ZWEI GEGEN DIE TELEKOM

AUF DEM LIBERALISIERTEN TELEFONMARKT KÄMPFEN GIGANTEN GEGENEINANDER. UND EIN PAAR ZWERGE WIE TELEPASSPORT UND WESTCOM. HABEN SIE EINE CHANCE? 

» Angst vor übermächtigen Gegnern kennt Georg F. Hofer nicht, der 32jährige Unternehmer vertraut einfach seiner Urteilskraft. Während Mannesmann, RWE, Veba und Viag ihre neuen Telefon-Töchter Arcor, Otelo und Interkom mit Milliarden-Budgets ausstatten, betreibt er unbeirrt den Ausbau seiner bescheidenen Frankfurter Callback-Agentur Telepassport zu einer vollwertigen Telefongesellschaft.

Hofer witterte seine Chance, als der Bundestag 1996 das neue Telekommunikationsgesetz verabschiedete: Er würde zwar nicht als Hecht den Karpfenteich leerfressen können, aber die großen Fische dürften genug Futterbrocken übriglassen. Neujahr 1998 hatte die Telekom ihr Monopol verloren, Georg Hofer war startklar und ging, neben anderen kleinen Anbietern, mit seiner neugegründeten Telepassport Service GmbH, Sitz: Erfurt, ans Netz.

Hatte er den komplizierten Telefonmarkt der neuen Ära besser durchschaut als etwa Harald Stöber, Chef von Mannesmann Arcor? „Ich weiß nicht, ob wir 100 oder 100000 Kunden bedienen werden“, hatte Stöber, vielleicht halb im Scherz, Ende 1997 im »Spiegel« erklärt – eine Anspielung auf die höchst widersprüchlichen Prognosen zur Nachfrage im Festnetz, mit denen überforderte Marktforscher verunsicherte Manager abspeisten.

Die schlimmsten Skeptiker verbreiteten damals die These, die neuen Anbieter würden sich um ein Prozent der deutschen Haushalte raufen, und 99 Prozent blieben der Telekom treu. Die Pessimisten sind schon widerlegt. Wenn nicht sämtliche Telekom-Herausforderer ganz unverschämt lügen, haben bereits Hunderttausende von Privatleuten, Selbständigen und Kleinbetrieben von der neuen Wahlfreiheit Gebrauch gemacht.

Genau wissen kann das nur der Ex-Monopolist, dessen Vermittlungs- und Rechnungsstellen sämtliche Daten registrieren. Nur kann niemand Ron Sommer zwingen, sein Betriebsgeheimnis offenzulegen. Sicher ist jedenfalls: Telepassport hat sich in der Spitzengruppe der Neulinge etabliert; bis Ende Mai hatten sich 120.000 Telekom-Kunden kostenlos registrieren lassen, um Fern- und Auslandsgespräche über die Spar-Vorwahl 01024 führen zu können. „Es wären noch sehr viele mehr“, ärgert sich Hofer, „wenn sich nicht die Telekom außerstande sähe, mir rasch genug die nötigen Kapazitäten bereitzustellen. Wir sitzen auf einem Berg von 60000 Freischaltungsaufträgen.“

Das ist der Unterschied zwischen einer deutschen Telefongesellschaft anno 1998 und beispielsweise Daimler-Benz: Dicke Auftragsbücher sind kein Indiz für solide Geschäftsentwicklung, sondern eher für frustrierte Kunden, für unwiederbringlich entgangene Umsätze, Deckungsbeiträge und Gewinne. Jeder verlorene Tag kostet viel Geld. Wartelisten für Kunden, die billiger und besser telefonieren wollen, gehören in der Branche fast zum guten Ton; sie sind für einen preisgünstigen Anbieter die einzige Möglichkeit, übermäßiges Gedränge und nervende Besetzt-Zeichen auf den wenigen Leitungen zu verhindern, die die Telekom ihm gibt.

Auch Torsten Scholl, 31, Gründer der Heidelberger Westcom, muß neue Kunden schmoren lassen. Wie sein Kollege Hofer setzt der im April gestartete Nachzügler alles daran, in seiner Firma den „Mobilcom-Effekt“ zu vermeiden – einen Fehltritt, wie ihn sich der Schleswiger Handy-Pionier Gerhard Schmid geleistet hatte.

