Er ist der Mann, der so gut wie alles über die Produktionsweise Toyotas weiß, ohne in dem Unternehmen zu arbeiten: Jeffrey K. Liker, AUtor des weltweiten Bestsellers „Der Toyota-Weg“.
Der Erfolgsautor entspricht in seiner ganzen Erscheinung dem Klischee des Wissenschaftlers: eher unauffällig und zurückhaltend, gleichzeitig offen und neugierig. Jeffrey Liker ist keiner jener Managementgurus, die mit ihrem Charisma Hallen füllen. Der freundliche Mann mit den grauen Schläfen und dem dezenten Vollbart braucht weder die große Geste noch den rhetorischen Showeffekt; er hat etwas zu sagen, will überzeugen, nicht überreden. So spricht Liker, so schreibt er auch – unaufgeregt, aber immer prägnant. Vielleicht kommt er gerade deshalb so gut an bei seinem Publikum: Nur selten gelingt es Professoren, mit Management-Literatur Auflagen zu erzielen, von denen die meisten Romanautoren nur träumen können.
Liker ist nicht eitel, aber schon ein bisschen stolz. In 22 Sprachen sei „The Toyota Way“ inzwischen übersetzt, erzählt er dem „Toyota Magazin“ im Besprechungsraum des Münchner Finanzbuchverlags, der 2006 die deutsche Ausgabe auf den Markt gebracht hat. Überall auf der Welt interessierten sich die Menschen für das Erfolgsrezept des größten japanischen Autoherstellers: in Litauen, Bulgarien, Indonesien, Vietnam. Die Gesamtauflage seines Buchs liege bei über 300.000, allein in Deutschland seien bislang 20.000 Stück verkauft. Für ihn das schönste Kompliment: „Viele Firmen kaufen Hunderte von Exemplaren – für ihr gesamtes Management.“
Wohl niemand, der nicht selbst bei Toyota gearbeitet hat, kennt sich besser aus mit dem Toyota Production System (TPS). Dieser Managementphilosophie, in deren Mittelpunkt die kontinuierliche Verbesserung von industriellen Arbeitsabläufen steht, hat der amerikanische Arbeitssoziologe sein halbes Leben und den Großteil seines Berufslebens gewidmet.
Vergleich der Autowerke
Als Liker 1979 an der Northeastern University in Boston seinen Bachelorabschluss in Industrial Engineering (Arbeitswirtschaft) macht, hat er – abgesehen von dem japanischen Hatchback, den er fährt – noch keinen Bezug zur fernöstlichen Autoindustrie. Auch in seinem Fachgebiet fühlt sich der Wirtschaftsingenieur nicht wirklich zu Hause. Mehr als die technokratische Planung rationeller Produktionsanlagen interessieren ihn soziale Aspekte der Fabrikarbeit – etwa Versuche mit autonomen Arbeitsgruppen und alles, was damals unter dem Schlagwort „Humanisierung der Arbeitswelt“ diskutiert wurde. Erst als sich ihm 1982 die Chance bietet, nach Michigan zu gehen, unweit der Autometropole Detroit, hat er „sein“ Thema gefunden. Der junge Wissenschaftler vergleicht die Arbeitsorganisation der amerikanischen Autowerke mit denen in Skandinavien und Japan – und entdeckt, dass Toyota das längst praktiziert, was ihn theoretisch beschäftigt: Mitarbeiter ernst zu nehmen und ihnen Freiraum zu geben, ihre Fähigkeiten zu entwickeln.
„Nobelpreis für Produktion“
Die Beschäftigung mit Kaizen, also der unaufhörlichen Verbesserung, mit Kanban als Grundlage des Just-in-time-Prinzips oder mit Jidoka, dem Austarieren der Vorteile von technischer Automation und menschlicher Intelligenz, lässt ihn nicht mehr los. 1989 promoviert Liker in Soziologie, 1991 startet er mit Kollegen an der University of Michigan in Ann Arbor das „Japan Technology Management Program“. Es gibt amerikanischen Managern und Studenten Einblicke in die Art und Weise, wie japanische Technologieunternehmen arbeiten. Viermal hintereinander – 1995, 1996, 1997 und 1998 – gewinnt Liker den Shingo Prize for Excellence in Manufacturing. Diese Auszeichnung, die von der Utah State University zu Ehren des japanischen Ingenieurs Shigeo Shingo vergeben wird, gilt laut Business Week als „Nobelpreis für Produktion“. Spätestens da gilt Liker, der sein Know-how über die eigens gegründete Unternehmensberatung Optiprise Inc. vermarktet, in den USA als Institution auf dem Gebiet der „schlanken Produktion“.
Bis er sich hinsetzt und sein Wissen zwischen zwei Buchdeckeln komprimiert, vergehen aber noch Jahre. Liker schreibt zwar gerne, aber publiziert vor allem in wissenschaftlichen Fachblättern, die ihn schreiberisch nicht sehr fordern. Hin und wieder hat er jedoch Gelegenheit, Beiträge für Amerikas renommierte Manager-Fachblätter zu verfassen – und die legen Wert auf erzählerische Qualitäten.
Gespräche enden bei der Autoindustrie
„Die Sloane Management Review hatte sehr gute Redakteure“, erinnert sich der Bestsellerautor, „die haben mir gesagt: ‚Das ist zu trocken, wo ist denn der rote Faden der Geschichte, die Sie erzählen wollen?’“ Bei der noch stärker auf Praktiker fokussierten Harvard Business Review lernt der Professor den Grundsatz: „Wenn der Manager, der das liest, nicht nach zwei Minuten begeistert ist, können Sie es ganz bleiben lassen.“ Die Redakteure arbeiten mit Liker, lassen ihn die Texte immer wieder umschreiben: „Das war manchmal ein schmerzhafter Prozess.“
Der weltweite Erfolg ist Jeffrey Liker bislang nicht zu Kopf gestiegen. Sein Lieblingssport ist zwar Golf. Auf den Geschmack kam er allerdings nicht durch Topmanager, die sich mit ihm in irgendwelchen Society-Clubs messen wollen, sondern durch seinen Sohn, der mit sechs Jahren beschloss, Tiger Woods nachzueifern. Also musste der Papa den Jungen auf die Driving Range begleiten, wo er entdeckte, dass ihm dieser Zeitvertreib auch Spaß macht. Obwohl Liker am Michigan-See wohnt, lässt ihn der Wassersport kalt – lieber macht er mit seiner Frau Ausflüge in nette kleine Städtchen der Region und übernachtet in Bed-and-Breakfast-Pensionen.
Schnell kommt das Gespräch wieder dahin zurück, wo bei Liker alle Exkurse nach zwei, drei Minuten enden – auf die Autoindustrie. Noch beim Smalltalk zum Thema Klimaschutz schließt er rasch eine Wissenslücke: „Bekommt man den Prius auch in Deutschland?“
Erschienen im Toyota-Magazin 3/2007
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