720 STUNDEN GRATIS – FÜR 2164,23 MARK

DEUTSCHE WEB-SURFER ÄRGERN SICH ÜBER HOHE PREISE, AMERIKANISCHE WEB-ANBIETER BEKLAGEN DIE MANGELNDE PROFITABILlTÄT. DOCH JETZT KOMMT IN BEIDE MÄRKTE BEWEGUNG.

» __ Ein Amerikaner, der im Internet auf deutsche Preisübersichten stößt, muß hiesige Onliner für seltsame Wesen halten. Haben die zuviel Geld? Sind sie leidensfähiger, anspruchsloser, ja dümmer als ihre transatlantischen Pendants, die für weniger als 20 Dollar pro Monat, all-inclusive, im Internet surfen, ohne je ängstlich auf die Uhr schauen zu müssen? Wählen sie mit teutonischer Disziplin zielstrebig just diejenigen Seiten an, die sie unbedingt brauchen, und lassen Links links liegen? Oder ist es von allem etwas?

EIN SCHNUPPERANGEBOT FÜR WAHNSINNIGE

„Jeder zweite Internet-Kunde in Deutschland“, triumphiert Knut Föckler, Marketing-Professor in Diensten der Deutschen Telekom, „geht über T-Online ins Netz.“ Aus der unbestreitbaren Tatsache, daß sie dies freiwillig tun, schließt der Ex-Philip-Morris-Manager messerscharf, das „Preismodell der Deutschen Telekom AG“ könne so unattraktiv nicht sein. Sonst „müssten die Kunden zu den zahlreichen Niedrigpreis-Providern wechseln“.

„720 Stunden gratis Online-Zeit“, wirbt Compuserve auf einer CD-ROM. Das Angebot hat einen Haken: Will man alle Freistunden ausnutzen, muß man sie am Stück verbrauchen. Wirklich umsonst kommt auch niemand auf die Info-Autobahn, es sei denn, er schädigte heimlich seinen Arbeitgeber. Wer zum Beispiel den November 1998 komplett am Monitor verbringen will – sei es, um Compuserve nichts zu schenken oder sich im Guinness-Buch der Rekorde zu verewigen – zahlt 2164,23 Mark an die Telekom: Ein 30-Tage-Nonstop-Ortsgespräch entspricht 17888 Einheiten.

„Die Telekom muß die Kosten für den Internet-Zugriff nach österreichischem Vorbild um mindestens 50 Prozent senken“, „720 STUNDEN GRATIS – FÜR 2164,23 MARK“ weiterlesen

Wissen isst Macht

Unternehmen lassen wertvolles Wissen ihrer Mitarbeiter brachliegen. Sie könnten diesen Produktionsfaktor leichter erschließen, meint der Organisationspsychologe Lutz von Rosenstiel, wenn Schulen und Universitäten ihre Methoden konsequent modernisierten: Statt Lehrbuchwissen zu pauken, sollen die Schüler lernen, sich jederzeit aktuelles Wissen anzueignen – und es mit anderen zu teilen. Darum macht sich der Münchner Professor, im Nebenjob Prorektor der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), für das neue Studienfach“ „Wissensmanagement“ Stark.

Wenn es nach den Propheten der Informationsgesellschaft geht, liegt das Wissen der Welt vor uns wie ein aufgeschlagenes Bilderbuch. Praktiker klagen aber, in der stetig anschwellenden Datenflut fänden sie nur noch unter größten Mühen die relevanten Informationen. Geht es Ihnen manchmal ebenso?

Natürlich. Auch für uns an der Uni ist die Wissensflut ein Problem. Wir haben 20 Fakultäten mit 120 Studiengängen; da gibt es Berge von Papier, massenhaft Seiten im Internet, und keiner findet mehr durch . Von Kollegen hören wir immer dieselbe Doppel-Klage: Mal heißt es „wir sind nicht informiert worden“, mal „wir ersticken an den vielen Informationen“.

