Erfolgreiche Unternehmen erkennt man daran, dass man ihren Namen gerne mitbezahlt – wie beim Einkauf, so auf dem Parkett.
Hand aufs Herz: Können Sie sich ein wertbeständigeres Aushängeschild der Marktwirtschaft vorstellen als den guten Stern auf allen Straßen? Welches Symbol erfolgreichen kapitalistischen Wirkens kann schon mit dem Mercedes-Logo konkurrieren? Taxifahrer und Trucker waren immer stolz wie Kanzlerchauffeure, das schlichte Emblem auf ihrem Lenkrad zu haben, stand es doch in der ganzen Welt für eine beneidenswerte Art der Fortbewegung: Lord, won’t you buy me a Mercedes-Benz?
Zu Janis Joplins Zeit war Mercedes die Referenzmarke, an der sich jedes Auto messen lassen musste, sogar der Porsche der Sängerin. Es war just another word for nothing better to buy. Preisen Wirtschaftswunderkinder ihr iPhone, sagen sie, sie hätten sich den Mercedes unter den Handys gegönnt. Tempi passati: Die Käufer der nächsten C-Klasse können wahrscheinlich froh sein, wenn ihr Benz noch als „der Apple unter den Mittelklasseautos“ anerkannt wird . Diesen Schluss legt die aktuelle Hitliste der wertvollsten Weltmarken nahe, die „BrandZ Top 100 Most Valuable Global Brands 2011„. An der Spitze dieses Defilees prominenter Logos glänzt das Kernobst aus Cupertino; der Dreispitz der Stuttgarter rangiert unter „ferner liefen“ – auf Platz 50, 20 Zeilen hinter dem weißblauen Propeller der Münchener Rivalen. Apples Markenrechte taxieren die Bewerter auf 153 Milliarden Dollar, die von Daimler auf exakt ein Zehntel: 15,3 Milliarden Dollar. IT- und Kommunikationslabel stehen bei ihnen durchweg höher im Kurs als Auto- oder gar Benzinmarken. Selbst einem regionalen Allerwelts-Handynetz wie „China Mobile“ attestieren die Analysten die dreifache Strahlkraft des Mercedessterns.
Anlegern deshalb zu raten, ihre Daimler-Aktien gegen Apple-Anteile einzutauschen, wäre allerdings voreilig – zumindest wenn es um eine langfristige Vermögenssicherung geht. Denn auch wenn die Marktforscher von Millward Brown, Urheber der BrandZ-Liste, einen Namen zu verlieren haben: So eindeutig ist die Sache dann doch nicht. Neben der Londoner Agentur, die einer Tochter des Werberiesen WPP gehört, tummelt sich nämlich eine ganze Reihe weiterer Markenbewerter auf dem Markt. Praktisch jeder führt Firmen, von denen außer ihm niemand Notiz nimmt, unter den Besten; jeder nennt andere Zahlen. Ein allgemein anerkanntes Rechenschema gibt es auch 50 Jahre nach den ersten Bemühungen akademischer Ökonomen nicht: Jeder Anbieter folgt seinen eigenen Prämissen und rechnet nach mehr oder weniger hausgemachten Modellen.
Die Folge sind eklatante Differenzen: Je nachdem, wen man konsultiert, liegen die Wert-Schätzungen für die Wort- und Bildmarken ein und desselben Konzerns bis zum Faktor fünf auseinander. Millward Browns Konkurrent Interbrand zum Beispiel, ein Ableger des WPP-Rivalen Omnicom, sieht Apples i-Marken ganz uneuphorisch bei nur 33 Milliarden Dollar; Amerikas Börsenliebling läge hinter Coca-Cola, IBM, Microsoft, Google, GE, McDonald’s und Intel auf Platz acht. Trost für Deutschlands Premium-Automobilisten: Mercedes und BMW folgen in relativ geringem Abstand.
Wenn selbst die Experten derart uneinig sind, ist die Versuchung groß, die Rankings zu ignorieren. Tatsächlich kann aber heute niemand mehr den Marktwert eines bedeutenden Unternehmens einschätzen, wenn er von dessen Portfolio an immateriellen Gütern keine rechte Vorstellung hat. Das Kapital, das in Patenten, Lizenzen und Markenrechten schlummert, übersteigt selbst in den Analysen konservativerer Bewerter nicht selten das klassische Anlagevermögen: Die Exklusivität einer gut geführten Marke macht der Billigkonkurrenz das Leben ebenso schwer wie einige feine Schlüsselpatente. Wer nur Geschäftsberichte studiert, bekommt von alledem bestenfalls einen Ausschnitt zu sehen, denn strenge Bilanzierungsregeln machen es schwer, gewerbliche Schutzrechte offiziell als Assets auszuweisen. „Markenrechte dürfen nur aktiviert werden, wenn sie zugekauft wurden“, erklärt der Marken-Broker Jürgen Kaeuffer.
