Globales Dorf nur für Städter

aus Computerwoche Spezial 5/1998

Infrastruktur – Standortfaktor Netztechnik

Niedrige Steuern und eine verkehrsgünstige Lage genügen heute nicht mehr, um einen Wirtschaftsstandort attraktiv zu machen. Ein guter Anschluß an die globale Infobahn ist mindestens ebenso wichtig. Das Stadt-Land-Gefälle droht trotz neuer Techniken für die „Letzte Meile“ größer zu werden.

Wolfgang Clement ist der erste Ministerpräsident in Düsseldorf, der sich nicht mehr mit kohlschwarzem Gesicht und Grubenlampe auf dem Kopf vor den Kameras der Journalisten aufzubauen braucht, um beim Wählervolk anzukommen. Kaum jemand weiß besser zu vermitteln als der Nachfolger von Johannes Rau, daß die wahren Bodenschätze an Rhein und Ruhr heute in einer Teufe von wenigen Dezimetern lagern, mitten in den Städten unter dem Trottoir. Sein Nordrhein-Westfalen ist das erste Bundesland, das diese erst wenige Jahrzehnte alte Ressource zielstrebig auszubeuten trachtet: Kohle machen ohne Zeche.

Daß die allgegenwärtige Kupferdoppelader, mit der die Telekom die Teilnehmer an ihre Ortsvermittlungen angeschlossen hat, zum wertvollen Rohstoff avanciert ist, liegt an einer Technik namens Asymmetric Digital Subscriber Line (ADSL). Hinter diesem Fachausdruck, unter dem sich bis vor zwei, drei Jahren nur hauptberufliche Nachrichtentechniker etwas vorstellen konnten, verbirgt sich eine hochkomplexe Signalverarbeitungssoftware, die selbst voluminöseste Multimedia-Inhalte so dicht zusammenpackt, daß sie durch normale Telefonstrippen passen. Seit dem Frühsommer testet die Telekom diesen potentiellen ISDN-Killer in Dortmund, Düsseldorf, Köln und Bonn; für die bisherigen High-Tech-Hochburgen München, Stuttgart und Frankfurt hieß es erst einmal: „Bitte warten!“

Dem Rau-Erben Clement, der die lange Wartezeit bis zu seiner Beförderung im Ministerium für Wirtschaft und Technologie zugebracht hat, geht der Fachjargon der Telekommunikatoren längst genauso locker über die Lippen wie seinem Vorgänger die Bergmannssprache. „Globales Dorf nur für Städter“ weiterlesen

720 STUNDEN GRATIS – FÜR 2164,23 MARK

DEUTSCHE WEB-SURFER ÄRGERN SICH ÜBER HOHE PREISE, AMERIKANISCHE WEB-ANBIETER BEKLAGEN DIE MANGELNDE PROFITABILlTÄT. DOCH JETZT KOMMT IN BEIDE MÄRKTE BEWEGUNG.

» __ Ein Amerikaner, der im Internet auf deutsche Preisübersichten stößt, muß hiesige Onliner für seltsame Wesen halten. Haben die zuviel Geld? Sind sie leidensfähiger, anspruchsloser, ja dümmer als ihre transatlantischen Pendants, die für weniger als 20 Dollar pro Monat, all-inclusive, im Internet surfen, ohne je ängstlich auf die Uhr schauen zu müssen? Wählen sie mit teutonischer Disziplin zielstrebig just diejenigen Seiten an, die sie unbedingt brauchen, und lassen Links links liegen? Oder ist es von allem etwas?

EIN SCHNUPPERANGEBOT FÜR WAHNSINNIGE

„Jeder zweite Internet-Kunde in Deutschland“, triumphiert Knut Föckler, Marketing-Professor in Diensten der Deutschen Telekom, „geht über T-Online ins Netz.“ Aus der unbestreitbaren Tatsache, daß sie dies freiwillig tun, schließt der Ex-Philip-Morris-Manager messerscharf, das „Preismodell der Deutschen Telekom AG“ könne so unattraktiv nicht sein. Sonst „müssten die Kunden zu den zahlreichen Niedrigpreis-Providern wechseln“.