Schmids Mobilcom AG war mit ihrem Festnetz-Angebot „Cityline“ ebenfalls Neujahr auf den Markt gegangen; der zeitweilige Börsenliebling Schmid betrieb ein cleveres Marketing und propagierte seine Netzvorwahl 01019 für den Dumpingpreis von 19 Pfennig je angefangene Minute für alle innerdeutschen Gespräche. Noch schöner: Niemand brauchte sich vorher anzumelden; jeder Telekom-Kunde sollte spontan den Dienst testen können.

Alle Zeitungen berichteten plötzlich über den Wahnsinnigen aus dem hohen Norden: Was für eine Werbung – und die auch noch kostenlos! Millionen wurden neugierig und stellten fest: Mobilcom ist die Gesellschaft, bei der sie nicht billig telefonieren konnten, sondern überhaupt nicht. Nie kam man durch. Als „Mr. Besetzt-Zeichen“ Schmid händeringend bei der Telekom um zusätzliche Kapazitäten nachsuchte, ließ man ihn spüren, daß sich niemand die Beine ausreißen mag für einen Großkunden, der mit aberwitzigen Kampfpreisen seinem unfreiwilligen Lieferanten das Fell über die Ohren ziehen will.

Nachdem sich Nachfrage und Kapazität endlich eingependelt haben, kommt Schmid von seinem „Einführungspreis“ nicht mehr rauf auf die ursprünglich kalkulierten 42 Pfennig; er muß viel mehr Telefon-Minuten verkaufen als seine Rivalen, um den gleichen Ertrag zu erzielen.

Schmid konnte sich den Leichtsinn allerdings erlauben. Seine Mobilcom AG ist seit Jahren eine feste Größe im lukrativen Mobilfunk-Markt, für ihn bedeutet der Einstieg ins Festnetz lediglich eine Expansion. Verdient er weniger als geplant, tut es ihm weh, aber es bringt ihn nicht um. Alle anderen Anbieter hatten sich Gags wie den 19-Pfennig-Preis verkniffen: Bei Telepassport kostet die Fern-Minute zur Geschäftszeit 38 Pfennig, Arcor liegt mit 54 Pfennig fast auf Telekom-Niveau.

Hofer und Scholl war immer klar, daß ihre unternehmerische Existenz allein von diesem neuen Wachstumsmarkt abhängt. Mit ihrer ursprünglichen Geschäftsidee, dem Call-Back, können Telepassport und Westcom nicht mehr viel verdienen. Call-Back, der Rückruf-Dienst, war der legale Trick, mit dem man Billigtarife nordamerikanischer Telefongesellschaften für Auslands- und Mobilfunkgespräche nutzen konnte – in der Telekom-Monopol-Ära: Man fordert die US-Amtsleitung mit einem gebührenfreien Lockruf an und telefoniert dann nach den preiswerten US-Tarifen. Heute lohnt sich das umständliche Verfahren nur noch in Ausnahmefällen: Wer Vorsteuer abziehen darf, spart bei einer Minute in die USA gerade noch fünf Pfennig gegenüber Westcoms Call-by-Call-Tarif (0,49 statt 0,54 Mark); früher waren es um die 50 Pfennige.

In der deutschen Call-Back-Szene, die während ihres Goldrauschs Mitte der neunziger Jahre fast fünfzig Mitglieder zählte, begann schon vor der Liberalisierung des Marktes eine brutale Auslese. Von 40 lupenreinen Rückrufdiensten sind fast alle in die Bedeutungslosigkeit versunken oder mußten ganz aufgeben. Eindeutige Gewinner beim Call-Back-Wettbewerb waren Georg Hofer und Torsten Scholl, denen es immer gelungen war, zu den Glücksrittern die nötige Distanz zu wahren.

Zufall oder nicht – die Biografien der zwei Gründer weisen verblüffend viele Gemeinsamkeiten auf. Beide studierten Physik und eigneten sich an einer angelsächsischen Hochschule betriebswirtschaftliches Know-how an. Sie waren ausgesprochen sportlich, reisten in jungen Jahren in der Weltgeschichte herum, sprechen fließend Englisch und Französisch. Fast gleichtzeitig entdeckten sie 1993 die Chance, sich als Call-Back-Vermittler selbständig zu machen.

