung zum Computer zusammen“, erläutert der Wissenschaftler. „Es brechen vor allem die ab, die diese Art von Kommunikation langweilig finden.“

Tatsächlich müssen die virtuellen Studiosi schon viel Enthusiasmus mitbringen, um nicht vor den Tücken der noch unausgereiften Technik zu kapitulieren. Britta Schinzel etwa, Professorin am Institut für Informatik und Gesellschaft in Freiburg, blieb nichts anderes übrig, als ihre Televorlesung auf die unchristliche Zeit von acht Uhr morgens zu legen. Zu einer späteren Stunde hätte das einsetzende Datengewimmel im Wissenschaftsnetz die Bildübertragung der Vorlesung zum Glücksspiel macht. Zumal auch noch Übertragungskapazität für eine elektronische Tafel benötigt wurde, auf der die Professorin ihre Ausführungen mit Grafiken und Schaubildern erläuterte.

Der Bonner Informatiker Volker Wulf, der das Projekt im Breisgau mit aufgebaut hat, zieht aus dem Engpaß die Konsequenz: „Wir brauchen reservierte Bandbreiten, um virtuelle Vorlesungen zu jeder Zeit störungsfrei abhalten zu können.“ Das Problem: Reservierungen sind im Internet nicht vorgesehen. Der Dresdner Professor Alexander Schill, zuständig für die Rechnernetze an der dortigen Universität, testet zwar mit Unterstützung des Computerherstellers Digital diese Möglichkeit, doch wird sie frühestens zur Jahrtausendwende funktionieren.

Vor allem Bildübertragungen strapazieren die knappen Netzressourcen. Das zeigen Versuche in Bayern und Thüringen, wo sich Universitäten aus Kostengründen Professoren teilen. Damit sie nicht zwischen den Studienorten pendeln müssen, werden Vorlesungen und Seminare via Netz übertragen. Wenn jedoch das Bild etwa des Jenenser Professors in Ilmenau oder Weimar auf der Projektionsfläche erscheint, sind bereits bis zu 30 Prozent der 34-Megabit-Datenrennstrecke des Breitband-Wissenschaftsnetzes (BWin) okkupiert.

Das ist nicht das einzige Problem. Bei der Freiburger Fernvorlesung fiel Mitinitiator Wulf auf, daß ohne Aufsicht die Disziplin in den zugeschalteten Hörsälen schnell flöten ging. Wulf: „Die Studenten waren weniger aufmerksam als in normalen Vorlesungen, der Geräuschpegel war höher, und manche verschickten auf ihren PC lieber E-Mails, als dem Stoff zu folgen.“

Besser sind da die Erfahrungen, die der Saarbrücker Hochschullehrer Scheer mit interaktiven Lerngruppen gesammelt hat, in denen Studenten Themen via Internet gemeinsam bearbeiten. „Die fangen sofort an zu meckern, wenn das System mal acht Tage lang nicht aktualisiert worden ist“, berichtet Scheer. „Ein besseres Zeichen für die Akzeptanz kann es nicht geben.“

Scheer mahnt die hiesigen Universitäten, nicht den Anschluß an internationale Entwicklungen zu verpassen. So steigen in den USA immer mehr renommierte Universitäten wie Stanford, Harvard oder die wiederbelebte New York University in den Weiterbildungsmarkt ein. Karrierebewußte aus aller Welt können dort via Fernstudium gegen Gebühren Zusatzqualifikationen erwerben. Scheer will mit seinem Institut in diesem Geschäft ebenfalls reüssieren. Aus seiner Beratungstätigkeit, unter anderem für den Walldorfer Softwarekonzern SAP AG, weiß er, daß der Bedarf steigen wird. „Die Firmen verlangen zunehmend, daß sich Mitarbeiter auch in ihrer Freizeit weiterbilden.“ Scheer will die Mühe mit Programmen belohnen, bei denen das Lernen durch die Einbeziehung spielerischer Elemente Spaß macht.

Das wäre allerdings eine Revolution: Mit Unterhaltsamkeit hatten deutsche Professoren sich bislang noch keinen Namen gemacht.

