Medizin-Websites: Quacksalber online

Im Internet machen sich selbst ernannte Gesundheitshelfer mit ihren medizinischen Weisheiten breit. Nur ein Bruchteil der Angebote hilft wirklich weiter. Belangloses,  Pharmawerbung und pure Scharlatanerie dominieren das Netz.

Elektromagnete killen Malaria-Erreger. Impotente Männer fordern Viagra auf Kassenrezept und bei Grillfesten droht die Salmonellenplage. Abstruse Ratschläge, obskure Heilmethoden, Wunderpillen zum Supersonderschmugglerpreis frei Haus. Willkommen im Internet, dem fröhlich-chaotischen Medizinmarkt.

Die Produktion von Health Content floriert weltweit. Weit über eine halbe Million deutschsprachige Internet-Seiten, so schätzen Marktforscher, drehen sich um das Thema Gesundheit – von der Vorbeugung über die Erkennung bis zur Behandlung und Nachsorge von Krankheiten, von hochkarätiger Fachinformation bis zu verantwortungslosem Humbug. In den USA gibt es schon fast so viele Gesundheits-Web-Seiten wie Menschen, die sie regelmäßig nutzen: mehr als 20 Millionen. Hinzu kommt die Beratung per E-Mail: Internet-Freaks beschreiben ihre Wehwehchen auf einer elektronischen Postkarte und erwarten, dass ihr Hausarzt mausklickend seine Ferndiagnose übermittelt. „To see a doctor“, einst durchaus wörtlich gemeint, empfinden sie als lästig – jedenfalls solange die Beschwerden nicht zu arg sind.

In Deutschland gibt es derart extreme Szenarien noch nicht – nicht nur, weil die Konsultation per E-Mail laut Gebührenordnung für Arzte nicht abgerechnet werden kann. Nach derzeitiger Rechtslage ist hier zu Lande so manches unmöglich oder zumindest standeswidrig, was für einen Amerikaner erst den Reiz der E-Medizin ausmacht. Das beginnt bei rigorosen Datenschutzregelungen, die verhindern, dass Patienten freiwillig zusätzliche Angaben auf ihre Versichertenkarte speichern lassen, und endet beim Verbot des Versandhandels mit Arzneimitteln.

Von überkommenen gesetzlichen Einschränkungen lassen sich ehrgeizige Firmengründer, Venture-Capital-Fonds wie Apax und Großinvestoren wie Bertelsmann, Telekom oder BHS (eine Holding der Metro-Eigner Beisheim, Haniel und Schmidt-Ruthenbeck) allerdings nicht beirren. Mit griffigen Markennamen wie Netdoktor oder G-Netz, Gesundheitsscout24 oder Lifeline versuchen sie, die Claims abzustecken für die E-Phase, in der neue, liberalere Regeln gelten. Immerhin hat Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer unlängst bei einem Treffen mit ihrer amerikanischen Kollegin Donna Shalala signalisiert, dass sie legale Online-Apotheken besser fände als illegale Importe aus dubiosen Quellen, die heute im Internet anzutreffen sind.

Dass es an Nachfrage nach medizinischen Informationen und Produkten nicht mangelt, steht für die Investoren fest. Da den von ihren Kassenärztlichen Vereinigungen zum Sparen gezwungenen Arzten zu wenig Zeit für gründliche Beratung bleibt, sind die Patienten dankbar für jede Chance, mehr über ihre Krankheit in Erfahrung zu bringen. Und wer, wie Allergiker, Diabetiker und Herzkranke, über längere Zeit hinweg die gleichen Medikamente braucht, wird diese gerne online ordern, wenn er dadurch Geld spart.

Noch sperren sich die Standesorganisationen der Arzte und Apotheker gegen Versuche, im Netz um Patienten zu buhlen oder ihnen online Pillen anzudrehen. Für sie sind elektronische Branchenbücher, in denen sich die Mediziner mit Anschrift, Sprechzeiten, Spezialausbildungen und Anfahrtsskizzen präsentieren, bereits mehr als genug. Doch die Anti-Web-Koalition der Funktionäre ist löchrig. Mediziner lassen sich allzu gerne bei ihrer Eitelkeit packen, wenn ein Health-Portal einen wissenschaftlichen Beirat sucht.

Trotz der akademischen Aushängeschilder und promovierter Redakteure bleibt die inhaltliche Qualität der Gesundheitsseiten allzu oft auf der Strecke. Zum Beispiel packt das von T-Online gesponsorte G-Netz eine Meldung über die Malaria-Bekämpfung mittels magnetischer Felder unter die Rubrik Kurioses und liefert noch eine Beinaheanleitung zur Selbsttötung gleich mit. Die Ursprungsnachricht war seriös und lässt sich stichwortartig folgendermaßen darstellen: Wirtstiere der Malaria-Erreger sind Mücken, die Blut saugen. Ein Bestandteil des Bluts, das Hämoglobin, dient dem Erreger (Plasmodium) als Nährstoff. Hämoglobin wiederum enthält Eisen, das seinerseits auf Magnete reagiert.

