Das Starnberger Unternehmen Interactive Wear integriert Elektronik in luxuriöse Kleidung – und wenn alles glattgeht, bald auch in ganz normale Arbeitsanzüge.
Der Backofen ist gefüllt und auch schon heiß, doch von Essensduft keine Spur. Auch der Blick durch das beschlagene Sichtfenster lässt einen rätseln: Seit wann dünstet man Tagliatelle im Ofen? Erst von Nahem betrachtet entpuppen sich die geruchsneutralen Bandnudeln als Textilbänder mit eingewebten Leiterbahnen – Komponenten für das, was in der Modebranche „intelligente Kleidung“ heißt und bei Techies „Wearables“.
Im Konzert mit zwei Waschmaschinen und einem Wäschetrockner macht der zweckentfremdete Herd die Küche der Starnberger Interactive Wear GmbH zum veritablen Forschungslabor. Markus Strecker, im zweiköpfigen Vorstand für Technik zuständig, stellt damit sicher, dass bei seinen Auftraggebern nur robuste Hightech-Textilien in Serie gehen. Als Projektpartner für Lifestyle-Schneider, die ihre Produkte mit technischen Finessen veredeln wollen, ist das 2005 von Infineon abgenabelte Spin-off der europäische Marktnischenführer. Zu den Kunden zählen bekannte Namen aus der Modebranche wie Loden Frey, Rosner, Triumph oder Bogner.
„Wir gehen immer mit einer Überspezifikation in die Tests“, erklärt Strecker (rechts). Die Funktionstextilien werden also nicht nur heißer gewaschen und schneller geschleudert, als der Waschzettel rät, sondern auch mit dem Bügeleisen traktiert. Mittlerweile findet sich robuste Technik aus Starnberg nicht nur in Jacken, sondern auch in Audio-Wollmützen, als Krachlederne getarnten Freisprecheinrichtungen und Solar-Badeanzügen, die beim Sonnenbad den Handyakku nachladen (unten).
Dass er all diese Produkte realisieren konnte, verdankt Sensorik-Spezialist Strecker seinen Mitstreitern Andreas Röpert (oben links) als Vorstandschef und Awa Garlinska als Aufsichtsratsvorsitzende. Begonnen hatte er mit den Entwicklungsarbeiten als Angestellter von Infineon. Seine in Kooperation mit Rosner entstandene MP3-Jacke P100 löste 2004 ein großes Medienecho aus, doch nach dem jähen Sturz des zukunftsgläubigen Vorstandschefs Ulrich Schumacher stand seine Abteilung plötzlich als nicht strategisch zur Disposition. Röpert, Unternehmensberater mit Siemens-Vergangenheit, sondierte im Auftrag eines Investors den Kauf der Wearable-Abteilung. Als klar wurde, dass beide Seiten nicht zusammenkommen, erarbeitete er zusammen mit Strecker ein Konzept für ein Management-Buy-out. Als Business Angel gewannen die beiden die frühere Infineon-Vertriebschefin Garlinska, ein weiterer Kleingesellschafter ist mittlerweile ausgeschieden.
Röpert und Strecker haben sich inzwischen an den Rhythmus der Modebranche gewöhnt. Gerade haben sie die letzten Verkaufsmuster für die Wintersaison 2008/2009 geliefert, derzeit läuft die Konzeptphase für den Sommer 2009. Dabei führt Quereinsteiger Röpert Interactive Wear als schlankes Unternehmen ohne eigene Fertigung. Nicht einmal alle F&E-Aktivitäten betreibt die Firma selbst: Die Solarmodule kommen aus Berlin, die Heizeinlagen für Bogner-Skihandschuhe von einem Allgäuer Spezialisten. Strecker kooperiert zudem mit Forschern im Wissenschaftspark La Doua in Lyon.
Die Arbeitsteilung hält die Kosten niedrig, 2008 rechnet Röpert – der zu finanziellen Details ansonsten eisern schweigt – mit dem Erreichen der Gewinnschwelle. Das Alleinstellungsmerkmal des Unternehmens sieht er darin, dass es als Komplett-Dienstleister die Schnittstelle zwischen Modedesignern und Elektronikentwicklern besetzt: Interactive Wear erklärt, wo ein Mikrofon hingehört, damit es nicht rauscht, und weist darauf hin, dass die Kunden eine Rückmeldung vom Gerät erwarten, wenn sie eine Sensortaste berühren.
Langfristig möchte Röpert nicht nur im Lifestyle-Markt reüssieren, sondern auch bei professionellen Anwendungen. So originell die Handy-Lederhose sein mag, viel lieber spricht der Unternehmer über bodenständige Anwendungen von Kommunikationstechnik, Textilheizungen oder Elektrolumineszenz-Folien. Geht es nach ihm, müssen sich etwa Monteure im Wintereinsatz künftig nicht mehr mit dicken Arbeitshandschuhen abplagen, und Feuerwehrleute und Sanitäter bekommen Arbeitskleidung, die aktiv leuchtet.
Name Interactive Wear
Branche Textilindustrie
Gründungsjahr 2005
Sitz Starnberg
Beschäftigte 10
Finanzierung Eigenkapital der Gründer, Business Angel
Erschienen in der Technology Review 1/2008
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