„720 Stunden gratis Online-Zeit“, wirbt Compuserve auf einer CD-ROM. Das Angebot hat einen Haken: Will man alle Freistunden ausnutzen, muß man sie am Stück verbrauchen. Wirklich umsonst kommt auch niemand auf die Info-Autobahn, es sei denn, er schädigte heimlich seinen Arbeitgeber. Wer zum Beispiel den November 1998 komplett am Monitor verbringen will – sei es, um Compuserve nichts zu schenken oder sich im Guinness-Buch der Rekorde zu verewigen – zahlt 2164,23 Mark an die Telekom: Ein 30-Tage-Nonstop-Ortsgespräch entspricht 17888 Einheiten.

„Die Telekom muß die Kosten für den Internet-Zugriff nach österreichischem Vorbild um mindestens 50 Prozent senken“, „720 STUNDEN GRATIS – FÜR 2164,23 MARK“ weiterlesen

ZWEI GEGEN DIE TELEKOM

AUF DEM LIBERALISIERTEN TELEFONMARKT KÄMPFEN GIGANTEN GEGENEINANDER. UND EIN PAAR ZWERGE WIE TELEPASSPORT UND WESTCOM. HABEN SIE EINE CHANCE? 

» Angst vor übermächtigen Gegnern kennt Georg F. Hofer nicht, der 32jährige Unternehmer vertraut einfach seiner Urteilskraft. Während Mannesmann, RWE, Veba und Viag ihre neuen Telefon-Töchter Arcor, Otelo und Interkom mit Milliarden-Budgets ausstatten, betreibt er unbeirrt den Ausbau seiner bescheidenen Frankfurter Callback-Agentur Telepassport zu einer vollwertigen Telefongesellschaft.

Hofer witterte seine Chance, als der Bundestag 1996 das neue Telekommunikationsgesetz verabschiedete: Er würde zwar nicht als Hecht den Karpfenteich leerfressen können, aber die großen Fische dürften genug Futterbrocken übriglassen. Neujahr 1998 hatte die Telekom ihr Monopol verloren, Georg Hofer war startklar und ging, neben anderen kleinen Anbietern, mit seiner neugegründeten Telepassport Service GmbH, Sitz: Erfurt, ans Netz.

Hatte er den komplizierten Telefonmarkt der neuen Ära besser durchschaut als etwa Harald Stöber, Chef von Mannesmann Arcor? „Ich weiß nicht, ob wir 100 oder 100000 Kunden bedienen werden“, „ZWEI GEGEN DIE TELEKOM“ weiterlesen

TELEFONKARTEN: Kriminell billig

Nepp oder Schnäppchen? Das Angebot an international nutzbaren Karten wird immer bunter.

WIRTSCHAFTSWOCHE 23/1998

Der neue Trend roch so sehr nach leichtem Geld, daß sich John „Junior“ Gotti, Sproß des berüchtigten New Yorker Mafiaclans Gambino, nicht zurückhalten konnte. Der 34jährige Nachwuchspate – seinen einst mächtigen Vater hat das FBI vor ein paar Jahren aus dem Verkehr gezogen – engagierte sich in der Telekommunikation. Genauer gesagt: im Vertrieb von Guthabenkarten, mit denen man von jedem beliebigen Telefon bargeldlos zum Discounttarif im In- und Ausland anrufen kann.

Diese „Prepaid Cards“ – zu Preisen ab zehn Dollar erhältlich an der Tankstelle, am Zeitungsstand oder im Supermarkt – haben sich in den USA binnen kürzester Zeit zum absoluten Renner bei Immigranten und zum Geheimtip unter europäischen Touristen entwickelt. Ihre Tarife liegen meist deutlich unter denen der klassischen Calling Cards von AT&T, MCI oder der Deutschen Telekom, bei denen der Kunde Rechnungen mit Einzelverbindungsnachweis bekommt, und drastisch unter den horrenden Gebühren der öffentlichen Münztelefone oder gar der Hotels (siehe Kasten). Erst 1992 eingeführt, bescheren die Papp- oder Plastikkärtchen der Branche bereits Milliardenumsätze und stattliche Gewinnmargen.

