Ein weiteres Beispiel aus dem Themenfeld Umwelt und Abrüstung: Wie kann man nach dem Ende des Kalten Krieges die nutzlosen Atomwaffen unschädlich machen und daraus vielleicht gar noch einen Nutzen ziehen?
Falls sich jemand über den spitzen Unterton gegen die Exponenten des rot-grünen Lagers wundert: Der kam erst während des redaktionellen Bearbeitungsprozesses in den Text.
Erschienen im Heft 16/1992 der WirtschaftsWoche im Ressort Technik+Innovation..
ABRÜSTUNG: Was tun mit dem Plutonium aus Atomwaffen?
Bombige Sache
Hunderte Tonnen Nuklearmaterial müssen vernichtet werden. Der technisch mögliche Einsatz in Reaktoren ist jedoch umstritten.
Auf das Stichwort Bombe reagierten die Exponenten der bundesdeutschen Nuklearwirtschaft schon immer sehr gereizt. Gar zu oft unterstellten ihnen Kernkraftgegner und Mitglieder von Friedensbewegungen, sie leisteten mit dem Bau ihrer Stromfabriken der Verbreitung von Atomwaffen-Technologie Vorschub.
Neuerdings finden sich die einst argwöhnisch beäugten Nuklearspezialisten in einer ganz anderen Rolle wieder: Im Zuge der Abrüstung sollen sie mit ihrem Know-how dazu beitragen, mit Uran und Plutonium bestückte Sprengköpfe unschädlich zu machen. Mit der an sich bestechenden Idee, den Bombenstoff in kommerziellen Reaktoren zur Stromerzeugung zu nutzen, liebäugeln inzwischen auch Politiker von Bundesumweltminister Klaus Töpfer bis hin zum liberalen Oko-Vordenker Gerhart Rudolf Baum und sogar der friedensbewegte Münchner Atomphysiker Professor Hans-Peter Dürr.
Die Rückführung der brisanten Spaltstoffe in die friedliche, zivile Nutzung wäre auch gar kein Problem, hätten die Bombenkonstrukteure der Supermächte nicht in den sechziger Jahren nach Wegen gesucht, wie sie die Sprengkraft ihrer Produkte noch steigern und ihre Dimensionen entscheidend verringern konnten. Waffeningenieure ersetzten das hochangereicherte Uran (also Uran mit einem hohen Anteil des spaltbaren Isotops 235) nach und nach durch das noch viel wirksamere Plutonium-Isotop 239. Dieses radioaktive, giftige und spaltbare Schwermetall entsteht durch Neutronenbeschuß von Uran und kommt in der Natur nicht vor. Erst durch Plutonium wurden die leichten taktischen Waffen möglich, die heute etwa die Hälfte des atomaren Arsenals bilden.
Im Zeitalter der Abrüstung rächt sich diese militärtechnische Innovation. Während das Waffen-Uran nach dem Verschneiden mit natürlichem Uran ohne weiteres zu normalen Brennstäben für Kernkraftwerke verarbeitet werden kann, läßt sich reines Plutonium in gängigen Reaktoren nicht ohne weiteres einsetzen. In Deutschland wurde jedoch ein Verfahren entwickelt, das künstliche Schwermetall dennoch nutzbar zu machen. Es wird mit Uran vermischt, etwa im Verhältnis 4 zu 100, und zu sogenannten Mischoxid-Brennelementen (MOX) verarbeitet. Diese können in allen Druckwasserreaktoren zur Energieerzeugung eingesetzt werden, auch in den entsprechenden Kraftwerken der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, zu denen allerdings nicht die Reaktoren vom Tschernobyl-Typ gehören.
MOX-Brennelemente werden seit Jahren vom Siemens-Brennelementewerk Hanau (vormals Alkem) produziert. Verarbeitet wird Plutonium, das bei der Wiederaufarbeitung anfällt, beispielsweise im französischen La Hague. Es bildet sich in relativ geringen Mengen beim Betrieb eines jeden Reaktors. Beim Einsatz von MOX-Elementen ist die Mengenbilanz für Plutonium negativ: Es wird mehr Spaltstoff verbraucht als neu gebildet.
Prinzipiell könnte das Bombenplutonium aus dem Osten in Hanau verarbeitet werden. Allerdings müßten dazu diverse Hürden genommen werden. Eine davon ist technischer Art. Waffenplutonium ist ein reines Metall, während das Spaltmaterial, das in Brennelementen verarbeitet wird, als Oxid vorliegen muß. „Für metallischen Spaltstoff haben wir weder das Know-how noch die spezifischen Fertigungsanlagen“, wiegelt Siemens-Sprecher Rainer Jend ab.