Der Münchener Kaufmann ist einer der besten Kenner der Szene. Er vermittelt nicht nur heimatlos gewordenen Marken ein neues unternehmerisches Zuhause, sondern publiziert auch seit den 1990er-Jahren unter seinem Label „Semion“ ein Ranking von Deutschlands börsennotierten Markenartiklern. Hinweise auf firmenintern geschaffene Werte bringen die Investor-Relations-Abteilungen laut Kaeuffer gerne im inoffiziellen Teil des Geschäftsberichts unter, das sei legal. Paradoxe Folge der Rechtslage: Ausgerechnet die Aktiengesellschaften mit den renommiertesten Traditionsmarken sind zu Understatement gezwungen.
Dabei wirken starke Marken wie Versicherungen gegen Krisenzeiten – wenn nicht direkt, so doch durch die Aufmerksamkeit, die das Management einem nachhaltigen Marketing schenkt: Der Hauptzweck einer Marke heißt Marge, bewirkt wird er bekanntlich durch das Versprechen, ein höherwertiges oder wertbeständigeres Produkt zu erhalten, und erzielt durch die Bereitschaft treuer Kunden, den guten Namen mitzubezahlen, der für dieses Qualitätsversprechen steht. Diese gelernte Loyalität endet nicht abrupt, wenn sich die Wirtschaftslage verschlechtert. Wer sich in der Krise seinen Traum-BMW nicht leisten kann, gibt diesen Wunsch nicht auf, er verschiebt nur die Verwirklichung oder nimmt mal ein kleineres Modell. Aber solange die Marke ihn nicht enttäuscht, bleibt er ihr Fan. „Wenn nichts Extraordinäres passiert“, sagt Jürgen Kaeuffer, „wandelt sich das Image in den Herzen und Köpfen der Stakeholder nur langsam.“
Ein Vergleich der Marken- und Firmenwerte mit Hilfe „historischer“ Kursdiagramme und der Zehn-Jahres-Gegenüberstellung in Kaeuffers Markenranking belegt: Unternehmen mit einem nachhaltig wertsteigernden Markenmanagement zeigen an der Börse ebenfalls eine solide Performance. Auch wenn sie sich einer Baisse wie 2008/2009 nicht entziehen können: Firmen, die als „Corporate Brand“ selbst eine starke Marke sind (etwa IBM, BMW oder Linde) oder als Markenartikler über ein Repertoire sturmerprobter Premiummarken verfügen (wie Henkel oder Nestle), finden schneller zu alter Stärke zurück als Unternehmen, die vielleicht noch ansehnliche Umsätze machen, deren einst stolze Marken aber ihren Glanz verloren haben. Zu Letzteren zählen etwa der um ein Haar aus seinem Kerngeschäft ausgestiegene IT-Riese Hewlett-Packard, die nach neuen USPs suchenden Ex-Trendsetter Microsoft und Sony sowie der vor Apple, Samsung und Newcomer HTC in die Knie gegangene frühere Handy-Souverän Nokia.
Auch Siemens musste Federn lassen. Das Signet der Münchener war einst omnipräsent in deutschen Haushalten und Büros – es prangte auf Brauner und Weißer Ware, auf Telefonen und Computern, irgendwann stand es für alles und nichts, bis hin zu Ladenhütern wie der mannsgroßen Dampfbügelpuppe „Dressman“. Sich von Randbereichen zu trennen erschien logisch. Weil ihnen der Aufstieg zur ITK-Weltmarke nicht gelang, verabschiedeten sich die Siemensianer von Großrechnern und PCs. Statt den Wildwuchs im Telefonsortiment selbst zu lichten, überließen sie die Handysparte dem Partner BenQ, der die Marke beschädigte, und gaben schließlich noch die Submarke Gigaset aus der Hand. Da sich der Konzern zugleich aus anderen Sparten zurückzog – Chips landeten bei Infineon und Qimonda, VDO bei Conti, Kommunikationsnetze unter Nokias Regie –, litt zwangsläufig auch der Wert der Marke. Laut Semion-Chart schrumpfte er binnen zehn Jahren um 32 Prozent auf 7,2 Milliarden Euro.
Die Flurbereinigung im Konzernsortiment hatte also auch markentechnisch einen Preis mit neun Nullen. 2002 griff in Deutschland noch jeder, der etwas auf sich hielt, zum etwas teureren Siemens-Telefon. Um aus dessen Markenkern „Made in Germany“ mehr zu entwickeln, hätte das Unternehmen einiges in einen „geschlossenen“ Markenauftritt investieren müssen. Schon das Design war nicht aus einem Guss: Bei den Handys saß die rote Hörertaste rechts, bei den Gigasets links. Doch der Siemens-Vorstand war es leid – und nahm in Kauf, mitsamt den Telefonen auch die geldwerte Loyalität langjähriger Stammkunden abzuschreiben.
