Gut-, besser-, Summa-cum-Laudtenberg

Schon erstaunlich, wie viele Menschen ungeniert die akademische Arbeitsweise von Dr. cut. paste. Karl-Theodor usw. Freiherr von und zu Guttenberg bagatellisieren! Beispielhaft sei (neben Franz Josef Wagner) der tagesthemen-Kommentator Sigmund Gottlieb genannt, der vermutlich von Plagiatoren in seinem bisherigen Berufsleben verschont geblieben ist.

Des Ministers publizistische Verteidigungstruppe vertritt also den interessanten Standpunkt, für den Beschuldigten gelte die Unschuldsvermutung. Dieser Terminus stammt aus dem Strafrecht und spielt normalerweise nur bei Offizialdelikten eine Rolle: Erst wenn der Strafrichter jemanden abgeurteilt hat, darf diese Person als Täter bezeichnet werden. Niemand hat das Recht, sie „vorzuverurteilen“.

Nun fallen Urheberrechtsverstöße wie im Fall Guttenberg lediglich in die Kategorie der Antragsdelikte. Nach meinem Kenntnisstand fordern die Urheber, die sich unfreiwillig als Co-Autoren der unrühmlichen Dissertation wiederfanden, lediglich eine Entschuldigung, aber niemand hat bisher Anzeige erstattet.

Folgt man der Logik der Verharmloser, dürfte Guttenberg niemals als Plagiator bezeichnet werden, weil sich ohne Kläger kein Richter seiner annehmen wird.

Halten wir also noch einmal fest:

1. KT ist höchstpersönlich für den Inhalt der Doktorarbeit verantwortlich, da niemand anders sie für ihn hätte schreiben dürfen.

2. Es befinden sich reichlich Textpassagen darin, die nachweislich, vollkommen unzweifelhaft von anderen Autoren stammen.

3. Gerade die Einleitung einer wissenschaftlichen Arbeit kann per definitionem nicht schon absätzeweise in der Zeitung gestanden haben, schon gar nicht unter dem Namen einer anderen, real existierenden Person. Sinn und Zweck der Einleitung ist ja zu begründen, was den Neuheits- und Originalitätswert des Werks ausmacht. Bereits von anderen gedachte und sogar dokumentierte Gedanken als Dissertation einzureichen ist das Gleiche, als würde man eine Erfindung Dritter, die längst Stand der Technik ist, zum Patent anmelden.

3. Der Autor der Dissertation, von dem ich zu Gunsten (!) Guttenbergs annehme, dass er es selbst war, hat sogar Passagen leicht redigiert, was bei einem Zitat, dem nur aufgrund eines Versehens die Gänsefüßchen fehlen, überhaupt nicht möglich wäre. Ein Zitat ist immer wörtlich, man kann höchstens etwas Nebensächliches weglassen und durch … ersetzen, aber nie eigene Worte einfügen, und sei es nur ein „womöglich“.

4. Der Minister wurde zwar auf nicht mehr ganz so frischer Tat – indes mit rauchendem Colt – ertappt, aber er hat Geschmack bewiesen. Sein Ragout vom Axolotl ist nur mit besten Zutaten, äh, Zitaten gewürzt, denn sonst wäre am Ende der Küchenschlacht kein Summa cum laude dabei herausgesprungen, sondern angesichts der Zahl der ohne ihr Wissen involvierten Textköche ein verdorbener akademischer Brei.

Sind Intertextuelle pervers…

…oder nur die Situation, in der sie leben und schreiben Bücher volltexten? Dass mir diese Frage durch den Kopf geht, habe ich – wenn man der jungen Dame Göre Frau auch sonst für nichts dankbar sein kann – Helene Hegemann zu verdanken.

Auf der Suche nach einer nicht dumm klingenden Ausrede für ihre eigenmächtige Selbstbedienung im intellektuellen Supermarkt namens Web blieb die SchriftZusammenStellerin an dem Wort Intertextualität hängen, das perfekt zu ihrem Faible für auftoupierte Formulierungen passt, mir aber bislang gänzlich ungeläufig war.

"Ich habe das nicht einfach munter abgeschrieben. Es geht hier nicht um Plagiarismus, sondern um Intertextualität – ein Arbeitsverfahren, das sehr viele Künstler benutzen."

Helene Hegemann, hier abgeschrieben aus der ZEIT

Ich habe es bis 2010 ohne diese Vokabel durchs schreiberische Berufsleben geschafft, obwohl ich etwa knapp* dreimal so alt bin wie die Altklugschwätzerin Helene H. Aber mein Vater war auch nicht beim Theater. (* Als das Axolotl erschien, war HeHe erst 17.)

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