Relevanz wird offenbar unterschiedlich beurteilt: auf der einen Seite ungezügelter Mitteilungsdrang, auf der anderen niemand, der das Mitgeteilte braucht.

Ich nenne Ihnen ein Beispiel, unter dem ich leide: In allen Fakultäten gibt es sehr viele Sitzungen, und viele Fakultäten schicken jedes Sitzungsprotokoll an jedes Mitglied des Rektoratskollegiums. Solche Protokolle haben häufig 15, 20 Seiten. Bei 20 Fakultäten entsteht so jede Woche ein dickes Buch…

…Junk-mail auf bürokratisch!

Ja. Das ist genau der Punkt.

Ihre Lösung?

Wir bauen ein internes Netz, wo man diese Texte nach Klassifikationen abrufen kann. Das ist der eine Weg. Der andere sind regelmäßige Treffen des Rektorats mit den Dekanen „verwandter“ Fakultäten; die sieben geisteswissenschaftlichen treffen sich zum Beispiel mit mir. Wir besprechen die relevanten Dinge, da wird wirklich hingehört. Beides ergänzt sich: die direkte zwi schenmenschliche und die EDV-gestützte Kommunikation.

Und dabei machen alle mit?

Je nach Bereich und Person ist das unterschiedlich. Zum Teil bevorzugen die Kollegen noch Kärtchen. Einer spielt mit seiner Kärtchenmethode sogar die anderen an die Wand. Weil er genau im Gedächtnis hat, wo was ist. Wir können ihn schlecht auf EDV zwingen. Aber wenn er geht, ist sein Wissen verloren. Dies ist das Dilemma. Wenn ein kompetenter Mensch seinen Arbeitsplatz verläßt, ist sein Wissen dann total verloren? Oder hat die Organisation von ihm gelernt?

Was tut die Uni München, damit der akademische Nachwuchs sein Wissen eben nicht auf Kärtchen hortet?

Für neu angekommene Studenten gibt es jetzt in fast allen Fächern Einführungstage mit Führungen durch die Bibliotheken. Dabei zeigen wir ihnen Programme, die über Such begriffe finden, was man braucht. In der Schule wird dies nicht vermittelt. Leider sind diese Datenbanken fachspezifisch und für interdisziplinäres Arbeiten nicht geeignet. Dies ist ein Grund, weshalb wir einen neuen Studiengang planen: für Wissensmanagement. Da soll man konkret lernen, wie man interdisziplinär Wissen austauschen kann.

Wen haben Sie dabei im Auge?

Psychologen, Soziologen, Informatiker, Wirtschaftswissenschaftler, möglicherweise Kommunikationswissenschaftier… Für Betriebswirtschaftler ist es als Nebenfach interessant, um bessere Manager zu werden.

Ihr erklärtes Ziel, das Wissen von Einzelnen der gesamten Organisation zur Verfügung zu stellen, widerspricht dem gewohnten Führungsprinzip „Wissen ist Macht“.

In der Wirtschaft ist das Problem mit dem Herrschaftswissen sicherlich stärker ausgeprägt als bei einer Behörde: An der Uni hat man eine gesicherte Lebenszeitstelle, als Professor gefährde ich mich nicht durch die Preisgabe meines Wissens. Dagegen ist das, was Walter Volpert „Die Enteignung der Experten“ nennt, in der Wirtschaft eine im Extremfall existentielle Bedrohung. Wenn man bedenkt, daß es heute Software gibt, die einen Arzt bei medizinischen Diagnosen übertrumpft oder einen Schachgroßmeister schlägt, kann man verstehen , warum viele Fachleute ihr Wissen lieber für sich behalten. Wenn ich etwas ins Intranet meiner Firma gebe, wird es spontan Besitz der Organisation. Ich verliere die Macht, es dem einen zu sagen und dem anderen nicht. Von daher sind viele Unternehmen nicht gerade Vertrauenskulturen, sondern eher Mißtrauens-, ja Verschlossenheitskulturen.

