Die virtuelle Fotogalerie

Fotoagenturen – Der digitale Bildervertrieb ist auf dem Vormarsch, hat aber Kinderkrankheiten.

Adressen sagen manchmal einiges aus. Das 30-köpfige Team des Startups Vividia, einer Internet-Bildagentur, sitzt im Gewerbegebiet des nicht gerade angeagten Münchner Vororts Puchheim. Ein Standort Marke No-Name. Ganz ander die Prinzregentenstraße 89 in München: eine Premium-Anschrift mit hohem Markenwert. Selbst Nordlichter assoziieren die Nachbarschaft zum „Käfer“ und dem „Prinzregententheater“. Hier residiert Joachim Soyka, der in Ehren ergraute deutsche Repräsentant des Dia-Großverleihers „The Image Bank“.

Gemessen an der minimalästhetischen Behausung von Vividia wirkt das Hochparterre in Downtown wie eine Fotogalerie, in die jemand Schreibtische hineingezwängt hat. Der größte Fremdkörper in dem gründerzeitlichen Gemäuer ist der Arbeitsplatz von IT-Administrator Tim Pidun: ein Technik-Leitstand voller Computer, wuchtiger Monitore, Scanner, CD-Rom-Jukeboxen und Kommunikationsequipment. Am meisten wundert sich Joachim Soyka selbst über die Verwandlung seiner Firma zum (halben) Multimedia-Dienstleister. Dem bekennenden Computerlaien wurde zwar Mitte der neunziger Jahre klar, dass viele Kunden eines Tages Dateien den Dias vorziehen würden und er dann seine Kataloge online zugänglich machen müsste. Das Tempo der Entwicklung hat ihn allerdings fast umgehauen: „Vor ein paar Jahren habe ich noch gesagt, da dauert bis 2005 – mindestens!“ Dennoch hat der Agenturchef – in Zusammenarbeit mit seinem amerikanischen Franchisegeber – rechtzeitig die Kurve gekriegt, bevor ernst zu nehmende Newcomer in die Marktlücke stoßen konnten.

AIs Vividia-Gründer und Vorstandschef Thomas Bauer nach knapp einjähriger Vorbereitungszeit im April an den Start ging, verfügten die Image Bank und alle ihre wesentlichen Mitbewerber längst über stattliche Bilddatenbanken. So bietet Soyka sämtliche Fotos, die in den gedruckten Katalogen oder auf CD-Rom vorliegen, auch über das Internet an. Hinzu kommt noch eine Auswahl, die bislang nur mit Hilfe der branchenüblichen Spezialsoftware Apis abgerufen werden konnte. Die Etablierten hatten keine Wahl: Binnen weniger Jahre haben sich die Gesetze der Branche radikal gewandelt.

Radikale Veränderung

Wer seine Bilder nicht auch in elektronischer Form anbieten kann, gilt als nicht mehr konkurrenzfähig. Das Digitalbild ist dem Dia in vielerlei Hinsicht überlegen: Seiten der Agentur entfällt das aufwendige Handling: Dias duplizieren, Dupes versiegeln, archivieren, wieder heraussuchen, verpacken, versenden, auspacken und zurücksortieren. Die Rechnungsstellung kann unmittelbar mit dem Versand gekoppelt werden.

Außerdem entfallen Postlaufzeit und Portokosten. Der Kunde seinerseits ist nicht mehr auf den Researcher der Agentur angewiesen, sondern kann selbst in der Datenbank stöbern – und bekommt eine Vorlage in Layout-Qualität kostenlos frei Haus. Zudem spart er sich Haltegebühren, Lithokosten und – für viele Kreativlinge nicht minder wichtig – da Risiko, für verschlampte Dia oder Dupes aufkommen zu müssen.