Als Unternehmer bevorzugen Hofer und Scholl flache Hierarchien und verschanzen sich gern hinter dem Wörtchen „wir“, wenn sie „ich“ meinen. Als die Unternehmen wuchsen, fanden beide ausländische Investoren, die ihnen die Chance gaben, ihre Pläne zu verwirklichen; Geldgeber, die erkannten, daß die Gründer den Call-Back-Boom als Aufwärmtraining für den bevorstehenden Festnetz-Marathon genutzt hatten.

„EINFACH NUR ZUSCHAUEN“ IST DIE DEVISE VON HOFERS GELDGEBER

Bei Georg Hofer ist es die britische 3i Group, die sich Ende 1997 an der neuen Holdinggesellschaft Telepassport Service GmbH beteiligte. Für den Firmengründer war’s ein idealer Deal, denn er bleibt der Herr im Haus: Nur 4,5 Prozent der Gesellschaft beanspruchten die Engländer für sich; den Preis, den die Geldgeber dafür hinlegen mußten, behalten beide Seiten für sich. „Eine Devise von 3i lautet: Hands off – eyes on“, erzählt Hofer, der in Hemdsärmeln am Besprechungstisch sitzt, „die schauen einfach zu.“ Geschmeichelt fühlt sich der Gründer auch vom zweiten Leitspruch der Briten: „We invest in people“; dies ist doch genau die Sorte Anerkennung, auf die er seit seiner Jugend in der steiermärkischen Gemeinde Stadl an der Mur immer hingearbeitet hatte. Als 15jähriger kämpfte er um den Titel des österreichischen Schülermeisters im Skilanglauf. Da er nur Vierter wurde, konzentrierte er sich lieber auf die Schule und sein Physikstudium an der Universität in Graz.

Weil er aber fand, in Österreich sei alles „ein bißchen festgefahren“, zog es ihn in die USA und nach Deutschland; immerhin reichen die Wurzeln der Familie Hofer nach Bayern. Mit 22 schrieb der Student selbstbewußt einen Brief an Heinz Url, einen Onkel vierten Grades, von dem er wußte, daß der bei der Siemens-Datentechnik in Augsburg arbeitet – und bat ihn, sich nach einem Praktikumsplatz für ihn zu erkundigen. Siemens konnte den jungen Mann tatsächlich gebrauchen und ließ ihn Chips für Großrechner prüfen. Nach dem Diplom wollte er promovieren, doch er verbrachte mehr Zeit bei Siemens als an der Uni. Bald gelang es ihm, an Projekten mitzuwirken, die ihn bis nach Japan führten.

In seiner Freizeit besuchte der Physik-Doktorand BWL-Vorlesungen – und war schockiert. „Bei Siemens hatte ich mitbekommen, wie dynamisch, wie international die Wirtschaft ist“, erinnert sich Hofer, „und nun sollte ich mir etwas anhören, das überhaupt keinen Realitätsbezug hat.“ Einen Monat lang reiste er durch die USA, schaute sich MBA-Schulen an, hörte in Princeton von der internationalen Managerschule Insead in Fontainebleau bei Paris und bewarb sich dort.

ERST GING DER KOMPAGNON, DANN GING DIE FREUNDIN

Als ihn am Ostersonntag 1993 das Telefon aus dem Schlaf riß, ahnte Hofer noch nicht, daß ihn der Anruf den Doktortitel kosten würde. Ein Onkel aus Amerika, Dozent an der University of California in Los Angeles, bestand darauf: Georg, schau Dir unbedingt mal eine Firma an – es geht dabei um etwas sehr Interessantes.

Es ging um Call-Back. Ein halbes Jahr später waren Georg Hofer und sein Freund Christian Sindel Inhaber einer 50.000-Mark-GmbH namens Telepassport sowie Franchise-Nehmer der amerikanischen Firma USFl. Die Freude am Unternehmerdasein währte nur kurz: Sein Kompagnon Sindel stieg schnell wieder aus, weil er sein Studium beenden wollte. Hofers Freundin ließ ihn sitzen, weil sie sich vernachlässigt fühlte.

Auch ein Brief aus Paris, der eigentlich eine frohe Botschaft enthielt, munterte ihn nicht auf: Er sei angenommen bei der renommierten Managerschule Insead in Fontainebleau; im Januar dürfe er kommen. Hofer wußte nicht mehr, wo ihm der Kopf stand, er setzte alle Hebel in Bewegung, um trotz Firmengründung nach Paris gehen zu können – und schaffte es, auf einen MBA-Kurs im Sommer umzubuchen. Gleichzeitig mußte er den Umzug der Firma ins verkehrsgünstigere Frankfurt organisieren; Augsburg hatte sich als Standort nicht bewährt.

