Das Billigkonzept der Konzernschwestern Media Markt und Saturn schwächelt. Die Ketten müssen weitere Käufer gewinnen: Durch neuen Schick, Beratung und Service. Weit sind sie noch nicht.
Text: Ulf J. Froitzheim
Ein unattraktiveres Ambiente als am Stahlgrubercenter ist in München schwer zu finden: ein Plattenbau, an dessen Waschbetonfassaden riesige rotgrundige Transparente Ende August für Digitalkameras werben: „Sauscharf! Mega-Umzug! Wir packen ein, Sie räumen ab!“
Dabei zieht es Martin Dilkaute gar nicht weg. Der Mitunternehmer der Media-Markt-München-Stahlgruber-Center TV-HiFi-Elektro GmbH hat seine Mitarbeiter schon wieder alles auspacken lassen, im selben Gebäude. Der hausinterne Umzug war nicht der letzte: Ende 2008 soll sich hier auf drei Etagen der „größte Media Markt der Welt“ breitmachen. Doch für einen Sonderverkauf taugt die kleine Zwischenlösung allemal, und so stehen um kurz vor sechs Uhr Mitarbeiter und Wachleute parat, einen Ansturm von Schnäppchenjägern zu kanalisieren, die das doppelseitige Zeitungsinserat „Saubillige Neueröffnung nach Umzug“ um den Schlaf gebracht haben soll.
Viel Mühe haben sie nicht: Unter den zwei Dutzend Frühaufstehern geht es gesittet zu. Immerhin nehmen einzeIne Kunden die Mikrowelle (22 Euro) mit zur Kasse. Das restliche Sortiment von geschätzten 40000 Artikeln würdigt kaum jemand eines Blickes. Dabei wäre es der perfekte Zeitpunkt, sich beraten zu lassen. So viel Ruhe haben die Verkäufer seIten.
Noch steckt die Media-Saturn-Holding – ihr gehören jeweils 90 Prozent der Anteile an den Märkten – lokale Flops locker weg, und längst nicht jede „Neueröffnung“ bietet so desillusionierende Szenen wie die in München. Doch der Trend ist eindeutig: Das Geschäftsmodell der Media-Markt-Mitbegründer Leopold Stiefel und Walter Gunz, das mehr als 25 Jahre lang prächtig funktionierte und die Ingolstädter Firmengruppe zur Ertragsperle der Metro wachsen ließ, hat seinen Zenit überschritten.
Der Umsatz pro Verkäufer liegt mit 382000 Euro im Jahr um vier Prozent unter dem Wert von 2003. Das Unternehmen wächst vor allem durch Expansion im europäischen Ausland. Rechnet man die stete Ausweitung der Verkaufsfläche heraus, betrug das Umsatzplus im deutschen Stammgeschäft 2006 gerade einmal 0,4 Prozent – und das trotz der zweifachen Sonderkonjunktur durch Fußball-WM und anstehende Mehrwertsteuererhöhung. Bis Juli 2007 sah der Zuwachs mit 1,3 Prozent, ebenfalls flächenbereinigt, nicht viel besser aus.
„Der deutsche Markt stagniert seit Jahren und wir haben es geschafft, in diesem Umfeld unseren Anteil zu erhöhen“, hält Roland Weise in Interviews gegen. Der Chef der Media-Saturn-Holding gibt sich „damit sehr zufrieden“. Doch Wettbewerber zeigen, dass mehr geht: So steigerte der Fachhandelsverbund Expert seinen Außenumsatz im Geschäftsjahr 2006/2007 um 14,8 Prozent, ein Drittel davon durch Flächenexpansion.
Zudem wird die Suche nach neuen Standorten schwerer: Seit Januar gönnten sich die beiden Vertriebslinien Rot (Media Markt) und Blau (Saturn) nur sechs neue Märkte in Deutschland, im Ausland wuchs das Filialnetz um 15 Standorte – eine Petitesse für einen Konzern, der 2005 und 2006 insgesamt 120 Läden aufgemacht oder übernommen hat, davon 38 in Deutschland. Gemessen an seinem gewohnten Tempo tritt der Schrittmacher der Metro fast auf der Stelle.
Rächt sich „Geiz ist geil“? Vize-Chef Klaus Peter Voigt will eine Abkehr von der provokanten Parole nicht bestätigen. „Als Konsumhaltung wird ,Geiz ist geil‘ ewig leben.“ Seine Firma stelle sich aber ein auf einen neuen, anspruchsvollen und preisbewussten Verbrauchertypus, den,er „clever Consumer“ nennt. Dieser Schlaukäufer soll in seinen Häusern „nicht an der Qualität, nicht am Service, nicht an der Beratung sparen, sondern nur am Preis“.
Rächt sich nun das langjährige Konzept „Geiz ist geil“?
