Porträt: Gottvater und Müllmann

Mit Geschick und Chuzpe hat der Uni-abbrecher Larry Ellison den zweitgrößten Software-Konzern der Welt aufgebaut. Jetzt kennt er nur noch ein Ziel: Die Nummer eins zu werden.

 

„Das ist wirklich nicht fair“, geifert Datenbanken-Tycoon Lawrence Joseph Ellison ohne jede Zurückhaltung gegen seinen Konkurrenten Microsoft. Ein Unternehmen, das noch nie eine bahnbrechende Innovation selbst entwickelt habe, sei binnen weniger Jahre zum größten Softwarehaus der Welt herangewachsen. Die Produkte seien teuer, ihre Zuverlässigkeit und Qualität bescheiden. Seit Jahren führt die US-Regierung Prozesse, um zu beweisen, dass das Quasimonopol des Supermilliardärs Bill Gates nicht auf Innovationen beruht, sondern auf Hardselling, der beinharten Freistilvariante des Verkaufsgesprächs. Und seit Jahren füttert Ellison das Justizministerium mit scharfer Munition gegen Gates. Nach endlosen und zermürbenden Anhörungen und Plädoyers fällte Richter Thomas Penfield Jackson ein Urteil von alttestamentarischer Strenge: Die Herstellerfirma des Betriebssystems Windows soll so bald wie möglich in Stücke geschlagen werden.

Ellison am Ziel seiner Träume? Gates im Schach – der größte Triumph im Leben des Kaliforniers? Wohl kaum. Denn Ellison, den alle Larry nennen, steht überraschend selbst mit Rücken zur Wand. Der Gründer, Chef und Großaktionär des Software-Konzerns Oracle hatte Privatdetektive auf Büroabfall gemeinnütziger Organisationen angesetzt, deren Funktionäre Microsoft als Entlastungszeugen benannt hatte. Die Spürnasen waren aufgeflogen, als sie versucht hatten, einer Putztruppe Altpapiersäcke abzukaufen. Es kam ans Licht, dass die Ausgespähten tatsächlich großzügig Spenden von Gates erhalten hatten, doch die US-Öffentlichkeit wertete die Aktion einhellig als peinlich und indiskutabel. Als die Trashgate-Affäre ihren Höhepunkt erreichte, vergraulte Ellison auch noch Ray Lane, die Nummer zwei bei Oracle und bis zu diesem Zeitpunkt sein wichtigster Manager.

Der Kampf Ellison gegen Gates trägt längst Züge eines „Dallas“-Drehbuchs und ist auch in etwa so alt. Wie einst Cliff Barnes mit allen Tricks versuchte, den zynischen Erfolgsmenschen J. R. Ewing kleinzukriegen, lässt der Silicon-Valley-Veteran Ellison keine Gelegenheit aus, es dem pennälerhaften Rivalen aus dem hinterwäldlerischen Nordwesten zu zeigen. Genau wie in der Seifenoper geht bei ihm ab und zu ein Schuss nach hinten los, Siege sind immer nur Etappensiege,
immer gibt es eine nächste Folge.

In einem Punkt unterscheidet sich Larry Ellison allerdings gewaltig von seinem TV-Pendant: Selbst nach seinen größten Misserfolgen steht er nie als Depp da. Schlimmstenfalls als Exzentriker, dem man verzeiht, wenn er sich den einen oder anderen Spleen leistet. Ellison wird mal belächelt, aber nie lauthals ausgelacht – dafür ist seine unternehmerische Bilanz viel zu respektabel und seine Persönlichkeit viel zu beeindruckend. Seit sich die bröckelnden Aktienkurse von Microsoft und das Kurshoch von Oracle auf halbem Weg getroffen haben, ist Ellison auf dem Papier so reich wie Gates. Um die 50 Milliarden Dollar beherbergt seine Privatschatulle.

Schießt Larry seine Giftpfeile gegen Bill und dessen Windows-Rechner ab, teilt sich sein Publikum immer in zwei Lager: Das eine unterstellt ihm blanken Neid auf den erfolgreichen Wettbewerber, das andere amüsiert sich diebisch. So als sei der Hader – wie bei Sun-Chef Scott McNealy – vor allem ein Marketing-Spiel, um die eigenen Produkte zu fördern: Larry’s Showtime.