ULF J . FROITZHEIM

 

aus der WIRTSCHAFTSWOCHE NR. 42/1997

Apple: Weiche Ware

Die Bilanz hat Sanierer Gilbert Amelio im Griff, die Partnerschaft mit IBM bislang nicht.

Wahre Apple-Fans kann nichts mehr schrecken. Der Umsatz des US-Computerherstellers ging im soeben abgelaufenen Geschäftsjahr 1996 (Ende September) um elf Prozent zurück, sackte im letzten Quartal gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum sogar um fast ein Viertel ab. Der operative Verlust kumulierte sich auf astronomische 1,4 Milliarden Dollar – ein Siebtel der Einnahmen von nur noch 9,8 Milliarden Dollar. Während das gegnerische Gespann Intel/Microsoft Rekordeinnahmen feiert, steht der Branchenpionier aus Cupertino, Kalifornien, mehr denn je als Außenseiter des PC-Markts da. Dennoch ist Archibald Horlitz der Humor nicht vergangen: „Was Apple angeht, bin ich hoffnungsloser Optimist.“

WIRTSCHAFTSWOCHE 44/1996

Daß der Berliner Computerhändler, Chef des Macintosh-Discounters Gravis, in der gegenwärtigen „extrem spannenden Phase“ sogar den Kauf von Apple-Aktien empfiehlt, geht auf das Konto des neuen Vorstandsvorsitzenden Gilbert Amelio. Der stille, eher behäbig wirkende Manager – ein harscher Kontrast zu seinem polternden Vorgänger, dem Deutschen Michael „The Diesel“ Spindler – hat das Unternehmen nämlich binnen weniger Monate einer rabiaten Roßkur unterzogen, die jetzt Wirkung zeigt.

So reduzierte Amelio die kurzfristigen Verbindlichkeiten um 60 Prozent, verringerte die Außenstände um mehr als 400 Millionen Dollar und räumte – um den Preis hoher Abschreibungen – die übervollen Läger. Saß Apple vor Jahresfrist noch auf Bergen zugekaufter Bauteile im Gesamtwert von 841 Millionen Dollar, kommt das Unternehmen nun mit einem Lagerbestand von 213 Millionen aus. Die Halden fertiger Produkte schrumpften wertmäßig um mehr als ein Drittel. Zudem brachte der Sanierer Schwung in die Fertigung. „Niemand fragt mich mehr“, klopft sich Amelio auf die Schulter, „ob wir überleben werden.“

Noch ist Apple freilich nicht über den Berg. Zwar konnte Finanzchef Fred Anderson fürs vierte Quartal einen kosmetischen Gewinn von 25 Millionen Dollar ausweisen. Doch indirekt gesteht der Vorstand ein, daß er das nächste Zwischenergebnis wieder mit roter Tinte schreiben wird – nicht zuletzt wegen der kostspieligen Einführung einer neuen Notebook-Baureihe. Erst „ab Ende des zweiten Quartals 1997“, formuliert Amelio vielsagend, rechne er mit einer „anhaltenden Profitabilität“. Selbst wenn der Umsatz 1997 auf neun Milliarden Dollar abrutschen sollte, werde Apple den Break-even schaffen und sich gesundschrumpeln.

Dieses Versprechen wird in der allfälligen Aktionärsmitteilung zum Jahresabschluß gleich wieder durch einen Rattenschwanz von Wenn und Aber relativiert. Denn nach dem großen Kehraus in Cupertino, dem fast die komplette zweite Ebene zum Opfer fiel, hat der promovierte Physiker Amelio seine schwierigsten Hausaufgaben noch vor sich:
❏ Innovative Produkte wie das Betriebssystem MacOS 8 müssen wesentlich schneller marktreif gemacht werden.
❏ Trotz vielversprechender Multimedia-Software hat sich Apple – im Gegensatz zu seinen Kooperationspartnern Sun Microsystems und Netscape – noch nicht als führende Kraft im zukunftsträchtigen Internet-Markt positionieren können.
❏ Apple braucht dringend renommierte Mitstreiter aus dem Hardwarelager, die den in Kooperation mit IBM und Motorola gebauten Power-PC-Prozessor anstelle der marktbeherrschenden Pentium-Chips von Intel einzusetzen wagen.

