Handsignierte Schriftstücke sind bald überflüssig. Jetzt kommt das persönliche Internetschließfach.
Geht die Vision des Hans Strack-Zimmermann in Erfüllung, müssen sich die Deutschen an modernisierte Sprichwörter gewöhnen. Etwa: Was du schwarz auf weiß per Mail erhältst, kannst du getrost ins Netz übertragen. Oder: Darauf gebe ich dir E-Brief und digitale Signatur. Tastatur ist geduldig. Lügen wie gefaxt.
Die neueste Lieblingsidee von Strack-Zimmermann, Mitbegründer und Vorstandsvorsitzender des Grasbrunner Softwarehauses Ixos Software AG, wirkt wie ein radikales Remake der alten Utopie vom papierlosen Büro für das WWW-Zeitalter. Alle Dokumente, die den Menschen wichtig sind, sollen künftig in digitalisierter Form an sicherem Ort hinterlegt werden, jederzeit abrufbar über das Internet, abgeschottet gegenüber Unbefugten. Bei Bedarf könnte der Nutzer, ob Unternehmer oder Privatperson, Dritten einen begrenzten Zugriff auf ausgewählte Daten gewähren: Geschäftspartnern, der Krankenversicherung, dem Steuerberater oder dem Finanzamt. Deren Rechnungen, Bescheinigungen und Bescheide würden dann, so Strack-Zimmermanns Überlegung, gar nicht erst ausgedruckt, sondern gleich digital übermittelt und im – ebenfalls nur aus Software bestehenden – Privattresor verwahrt. Der Leitz-Ordner hätte endlich ausgedient, dem Bankschließfach bliebe bestenfalls eine Zukunft als Aufbewahrungsort für Goldstücke und Geschmeide. Kein Feuer, keine Bankräuber, Einbrecher oder Vandalen könnte den Urkunden etwas anhaben. Strack-Zimmermann: „Das ist viel sicherer, als Papier je gewesen ist.
„ In technischer Hinsicht erfordert das Konzept des Ixos-Chefs tatsächlich keine Hexerei. Der Physiker Strack-Zimmermann hat lediglich bereits bekannte Bausteine zu einem neuen Mosaik zusammengesetzt. So wickeln viele Versicherungen längst einen Großteil ihres internen Schriftverkehrs papierlos ab – eingehende Briefe werden in der Poststelle gescannt und als digitales Abbild an die zuständigen Abteilungen weitergeleitet. Die Originale landen im Reißwolf. Produktionsbetriebe ordern bei ihren Zulieferern über Electronic Data Interchange (EDI) und bekommen die Rechnungen auf dem selben Weg. Auch die Banken drängen seit Jahren die teure Zettelwirtschaft immer weiter zurück.
Selbst die Sicherheit des Datenaustauschs über das Internet gilt heute nicht mehr als Problem. Die Kombination eines öffentlichen mit einem privaten Schlüssel, den nur der rechtmäßige Nutzer besitzt, ist seit Jahren Stand der Technik. Eine Datei, die mit diesem Code unterschrieben und mit einem fälschungssicheren elektronischen Zeitstempel versiegelt ist, wäre dann als authentisches Dokument anzusehen.
Was dem Querdenker Strack-Zimmermann aus dem Isar Valley als logische Konsequenz aus der Entwicklung der vergangenen Jahre gilt, stößt bei Juristen auf erhebliche Skepsis. „Techniker sind immer zu optimistisch“, warnt der Münchner Rechtsanwalt Bernd Harder vor zu viel Euphorie. „So etwas geht nicht von heute auf morgen.“ Als Sozius der Kanzlei von Thomas Graefe, Herausgeber des Fachblattes „Computer und Recht“, weiß Harder, wie schwer es ist, Gesetze regelmäßig an den schnellen Fortschritt der Informationstechnik anzupassen. So sei das Gesetz von 1997, das erstmals die elektronische Unterschrift regelt, schon wieder überholungsbedürftig – unter anderem, weil die Mitte Januar in Kraft getretene EU-Richtlinie über digitale Signaturen eingearbeitet werden müsse. Damit nicht genug: Auch die Zivilprozessordnung und das Bürgerliche Gesetzbuch enthalten laut Harder diverse Paragrafen, die geändert werden müssten, wenn ein technischer Vorgang der handschriftlichen Signatur rechtlich gleich gestellt sein soll. Hinzu kämen Gesetze und Ausführungsverordnungen, die in die Hoheit der Bundesländer fallen – bis hin zu Gemeindeordnungen. Anwalt Harder: „Da haben wir Juristen noch viel handwerkliche Arbeit vor uns.
„ Zu den rechtlichen Bedenken kommt die Herausforderung, zugkräftige Partner für die Vermarktung zu finden. Denn das Konzept geht nur auf, wenn die Dienstleistung sich rasch zum Massengeschäft entwickelt. Strack-Zimmermann, dessen Unternehmen mit Privatkunden keine Erfahrungen hat, hält sich mit konkreten Aussagen über seine potenziellen Mitstreiter noch zurück. Klar ist nur: Er braucht eine Institution, der viele Menschen ihre sensiblen Daten tatsächlich anvertrauen. Vorstellen könne er sich, sagt der Ixos-Chef, beispielsweise Banken, Telekommunikationsgesellschaften oder Onlineprovider. Der Nutzer brauche sich aber auf keinen Fall Sorgen um den Schutz seiner Privatsphäre zu machen: „Der Betreiber hat keinen Einblick in die Daten.“ Erst beim Kunden zu Hause käme es zur Entschlüsselung.
Finanzieren sollen sich die Netztresore buchstäblich aus der Portokasse. Wenn der immaterielle Versand einer Telefonrechnung, eines Bankbelegs oder eines Versicherungsscheins den Absender nur noch 5O Pfennig koste, sagt Strack-Zimmermann, „dann ist Musik drin“. Bisher seien nämlich für Druck und Porto bis zu drei Mark zu veranschlagen – ein starkes Argument für die Einführung der dokumentenechten E-Mail.
Weil es Vergleichbares weltweit noch nicht gibt, lässt sich der Münchner Softwareunternehmer seinen Optimismus nicht ausreden. Schon in fünf Jahren, glaubt Strack-Zimmermann, könne es 20 Millionen Nutzer solcher virtueller Tresore geben. Wie er darauf kommt? „Schreiben Sie doch“, orakelt er, „ich hätte in meine Kristallkugel geschaut.“
ULF J. FROITZHEIM
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