Alles in Butter?

Toni Meggle ist der Vorzeigeunternehmer der deutschen Milchwirtschaft. Er machte eine Dorfkäserei zum berühmten Markenanbieter und führenden Pharma-Zulieferer. Der 75-Jährige kontrolliert inzwischen als Aufsichtsrat die Firma – und hegt und pflegt, was ihm am Herzen liegt.

Text: Ulf J. Froitzheim

Capital 22/2006

Nein, einen „Toni“ stellt man sich anders vor. Nicht so dominant. Nicht so ernsthaft. Der Mann, der seine Besucher in einem Chefbüro empfängt, das einst das Esszimmer seines Elternhauses war, sieht eher wie ein „Richard“ aus. Dreht er den Kopf leicht nach links, ins Halbprofil. sodass sein volles graues Haar am Hinterhaupt sichtbar wird, erinnert er frappierend an ein bekanntes Bildnis des Komponisten Wagner. Perfekt passen würde auch „Philipp“, der Pferdefreund. Aber der Hang zum Reitsport war dem Buben so wenig in die Wiege gelegt wie sein Faible für klassische Musik, beides kam erst später. Ohnehin: Im ländlichen Oberbayern der 30er-Jahre gebührte es dem Stammhalter, der einmal den Hof erben würde, denselben Namen zu tragen wie sein Großvater und Vater. So kam auch der spätere Molkereibesitzer, Portions- und Kräuterbutterpionier, Jäger, Musikrnäzen, Interessenvertreter, EU-Ostinvestor und Reitstallbesitzer Meggle zu seinen Vornamen: erstens Josef, zweitens Anton. Josef Anton Meggle III. Wenn er nicht der Sepp sein wollte, blieb ihm halt nur der Toni.

Die einstige Dorfkäserei ist heute Systemlieferantfür die Pharmaindustrie.

Mit dem Klischee vom Seppl, dem bayrischen Cowboy, wäre der Meggle Toni in etwa so treffend charakterisiert, als vergliche man die Meggle AG mit einer Dorfmolkerei, die noch offene Milch verkauft und Almkäse herstellt. Auch wenn Verbraucher die Marke mit Bodenständigem wie ihren Butterspezialitäten in Verbindung bringen: Das Unternehmen aus Wasserburg-Reitmehring, hinter dessen Werksgelände die Deutsche Ferienstraße Alpen-Ostsee verläuft, ist ein Global Player auf Märkten, von denen der Konsument wenig ahnt. Erfolgreiche Meggle-Produkte heißen Capsulac 60, Tablettose 70 oder Inhalac 230. Das klingt nicht nur nach Apotheke: Die Grundsubstanz vieler Pillen und Kapseln stammt aus der Milchfabrik am Inn. So beherrscht Meggle nicht nur den deutschen Markt für Kräuterbutter, sondern auch den europäischen für Pharmalaktose.

„Wir investieren sehr viel in die Entwicklung“, sagt Molkereimeister Meggle und erklärt en passant das Geschäft mit Compounds, jenen „funktionalen Hilfsstoffen der Galenik“, die sein Betrieb mit Pharmalaktose kombiniert – Käsereiabfall als Rohstoff. Die Molkerei fungiert als Systemlieferant, der Kunden wie Bayer maßgeschneiderte Trägersubstanzen für Pharmaka bietet. Was Meggle nicht erwähnt: Auch seine Lebensmitteltechnologen haben Know-how, das mit traditioneller Sennerromantik wenig zu tun hat. Wenn in der Zutatenliste einer Wurst Milcheiweiß steht, handelt es sich oft um ein eiweißangereichertes Molkenpulver aus der „Fondolac-Range“ oder ein Molkenproteinkonzentrat aus der „Globulal-Range“.

Im Rohstoff Milch, so scheint es, schlummert mehr Produktvielfalt als in Erdöl, und Meggle ist die Raffinerie, die weiß, wie man sie aufbereitet. Josef Anton I. würde staunen, was da alles an Verwertbarem aus dem Euter einer Kuh strömt – und was aus seinem Familienbetrieb geworden ist.