Wie läßt sich das ändern? Mißtrauenswürdige Abstauber und Trittbrettfahrer mit Talent zur Selbstinszenierung gibt es doch tatsächlich…

…sicher…

…und die schreiben nicht in ihren Bewerbungsbogen rein, dass sie sich immer nur mit fremden Federn geschmückt haben.

Das ist wohl wahr. Empirische Studien zeigen, daß junge Führungskräfte, die ihre Kommunikationszeit vor allem darauf verwenden, ihre Mitarbeiter zu fördern, zwar mit ihrer Gruppe gute Leistungen erbringen. Rasch Karriere machen trotzdem diejenigen, die ihre Zeit nutzen für die Bildung von Koalitionen, für Mikropolitik und Beziehungspflege. Die anderen machen weniger Karriere – oder zumindest langsamer. Die Unternehmen fallen auf die Blender rein.

Was soll ein Unternehmen tun, wenn es das Wissen seiner guten Leute – etwa im Intranet – für alle zugänglich machen will?

Es muß dem Konzept „Wissen ist individuelle Macht“ andere Anreizsysteme gegenüberstellen. Werde ich belohnt für individuelle Leistung, wird es leicht ein Nullsummenspiel: Ich erinnere mich an einen Fall, wo ein Kaufhaus-Filialleiter wegen eines solchen Bonussystems lieber mit einem Konkurrenten kungelte, als seinem firmeninternen Rivalen aus der Nachbarstadt zu mehr Umsatz zu verhelfen. Steht aber der Geschäftsprozeß oder das Team im Mittelpunkt, wird das – finanzielle oder ideelle – Belohnungssystem anders aussehen: Wenn die Belohnung ein Mix ist aus individueller Leistung und Gruppenleistung, dann ist jeder interessiert, sein Wissen einzubringen, um die Gruppe zu optimieren.

Wenn Geld nicht alles ist, was motiviert die Menschen dann, sich zu öffnen?

Freiräume, die man ihnen gibt: Strenge Hierarchien sind weniger konstruktiv und produktiv, weil die Informationskanäle zu lang sind – jede Information muß den Dienstweg einhalten. Ein Doktorand von mir hat in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen zweier großer Elektronikunternehmen untersucht, welche Faktoren Produkt- und Prozeßinnovationen begünstigen. Das Ergebnis: Wichtiger als finanzielle Anreize, wichtiger als Strukturmerkmale der Organisation, wichtiger als Charaktereigenschaften der Personen war die Möglichkeit, außerhalb des Dienstweges mit jedem zu kommunizieren. Und der verstorbene Innovationsprofessor Stephan Schrader aus München hat am Beispiel der amerikanischen Metallindustriefestgestellt, daß besonders erfolgreich diejenigen Unternehmen waren, deren Forschungsmitarbeiter sich mit den Kollegen von der Konkurrenz über aktuelle Entwicklungstrends austauschen durften.

Das setzt das Vertrauen voraus, daß der andere die Informationen nicht ausnutzt und selbst ehrlich Auskunft gibt.

In diesem Fall scheint es geklappt zu haben. Die geheimniskrämerischen Unternehmen waren auch die weniger erfolgreichen. Das ist eine Frage der Kultur. Offenheit darf natürlich nicht Unbedarftheit heißen. Vertrauen bedeutet, in Vorleistung zu gehen mit einer Information, mit der mich der andere schädigen kann. Aber meistens wird dann die Brücke gebaut, auf jeder Seite ein Stein, bis sie sich schließt.

Sind die Amerikaner weniger mißtrauisch als wir in Deutschland?