Gotti Junior bekommt von den Penunzen allerdings nichts mehr ab. Die Staatsanwaltschaft hat der Diversifikation des Unterweltunternehmers in die lukrative Wachstumsbranche ein Ende gesetzt. Zusammen mit 39 mutmaßlichen Komplizen landete Gotti im Januar hinter Gittern. Eine der zahlreichen Anschuldigungen lautet, er habe Telefongesellschaften und auch Käufer seiner Telefonkarten um Millionenbeträge geprellt. Der Vorwurf: Die Telefonkarten waren wertlos, weil von den Telefongesellschaften zum Zeitpunkt des Verkaufs bereits gesperrt. Sie wollten nicht mehr länger auf die von Gotti versprochenen Verkaufserlöse warten.

So schnell kann’s gehen: Noch im vorigen Frühjahr hatte das New Yorker Szeneblatt „Village Voice“ dem Ehrenmann grimmig bescheinigt, seine mit dem Bild der Freiheitsstatue verzierte Liberty Tel Card „scheine tatsächlich zu funktionieren“ und gehöre bei Inlandsgesprächen zu den günstigeren Angeboten.

Die Stillegung des Gotti-Sohnes bedeutet auf keinen Fall Entwarnung für Geschäftsreisende und Touristen. Auf dem liberalisierten Markt tummelt sich zwar alles, was in der Telekommunikation Rang und Namen hat; was weder Rang noch Namen hat, allerdings erst recht. In amerikanischen Medien ist von bis zu 500 Anbietern die Rede sinnlos, da einen bestimmten zu suchen, wenn man gerade telefonieren muß.

Diese Unübersichtlichkeit gibt Betrügern reichlich Gelegenheit, ihr Talent und ihre Kreativität auszuleben. Ihre bevorzugten Opfer sind Ausländer – die wollen ein Schnäppchen machen, haben aber kaum einen Überblick, wer zu den seriösen Anbietern zählt. „Das Wachstum dieser lukrativen Branche“, klagt Bill Clintons oberste Verbraucherschützerin Jodie Bernstein, „macht es den Geschäftemachern allzu leicht, Zehntausende von Karten zu verkaufen und dann einfach zu verschwinden.“

Die Prepaid Calling Cards sind nicht von ungefähr zum beliebten Betätigungsfeld der Ganoven geworden: Im Gegensatz zum in Europa vorherrschenden Verfahren wird das Gebührenguthaben nicht auf einem Chip oder Magnetstreifen gespeichert, sondern im Zentralcomputer einer Telefongesellschaft, deren Name in der Regel gar nicht auf der Karte steht. Der Rechner prüft nur die Bonität des Zwischenhändlers und bucht die verbrauchten Gesprächsminuten von dessen Guthaben ab. Der Endkunde besitzt weder einen Beleg, noch kann er den Restwert erkennen. Hinzu kommt, daß jeder, der die elfstellige Zugangsnummer erspäht hat, auch ohne Karte den gesamten Betrag abtelefonieren kann.

Das macht das Argumentieren fast unmöglich, wenn die Roboterstimme plötzlich behauptet, das Guthaben sei verbraucht, obwohl die Karte neu ist. Solche Fälle kommen immer wieder vor, aber nur selten gelingt den Ordnungshütern ein Coup wie im Fall des indischstämmigen Geschäftsmannes Rajesh Kalra, den Jodie Bernstein von der Federal Trade Commission kürzlich vor Gericht in die Knie zwang. Der Inhaber dreier Calling-Card-Firmen mit tönenden Namen wie Trans American Systems Inc. hatte indische Einwanderer mit Dumpingtarifen dazu verführt, Karten zum Stückpreis von 100 Dollar per Post zu bestellen. Die eingesandten Schecks wurden rasch eingelöst, doch die Karten ließen auf sich warten. Wer die Lieferung anmahnte, den hielten die Call-Center-Mitarbeiter mit Ausflüchten hin. Bei vielen der tatsächlich ausgelieferten Karten verringerte sich wie von Geisterhand das Guthaben, auch wenn niemand telefoniert hatte. Kalra kam zwar mit einer Geldbuße davon, weil sich der kriminelle Vorsatz nicht beweisen ließ. Bevor er sich wieder in der Branche betätigen darf, muß er aber eine Million Dollar als Sicherheit hinterlegen.