Der Gründer war 1877 aus Wald bei Marktoberdorf fortgezogen, nachdem seine Schwester den elterlichen Hof übernommen hatte. Er wusste, wie man Käse macht, doch der regionale Markt war gesättigt. „Das Allgäu war voller Käsereien“, erzählt Meggle und doziert ein bisschen über den wirtschaftshistorischen Zusammenhang zwischen Milchwirtschaft und Dampfmaschine. In Pfaffing bei Wasserburg findet sein Großvater Arbeit als Stallknecht, nebenher schafft er als Käser. 1887 pachtet er einen Hof in Reitmehring und gründet den Betrieb, den sein Sohn und vor allem sein Enkel groß machen werden.

Der Mann, der von Nutztieren lebt, hat großen Respekt vor der Natur.

Die wichtigste Entscheidung für den späteren Erfolg der Firma trifft Meggles Vater im Zweiten Weltkrieg. 1941 schickt er, der selbst nur eine Käserlehre absolviert hat, den Sohn ins Landheim – ein humanistisches Internat in Schondorf am Ammersee. Auf dem Privatgymnasium büffelt Meggle erst einmal Hochdeutsch, lernt Klavier spielen, begeistert sich für klassische Musik. 1950 legt er das beste Abitur seiner Klasse ab, könnte als erster aus seiner Familie studieren. Doch ihm ist klar, wo sein Vater ihn lieber sehen will als an der Uni: im Betrieb. Seine Lehr- und Wanderjahre führen ihn ins Allgäu, nach Weihenstephan oder nach Köln-Nippes. Der junge Meggle knattert auf seiner Vespa durch die Wirtschaftswunderzeit.

Wenn er schon nicht studiert, besucht der hochschulreife Lehrling wenigstens die Universitätsreitschule. 25-jährig kehrt Meggle, den Molkereimeisterbrief in der Tasche, heim nach Reitmehring, wo sein Vater seit der Währungsreform kräftig investiert hat – etwa in Sprühtürme, in denen Milch und Molke pulverisiert werden können. Anfangs findet der Junior noch Zeit, als Springreiter an Turnieren teilzunehmen.

1960 ist damit Schluss. Meggle wird nicht nur Vater, er avanciert auch zum geschäftsführenden Gesellschafter der Firma, die mit einer Innovation auf den Markt drängt: Portionsbutter für die Gastronomie. Zehn Jahre später zieht sich sein Vater aus dem Geschäft zurück.

Heute, im Alter von 75, ist Meggle Chef des Aufsichtsrats, versteht sich als „Assistent meiner Vorstände“. Seine fünf erwachsenen Kinder drängen keineswegs darauf, Verantwortung zu übernehmen in der Firma, die unter Führung ihres Papas den Umsatz auf mehr als eine halbe Milliarde Euro verfünfzigfacht und ihr Eigenkapital verhundertfacht hat. Der älteste Sohn Tom hat zwar die Koexistenz mit dem Vater und einem angestellten Geschäftsführer geprobt, wechselte dann aber die Branche und vermarktet jetzt Luxusgüter für die Richemont-Gruppe (Cartier). Die übrigen Nachkommen zog es in künstlerische oder soziale Berufe. „Meine Kinder sollen ihr Leben gestalten“, sagt Meggle altersweise, doch ein leicht melancholischer Gesichtszug scheint mitzuteilen, er habe zu dieser Einsicht nicht ganz ohne Schmerzen gefunden. „Sind sie glücklich und zufrieden, ist der Vater glücklich und zufrieden.“

So sehr der Vollblutunternehmer Meggle in seinem Beruf aufgeht: Am glücklichsten und zufriedensten wirkt er, wenn er sein Büro verlassen hat und in seinem Range Rover über die Feldwege seiner Heimat prescht, zu den Tieren, die er verwöhnt, oder zu jenen, auf die er mit der Büchse anlegt. So leistet sich der Urenkel eines Allgäuer Milchbauern ein Mini-Business, das ein emotionsloser Unternehmensberater wohl sofort auf die Verkaufsliste setzen würde, weil es nur ein Prozent zum Umsatz beiträgt: die Besamungsstation Rottmoos.

