Ich schätze eigentlich die Süddeutsche Zeitung sehr, aber gelegentlich rutscht der Redaktion ein kapitales Federvieh durch. So war es am Dienstag dieser Woche, also bei der Produktion der Mittwochsausgabe, genauer: Es war der Aufmacher auf Seite 1. „Geräte-Tests schönen Stromverbrauch“, lautete die Schlagzeile, und im Text ging es um eine „aktuelle Studie mehrerer europäischer Umweltschutzorganisationen, die der Süddeutschen Zeitung vorlag“. Dazu ist zunächst anzumerken, dass 1.) besagte Studie jedem vorliegt, der auf diesen Link klickt, weshalb es verwundert, dass der Autor die Vergangenheitsform wählte und uns irgendeine Exklusivität vorraunt, und dass 2.) die vier Urheber der Studie mit „europäische Umweltschutzorganisationen“ – freundlich gesagt – unkorrekt beschrieben sind (s.u.*).
Aber zur Sache: Richtig stutzig wurde ich in der zweiten Spalte, wo es reißerisch heißt, „jeder Haushalt könne jährlich fast 500 Euro“ an Energiekosten sparen, wenn strengere Effizienzregeln gälten – und das bereits bis 2020. Nanu? Hieß es nicht gerade, es gehe darum, „den Energieverbrauch in Europa um fast ein Zehntel zu senken“? Verbraucht ein Durchschnittshaushalt denn etwa Strom im Wert von 5000 Euro? Schließlich dreht sich die Studie ausschließlich um Elektrogeräte.
Natürlich ist die Zahl so eklatant neben der Kappe, dass es jedem auffallen müsste, der seine Stromrechnung nicht vom Hausverwalter seiner 20-Zimmer-Villa überweisen lässt. Dem Zweipersonenhaushalt, in dem ich lebe, berechnen die Stadtwerke München knapp 800 Euro pro Jahr; zufällig sind zwei Personen ziemlich genau die durchschnittliche Haushaltsgröße in Deutschland, so dass ich nicht umrechnen musste. Nun laufen die elektrischen Gerätschaften bei uns sogar viel länger als bei viele anderen Paaren, denn wir sind Freiberufler. Unsere Arbeitszimmer befinden sich im Haus, das keineswegs ein Niedrigenergiehaus ist, sondern eines mit traditioneller, wenn auch effizienter Heizungspumpe. Wollten wir nach allem, was wir schon zum Stromsparen getan haben, jetzt noch 500 Euro sparen, müssten wir 2020 mit 1000 Kilowattstunden auskommen. Wie bitte?
Hätte jemand, der sich mit Energiethemen auskennt, den Beitrag gegengelesen, wäre dieser nicht auf der Titelseite gelandet, sondern in der Rundablage. Denn die plakativste Aussage – dass sich unsere Stromrechnung um 500 Euro senken ließe – bezieht sich auf das Jahr 2009. Damals trat die erste der beiden EU-Richtlinien in Kraft, die im Zusammenspiel binnen elf und zehn (nicht drei!) Jahren diesen Fortschritt bewirken sollten. Der höchst unseriöse Verweis auf das Brüsseler Ziel ohne zeitliche Einordnung ist zwar den Autoren der Studie anzulasten. Aber der SZ-Autor und der zuständige Gegenleser hätten merken müssen, dass an der Zahl etwas nicht stimmen kann. Sie ist Wichtigtuerei der vermeintlichen Umweltschutzorganisationen mit dem Ziel aller PR: das eigenen Tun mit soviel Bedeutung aufzuladen, dass die Presse darüber berichtet.
Leider ist der Rest des Beitrags nicht besser. Das Ziel der EU-Kommission, den Primär- (!) Energieverbrauch von 2009 (!) bis 2020 um ein Zehntel zu senken, war etwas völlig anderes als die Senkung des Stromverbrauchs von Haushaltselektrik, der in Deutschland zu Beginn des genannten Zeitraums für rund ein Fünftel der nationalen Energiebilanz stand (Gesamtverbrauch zirka 600 Terawattstunden pro Jahr). Der Löwenanteil der Einsparungen – das war von Anfang an klar – musste beim Heizen (auch dem auf der Straße) und bei gewerblichen Energieverbrauchern erzielt werden. Wenn aber tatsächlich Energieverschwendung im Verbrauchssegment Hausgeräte das Thema sein soll, muss man einen Blick in die Daten der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (AGEB) werfen. Denen kann man entnehmen, dass der Stromverbrauch der deutschen Haushalte nicht wie angestrebt gesunken ist, weil wir statistisch gesehen halt den durch LED-Lampen und A+++-Geräte eingesparten Strom für größere Bildschirme und Waschmaschinen, Thermomixe, Wursttoaster, 3D-Drucker, Drohnen, AR-Brillen, elektrische Fortbewegungsmittel und anderes neues Equipment wieder munter verbraten.