Der Imageschaden, den die Goldgräber und Raubritter den seriösen Kartenanbietern zufügen, scheint sich dennoch in Grenzen zu halten. Deren Lobbyorganisation International Telecard Association in Washington rechnet damit, daß sich der Umsatz von 2,4 Milliarden Dollar im vorigen Jahr bis 2001 verdoppelt. Die Prognose ist nicht unrealistisch, denn die großen Supermarkt- und Drugstoreketten haben entdeckt, daß sie mit den Prepaids gute Geschäfte machen können. Branchengrößen wie MCI/Worldcom, Sprint und Smartalk gewähren den Händlern großzügige Gewinnspannen. Zudem eigne sich die Karten als Werbeträger. Künftig sollen Stammkunden der Märkte sogar Gratistelefonminuten als Naturalrabatt erhalten. Der letzte Schrei sind Calling Cards, die erst bei Bezahlung freigeschaltet werden: Wenn die Scannerkasse die Seriennummer auf der Packung erfasst, wird automatisch per Datenleitung der Zentralrechner der Telefonfirma informiert. Die Sicherheitsmaßnahmen und der Marketingaufwand sind allerdings preistreibend. Mit den zu Markenartikeln aufgewerteten Kärtchen telefoniert man zwar durchweg günstiger als mit Münzen, von denen man kaum so viele besorgen kann, daß es für einen Anruf nach Deutschland reicht.

Billiger als mit der aus Deutschland mitgebrachten Otelo-, Telepassport- oder T-Card kommt man aber nicht in jedem Fall davon – ein Preisvergleich, gerade bei Auslandsgesprächen, lohnt sich. USA-Profis fahren deshalb zweigleisig: Wenn ihnen ein Amerikaner eine günstige Prepaid-Karte empfehlen kann, schlagen sie zu – vor allem, wenn sie wissen, daß sie innerhalb der Vereinigten Staaten viele Inlandsgespräche führen müssen. Zur Sicherheit haben sie die konventionelle Calling Card ihrer deutschen Telefongesellschaft dabei.

ULF J. FROITZHEIM

KOSTENSENKUNG: Die Qual der Wahl

Mit der richtigen Telefonkarte lassen sich die Telefonkosten auf Reisen erheblich drücken.

Chipkarten

Vorteile: Das Guthaben ist auf der Karte gespeichert und damit überprüfbar. In vielen Ländern gibt es keine billigere Art zu telefonieren.

Nachteile: Man braucht für jedes Land eine eigene Karte (Ausnahme: Deutschland/Holland). Ärgerlich: nicht vertelefonierte Restguthaben.

Calling Cards

Der Nutzer wählt eine gebührenfreie Rufnummer an, identifiziert sich durch Eingabe seines Kartencodes sowie einer Geheimzahl und erhält dann eine freie Leitung. Die Gesprächskosten werden später vom Girokonto abgebucht. Auch Anbieter wie Otelo, Telepassport und Viag haben Calling Cards im Sortiment. Die Deutsche Telekom hat mit der T-Card einen Zwitter auf den Markt gebracht: Der eingebaute Chip ermöglicht zusätzlich die Benutzung deutscher Kartentelefone.

Vorteile: Mit diesen Karten kann man in einer Vielzahl von Ländern nahezu jedes Telefon bargeldlos nutzen. Der Kunde bekommt monatlich eine Rechnung mit Einzelverbindungsnachweis. Die meisten Karten sind zumindest gegenüber den teuren Telefongesprächen aus Hotelzimmern recht günstig.

