In das allgemeine Lamento über den technologischen Rückstand Deutschlands stimmt Andreas Rößler nicht ein. „Bei industriellen Anwendungen haben wir weltweit die Nase vorn“, triumphiert der Stuttgarter Arbeitswissenschaftler. Sein Fachgebiet wirkt auf den ersten Blick exotisch: Mit Hilfe „virtueller Realität“ simuliert er beispielsweise das Interieur von Häusern, die noch gar nicht gebaut sind.
Stuttgart gilt bei Insidern als Mekka des Cyberspace, wie die künstliche Welt aus dem Computer auch genannt wird. Dort suchen Wissenschaftler der Fraunhofer-Institute für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) sowie des Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) nach Abkürzungen des Weges von der Idee zum Produkt. Erste Nutznießer des ungewöhnlichen Know-hows sind Büro-Einrichter, die in imaginären Räumen Möbel rücken können, oder der Mannheimer Pharmakonzern Boehringer, dessen neue Abfüllanlage für Diagnostik in der synthetischen Bilderwelt des Cyberspace optimiert wurde.
Im kommenden Jahr werden nun auch Forscher von Mercedes-Benz die klobigen Bildschirmbrillen aufsetzen. Der Konzern ist industrieller Partner eines Sonderforschungsbereichs, den die Deutsche Forschungsgemeinschaft eingerichtet hat. Das Ziel: „Rapid Prototyping“, zu deutsch: „Verkürzung von Entwicklungszeiten“.
Unter Federführung des Instituts für Arbeitswissenschaften und Technologiemanagement der Universität Stuttgart soll eine Software entstehen, die den Entwickler eines Produkts intuitiv arbeiten läßt. Mit imaginärer Knetmasse perfektioniert er per Handbewegung die Form des Gegenstands, der vor seinen Augen im Raum zu schweben scheint – in diesem Fall eines Autoteils. Der Computer checkt Abmessungen und Montagefreundlichkeit, schließlich werden die Daten an einen Roboter übermittelt, der ein maßstabgetreues Formmodell fräst.
Bisher werden, wenn sich ein Produkt entwicklungsbedingt ändert, mit hohem Zeitaufwand jeweils neue Prototypen hergestellt.
Das Mercedes-Engagement ist bisher noch eine Ausnahme in der Cyberspace-Szene. Denn die deutsche Großindustrie nähert sich der neuen Simulationstechnik nur sehr zögernd. „Aus diesem Grund können wir viele Ideen momentan nicht umsetzen“, hält Rößler den Konzernen vor. UJF
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