Wie man mit Handys und anderen elektronischen Massenartikeln gutes Geld macht, hätten sich die Deutschen und ihre auf Billig-Abwege geratenen finnischen Nokia-Kollegen bei Steve Jobs abschauen können. Getreu dem alten „Kraft“-Slogan „Nur Gutes verdient den Namen …“ stellte der die Marke in den Mittelpunkt und ordnete ihr die Produkte strikt unter. Anfangs gab es ein iPod, DAS iPod, dem peu à peu wenige weitere Modelle folgten, später kam ein iPhone, DAS iPhone, und schließlich ein iPad, DAS iPad.
Während die Konkurrenten in allen möglichen Preislagen und für jeden erdenklichen Nischengeschmack eigene Hardware konstruierten, designten und produzierten, die man nur anhand des Logos einem Hersteller zuordnen konnte, achtete Jobs sorgsam darauf, dass seine Kunden nie den Überblick über das Sortiment verlieren und selbst ein typischer Nicht-Kunde ein Apple-Produkt schon als solches erkennt, bevor er überhaupt den Apfel erblickt hat.
Der Expertenstreit, ob Jobs‘ Markenerbe nun 33 oder 153 Milliarden Dollar zum Wert des unternehmerischen Gesamtkunstwerks Apple beiträgt, dürfte dennoch ebenso müssig sein wie der Vergleich mit Mercedes. Jedes Markenranking stellt Äpfel nicht nur mit Birnen in eine Reihe, sondern mit Wassermelonen und Walderdbeeren. So hat es wenig Sinn, an ein Konglomerat aus Designstudio, XXL-Ingenieurbüro und Marketing-Thinktank mit Fertigungstiefe Null dieselbe Messlatte anzulegen, mit der man einen Autokonzern beurteilen will, der noch regelmäßig Milliarden in eigene Fabriken investiert.
Für jemanden, der langfristige Investments sucht, ist es viel interessanter zu beobachten, was vergleichbare Unternehmen im Lauf der Jahre aus ihren Marken machen. Spannend sind dabei vor allem jene Branchen, deren Protagonisten sich (dem von Apple und Nike perfektionierten Geschäftsmodell folgend) auf die Entwicklung und Vermarktung konzentrieren, die Produktion aber fast vollständig ausgelagert haben – auf die Gefahr hin, ihr Image und damit den Glanz der Marke durch zweifelhafte Arbeitsbedingungen in den Subunternehmen zu verkratzen.
Dass Markenwerte auf die dritte Nachkommastelle genau beziffert werden, lenkt deshalb nur ab von der Kernfrage: Was gehört im 21. Jahrhundert überhaupt alles zur Marke? Traditionell mussten die Bewerter vor allem durchrechnen, wie viel mehr Rendite eine Premium Brand wie Coca-Cola gegenüber einer weißen Marke beim Discounter abwirft, und dies anhand von Marktforscherprognosen (wie BrandZ), Expertenmeinungen (wie Interbrand) oder auch Analysen des Verbraucherfeedbacks auf Social-Media-Websites (wie Semion) gewichten.
In der modernen industriellen Arbeitsteilung wächst der Marke eine umfassendere Rolle zu. Sollte sie bisher den Produktentwicklern helfen, sich bestmöglich zu verkaufen, arbeiten heute die Designer und Konstrukteure der Marke zu. Im Extremfall sind Unternehmen, Marke und Geschäftsmodell identisch.
Um Markenrankings richtig zu lesen, muss man deshalb wissen, wer sie in welchem Kontext erstellt hat. Dass ausgerechnet die beiden am besten kommunizierten Listen von den größten globalen Werbeagentur-Networks stammen, die damit ihre eigenen Kunden mit denen der Konkurrenz vergleichen, hatte immer einen gewissen Hautgout. Um ihre Glaubwürdigkeit zu stärken, setzen die Bewerter inzwischen selbst auf Markenartikler-Strategien. Seit Oktober können sie sich auf ISO 10668 berufen. Dahinter verbirgt sich zwar keine verbindliche DIN/ISO-Norm, die ein konkretes Rechenmodell vorschreiben würde, aber immerhin eine Meta-Norm, die einen zertifizierten Anbieter auf die Beachtung der besten bestehenden Praktiken („Best Practice“) verpflichtet und ihn zwingt, Einblick in seinen Werkzeugkasten zu gewähren. Vor allem muss er den Zweck nennen, zu dem er die Bewertung vorgenommen hat.
Streng genommen ist es nur wichtig, die Markenrechte herauszurechnen, wenn man sie verkaufen will. Starke Marken verkauft man aber nicht.
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