Beide Fraktionen haben wohl Recht. Wie vielschichtig die Persönlichkeit dieses Mannes ist, offenbarte der Journalist Mike Wilson 1997 mit seiner Biografie „The Difference Between God and larry Ellison“ (die korrekte Antwort auf den Buchtitel, der jedem Oracle-Angestellten als Scherzfrage gestellt wird, lautet übrigens: „Gott bildet sich nicht ein, er sei Larry Ellison“). Zwar schwankt Wilsons Urteil über Ellison zwischen Abscheu und Verehrung, dennoch autorisierte der Porträtierte das Werk generös. Die Geschäftspraxis des Unternehmens schildert Wilson mit so spitzer Feder, dass die Leser den Firmennamen Oracle problemlos gegen Microsoft austauschen können.

Auch wenn kaum jemand dem streitlustigen Ellison die Rolle des Saubermanns abnimmt, der aus hehren Motiven das Windows-Monopol attackiert, genießt er bei den Medien und Analysten nach wie vor einen Bonus. Vom Auftreten her können zwei Menschen kaum unterschiedlicher sein als Ellison und der 44-jährige Gates. Während der Microsoft-Boss jahrelang hart an sich gearbeitet hat, um nicht mehr wie ein verzogener Bengel ohne Stil und Manieren zu wirken, vermittelt der stets elegant gekleidete Oracle-Chef seinen Zuhörern stets das Gefühl, er wisse genau, wovon er redet – auch wenn das, im Gegensatz zu seinem Widersacher, keineswegs immer der Fall ist. Verglichen mit Gates, der trotz Heirat und Familiengründung das Image des verklemmten Techies nicht los wird, strahlt der 55-jährige Ellison immer noch einen ungeheuren Sexappeal aus. Der sportliche Junggeselle steht im Ruf, nichts anbrennen zu lassen. Die Redaktion des Web-Magazins Askmen.com attestierte ihm kürzlich 92 von 100 möglichen Punkten in der Disziplin „Women Magnetism“ und 91 Punkte in „Charisma & Charm“. Mit seinen Hobbys Hochseesegeln und Kampfjetfliegen verdiente er sich den für sein Alter respektablen Männlichkeitsfaktor von 86.

Solche angenehmen Trophäen bringen ihn seinen gesteckten geschäftlichen Zielen kaum näher. Weil er fest davon überzeugt ist, dass die Welt keine aufgedonnerten Personalcomputer braucht, versucht der Software-Mann seit Jahren störrisch, einen minimalistischen Internet-Rechner für jedermann auf den Markt zu bringen, der sich Programme bei Bedarf aus dem Web lädt. Mit dieser Vision ist er in der Branche schon heftig gegen die Wand gelaufen – wie auch mit Utopien, in den Nischenmarkt für Hochleistungscomputer einzusteigen. Doch Ellison wäre nicht Ellison, wenn es ihn kümmerte, was die Fachpresse schreibt oder die Kollegen urteilen. Er zieht allerdings umgehen Konsequenzen, wenn er seine eigenwilligen Ansichten erfahrenen Führungskräften nicht vermitteln kann. Voriges Jahr musste er miterleben, dass Mitchell Kertzman, der neue Boss seiner alten Internet-Computer-Firma NCI, das ursprüngliche Geschäftsmodell über den Haufen warf und stattdessen Software für interaktives Fernsehen entwickelt. Für seine neue Start-up-Firma The New Internet Computer Company (NICC) engagierte Ellison als Geschäftsführerin die populäre TV-Moderatorin Gina Smith, deren Hauptqualifikation darin besteht, dass sie an seine Ideen glaubt. Die 35-Jährige muss nun das Geschäft mit den 199 Dollar teuren Surf-Geräten allein ins Rollen bringen. Ihr Vorbild Larry schmeißt nach dem Abgang des erfolgreichen Oracle-Geschäftsführers Lane im Stammhaus wieder selbst den Laden.

Einen Nachfolger für Lane, so berichten Mitarbeiter, will er gar nicht erst suchen. Wozu auch: Wenn die amerikanische Regierung Microsoft wirklich in zwei Teile zerlegt, steigt Oracle von selbst zum größten Software-Haus der Welt empor. Dann hängt es bloß von den Aktienkursen der Microsoft-Nachfolgefirmen ab, ob der reichste Mann der Welt Larry Ellison heißt.

Erschienen in BIZZ 9/2000.

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