Die Zeit droht dem Sanierer wegzulaufen. Denn der Umsatzeinbruch des Geschäftsjahrs 1996 ist wesentlich auf den Kurswechsel nordamerikanischer Großkunden zurückzuführen. Chemie- und Pharmakonzerne von Dow Chemical über Eli Lilly bis Monsanto musterten heuer Tausende von Macintosh-Maschinen aus und schlossen sich dem Microsoft-Troß an. Wirtschaftsprüfer wie Ernst & Young und KPMG Peat Marwick gingen fremd oder liebäugelten zumindest mit Bill Gates‘ Windows 95. Allein die kanadische Northern Telecom startete im Frühjahr den Austausch von insgesamt 30000 Apple-Computern gegen Pentium-PC. Nur die Medienbranche erwies sich bisher als resistent gegen die Versuchung, dem Quasi-Monopol nachzugeben.

Auch hierzulande machen Apple-Loyalisten mitunter schwere Prüfungen durch. Der Kemptener Unternehmensberater Gerhard Pleil fühlt sich von Klienten immer öfter als Exot belächelt. Bisher freilich hat er dem Druck nicht nachgegeben. Seine Hoffnung stützt sich auf Gespräche mit Managern anderer PC-Produzenten: „Viele Hardware- und Softwarehersteller würden liebend gerne dem Monopolisten eins auswischen.“ Bisher ist kein Anbieter in Sicht, der einen offenen Streit mit Intel und Microsoft riskieren würde. Welche Folgen Untreue haben kann, erfuhr Compaq-Chef Eckhard Pfeiffer 1995, als er einen Teil seiner Chips beim Intel-Erzrivalen Advanced Micro Devices (AMD) eingekauft hatte. Zähneknirschend kehrte der Deutsche zurück – sonst hätte er sich bei künftigen Pentium-Versionen hinter deutlich kleineren Konkurrenten anstellen müssen.

Doch die Verhältnisse ändern sich. Im nächsten Frühjahr präsentieren Apple, IBM und Motorola nach jahrelangen Vorbereitungen endgültig ihre PowerPC-Plattform. Dieser gemeinsame Standard macht alle mit diesem Chip-Typ ausgestatteten Rechner miteinander kompatibel. Der Clou: Der Kunde kann damit nicht nur das Mac-Betriebssystem oder Unix-Versionen wie das AIX von IBM verwenden, sondern genausogut das Windows NT von Microsoft.

Wenn sich, wie viele Branchenkenner glauben, NT zum Renner bei mittelgroßen PC-Netzen entwickelt, könnte Apple zumindest als Hardwarelieferant davon profitieren. Doch IBM bietet seinen Power-PC nur im obersten PC-Segment an. Alle Großserien-PCs kommen mit Intel und Windows daher. Power-PCs für den Massenmarkt, so der IBM-Manager Horst Oehler, seien bis auf weiteres nicht geplant. Für Apple-Anhänger Pleil ist diese Haltung ein Witz: „IBM hätte die Kraft, das Monopol von Intel und Microsoft zu beenden.“

Ohnehin sähe Gilbert Amelio sein Unternehmen – ganz in der Tradition seiner Vorgänger – lieber als Softwareunternehmen. Gerade bei neuen Konzepten für die weiche Ware war Apple dem Rivalen Microsoft früher immer um mehrere Nasenlängen voraus. So soll es auch wieder werden. Es wäre doch eine feine Sache, schwärmte Amelio bei seinem letzten Deutschland-Besuch, wenn Apple eines Tages die Hälfte seiner Einnahmen mit Software erzielte.

ULF J. FROITZHEIM

„Eiertanz sorgt für Verwirrung“

Jan Gesmar-Larsen*, General Manager Apple Europe, über das geplante Comeback seines Unternehmens, unzufriedene DV-Manager und die Zusammenarbeit mit IBM.