Nachteile: Pro Verbindung wird meist eine Grundgebühr fällig (Telekom: 90 Pfennig). Viele Hotels berechnen eine sogenannte Service Charge für die Anwahl von 800er- und 0130er-Nummern. In den USA sind Beträge bis zu einem Dollar üblich, in München beispielsweise reichen die Kosten von null (Maritim) bis fünf Mark (Bayerischer Hof). In einigen europäischen Ländern (zum Beispiel in Österreich) muß man an öffentlichen Fernsprechern eine Münze einwerfen, bevor man die Zugangsnummer anrufen kann. Vor dem eigentlichen Anruf muß man sehr lange Zahlenkolonnen eintippen, es sei denn, man nutzt einen programmierbaren Tonwahlhandsender (bei Otelo und Telekom als Zubehör erhältlich). Gespräche zwischen Drittländern sind extrem teuer: Wer eine amerikanische Karte innerhalb Deutschlands oder eine deutsche innerhalb der USA einsetzt, zahlt das Doppelte des Tarifs für die Verbindung Deutschland-USA. Eine Kostenfalle sind auch die Taktzeiten: Die Telekom berechnet angefangene Minuten, Telepassport schaltet nach 30 Sekunden auf ein 6-Sekunden-Intervall, Otelo rechnet nach der ersten Minute sekundengenau ab.

Prepaid Cards

Seit 1992 gibt es in den USA vorausbezahlte Calling Cards ohne Chip. Das Konzept der Prepaid Card haben mittlerweile auch die Telekom (T-Card Holiday) und andere europäische Anbieter kopiert.

Vorteile: Die Gebühren sind meist günstig. Man braucht sich nirgends anzumelden und hinterläßt keine Datenspuren. Vor allem für Telefonate innerhalb der USA die mit Abstand preiswerteste Lösung.

Nachteile: Gerade bei billigen US-Karten tummeln sich sehr viele schwarze Schafe auf dem Markt. Ohne Empfehlung eines Ortskundigen sollte man von unbekannten Marken die Finger lassen. Bei den als seriös geltenden Anbietern steigen die Preise. Manche Firmen – wie die an der Ostküste weitverbreitete Phone Time Inc. – verlangen neuerdings eine Grundgebühr, weil die Betreiber derTelefonzellen in Washington eine Benutzungsgebühr von 28,4 Cent pro Anwahl einer „gebührenfreien “ Nummer durchgesetzt haben.

Call Back

Der Anbieter ruft zurück und schaltet dem Telefonierer eine Leitung frei. Die Call-Back-Dienstleister erlauben ihren Kunden, auf Reisen den Rückruf auf einen anderen Apparat umzuleiten.

Vorteile: Die Call-Back-Tarife sind in aller Regel die billigste Art, im Ausland zu telefonieren.

Nachteile: Der Anruf bei der Call-Back-Firma zum Umprogrammieren der Nummer ist meist gebührenpflichtig. In Hotels funktioniert Call-Back nur dann, wenn die Zimmer per Direktdurchwahl erreichbar sind. Sonst kann der Concierge auf Ihre Rechnung telefonieren.

UJF

Multimediale Briefe: Salto postale

Elektronische Briefträger greifen den Zustelldienst der Post an. Jetzt reagiert sie mit modernen Mitteln.

WIRTSCHAFTSWOCHE NR.13/1998

Was wirklich wichtig ist, schicken Amerikaner nicht mit der Post. Sechs Milliarden Dollar weniger als noch vor fünf Jahren, klagt Generalpostmeister Marvin Runyon, geben Geschäftskunden für First Class Mail aus, weil sie immer mehr Briefe durch Faxe und E-Mails ersetzen. Der 35prozentige Umsatzeinbruch zeigt deutlich: Die schnellen und vor allem billigen elektronischen Postboten haben den klassischen Briefträger längst eingeholt. Der moderne Zustelldienst der Telefongesellschaften gräbt der „Snail mail“, der Schneckenpost, das Wasser ab.