Die ach so wichtige Studie der vier vermeintlichen Umweltschutzorganisationen (* s.u.) hat eigentlich auch eine ganz andere Message – und die lautet: Unsere tollen Label taugen nix fürs wahre Leben. Sie bilden nicht die tatsächliche Nutzung ab, bei der ein dusseliger Konsument zum Beispiel warme Sachen in den Kühlschrank stellt oder dessen Tür länger als nötig offen stehen lässt. Deshalb heißt der Report, was die SZ verschweigt, „Reality Gap Report“. Die gängigen Energieverbrauchstests sind quasi dumm; das Ziel heißt daher nun „Smart Testing of Energy Products“ (STEP). Dabei befasst sich die Studie lediglich mit Fernsehern, Kühlgefrierkombinationen und Spülmaschinen – also einem kleinen Ausschnitt des Spektrums von Energie verbrauchenden Produkten. Um die Relation zu verdeutlichen: Wenn ein Kühlgerät, das laut Label im Jahr 160 Kilowattstunden braucht, 30 Prozent mehr frisst, sind das etwa 50 Kilowattstunden oder 13 Euro per annum. Das ist beileibe kein Grund, das Gerät zu verschrotten und für 800 Euro ein neues zu kaufen. Jedesfalls nicht, wenn man rechnen kann.
Eine Bitte, liebe Kollegen: So eine Luftnummer möchte ich in der SZ nicht mehr als Titelstory lesen und auch nicht als Aufmacher im Wirtschaftsteil.
* Beim (alphabetisch) erstgenannten CLASP handelt es sich um das in Washington, D.C. (!) ansässige Collaborative Labeling and Appliance Standards Program, das nach US-Recht eine NGO ist, aber eben kein herkömmlicher Verein oder Verband, sondern eine Organisation, die über ihr Innenleben (Stichwort: Compliance) nichts Erhellendes von sich gibt. Clasp finanziert sich, soviel ist erkennbar, aus Mitteln staatlicher Stellen verschiedener Länder (etwa dem U.S. Department of Energy, also dem amerikanischen Atomministerium) und wird auch von der Weltbank unterstützt. Eines kann man sagen: Die Mitarbeiter von Clasp leben davon, Energieverbrauchslabels für Elektrogeräte zu entwickeln. Wogegen – bei aller Intransparenz als Körperschaft – erstmal nichts zu sagen ist. Wer die Aktivitäten von Clasp in Europa finanziert, wäre mal eine Recherche wert: Ich vermute, dass wir Steuerzahler da nicht ganz unbeteiligt sind.
ECOS ist die European Citizen’s Organisation for Standardisation, der auch deutsche Umweltschutzverbände als Mitglieder angehören, aber kein eigentlicher Umweltverband.
Das EEB ist das European Environment Bureau; dem Lobbyverband gehören in Deutschland unter anderem BUND, NABU, DNR, DUH, SDW und Grüne Liga an.
Bei Topten schließlich ist nicht einmal der Studie zu entnehmen, um welche juristische Person aus Zürich es sich genau handelt – den Verein Topten International Group oder die Topten International Services GmbH (aber eher nicht die Topten GmbH, vormals Toptest GmbH). Hinter der Topten-Gruppe stehen der Verein S.A.F.E. (Schweizerische Agentur für Energieeffizienz) und die private Beratungsfirma Bush Energie GmbH von S.A.F.E.-Vorstand Eric Helmut Bush. Die Topten-Gruppe betreibt unter topten.eu bzw. topten.info Internet-Plattformen zum Thema „sparsame Haushaltsgeräte“ und arbeitet diversen nationalen Plattformen dieser Art innerhalb und außerhalb Europas zu; deutscher Partner ist das Freiburger Öko-Institut.
https://ec.europa.eu/energy/sites/ener/files/documents/ecodesign_factsheet.pdf
https://ec.europa.eu/growth/single-market/european-standards/harmonised-standards/ecodesign_de
http://clasp.ngo/RFPsPartnerships/Partnerships/OurPartners/Donors
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