Verschiedene Modelle

Während die traditionellen Anbieter die elektronischen Kopien als Ergänzung ihres Geschäfts ansehen, setzt das Vividia-Führungstrio Thomas Bauer, Volker Riedel und Bernhard Kraus konsequent auf ein Internet-Business-Modell. Die Agentur nimmt nicht – wie in der Branche bisher üblich – Fotografen exklusiv unter Vertrag, sondern sichert sich lediglich die ausschließlichen Vermarktungsrechte an bestimmten Bildern. Die Urheber erhalten ihre Originale zurück, sobald sie gescannt sind. Ein physisches Archiv gibt es nicht mehr.

Sogar das Honorarmodell ist neu: Wer ein Bild via Internet herunterlädt, zahlt einen Einmalbetrag und darf das Motiv – wie bei lizenzfreien CD-Roms – unbefristet so oft nutzen, wie er will, für beliebige Zwecke und Auflagen. Sobald der Download abgeschlossen ist, bucht Vividia den Betrag beim Kunden ab und schreibt die Hälfte der Erlöse dem Fotografen gut.

So simpel das Prinzip, so kompliziert ist allerdings manchmal die Realität. Die Schwierigkeiten beginnen schon bei der Motivauswahl am Computerbildschirm. Wurde der Kunde früher von einem erfahrenen Researcher betreut, der durch gezielte Rückfragen eruierte, welche Aufnahmen in Frage kommen, so hängt bei der Online-Suche alles von einer möglichst perfekten Kategorisierung ab. Und für die wiederum ist – nicht nur bei Vividia – in erster Linie der Urheber selbst verantwortlich.

„Viele Bilder findet man nicht, weil sie unter Schlagwörtern einsortiert sind, unter denen sie niemand vermutet,“ warnt die Fotografin Barbara Deller-Leppert, die schon einige Bilder über die Site der Puchheimer verkauft hat, ihre Kollegen. In der Praxis bedeutet das zum Beispiel, dass ein Fotograf seinen Architektur-Shot vom BMW-Hochhaus nur unter „Verwaltung BMW“ verschlagwortet hat. Schon ein banaler Flüchtigkeitsfehler, etwa ein ausgelassener Buchstabe, genügt, um ein Bild auf alle Zeit im digitalen Nirwana verschwinden zu lassen. Eine Funktion „Ähnlichkeitssuche“ wie in Online-Telefonbüchern ist bei Internet-Bilddatenbanken bislang ebenso unüblich wie ein Abgleich von Synonymen über einen Thesaurus.

Zur Qual wird die Fahndung nach digitalen Fotos oft auch durch die furchterregende Aufbereitung der Websites. Wer im – an sich gut bestückten –Berliner Web-Archiv „Fotofinder“ Bilder zum Thema „Deutsche Bank“ sucht, bekommt standardmäßig sämtliche Aufnahmen angezeigt, die unter Schlagwörtern abgelegt sind, die entweder „Deutsche“ oder „Bank“ enthalten: Da bekommt man dann auch ein Porträt de Dresdner-Bank-Vorstandes oder eine Filiale der Deutschen Post zu Gesicht. Für eine sinnvolle Eingrenzung ist das Eingabefeld dieser „Fotosuchmaschine“ mit 24 Zeichen jedoch viel zu kurz. Schlimmer noch: Die Ergebnisse erscheinen ohne Worte auf dem Monitor – der Bildredakteur sieht ein Gesicht und erfährt nicht, zu welchem Namen es gehört. Die Alternative: Er kann 22 Seiten voller Kategorien und Unterrubriken durchsuchen, die aber nach schwer nachvollziehbaren Kriterien sortiert ind.

Ungeachtet solcher Kinderkrankheiten geht die Anpassung der analogen Archive ans Online-Zeitalter weiter. Image-Banker Tim Pidun und seine Kollegen an anderen Standorten vergrößern den Bestand an hochaufgelösten Bildern nach einer pragmatischen Methode. Gescannt wird nur „On Demand“, also wenn ein Klient ein Motiv tatsächlich braucht. Eine vollständige Digitalisierung von Hunderttausenden von Dias wäre nicht nur zeitraubend, sondern kaufmännischer Wahnsinn – alle klassischen Agenturen schleppen nämlich riesige Bestände an Fotos mit, die so gut wie nie (oder nicht mehr) verlangt werden.

Selbst die in den Katalogen abgedruckten Bilder liegen digital oft nur in minimaler Auflösung vor: gut genug für einen Thumbnail auf der Website, aber schon im Layout höchstens für ein Briefmarkenformat brauchbar. Vividia ist in dieser Hinsicht im Vorteil. AIs reinrassige Internet-Agentur legen sich die Puchheimer viele Motive gar nicht erst im virtuellen Lager an. Das einzige Kriterium beim „Art Buying“ ist die mutmaßliche Verkäuflichkeit eines Bildes.

Deller-Leppert weiß: „Die suchen vor allem glattes Material, wie es die Werbebranche in allererster Linie braucht.“ Ein Sortimentsschwerpunkt sind „People“-Motive –  ein Kerngeschäft auch der klasischen Bildagenturen. Diese kontern die Angriffe durch das Internet und durch die CD-Rom-Kollektionen, indem sie sich neu positionieren. Die US-Agentur Comstock <4> etwa bietet weniger anspruchsvollen Kunden digitale Massenware an, High-End-Kunden dagegen bekommen exklusive Bilder zum Premiumpreis.

Joachim Soyka, der trotz CD-Rom-Konkurrenz seit Jahren steigende Umsätze vermelden kann, will sich auf Verkäufe über den Preis erst gar nicht einlassen. Die Dienstleistungen der guten Agenturen, so argumentiert der Image-Bank-Chef, haben nun einmal ihren Wert.

Geldquelle Service

So hat er auch seine Preise kalkuliert: Wer sich Layout- oder Druckscans selbst vom Server herunterlädt, kommt billiger davon, als wenn er sie sich von Tim Pidun schicken lässt. Kunden, die auf die schnelle Sichtung der Fotos am Leuchtpult nicht verzichten wollen, erhalten auch weiterhin ihre Dia-Bögen.

Die Einnahmequelle „Service“ haben mittlerweile auch die Betreiber des durchrationalisierten Puchheimer Selbstbedienungsladens entdeckt. Thomas Bauer und seine Kollegen wollen das Vividia-Know-how, zu dem auch ein exklusives Verfahren zur Bilddatenkompression gehört, an Firmenkunden vermarkten.

AIs Application Service Provider (ASP) will Vividia den Unternehmen die Möglichkeit bieten, ihre visuellen Daten via Internet zu verwalten. Mit dieser Geschäftsidee sichert sich das Gründerteam solange ab, bis der Fotoverkauf via Internet sich endgültig durchsetzt.

Nachgefragt bei

Thomas Bauer, Gründer und Marketingvorstand der Internet-Fotoagentur Vividia aus Puchheim bei München.

Die Photokina war für Sie der erste Härtetest. Wie war die Resonanz?

Thomas Bauer: Wir haben festgestellt, dass uns die Fachwelt kennt. Vividia stand auf der Besuchsliste der Fotografen.

Wie kommt Ihr Konzept bei den Kunden an?

Bauer: Die Abrufe entwickeln sich erfreulich. Zahlen möchte ich aus Wettbewerbsgründen derzeit nicht nennen.

Was sind Ihre Ziele?

Bauer: Wir wollen beweisen, dass das digitale Business funktioniert. Wir machen E-Commerce in Reinform, weil wir online anbieten, liefern und abrechnen. Unser Angebot wird künftig alles umfassen, was digitalisierbar ist: auch Videos und Töne.

Das klingt nach harter Arbeit.

Bauer: Man stellt sich anfangs vieles leichter vor. Zum Beispiel hätte ich nicht geglaubt, dass manche Verlage tatsächlich noch analog arbeiten.

AUS <E>MARKET 41/2000.

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