Dass der Chef des Unternehmens mit fast 1800 Beschäftigten hier regelmäßig vorbeischaut, verrät sein vertrauter Umgang mit den Mitarbeitern, die den hohen Besuch, wenn nicht alles täuscht, als Ehre empfinden. Mehr noch als zu den Rindviechern, die seine wirtschaftliche Grundlage bilden, zieht es den Unternehmer indes zu den Rappen, Füchsen, Braunen und Schimmeln. Ein gutes Dutzend Pferde beherbergt das Ehepaar Meggle auf dem Georgihof in Dunsern, liebevoll betreut von dem Düsseldorfer Dressurreiter Dieter Laugks und dessen Frau Dodo. Als Meggle und seine Frau Marina den Reitstall betreten, den sie 2005 gekauft und zu einem regelrechten Wellnesshotel für Pferde ausgebaut haben, kommt Laugks strahlend auf die bei den zu. Er hat ihnen schon die Pferde gesattelt – den Rappen Arc en Ciel, kurz Archie, für Meggle, den Fuchs Rubino für seine Frau. Dezent, aber gut sichtbar auf den blütenreinen Satteldecken: das Logo mit dem blauen Kleeblatt. „Es gibt weltweit nicht viele Reitställe wie diesen“, sagt Laugks. Die Tiere haben viel Platz, alles ist hell und blitzsauber, der Boden in der Reithalle ist staubfrei und gelenkschonend für die Pferde: gewachster, geölter Spezialsand, gedämpft durch Textilfasern.

Nur: Wie passt es zu einem Tierfreund, der so viel Aufwand treibt, damit es den Vierbeinern an nichts fehlt, dass er auf die Jagd geht, in seiner kleinen „Bauernjagd“ in Schlicht, am liebsten aber in seinem Revier in der Bluntau im Salzburger Land, wo es neben Rehwild sogar Gemsen gibt?

Über dieses Thema kann Meggle trefflich philosophieren. Ihn ärgert es, wenn Jäger als Tierquäler diffamiert werden: Das Tier höre den tödlichen Schuss nicht einmal, die Kugel sei schneller als der Schall. Er zitiert José Ortega y Gassets Meditationen über die Jagd: „Der Jäger jagt nicht, um zu töten. Er tötet, um gejagt zu haben.“
Schließlich kommt er auf den Punkt: „Mich interessiert nur der alte Bock. Mein Ehrgeiz ist, Wild alt werden zu lassen.“ Ihn reizt nicht die schönste Trophäe an der Wand, sondern die des ältesten Tieres, das sich in früheren Zeiten der Bär geholt hätte. Ein älterer Herr ist auch sein Jagdhund Alex, der sechste Deutsch-Drahthaar in Folge. Alt ist sein Lieblingspferd – Archie steht im 21. Lebensjahr. Der Pferdeschutzhof Gut Immling, den Meggle fördert, bewahrte schon so manches Ross vor dem unwürdigen Tod beim Metzger. Der Mann hat etwas, das in der Ernährungsindustrie längst nicht mehr selbstverständlich ist: Respekt vor den Tieren.