Der Deutschen Post AG droht über kurz oder lang ähnliche Unbill. Trotz massiver Investitionen in hochautomatisierte Verteilzentren ist sie immer noch langsam. Das Ziel, fast alle Standardbriefe einen Tag nach Einlieferung (postintern: E+1) zuzustellen, erreicht die Post nur durch einen Trick: Sie leert viele Briefkästen bereits Stunden vor Büro- und Geschäftsschluß. Auf dem Land, wo der gelbe Wagen nur einmal täglich vorfährt, ist eine Leerung um 11 Uhr nicht ungewöhnlich; danach gilt E+2.

Für immer mehr Deutsche heißt deshalb die wahre Post inzwischen Telekom, T-Online, Compuserve oder AOL. Nach Faxgeräten sind mittlerweile auch Modems Massenware. Fast jeder zweite Online-Nutzer, ermittelte die Fachzeitschrift „PC Welt“, schreibt lieber E-Mails als Briefe. Wer die komfortable Technik erst einmal nutzt, gewöhnt sich schnell daran. Binnen eines Jahres, ermittelte das Fachblatt in einer Umfrage unter 500 Lesern, sei der Anteil der E-Mail-Fans von 19 auf 46 Prozent gestiegen.

Für dramatisch hält Postmanager Frantisek Bumba den Trend zur Papierlosigkeit noch nicht: „Nur sechs Prozent der E-Mails verdrängen den Brief.“ Tatenlos zusehen will der Geschäftsführer der Postcom, einer virtuellen Tochterfirma der Post AG, allerdings auch nicht, wenn sich Telefonfirmen ein Scheibchen nach dem anderen vom Briefgeschäft abschneiden. Nach der Devise „Angriff ist die beste Verteidigung“ rüstet Bumba zum Gegenschlag, schnürt neue Dienstleistungspakete, in denen Papier und Elektronik einander ergänzen. „Sie liefern ein, wie Sie wollen“, erklärt Bumba die simple Firmenphilosophie der künftigen Multimediapost, „und wir stellen zu, wie es der Empfänger haben will.“ Und das heißt: auf Wunsch sogar von Anfang bis Ende ohne ein einziges Blatt Papier.

Die ersten Gehversuche auf dem telekommunikativen Terrain hat die Postcom souverän hinter sich gebracht. E-Post, ein 1994 nach finnischem Vorbild eingeführter Dienst, floriert. Über 150 Firmen, Verbände und Behörden ließen sich bereits überzeugen, keine Postkörbe und -säcke mehr anzuliefern, sondern Datenträger oder Online-Input. Zu Papier gebracht werden die Schriftstücke – etwa Kontoauszüge der Ford-Bank, Beitragsbescheide der Handwerkskammer Düsseldorf oder Auslandskrankenscheine der Barmer Ersatzkasse – erst wenige Stunden vor der Zustellung in der Nähe des Empfängers. In sechs Städten, nach logistischen Kriterien ausgewählt, hat die Postcom regelrechte Brieffabriken eingerichtet: Fertigungsstraßen aus Computern, Hochleistungsdruckern, Falz- und Kuvertiermaschinen. Selbst siebenstellige Auflagen sind für diesen Verbund kein Problem.

Ein geschäftlicher Volltreffer, wie es scheint: Auf 165 Millionen Sendungen steigerte Postcom 1997 den Ausstoß – ein Plus von satten 120 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Kein Wunder bei untemehmerischen Rahmenbedingungen, von denen andere nur träumen können. Mit durchschnittlich 1,1 Millionen Briefen pro Auftraggeber im Jahr 1997 ist E-Post ein reines Großkundengeschäft, die Verwaltungskosten bleiben überschaubar.

Das Restmonopol der Post garantiert bis Ende 2002, daß sich jeder Wettbewerber ins eigene Fleisch schneidet, wenn er die dezentrale Briefproduktion der E-Post kopiert; das Modell, den Monopolisten wie beim Telefon nur für die letzte Meile zu nutzen, funktioniert hier nicht, weil es beim Porto keinen Ortstarif gibt. Discounter aus dem Ausland sind keine Alternative mehr, seit der Postvorstand rigoros jeden Remailing-Versuch als Verstoß gegen internationale Postabkommen vor Gericht bringt.