Herr Gesmar-Larsen, Apple schrumpft in den USA. Die Europa-Tochter kam bisher mit einem blauen Auge davon. Fühlen Sie sich jetzt als Musterknabe des Konzerns?

 

WIRTSCHAFTSWOCHE 44/1996

GESMAR-LARSEN: Als Musterknabe nicht. Aber in letzter Zeit haben wir uns bemüht, verstärkt in Märkte zu verkaufen, die höherwertige Produkte verlangen – etwa in die Medienbranche, in Forschung und Lehre. Dadurch hatten wir hier eine viel stabilere Ertragsgrundlage als in den USA, wo das meiste über die großen Einzelhändler verkauft wird. Allerdings haben auch wir gelitten: Unsere Großkunden wollten abwarten, was bei Apple in den USA passiert, bevor sie zusätzliche
Systeme einkaufen.

Wirkliche Großkunden wie in den USA, die  bis zu 30000 Macintosh-Rechner betreiben, haben Sie hier kaum. Waren Sie deshalb weniger verwundbar?

GESMAR-LARSEN: Nein. Wir sind im Prinzip sogar abhängiger von unseren Großkunden wie Bertelsmann oder Springer. Aber zu denen haben wir viel stabilere Beziehungen. Hier gibt es nicht diese internen Computer-Glaubenskriege, wie sie sich in US-Betrieben entzünden.

In Amerika schwenken sogar Apple-gläubige Manager um. Sie glauben, Macintosh zu kaufen, sei ihrer Karriere schädlich.

GESMAR-LARSEN: ln den USA schwingt das Pendel immer sehr weit nach links und nach rechts. An einem Tag ist Apple „great“, am nächsten nur schlecht. Großkunden, die auch in Europa tätig sind – wie KPMG oder Boston Consulting -, sehen das nicht so schwarz-weiß.

Auf die nächste Version Ihres Mac-Betriebssystems, die 1997 kommen soll, wartet die Geschäftswelt ja nicht gerade.

GESMAR-LARSEN: Wir wissen natürlich, daß viele Unternehmen Microsoft NT einführen wollen. Darum werden wir Betriebssystem-unabhängige Computer anbieten, auf denen auch NT läuft. Wir arbeiten gemeinsam mit Motorola an Prozessoren mit bis zu 500 Megahertz Taktfrequenz. Das wäre die Führungsposition in puncto Rechnergeschwindigkeit.

Woher kommt Ihre Zuversicht, daß dieser Kundenkreis ausgerechnet auf Apple-Rechner wartet?

GESMAR-LARSEN: Zur Zeit kann ich mich über mangelnden Auftragseingang nicht beklagen. Wir haben Mühe, alles zu liefern, was die Kunden von uns erwarten. Und wir haben in den vergangenen 18 Monaten gelernt, was Time-to-Market bedeutet.

Wann ziehen IBM und Apple an einem Strang, um dem Kartell Windows-Intel Paroli zu bieten?

GESMAR-LARSEN: Da rühren Sie an einen wunden Punkt. Die IBM ist eine so komplexe Organisation, daß sie zwangsläufig viele Ziele gleichzeitig verfolgt. Die Halbleiterleute ziehen mit Motorola und uns an einem Strang. Sie kämpfen Tag und Nacht, damit wir Monate vor Intel schnellere Prozessoren auf den Markt bringen. Aber IBMs PC Company arbeitet nun einmal eng mit Microsoft zusammen und kann deshalb gar nicht gegen die Wintel-Welt antreten. Dieser Eiertanz hat für einige Verwirrung im Markt gesorgt. Aber wer Hardware verkaufen soll, kann nicht zu 100 Prozent die gleichen Ziele haben wie jemand, der ein Betriebssystem vermarkten will.

ULF J . FROITZHEIM

* Jan Gesmar-Larsen, 36, ist seit Juni 1996 als Vice-President und General Manager Apple Computer Europe, Middle East and Africa verantwortlich für das Europa-Geschäft. Ende 1992 kam Gesmar-Larsen zur Apple Computer GmbH in Ismaning bei München, deren Geschäftsführung er im April 1994 übernahm. Ende 1995 wurde er Vice-President Sales & Customer Service für Europa.