So kam US-Forscher Henry Lai auf die Idee, pulsierende elektromagnetische Felder auf die Erreger loszulassen. Scheinbar mit Erfolg: „DenMalaria-Erreger“, dichtete die G-Netz-Redaktion, „reißt es schier in Stücke.“ Die Münchner bereicherten die Fakten um eine haarsträubende Gebrauchsanleitung für eine kostengünstige Therapie mithilfe von Draht und Steckdose: „Eine Rolle Draht wird an der Decke befestigt, eine andere auf dem Boden. Dann wird der Draht an die Steckdose angeschlossen und somit unter Strom gesetzt. Betritt die erkrankte Person das Feld, wird der todsichere Mechanismus in Gang gesetzt.“

Das sollte besser niemand ausprobieren: Bisher hat Henry Lai lediglich publiziert, dass niederfrequente elektromagnetische Felder in Laborversuchen ein bis zwei Drittel der Plasmodien außer Gefecht setzten. Um die Methode gefahrlos an Patienten testen zu können, muss er noch eine Weile forschen.

Auch den Gründern der übrigen Health-Portale ist der große Wurf nicht so recht gelungen. Manche der auf munteres Infotainment getrimmten Homepages wirken wie Freizeitlektüre für Hypochonder, andere erinnern an Internet-Scripte von Medizinstudenten für jüngere Kommilitonen. Ihnen gemeinsam ist die Fixierung auf den Mainstream – denn Krankheiten mit niedrigem Marktanteil bringen nur wenige Surfer auf die Web-Seiten. Und das ist schlecht für die Portal-Macher. Nur wer viele Seitenklicks verzeichnet, kann für seine Web-Pages hohe Preise für Werbebanner verlangen. Also stehen überall die Themen im Mittelpunkt, die auch der Bild-Zeitung stets eine Schlagzeile wert sind: Allergien und Alzheimer, Herzinfarkt und Schlaganfall, Parkinson und Krebs.

Die Orientierung an der Masse wäre noch zu verkraften, strotzte das Site-Innere nicht allzu oft vor Halbwahrheiten und Widersprüchen, Unausgegorenem und Veraltetem. So bringt es der Gesundheitsscout24 fertig, Neurodermitis einerseits unter die Rubrik Allergien zu stellen und auf eine Selbsthilfegruppe zu verweisen, die den Vortrag anbietet: „Neurodermitis ist heilbar.“

Andererseits empfiehlt die Redaktion die Dermis-Web-Seiten der Uni Erlangen, auf denen von kompetenter Seite all das wieder dementiert wird. Die Hautkrankheit sei, ist dazu lesen, keine Allergie, und eine endgültige Heilung gebe es auch nicht. Von der Verantwortung gegenüber den Patienten, die der Pressekodex den gedruckten Medien bei der Medizinberichterstattung auferlegt, ist bei der Online-Konkurrenz wenig zu spüren.

Wer sich von den Portalen praktische Hilfe für Notfälle erwartet, wird oft enttäuscht. Eine typische Situation: Ein Kind hat schwere Bauchkrämpfe, nachdem es einen Pilz gegessen hat. Das Internet könnte helfen, rasch anhand von Bildern zu klären, welche Pilzgattung für die Beschwerden verantwortlich ist und welche Sofortmaßnahmen sinnvoll sind. Doch der europäische Branchenführer Netdoktor versagt. Das Suchwort Pilzvergiftung quittiert er mit einemknappen „Nichts“.

Im Ernstfall ist eine traditionelle Suchmaschine wie Google den Medizindatenbanken überlegen. Nach zwei Sekunden erscheint die Homepage eines Pilzsachverständigen auf dem Monitor – mit allen wichtigen Angaben einschließlich der Adressen der deutschen Giftnotrufzentralen. Auch bei etwas exotischeren Krankheitsbildern (BIZZ hat es mit dem Fachbegriff Divertikulose getestet) vermittein die Suchgeneralisten einen halbwegs breiten Überblick über das im Netz verteilte Fachwissen, während viele Spezialportale auf die Frage nach der gesuchten Darmerkrankung nur ein paar dürre Worte aus dem Lexikon zitieren.

Aus diesen Links der Suchmaschinen brauchbare Erkenntnisse zu ziehen, erfordert freilich eine gewisse Erfahrung – mehr mit dem Internet als mit den medizinischen Inhalten. Wie in anderen Web Regionen, tummeln sich in der medizinischen Grauzone zwischen Uniinstituten und Selbsthilfegruppen, Wichtigtuer und Betrüger, Abzocker und Scharlatane sowie – kaum auf den ersten Blick zu erkennen – scheinbar unabhängige Experten. Wer beispielsweise im Netzwerk Medizin 2000 landet, sollte nachlesen, wer dahinter steckt: Der frühere Landarzt Dr. med. Jochen Kubitschek verdient inzwischen sein Geld mit Öffentlichkeitsarbeit für Arzneimittelfirmen wie Pohl-Boskamp und Hoffmann-LaRoche, was manchen Text des Online-Hausarztes in anderem Licht erscheinen lässt.