In diesem rundum geschützten Umfeld hat Bumba große Pläne. „Im Grunde“, läßt sich der Geschäftsführer anläßlich der Cebit zitieren, „ist jede per EDV erzeugte Korrespondenz ein Fall für uns.“ Bei knapp 20 Milliarden Briefen, die deutsche Postboten jährlich austragen, beziffert er das Potential für die sogenannten hybriden Postsendungen auf 1,5 Milliarden Sendungen pro Jahr.

Dieser Zahl will Bumba nicht nur durch einen Ausbau des „klassischen“, vier Jahre alten E-Post-Dienstes näherkommen. Der promovierte Volkswirt und langjährige Managementberater (Spezialität: Logistik) hält Lösungen für ein Problem parat, unter dem viele Unternehmen leiden: die Vielfalt inkompatibler Kommunikationsformen. Wo heute Brief, Fax, E-Mail, Lotus-Notes-Nachrichten und Electronic Data Interchange (EDI) aufeinandertreffen, sollen Software und Services von Postcom alle Medienbrüche kitten. Die Post mausert sich zum Outsourcing-Partner, der den kompletten externen Schriftverkehr seiner Mandanten managt – vom Kurzbrief, den der Außendienstler via Laptop und Handy in die postalische Pipeline schickt, bis zur Archivierung der gesammelten Korrespondenz
auf CD-ROMs.

Manchmal genügt schon eine simple Internethomepage, um seinen Kunden einen großen Dienst zu erweisen – vielen Mittelständlern beispielsweise. Viele fühlen sich von den großen Industrie- und Handelsunternehmen unter Druck gesetzt, Routinekorrespondenz wie Auftragsbestätigungen oder Rechnungen papierlos nach der internationalen Edifact-Norm abzuwickeln. „Wer nicht mitmacht, dem wird bei der nächsten Rechnung eine Pauschale fürs Papierhandling abgezogen“, weiß Postcom-Produktmanager Peter Müller. Die Alternative zur Investition in neue Software heißt Web-2-EDI. Auf der Postcom-Website können die Zulieferer ihre Rechnungen online in ein Klartextformular eintippen; die Post formatiert die Daten Edifact-konform um und leitet sie elektronisch an den Empfänger weiter.

Das Verfahren funktioniert auch in Gegenrichtung. Der Auftraggeber kann seine Bestellung im Edifact-Standard an die Postcom schicken, die sie umgehend als Brief oder Fernkopie zustellt. Demnächst wollen die Bonner ein Verfahren testen, mit dem sogar hartnäckige Papierfanatiker Anschluß an die Zukunft bekommen. Normale Auftragsblätter werden gescannt und der Informationsgehalt mittels künstlicher Intelligenz in ein digitales Dokument übersetzt.

Vielleicht werden solche Verrenkungen bald gar nicht mehr nötig sein. Bumba und seine Mitarbeiter grasen derzeit den Markt nach Vertriebs- und Softwarepartnern ab. Diese sollen die Nachfrage der vielen potentiellen Kleinkunden bündeln, deren direkte Betreuung der Postzentrale zu aufwendig ist. Wenn die Marktforscher recht haben, gibt es für sie reichlich zu tun: Der Postcom-Kundenstamm soll in den nächsten Jahren von 150 auf 50.000 Firmen anwachsen. Noch bevor das Monopol fällt, will die E-Post nach Stückzahl und Umsatz die Milliardengrenze durchbrechen.

Bis dahin Monopolgewinne abzusahnen, liegt Bumba nach eigenem Bekunden fern: „Wir wollen preislich so tief über dem Boden fliegen, daß keiner mehr auf die Idee kommt, uns zu unterfliegen.“ Gewinn wird der Salto postale dennoch bringen, glaubt nicht nur Bumba. Runyon, der Sanierer des U.S. Postal Service, ist von dem europäischen Geschäftsmodell so angetan, daß er überlegt, es zu importieren.

ULF J. FROITZHEIM