Doch selbst wenn dieses keineswegs unüberwindliche Problem gelöst würde: Hanau wird aus politischen Gründen kaum in Frage kommen. Hessens grüner Umweltminister Joschka Fischer arbeitet intensiv daran, das betagte Werk Hanau zu schließen. Gleichzeitig tut er alles, um den Bau einer neuen Anlage, die allen Sicherheitsanforderungen genügt, zu behindern. Also bliebe nur der Bau von Brennelementewerken auf russischem Boden. Schnelle Remedur brächte auch das nicht: Mindestens fünf Jahre, schätzen Experten, würden Planung und Bau dauern. Eine Kapazität wie in Hanau vorausgesetzt, könnte die Umwandlung in Brennelemente bis zum Jahr 2015 abgeschlossen sein.
Sollte das MOX-Projekt weiterverfolgt werden, wäre außerdem noch zu prüfen, welche Risiken der Einsatz dieser Brennelemente in Reaktoren östlicher Bauart in sich birgt. Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) in Köln hält sich derzeit mit positiven Aussagen zurück. So gibt Wolfgang Thomas, stellvertretender Leiter des Bereichs Entsorgung, zu bedenken: „Es gibt bisher keine Studien, ob das überhaupt machbar wäre.“
Der Siemens-Konzern hat allerdings seine Bereitschaft signalisiert, für die Konstruktion einer solchen MOX-Fabrik sein Hanauer Know-how zur Verfügung zu stellen. Doch seitens der UdSSR-Nachfolgestaaten herrscht Funkstille. Bedauert Jend: „Wir haben mit der GUS noch keine Gespräche führen können.“
Das östliche Desinteresse mag auch darauf zurückzuführen sein, daß die GUS-Republiken außer Plutonium große Mengen hoch angereicherten Urans aus den Waffen herausholen können, die verschrottet werden müssen. Mit dem geschätzten Bestand von mindestens 500 Tonnen – genug für die 20fache Menge an fertigen Brennelementen – wäre auf längere Sicht weit mehr als der Eigenbedarf an Nuklearbrennstoff gedeckt.
Vielleicht liegt es aber auch daran, daß der russische Präsident Boris Jelzin neuerdings den Schnellen Brüter favorisiert. Kürzlich schlug er US-Außenminister James Baker ein gemeinsames Brüter-Forschungsprogramm vor, und aus Japan kommt der Plan, den Russen in Zusammenarbeit mit Frankreich ein kommerzielles 800-Megawatt-Brutkraftwerk hinzustellen. Doch auch mit dieser Technik läßt sich das Problem nicht auf die Schnelle lösen. Brüter benötigen zwar für die Erstausstattung ein paar Tonnen Plutonium. Während des Betriebs entsteht jedoch immer neuer Spaltstoff. Die sogenannte Konversionsrate, das Verhältnis von erbrütetem und frischem Plutonium, läßt sich kaum unter 90 Prozent drücken. Von jeweils einer Tonne frischen Spaltstoffs werden also ganze 100 Kilogramm verbraucht.
Ein höheres Vernichtungspotential hat ein Reaktortyp, der bisher nur angedacht ist: der Hochkonverter. Der wird mit großen Mengen Plutonium gefüttert. Da er mit Wasser gekühlt wird, bildet sich jedoch nicht mehr neuer Spaltstoff als in heutigen Druckwasserreaktoren. Während die Diskussionen über Möglichkeiten der Vernichtung von Atomwaffen anhalten, wächst die Gefahr einer anderen Art der Beseitigung nuklearer Waffen: durch Verkauf an Schwellenländer. Schon werden Geheimdienstberichte kolportiert, nach denen sich der Iran nuklear bestückte Mittelstreckenraketen beschafft hat.
Ausgebautes Waffenplutonium könnte überdies verschoben werden. Nie war es leichter für machtgierige Potentaten, Material und Fachleute für den Bombenbau anzuwerben. Deshalb drängt jetzt die SPD gemeinsam mit dem Oko-Institut Darmstadt darauf, auf Experimente zu verzichten und das aus den Waffen zurückgewonnene Plutonium so schnell wie möglich durch Vermischen mit anderen Stoffen unbrauchbar zu machen und sodann unter Bewachung einzubunkern. Die Aufsicht über die Delaborierung solle, wie Spezialisten der Environment and Natural Resources Policy Division des amerikanischen Kongresses im Herbst vorgeschlagen hatten, der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) in Wien übertragen werden. Bei dieser Lösung stünde das Material zwar nicht mehr für die Energieerzeugung bereit, wäre aber dem Mißbrauch vorerst entzogen. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, behauptet Harald B. Schäfer, Umweltexperte der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion: „Waffenkarätiges Plutonium wird schon jetzt auf dem schwarzen Markt angeboten.“
Die Demontage von taktischen Sprengköpfen im industriellen Maßstab wird zumindest teilweise mit amerikanischen Subventionsgeldern finanziert. Allerdings werden auch US-Firmen von dem Geschäft profitieren. Nachdem der Kongreß in Washington schon die Bereitstellung von 500 Millionen Dollar für die Abrüstung in der GUS beschlossen hatte, gründeten die Rüstungshersteller Lockheed, Olin Ordnance und Babcock & Wilcox flugs ein Abrüstungs-Joint-Venture namens International Disarmament Corp. (IDC), das diese Arbeiten mit russischem Personal übernehmen will.