Scheint so. Studien zur interkulturellen Kommunikation zeigen, daß in Deutschland eher eine Haltung der Verschlossenheit, der formalen Dienstwege herrscht, was natürlich immer Mittelwerte sind. Ausnahmen findet man sowohl bei einzelnen Menschen als auch bei Unternehmen. Es gibt Konzerne, die das Problem erkannt haben. Siemens hat einen Chief Information Officer installiert, Siemens-Nixdorf sogar schon einen Chief Know ledge Officer: Siemens willjetzt – um es mit einem geflügelten Wort zu sagen – offenbar endlich einmal wissen, was Siemens weiß. Die Frage ist natürlich, was eine solche Person tut. Die Einrichtung der Stelle ist zunächst ein Zeichen der symbolischen Führung.

Ein Signal an die Mitarbeiter?

Ja: „Wir nehmen das ernst, es ist uns wichtig.“ Dann wird es komplizierter: Wie müssen die internen Filter aussehen? Welches Wissen ist Spinnerei? Und welches ist wichtig? Gibt es hier Mechanismen, die den Wert des Wissens nicht nur vom Dienstweg und der Position bestimmen, sondern möglicherweise von dem Inhalt, der drinsteckt?

Also muß man Menschen bewerten, kategorisieren, festlegen?

Wissensmanagement beginnt bei der Erarbeitung vernünftiger Kriterien für eine Selektion. Dazu gehört auch, im Sinne der „lernenden Organisation“ das Wissen, das ein einzelner in seiner Zeit der Organisationszugehörigkeit gewonnen hat, ihm beizeiten „abzusaugen“. So könnte derjenige, der bestimmte Erfahrungen gemacht hat, grundsätzlich verpflichtet werden, dies in seinem Kreis zu kommunizieren.

Dies wird nur funktionieren, wenn die Bereitschaft zur Wissensherausgabe die eigene Position festigt.

von Rosenstiel: Wir brauchen ein Leitbild des Spezialisten, der nicht der Wissenshorter ist, sondern der Wissenskommunikator. Das muß belohnt werden. Und das geht in die jährliche Personalbeurteilung ein: „Haben sie Wissen weitergegeben?“

Dazu gehört ein permanentes Monitoring, das doch nur wieder die Angst der Leute schürt: Da oben sitzt jemand, der meine Leistung misst.

Kultur ist wichtiger als Kontrolle. Es muß eine Selbstverständlichkeit sein: „Wenn wir etwas haben, reden wir drüber.“ Es gibt Kollegen, die, kaum haben sie einen interessanten Artikel gefunden, auch darüber beim Mittagessen referieren. Andere schließen ihn sofort weg, damit kein anderer ihn findet.

Beides klingt nicht ideal. Wenn jeder über alles redet, hat doch auch keiner etwas davon.

Stimmt. Es gibt Firmen, in denen gilt der Grundsatz: Wenn einer eine Nachricht über das Intranet an mehr als sieben Leute schickt, hat er nicht nachgedacht. Oder er will nur Wind machen, „schaut her: ich hab was getan“. Es braucht Disziplin beim Sender und Schutz beim Empfänger. Und das ist auch wieder ein Teil der Kultur. Man sagt: „Gib nicht an! Überleg – Dir, für wen das wirklich interessant sein könnte … “

Werden Menschen, Firmen, Organisationen lernen, besser zu unterscheiden zwischen Informationen, die des Langzeitgedächtnisses würdig sind, und solchen, die man sich wegen des kurzen Haltbarkeitsdatums eigentlich nicht über den Tag hinaus merken muss?

Im Augenblick habe ich Zweifel. Die Schule bringt den Schülern den Stoff so bei , als sei erfür die Ewigkeit. Sie lernen nicht, sich aktuell wichtige Infos zu beschaffen. Insofern ist die Methode, Wissen zu erwerben und zu verwerfen, als pädagogisches Ziel wichtiger als Wissensspeicherung. In dem Maß, wie Wissen rascher veraltet und immer wieder neu produziert wird, wird die Methode wichtig. Und nicht mehr der Inhalt.

