Die meisten »Hiobsbotschaften« sind eigentlich keine.
Die wohl gebräuchlichste Metapher für »schlechte Nachricht« im Deutschen heißt Hiobsbotschaft. Wie so viele Redewendungen geht sie auf Johann Wolfgang von Goethe zurück, dem die biblische Figur des Hiob (auch Ijob, Job) unter anderem als Inspiration für den »Faust« diente. Der »Prolog im Himmel«, in dem Mephisto seinen Plan darlegt, den Doktor Faust in Versuchung zu führen, spielt an auf eine Wette Satans mit Gott, er werde dem erfolgreichen Viehzüchter Hiob seine unerschütterliche Frömmigkeit schon austreiben (Altes Testament, Buch Hiob). Gott ist sicher, dass sich Hiob auch dann nicht von ihm abwenden werde, wenn es ihm schlecht gehe, und gibt Satan freie Hand, dem braven Mann die schlimmsten Schicksalsschläge anzutun, dann werde er schon sehen. Einzige Bedingung: Ihn selbst müsse er am Leben lassen.
Keines der Unglücke erlebt Hiob selbst mit, stets überbringt ein Überlebender oder Augenzeuge die schreckliche Nachricht. Der erste Bote berichtet, ein kriegerischer Stamm habe Hiobs Hirten abgemetzelt und seine 500 Rinder geraubt. Noch bevor er ausgeredet hat, platzt der Zweite herein und konfrontiert den schockierten Bauern mit der nächsten Katastrophe, offenbar einem furchtbaren Gewitter mit anschließendem Steppenbrand: Das »Feuer Gottes« sei vom Himmel gefallen, die 7.000 Schafe seien mitsamt den Schäfern verbrannt. Auch er ist noch nicht am Ende, da steht schon der Dritte in der Tür und verkündet das allerschlimmste Unglück: Ein Wirbelsturm habe das Haus seines ältesten Sohnes zum Einsturz gebracht, just als dieser mit seinen neun Geschwistern beim Essen saß. Niemand habe überlebt. Der Rest der theologischen Parabel hat mit schlechten Nachrichten nichts mehr zu tun, darum hier nur so viel: Gott schenkt dem Leidgeprüften schließlich zur Wiedergutmachung neue Kinder und doppelt so viel Vieh, wie ihm genommen wurde.
Eine echte Hiobsbotschaft liegt demnach nur vor, wenn eins zum anderen kommt. Zwar kommt nach volksweisheitlicher Einschätzung ein Unglück selten allein, aber wenn die Metapher in der Presse auftaucht, bezieht sie sich doch meist auf ein einzelnes Ereignis. Ob die Betroffenen am Ende doch noch Glück im Unglück haben werden, lässt sich zum Zeitpunkt des Metapherneinsatzes auch eher selten absehen.
Den Ausdruck »Hiobsbotschaft« soll Goethe übrigens erst im Alter in einem Brief verwendet haben, vorher hatte er einen anderen Ausdruck bevorzugt. Als im »Götz von Berlichingen« ein Kurier die Gefangennahme des Adelbert von Weislingen durch den Ritter mit der eisernen Faust meldet, entfährt dem Abt von Fulda der Ausruf: »Eine Hiobspost!«
Aus „Profile“, dem Kundenmagazin von Observer Argus Media (heute Cision); Ausgabe 4 • 2/2006
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