Dann kam der Erfolg. Der »Stern« brachte eine Geschichte über Call-Back und erwähnte darin Telepassport. „Unser Telefon stand nicht mehr still.“ Mit Hilfe zweier treuer Mitarbeiter in Frankfurt schaffte es der 28jährige, seinen Laden von der Seine aus fernzusteuern und den ersehnten Abschluß zu bauen – um den Preis sozialer Kontakte zu seinen MBA-Kommilitonen. Hofer erinnert sich: „Die sahen mich als wundersamen Fuzzi – immer dunkle Augenringe, kommt nicht zu Vorlesungen, hängt zu Hause am Laptop, schreibt Faxe, telefoniert mit USA, fehlt bei den Partys.“

Torsten Scholl machte sich zu dieser Zeit weniger Streß. Der Heidelberger Lehrersohn wechselte 1989 nach dem Physik-Vordiplom an die Universität Warwick in England und legte dort 1992 seinen „Bachelor of Science“ im Fach Business Studies ab. Mit dem Diplom in der Tasche tobte er sich erst einmal ordentlich aus, fuhr zum Snowboarden in die Rocky Mountains und jobbte parallel bei einem TV-Sender, einem VW-Händler und im Büro einer Baufirma in Colorado; zum Schlafen kam er zwischen zwei und fünf Uhr. Zurück in Europa, versuchte er in Südfrankreich Fruchtsaft zu verkaufen und wurde von der Werbeagentur Publicis als Model für die Renault-Twingo-Kampagne entdeckt.

WESTCOM WIRD SIEGER UND KOMMT IN BEDRÄNGNIS

Wieder in Heidelberg, entdeckte er im »Wall Street Journal« ein Inserat der Call-Back-Firma MTC. Sie suchte deutsche Partner. Torsten Scholl dachte an die amerikanischen Soldaten, die in seiner Heimatstadt stationiert waren und froh wären, billiger nach Hause telefonieren zu können. Er bekam den Vertrag, erfand einen Firmennamen, der nach einem authentischen US-Unternehmen klingt: Westcom, und entwarf eigenhändig am PC das Firmen-Logo. Der Umsatz stieg unspektakulär; statt Mitarbeiter einzustellen, packten erst einmal Mutter und Bruder mit an.

Ein Vergleichstest der Zeitschrift »Connect« im Herbst 1996 erwischte ihn kalt. Ohne Vorwarnung hatten die Redakteure seinen winzigen Familienbetrieb auf Preise und Service gecheckt, zum Sieger gekürt, Prädikat: gut und billig. Wie ein Wirt, der aus heiterem Himmel mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wird, geriet Scholl in höchste Bedrängnis.

Für den plötzlichen Ansturm der Kunden war er personell nicht gerüstet, und mit Aushilfen ließ sich die Qualität nicht halten. Der Westcom-Chef bestand die Feuertaufe. Rasch trieb er 17 neue Mitarbeiter auf, darunter etliche ausländische Studenten der Heidelberger Uni. Das dicke Ende kam ein paar Monate später. Immer öfter meldeten sich Kunden an, die den Dienst nur mal ausprobieren wollten. Die Karteileichen trieben die Fixkosten in die Höhe, die Umsätze kamen nicht schnell genug hinterher. „Wir waren erfolgreich, überall bekannt, aber wir hatten kein Geld mehr“, seufzt Torsten Scholl. An die erforderliche Expansion außerhalb des Call-Backs war ohne frisches Kapital erst recht nicht zu denken.

Über einen holländischen Branchenkollegen stieß der bedrängte Jungunternehmer auf die norwegische Call-Back-Gesellschaft Netsource, die auf Akquisitionstour in Europa war. Die Skandinavier hatten das Kapital, das ihm fehlte, waren aber nur an einer Mehrheit interessiert. Um Westcom zu retten, gab Scholl 51 Prozent ab. Seitdem muß er zwar regelmäßig Berichte nach Oslo schicken, doch die Geschäftsführung blieb in seinen Händen.