Respekt ist auch ein Schlüsselwort, wenn es um Meggles Umgang mit Menschen geht. Der Unternehmer kann zwar sehr bestimmend sein, aber hohe Ansprüche stellt er vor allem an sich. „Toni Meggle ist ein sehr gründlicher Mensch“, charakterisiert Eberhard Hetzner, Vorsitzender des Milchindustrie-Verbandes, seinen Vorgänger und Vize. Niemand bereite sich gründlicher auf Sitzungen vor. Solange ein Thema nicht abgearbeitet sei, fasse Meggle immer wieder nach. „Die res publica war mir seit meiner Jugend eine selbst gewählte Aufgabe“, sagt der Molkereichef, der einst den Arbeitskreis junger Unternehmer in München aufbaute. Er investierte immer viel Zeit in seine Ehrenämter: 25 Prozent seiner Arbeitszeit reservierte er für Aktivitäten in diversen Gremien der Milch- und Ernährungswirtschaft auf Landes-, Bundes- und Europa-Ebene. Um im Zeitbudget zu bleiben, kontrollierte sich Meggle mittels einer Strichliste selbst. Seine Rührigkeit trug ihm zwar auch Angebote aus der Politik ein, doch die wehrte er ab: „Ihr könnt mich nicht brauchen.“

Statt sich vor den Karren einer Partei spannen zu lassen, widmete sich Meggle lieber Zielen, die ihm am Herzen liegen – und bei denen er weiß, dass er alles selbst im Griff hat. Auf die Osterweiterung der EU bereitete er sich ganz anders vor als viele andere Unternehmer und Manager, die vor allem billige Produktionsstätten suchten, um in Deutschland teure Mitarbeiter entlassen zu können; ihm ging es darum, neue Märkte zu erschließen. Inzwischen ist Meggle-Markenware in den Milchregalen von Tschechien bis Bosnien etabliert.

Parallel zum Geschäft schob Meggle gemeinnützige Projekte an, von der Förderung des Behindertenreitsports bis zum Kultursponsoring. Auf dem Pferdeschutzhof Gut Immling im nahe gelegenen Chiemgau kann er bei des verbinden. Dort veranstaltet der frühere Opernsänger Ludwig Baumann jeden Sommer ein großes Opernfestival. Meggle und Baumann fanden über ihr Engagement für das Behindertenreiten zusammen, inzwischen ist Meggle einer der wichtigsten Mäzene des Festivals und des Pferdehofs. „Wir bekommen eine immense Unterstützung von ihm“, sagt Baumann dankbar. Sogar seinen 75. Geburtstag diesen Mai habe der „Grandseigneur“ und „Gentleman“ genutzt, um etwas für Gut Immling zu tun: Die Gäste durften dem Jubilar keine Geschenke machen, er nahm nur Spenden für den Verein entgegen.

Denkt jemand, der so viel erreicht hat und überall Anerkennung findet, ans Aufhören? In der Verbandsarbeit gewiss, da hat sein geordneter Rückzug begonnen. Für die Zukunft der Meggle AG fühlt er sich aber persönlich verantwortlich, auch gegenüber seinen Mitarbeitern, für die es ein Kulturschock wäre, würde das Unternehmen an die Börse gehen oder in der Hand von Finanzinvestoren landen. Was Meggle sich wünscht, ist ein offenes Geheimnis: dass sein Sohn die Familientradition fortführt. Einen Josef Anton IV. wird es zwar nicht geben, aber vielleicht einen Toni II. Meggles Sohn Tom heißt mit zweitem Vornamen Anton.

Sie sind der oder die 10918. Leser/in dieses Beitrags.

2 Antworten auf „Alles in Butter?“

  1. War da nicht was mit radioaktiver Molke die heute noch im AKW Lingen lagert?

    Der Pferdefreund wollte sie verfüttern. An wen? Ja nicht an Pferde?

    1. Haben Sie dazu zufällig einen Link? Heute lagert da meines Wissens nichts mehr. Ich habe einen obskuren Hinweis darauf gefunden, die Molke sei in Lingen gelandet, weil es dort eine Anlage gegeben habe, mir der man sie zumindest teilweise dekontaminieren konnte. Sie sei dann ein paar Jahre später als Viehfutter verwendet worden. Ob das stimmt, kann ich nicht prüfen. Ich weiß auch nicht, ob Toni Meggle noch der Eigentümer war. Vielleicht möchte Sie den alten Herrn mal fragen?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert