Hoffnungen zerfließen

Portale. Der Niedergang von Yahoo reißt viele Wettbewerber mit. Web.de hält dagegen.

Auf den Servern von Yahoo tobt das Leben wie in einem Ameisenhaufen. 185 Millionen Computerbesitzer in aller Welt nutzen die Web-Seiten des größten und bekanntesten Internet-Portals als Startpunkt für Surf-Ausflüge. Da kommt schon mal eine Milliarde Seitenabrufe pro Tag zusammen. Dass die Rechner unter dieser Last nicht zusammenbrechen, ist zwar technisch ein Meisterstück. Börsianer haben den Respekt vor dieser Leistung allerdings verloren. Sie interessiert nur, was bei dem Online-Werbeträger unter dem Strich hängen bleibt. Und das ist nicht viel. Pro Nutzer und Quartal nehmen die Kalifornier nur einen knappen Dollar ein; kaum genug, um die laufenden Kosten zu decken.

Kein Wunder: Der Anteil der Surfer, die sich von den bunten Reklamebannern heute noch ablenken lassen, liegt bei Yahoo, Altavista & Co. im Promillebereich. Und jetzt schrumpft dank Dot-com-Sterben auch noch der Online-Werbemarkt. An der Börse verlor Pionier Yahoo deshalb gut 90 Prozent seines Werts. Kurzfristige Besserung ist nicht in Sicht. Schlimmer noch: Den Erfindern des einst hoch gelobten Geschäftsmodells, das sich am Fernsehen orientierte, fällt nichts mehr ein. Als Yahoo-Vorstandschef Tim Koogle Anfang März unvermittelt die Brocken hinwarf, um „frischen Talenten von außen“ Platz zu machen, wurde der Branche plötzlich klar, dass die einstigen Vorbilder sich katastrophal verrechnet hatten.

Die Krise verschont niemanden: Yahoo-Konkurrent Lycos Europe konnte nach seinem peinlich missglückten Börsengang noch so viele Erfolgsmeldungen verbreiten, die Aktie dümpelt weiter knapp über Pennystock-Niveau. Auch die Karlsruher Unternehmer Matthias und Michael Greve, die 1999 ihr Portal Web.de als deutsche Antwort auf Yahoo gegründet hatten, bekamen die Härte des Parketts zu spüren: Binnen Jahresfrist verlor der Senkrechtstarter am Neuen Markt 94 Prozent seiner maximalen Flughöhe – von 78 Euro stürzte das Papier auf 4,66 Euro ab.

Der Kurseinbruch war durchaus folgerichtig: Im Verschenken von geldwerten Leistungen sind die Greve-Brüder noch konsequenter als Ex-Star-Manager Koogle. So vergeben sie zwecks Kundenbindung nicht nur kostenlose E-Mail-Postfächer, sondern gleich ein komplettes Unified-Messaging-Paket mit SMS-Versand, Faxweiterleitung und Anrufbeantworter. Wer seine Reise vorbereiten will, findet unter http://web.de einen Routenplaner und Staumeldungen. Was das WWW an praktischen Services hergibt, bei Web.de finden es Zielgruppen wie Teens, viel reisende Jungmanager und Volksaktionäre geballt zum Nulltarif. Die Brüder investieren sogar in die Qualität ihres Sammelsuriums an Me-too-Angeboten. In der Presse kommen die Gratisdienste gut weg. Vom Medienlob beflügelt erreichte Web.de im Januar 3,5 Millionen Nutzer, die im Durchschnitt gut 100 Seiten abriefen.

Der Preis der Beliebtheit sind herbe Verluste. Jeden Euro Umsatz erkaufte das Unternehmen im vorigen Jahr mit 2,26 Euro Werbungskosten. So nahm die AG nur 11,9 Millionen Euro ein – und produzierte 29,9 Millionen Euro Miese, davon 26,9 nur für Marketing.

Für Matthias Hornberger, Vorstand für Geschäftsentwicklung, ist das kein Grund zum Pessimismus. Der Ex-Banker betrachtet die Ausgaben als „nachhaltige Investition“, die seine Firma von Werbegeldern unabhängig machen soll. Diesem Ziel sind die Deutschen näher als Branchenriese Yahoo. Während die Amerikaner zu 90 Prozent vom Bannergeschäft abhängen, verdient Web.de sein Geld bereits gut zur Hälfte aus Quellen wie Provisionen und E-Commerce. Derzeit wirbt die Website Kunden für den Commerzbank- Online-Broker Comdirect.

Solche Kooperationen werden nicht reichen. Analysten erwarten, dass die Surfer künftig zur Kasse gebeten werden. „Nutzwert“, glaubt Rüdiger Spies von der Münchner Meta Group, „wird in drei bis vier Jahren nicht mehr umsonst sein.“ Hornberger hält dagegen: „Nie werden wir für heute kostenlose Dienste Geld verlangen.“ Noch kann sich Web.de das leisten. Die Reserven aus dem Börsengang reichen bis zum Jahr 2007. ROK/UJF

Erschienen in BIZZ 5/2001.

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