Eines der abschreckenderen Beispiele für das, wozu promovierte Mediziner fähig sind, ist unter Doc-service.de zu besichtigen. In einer Typografiewüste, die nur der Internet Explorer versteht, versucht ein praktischer Arzt aus Marktheidenfeld, die Homöopathie zu erklären – und verweist Interessierte auf eine Hotline, bei der Gebühren von 217,80 Mark pro Stunde fällig werden.

„Bald beginnt das Hauen und Stechen.“

Der Arzt und Multimediaexperte Frank Antwerpes fordert den legalen Pillenverkauf übers Internet. Der neue Vertriebsweg hilft, die Kosten im Gesundheitswesen zu senken.

BIZZ: Der Arzt hat immer weniger Zeit für Beratung. Holen sich die Patienten künftig ihre Informationen aus dem Netz?

Antwerpes: Viele chronisch Kranke tun das heute schon. Da halten die Patienten ihren Ärzten schon mal den Ausdruck unter die Nase. Auch die Selbsthilfegruppen im Web haben großen Zulauf.

BIZZ: Skeptiker sagen, die Wartezimmer seien voller Rentner – einer Zielgruppe, die wenig mit dem Internet anfangen kann.

Antwerpes: Das Klischee stimmt nicht. Es gibt viele chronisch Kranke, die erst 40 oder 50 sind. Jeder Patient hat heute jemanden in der Familie, der sich mit dem Internet auskennt. Für die Älteren recherchiert dann eben der Enkel.

BIZZ: Lässt sich mit medizinischen Websites Geld verdienen?

Antwerpes: Da bin ich skeptisch. Die meisten Start-ups verbraten gerade ihr Venture-Capital und hoffen, eines Tages mit Bannerwerbung Geld zu verdienen – wahrscheinlich vergeblich. Je mehr eine Site auf das Geld der Pharmaindustrie angewiesen ist, desto schwerer fällt es ihr, vom Patienten als unabhängig und glaubwürdig anerkannt zu werden. In den USA sind schon zwei große Anbieter mit ihren Business-Plänen gescheitert. Was gut läuft,sind Sites, die die Pharmaindustrie selbst aufgebaut hat.

BIZZ: Für unabhängige Informationen lassen sich die Patienten doch zur Kasse bitten. Ratgeberbücher kosten schließlich auch Geld.

Antwerpes: „Content is free“,heißt die Devise im Web. Das Internet ist voller kostenloser Informationen. Wer Geld verlangt, steht da wie jemand, der am Strand eine Tasse Sand verkaufen will.

BIZZ: Was sich verkaufen ließe, wenn es erlaubt wäre, sind Medikamente.

Antwerpes: Viagra bestellen die Leute heute bei den Web-Pharmacies im Ausland. Es kann nicht mehr lange dauern, bis das auch in Deutschland erlaubt ist. Die Politik steht unter enormem Druck, die Kosten im Gesundheitswesen zu senken.

BIZZ: Steht auch eine Lockerung für Medikamente bevor, die es auf Kassenrezept gibt?

Antwerpes: Gesetze kann man ändern. Warum soll nicht ein Diabetiker, der regelmäßig sein Insulin braucht, einmal ein Rezept an die Versandapotheke schicken und dann ein Jahr lang seinen Nachschub preiswert online bestellen?

BIZZ: Wenn Sie Recht haben, wer wird das Geschäft machen? Treten die Pharmagrossisten dann gegen die Apotheker an?

Antwerpes: Gewiss. Firmen wie Gehe warten nur darauf, dass die rechtlichen Hürden fallen. Dann beginnt das Hauen und Stechen.

STICHWORT

Health-Portal: Als Portal werden im Internet Homepages bezeichnet, die als erste AnlaufsteIle gedacht sind. Health-Portale bündeln also Informationen für Kranke und Gesundheitsbewusste.

Online-Apotheken: In den USA dürfen Internet-Versandhändler sogar rezeptpflichtige Arzneimittel vertreiben. In der Europäischen Union ist dieser Versandhandel jedoch generell verboten.

Websites mit Nebenwirkungen

Wie Sie sich vor falschen Ratgebern im Internet schützen können

Ehrenkodex: Prüfen Sie, ob sich der Betreiber eines Gesundheitsportals auf den HoN-Code (Health on the Net) beziehungsweise den Washington Code of E-Health Ethics bezieht.
Gegencheck: Seien Sie immer skeptisch, wenn bestimmte Pharmaka oder Nahrungsergänzungsmittel hochgelobt werden. Geben Sie den Namen des Präparats oder des angeblichen Experten in eine Suchmaschine ein, um neutrale Referenzen zu finden.
Detektivarbeit: Stellen Sie mit einerWho’s-who-Anfrage fest, auf wen die Website angemeldet ist und ob es sich um eine Briefkastenfirma handelt (www.ripe.net, www.denic.de). Das ist besonders bei Web-Apotheken wichtig, die in den USA betrieben werden. Sie verstecken sich gerne hinter Anwaltskanzleien.

Erschienen in BIZZ 9/2000.

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