Das spräche doch, trotz aller Einwände von Kulturkritikern, für „Schulen ans Netz“.

Durchaus. Aktives Lernen ist eine Voraussetzung, die sich im Beruf auszahlt. Wenn das an den Schulen nicht schnell genug vorangeht, sollten Eltern ihren Kindern einen pe mit Modem und einem Budgetfür Onlinenutzung zur Verfügung stell en. Das ist eine wichtige Kulturtechnik. Genau wie ich früher Bücher geschenkt gekriegt habe (die sollen sie auch weiter kriegen), gehört das heute einfach dazu.

Aus dem Microsoft Business Journal 1/1998

Hoher Geräuschpegel*

* erschienen unter „Geld sparen“

Virtuelle Seminare, Studium per Netz – Reformer wollen den Lehrbetrieb effizienter gestalten.

Studenten kennen das Ritual: Semester für Semester referieren Professoren immer gleiche Texte, deren Inhalt sich in schriftlicher Form viel besser aufnehmen ließe. Für den Saarbrücker Wirtschaftsinformatiker August-Wilhelm Scheer gehört dieser Urtypus des Frontalunterrichts ins Museum. „Die Vorlesung ist antiquiert“, wettert Scheer. „Sie stammt aus der Zeit, als es noch keine Bücher gab.“

Scheer, der an der Saarbrücker Universität lehrt und zugleich ein erfolgreiches Softwareunternehmen führt, ist längst weiter. Sein Lehrbuch über Wirtschaftsinformatik ist komplett auf einem Universitätsrechner gespeichert. Die Studenten können sich die Texte per Datenleitung jederzeit auf den eigenen Rechner laden und durchackern. Zudem hat Scheers Lehrstuhl im Internet eine Plauderecke eingerichtet, in der die Studenten via elektronischer Post (E-Mail) fachsimpeln.

Wie Scheer suchen auch andere Hochschullehrer nach Wegen, den schwerfälligen Lehrbetrieb an den Universitäten effizienter zu gestalten. Dabei setzen die Reformer auf die Nutzung neuester Informations- und Kommunikationstechniken. Ganze Arsenale von multimediafahigen Personalcomputern (PC), leistungsstarken Workstations und Videokonferenzsystemen sollen im Verbund mit schnellen Datennetzen die Dozenten von Routinetätigkeiten entlasten, den Studenten mehr Lernautonomie verschaffen – und obendrein die Kosten senken. „Unsere halb bankrotten Universitäten könnten mit einem systematischen Einsatz moderner Kommunikationstechniken viel Geld sparen“, glaubt Peter Glotz. Der SPD-Vordenker baut derzeit als Gründungsrektor die Universität Erfurt auf.

Die Befürworter sehen weitere Vorteile in der Vernetzung. Die Studenten erschließen sich via Internet das Wissen dieser Welt, statt in der Universitätsbibliothek nach längst inaktuellen Büchern anzustehen. Sie schalten sich von zu Hause aus in Vorlesungen und Seminare ein, statt in überfüllten Hörsälen zu sitzen. Bei den Überlegungen steht das pragmatische Konzept der Fernuniversität Pate: Egal, wo und wann die Studenten lernen – Hauptsache, sie beherrschen hinterher den Stoff.

Der Weg zur virtuellen Universität ist allerdings noch weit. Erst einmal sind multimediale Lehrveranstaltungen selbst Gegenstand der Forschung: Was ist die beste Technik? Welche Konzepte sind unter welchen Bedingungen rentabel? Wie muß sich die Didaktik ändern, damit die technischen Möglichkeiten optimal ausgeschöpft werden?