In die Outlets der Kette, die von den beteiligten Geschäftsführern als Profitcenter geführt werden, scheint Voigts Philosophie noch nicht so recht vorzudringen. Beispiel München, Saturn in der Fußgängerzone: Der wegen der hohen City-Mieten etwas zu kompakte Laden – genauer gesagt seine Fotoabteilung – quillt fast über vor Interessenten. Sie buhlen um die Aufmerksamkeit der wenigen Verkäufer. Wer auf eigene Faust in den Regalen mit Kameraakkus und Speicherchipkarten den passenden Typ sucht, muss sich erst an seinen Mitkunden vorbeiquetschen, um dann festzustellen, dass die Beschriftung der SB-verpackten Ware doch Fragen offenlässt. Da heißt es warten, ein Gespräch stören, auf gut Glück kaufen – oder zur Konkurrenz gehen, wo die Ware oft auch nicht mehr kostet. Viele Computerabteilungen bei Saturn und Media Markt vermitteln ebenfalls den Eindruck, sie pflegten noch die „Stand-by-Beratung“, die Gründer Stiefel einst zum Kosten sparenden Bestandteil der Firmenphilosophie machte: Man lässt den Kunden tunlichst in Ruhe; bei Fragen wird er sich schon melden.
Glaubt man Voigt, haben die Ingolstädter die Zeichen der Zeit erkannt. Voigt: „Wir müssen der Komplexität der vernetzten Welt gerecht werden.“ Sein Haus bewerbe deshalb „sehr intensiv“ seine Dienstleistungen. „Installation, Lieferung, Home Service, vom Angebot her bleibt kein Wunsch unerfüllt.“ Service „als Produkt“ sei „definitiv verfügbar“. Will heißen: Er muss bezahlt werden.
Und die Gratisberatung im Laden? Zwar gibt es immer einen Hardwareexperten, der sich nach Einschätzung seiner Kollegen mit der gesuchten Gerätemarke perfekt auskennt, doch der spricht oder ist im Haus unterwegs. Voigt kennt das Problem und beteuert, ihn störe es auch, dass Kunden „vereinzelt“ und „insbesondere zu Stoßzeiten“ warten müssten. Dass zusätzliche Berater den Umsatz beflügeln könnten, glaubt er indes nicht: „Wir haben nicht zu wenig Personal.“
Doch so viele Mitarbeiter sind es auch wieder nicht für einen Vollsortimenter, der zunehmend erklärungsbedürftige Produkte anbietet: Eine durchschnittliche Filiale hat gut 3000 Quadratmeter und beschäftigt etwa 70 Mitarbeiter im Schichtdienst. In manchen Abteilungen ist es ganz alltäglich, dass ein Verkäufer auf einer Fläche von 100 Quadratmetern und mehr stundenlang der einzige Ansprechpartner ist.
So etwas ist gerade für reifere Jahrgänge, die auch für den Elektrohandel eine immer wichtigere Klientel werden, ein K.-o.-Kriterium: Wer sich als Techniklaie ein Heimkino mit Plasmabildschirm und Webanschluss zulegen will oder sich demnächst für Waschmaschinen interessiert, die den Programmablauf per Wireless-Lan an den Fernseher funken, steht sich ungern die Beine in den Bauch.
Fachhändler stürzen sich auf die Klientel der Best-Ager
Während der Marktführer noch mit sich ringt, stürzen sich die verbliebenen unabhängigen Händler auf die wachstumsträchtige Nische. Unter der Marke „Media@Home“ hat beispielsweise die Ditzinger Einkaufsgenossenschaft Euronics ein Konzept für ihre Händler entwickelt, das zahlungskräftige „Best Agers“ in den Mittelpunkt stellt. In eleganten Showrooms, die an gehobene Küchenstudios erinnern, zelebrieren die aus dem Massengeschäft gedrängten oder geflüchteten Fachhändler zeitlos moderne Lifestyleware von Marken wie Loewe, Bang & Olufsen oder KEF. Das Geschäftsmodell ist wie zur TV-Gründerzeit das des Handwerksmeisters: Die älteren Besserverdiener und wohlhabenden Jungpensionäre bezahlen Honorare für Beratung, Planung, Installation und Einweisung.
Einen Teil der Media-Saturn-Geschäfte gezielt auf gehobenere Klientel auszurichten – in Berlin haben beide Vertriebslinien zusammen demnächst 23 Häuser, in München neun, in Hamburg acht -, hält Voigt indes für überflüssig: „Wir wollen kein ,50-plus‘, sondern alle Zielgruppen gleichermaßen ansprechen.“ Ein Spagat. Nur selten zeigt er noch so durchschlagenden Erfolg wie bei der Eröffnung des weltgrößten Media Markts im Berliner Einkaufszentrum Alexa Mitte September: Die Sonderangebote erschienen rund 5000 Käufern so verlockend, dass es im Gedränge zu zerdrückten Glastüren und mehreren Verletzten kam.
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