Seit einem Vierteljahr steht Nachzügler Scholl auch im Festnetz im Wettbewerb mit seinem Kollegen Hofer, und er unterbietet den Etablierten in fast allen Zeit- und Entfernungszonen um ein paar Pfennige. Trotzdem empfinden sich die beiden nicht als direkte Konkurrenten. „Wir haben nie den Anspruch erhoben, der Billigste zu sein“, wehrt der Telepassport-Chef ab.

Das war schon so, als es nur Call-Back gab. Kunden, die ausschließlich auf den Preis schauen, sind nicht Hofers Zielgruppe, auch wenn er in fast allen Tarifen das Konzern-Triumvirat Arcor-Otelo-Viag unterbietet. Und was zeichnet Telepassport aus? Hofer bietet einen Service, der für seine mittelständische Klientel maßgeschneidert ist: ein „Tarif ohne Haken und Ösen“ – also ohne Grundgebühr oder Ärgernisse wie Verbindungszuschlag, Mindestumsatz oder versteckte Preisfallen; eine Rechnung für den kompletten Kalendermonat. Darin sind sämtliche Leistungen zusammengefaßt: Festnetz, Call-Back, Calling Card, demnächst auch Mobilfunk und Internet; das ist in der Branche nicht selbstverständlich und freut den Buchhalter.

Der wahre Gegner sitzt für Hofer und Scholl in Bonn: die Telekom, schärfster Widersacher im Kampf um Kunden und gleichzeitig engster Geschäftspartner, der ihnen die Leitungen vermietet. Telepassport erwischte den Ex-Monopolisten im Februar gleich zweimal bei unzulässigen Versuchen, abtrünnige Kunden zurückzuwerben – und erwirkte in beiden Fällen eine einstweilige Verfügung, die sich werbewirksam ausschlachten ließ.

DIE TELEKOM MACHT ÄRGER. TELEPASSPORT MACHT WEITER

Diese Fälle sind freilich harmlos im Vergleich zu der Attacke, die Telekom-Aufsichtsrat Jürgen Stark reitet, der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Er fragte in aller Öffentlichkeit: Sind Firmen wie Telepassport oder Westcom „Verbindungsnetzbetreiber“, denen die Telekom die niedrigen Interconnection-Tarife (durchschnittlich 2,7 Pfennig pro Minute) einräumen muß? Oder sind sie reine Wiederverkäufer, denen die Telekom weit schlechtere Bedingungen aufdrücken kann? Das Telekommunikationsgesetz ist jedenfalls nicht eindeutig.

Wird die Telekom die bestehenden Verträge anfechten? Torsten Scholl läßt sich keine Unruhe anmerken. Wenn es auf dem Markt wirklich ungemütlich werden sollte, bliebe ihm eine komfortable Nische für den Rückzug: Niemand in der Branche kann ausländische Kunden so gut bedienen wie sein Heidelberger Callcenter – unter den fast durchweg akademisch gebildeten Mitarbeitern finden selbst Finnen und Russen, Brasilianer, Japaner und Kroaten den Ansprechpartner, der ihre Sprache spricht. Und dieser Klientel ist es egal, ob sie die Netzkennziffer 01085 vorwählen muß oder eine Call-Back-Nummer – Hauptsache, sie können billig mit der Familie plaudern.

Daß Starks Vorstoß der Telekom tatsächlich hilft, Firmen wie Telepassport, Westcom & Co. auszuschalten, hält Georg Hofer indes für keine große Gefahr. Mit jedem zusätzlichen Vermittlungscomputer, den er in einer deutschen Stadt installieren läßt, entkräftet er die Behauptung, er sei ein bloßer Wiederverkäufer. Und er kann nachweisen, daß es die Telekom ist, die ihn hindert, eine eigene überregionale Infrastruktur im gewünschten Tempo auszubauen. So wurde ihm beschieden, in Stuttgart könne sein Vermittlungsrechner erst im März 1999 angeschlossen werden.

Über ein Dreivierteljahr Wartefrist – das ist in der dynamischen Telekommunikationsbranche eine halbe Ewigkeit. „In diesem Markt kann man nicht sehr weit vorausplanen“, sagt Hofer und beantwortet damit gleichzeitig die Frage, ob er überleben kann. „Tarifmodelle und Marketingkonzepte sind höchstens drei Monate haltbar.“

Erschienen in Econy 02-98 (Juni 1998)

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