Ermutigt durch eine Empfehlung der Hochschulrektorenkonferenz, neue Kommunikationsmedien stärker für die Lehre zu nutzen, sammeln einige Universitäten erste Praxiserfahrungen. Ob Seminar, Vorlesung oder Tutorium, ob Hörsaal oder Übungsraum – das gesamte Hochschulvokabular bekommt Doppelgänger mit dem Präfix „Tele-“ oder „virtuell“. Eine Erhebung der Rektorenkonferenz zeigt allerdings, daß der Einsatz elektronischer Lernrnedien in den Fachbereichen noch stark auseinanderklafft. Während Informatiker, Physiker und Mathematiker Computer und Internet beinahe wie selbstverständlich nutzen, machen Juristen und Mediziner kaum davon Gebrauch (siehe Grafik Seite 187).

Im vergangenen März führte der Lernpsychologe Hermann Körndle von der Technischen Universität Dresden auf der Computermesse Cebit beispielhaft vor, wie der Studierplatz 2000 aussehen könnte: Als wäre die Uni ein Dienstleister und der Student ihr Kunde, soll dieser künftig in seiner Wohnheimbude online Zugriff haben auf die gesamte Pflichtlektüre seines Studiengangs. Die Dozenten sind verpflichtet, ihre Skripts mit weiterführenden Quellen im Internet zu verbinden. So verplempern die angehenden Akademiker keine Zeit mehr mit Lektürebeschaffung in Büchereien und Bibliotheken. Sie können tagsüber jobben und unabhängig von Öffnungszeiten und starren Seminarterminen ihr Studium vorantreiben – sogar mitten in der Nacht.

Was Körnle „effizientes Studieren“ nennt, würde den Lehrbetrieb an den Hochschulen völlig umkrempeln. Dozenten und Professoren müßten ihr Lehrmaterial komplett neu aufbereiten, die Studenten ihre gewohnte Rolle als passive Rezipienten verlassen. Per Internet durchstöbern
sie vielmehr Datenbanken auf der Suche nach aktuellem Wissen. Sie bestimmen Lemtempo, Lernort und Lernschwerpunkte weitgehend selbst – ungehindert von übereifrigen oder begriffsstutzigen Kommilitonen.

Mit dieser aktiven Rolle kommen längst nicht alle zurecht. Nach ersten Erfahrungen mit kursbegleitenden Internet-Diskussionsforen attestiert Jürgen Ewert, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bank- und Finanzwirtschaft an der Fernuniversität Hagen, den Studenten eine gewisse Medienscheu. Gerade ein Prozent der 8500 eingeschriebenen Teilnehmer habe sich per E-Mail zu Wort gemeldet.

Ähnlich ernüchternde Erkenntnisse sammelte vor zwei Jahren das Institut für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie der Ludwig-Maximilians-Universität München mit einem virtuellen Seminar. Die Teilnehmer hätten sich über E-Mail „eher selten“ ausgetauscht, resümieren Professor Heinz Mandl und sein Doktorand Nicolae Nistor. Bei einer Befragung am Semesterende stellte sich heraus, daß einige Studenten Angst hatten, sich mit naiven Fragen zu blamieren und dies auch noch schriftlich vor aller Augen zu dokumentieren.

Mittlerweile scheinen sich solche Ängste abzubauen. Die Münchner verzeichnen neuerdings eine „hohe Akzeptanz“ – vor allem bei Studenten, denen erst die freie Zeiteinteilung das Studium ermöglicht, etwa alleinerziehenden Müttern. Nach dem fünften Tele-Semester weiß Nistor aber auch, daß nicht jeder mit dem elektronischen Lernen klarkommt. „Ob die Teilnehmer sich zurechtfinden, hängt mit ihrer Einstellung zum Computer zusammen“, erläutert der Wissenschaftler. „Es brechen vor allem die ab, die diese Art von Kommunikation langweilig finden.“

Tatsächlich müssen die virtuellen Studiosi schon viel Enthusiasmus mitbringen, um nicht vor den Tücken der noch unausgereiften Technik zu kapitulieren. Britta Schinzel etwa, Professorin am Institut für Informatik und Gesellschaft in Freiburg, blieb nichts anderes übrig, als ihre Televorlesung auf die unchristliche Zeit von acht Uhr morgens zu legen. Zu einer späteren Stunde hätte das einsetzende Datengewimmel im Wissenschaftsnetz die Bildübertragung der Vorlesung zum Glücksspiel macht. Zumal auch noch Übertragungskapazität für eine elektronische Tafel benötigt wurde, auf der die Professorin ihre Ausführungen mit Grafiken und Schaubildern erläuterte.

Der Bonner Informatiker Volker Wulf, der das Projekt im Breisgau mit aufgebaut hat, zieht aus dem Engpaß die Konsequenz: „Wir brauchen reservierte Bandbreiten, um virtuelle Vorlesungen zu jeder Zeit störungsfrei abhalten zu können.“ Das Problem: Reservierungen sind im Internet nicht vorgesehen. Der Dresdner Professor Alexander Schill, zuständig für die Rechnernetze an der dortigen Universität, testet zwar mit Unterstützung des Computerherstellers Digital diese Möglichkeit, doch wird sie frühestens zur Jahrtausendwende funktionieren.

Vor allem Bildübertragungen strapazieren die knappen Netzressourcen. Das zeigen Versuche in Bayern und Thüringen, wo sich Universitäten aus Kostengründen Professoren teilen. Damit sie nicht zwischen den Studienorten pendeln müssen, werden Vorlesungen und Seminare via Netz übertragen. Wenn jedoch das Bild etwa des Jenenser Professors in Ilmenau oder Weimar auf der Projektionsfläche erscheint, sind bereits bis zu 30 Prozent der 34-Megabit-Datenrennstrecke des Breitband-Wissenschaftsnetzes (BWin) okkupiert.

Das ist nicht das einzige Problem. Bei der Freiburger Fernvorlesung fiel Mitinitiator Wulf auf, daß ohne Aufsicht die Disziplin in den zugeschalteten Hörsälen schnell flöten ging. Wulf: „Die Studenten waren weniger aufmerksam als in normalen Vorlesungen, der Geräuschpegel war höher, und manche verschickten auf ihren PC lieber E-Mails, als dem Stoff zu folgen.“

Besser sind da die Erfahrungen, die der Saarbrücker Hochschullehrer Scheer mit interaktiven Lerngruppen gesammelt hat, in denen Studenten Themen via Internet gemeinsam bearbeiten. „Die fangen sofort an zu meckern, wenn das System mal acht Tage lang nicht aktualisiert worden ist“, berichtet Scheer. „Ein besseres Zeichen für die Akzeptanz kann es nicht geben.“

Scheer mahnt die hiesigen Universitäten, nicht den Anschluß an internationale Entwicklungen zu verpassen. So steigen in den USA immer mehr renommierte Universitäten wie Stanford, Harvard oder die wiederbelebte New York University in den Weiterbildungsmarkt ein. Karrierebewußte aus aller Welt können dort via Fernstudium gegen Gebühren Zusatzqualifikationen erwerben. Scheer will mit seinem Institut in diesem Geschäft ebenfalls reüssieren. Aus seiner Beratungstätigkeit, unter anderem für den Walldorfer Softwarekonzern SAP AG, weiß er, daß der Bedarf steigen wird. „Die Firmen verlangen zunehmend, daß sich Mitarbeiter auch in ihrer Freizeit weiterbilden.“ Scheer will die Mühe mit Programmen belohnen, bei denen das Lernen durch die Einbeziehung spielerischer Elemente Spaß macht.

Das wäre allerdings eine Revolution: Mit Unterhaltsamkeit hatten deutsche Professoren sich bislang noch keinen Namen gemacht.

ULF J . FROITZHEIM

 

aus der WIRTSCHAFTSWOCHE NR. 42/1997

WWW-TV: Lieber Computer als Settop-Boxen

WIRTSCHAFTSWOCHE 10/1997

Da staunte die Branche: 93 Prozent der unterhaltungsfreudigen US-Bürger, eruierten die Marktforscher von Dataquest, lehnen Internetfernseher und Zusatzboxen ab, die das World Wide Web (WWW) per Fernbedienung auf ihren TV-Schirm holen. „Das Internet-TV hat – zumindest in seiner jetzigen Form – kein nennenswertes Marktpotential“, verkündete Van Baker, Dataquest-Chefanalyst für digitale Konsumgüter.

Hat er recht, stehen Gerätehersteller wie Philips und Sony vor einem neuen Flop. Das holländisch-japanische Duo, das einst den CD-Spieler im Markt durchgesetzt hat, versucht seit Oktober mit massiver Werbung, träge Fernsehkonsumenten in den USA mit ihrer Internet-Erweiterungsbox WebTV vom Reiz des Web zu überzeugen. Allein die Philips-Tochter Magnavox, einer der großen US-Fernseherhersteller, investierte 50 Millionen Dollar in das Projekt. Bislang erfolglos: Nur gut 30.000 von 100.000 ausgelieferten Geräten, schätzt das „Wall Street Journal“, wurden für 329 Dollar pro Stück verkauft.

Der müde Absatz macht auch Steve Perlman zu schaffen. Der frühere Apple-Manager hatte zusammen mit seinen Exkollegen Bruce Leak und Phil Goldman Konzept und Software für das WebTV entwickelt. Sie spekulierten auf ein lukratives Folgegeschäft: Wer eines der Geräte von Philips oder Sony nutzen will, muß vorab für 20 Dollar monatlich den Online-Dienst des Trios abonnieren. Denn im häuslichen TV-Gerät sind nur solche Web-Texte lesbar, die WebTV Networks zuvor typographisch aufbereitet hat. Jetzt muß Perlman mit monatlichen Einnahmen von deutlich unter einer Million Dollar wirtschaften.

Doch ans Aufgeben denkt vorerst niemand. WebTV-Protagonisten wie Philips-Bereichsvorstand Ed Volkwein glauben an ihr Produkt und suchen die Fehler im Marketing. WebTV-Chef Perlman geht sogar in die Offensive und kritisiert öffentlich die Methodik von Dataquest. Die Attacke fällt ihm um so leichter, als die Gartner-Group-Tochter traditionell der Computerindustrie verbunden ist, die Internetneulingen lieber PCs als Settop-Boxen verkaufen möchte.

UJF

Meyer-Scheel: „Seid Ihr eigentlich auch in Timbuktu?“

Interview mit Lutz Meyer-Scheel, Geschäftsführer Viag Interkom

Die Bündnisse in der Telekombranche sind bislang nicht sehr stabil. Ihre Prognose: Wer geht 1998 mit wem an den Start?

Eine endgültige Antwort weiß ich nicht. Von manchen Verhandlungen erfahre auch ich erst aus der Zeitung. Auf jeden Fall ist neben der Telekom nicht mehr viel Platz für Universaldienstanbieter, wie wir einer werden wollen. Von den drei bis vier Spielern heute sind einer oder zwei zuviel.

RWE-Chef Dietmar Kuhnt glaubt, daß seine Telliance eher mit Vebacom und Cable & Wireless an die Spitze kommt als mit Ihnen.

Ich bin gespannt, was da herauskommt.

Und Ihre Kunden? Nehmen die Ihnen nach dem RWE-Ausstieg ab, daß sie auch in fünf Jahren noch mit Ihnen rechnen können?

Die Kunden hören so was natürlich nicht gern. Erst heißt es, wir seien die allerbeste Allianz, und auf einmal ist nichts mehr. Wir schaffen es aber auch ohne RWE. Das haben wir den Kunden vermittein können. Die interessieren sich mehr für unser finanzielles Durchstehvermögen. „Meyer-Scheel: „Seid Ihr eigentlich auch in Timbuktu?““ weiterlesen