Auf dem Chefsessel sitzt ein Mann mit Vergangenheit: IDC-Präsident Troy E. Wade jr. war früher Vizechef des Department of Energy (DoE), also jenes Ministeriums, das in den USA das Monopol auf Urananreicherung und Plutoniumproduktion für zivile und militärische Zwecke hat. Trotz seiner Insider-Kontakte kann Wade in den USA keine Geschäfte mit der Abrüstung machen: Sein Ex-Arbeitgeber läßt an die brisante Ware keine Außenstehenden heran.
ULF J. FROITZHEIM
Atomsprengköpfe: Gigantische Vorräte
Rund 27.000 funktionsfähige atomare Sprengköpfe, schätzt Harald Müller von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) in Frankfurt, lagern auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Auf weitere 5000 taxiert der Friedensforscher die Zahl der ausrangierten Atombomben, die noch in den Bunkern der GUS-Streitkräfte verwahrt werden. Das amerikanische Militär verfügt nach Informationen von Marktforschern der Hanauer Nukem GmbH über insgesamt 22000 Sprengköpfe.
Das radioaktive Inventar, das in diesen Waffensammlungen steckt, ist beträchtlich. Die Sowjets produzierten in den vergangenen Jahrzehnten rund 120 Tonnen Plutonium, die Amerikaner weitere 95 Tonnen. Noch viel größer sind die Bestände an hochangereichertem Bombenuran (Branchenkürzel: HEU für Highly-Enriched Uranium). Hier verfügt die GUS, wie der Atomexperte Gerhard Locke vom Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen berechnet hat, über 500 bis 1000 Tonnen, die USA sitzen laut Nukem auf einem Vorrat von mehr als 600 Tonnen.
Wird die Energie bei Uran und Plutonium durch Kernspaltung freigesetzt, so beruht die Wirkung des dritten Bombenelements auf dem gegenteiligen Effekt: Tritium, ein Isotop des Wasserstoffs, entfesselt ungeheure Kräfte bei einer Verschmelzung von Atomkernen. Obwohl waffentechnisch äußerst wichtig, ist dieser Stoff mengenmäßig weniger bedeutsam: Jede der beiden Großmächte hat davon bisher nur etwa zwei Zentner erzeugt. Ein paar Gramm Tritium genügen, um die Zerstörungswirkung eines Atomsprengkopfes auf Plutoniumbasis drastisch zu erhöhen. Eine ausgeklügelte Kombination von Tritium und Plutonium ist das technische Geheimnis der taktischen Miniatur-Atomgranaten. Die großen strategischen Atomwaffen, die für interkontinentale Trägerraketen entwickelt wurden, wirken dagegen in erster Linie durch die Tritiumfusion. Der Plutonium-Sprengsatz dient quasi als Auslöser.
Beim zivilen Recycling der Bombensubstanzen spielt Tritium keine Rolle: Fusionskraftwerke sind zwar ein langfristiges Ziel der Wissenschaft, doch mit ihrer Realisierung rechnen Experten frühestens in 50 Jahren. Und bis dahin haben sich die heutigen Bestände dieses strahlenden Wasserstoffs bereits zu 95 Prozent in harmloses Helium umgewandelt. Denn im Gegensatz zu den beiden Schwermetallen Plutonium und Uran hat dieses Gas eine mit zwölf Jahren sehr kurze Halbwertzeit. Zum Vergleich: Plutonium 239 zerstrahlt in 24360 Jahren zur Hälfte, das spaltbare Uranisotop 235 in 710 Millionen Jahren.
Das übriggebliebene Spaltmaterial wurde bisher für neue Waffen wiederverwendet. Während in Europa über eine kommerzielle Plutoniumnutzung intensiv nachgedacht wird, lagern die Amerikaner das Material, das bei der Verschrottung eigener Atomwaffen frei wird, einfach ein, was eine spätere Verwendung in neuen Atomwaffen nicht ausschließt. Allerdings könnte es sein, daß das amerikanische Energieministerium bald seine großen HEU-Schober räumt: In einem Worstcase-Szenario kalkulierte kürzlich die Marktforschungsabteilung der Hanauer Nukem GmbH, welche Auswirkungen das für die Nuklearindustrie hätte: „Nachdem mit dem schnelleren Abfluß der zivilen Vorräte gerade ein Hindernis, die Preise zu erhöhen, schwindet“, heißt es in dem „Market-Report“, „baut sich zum Leidwesen der Produzenten offenbar ein neues auf.“
UJF
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