Um die Gunst des Kunden buhlen verschiedene elektronische Zahlungssysteme. Können sie das Bargeld bald schon ablösen?
Computer, bitte zahlen. Die klassische Bankfiliale hat ausgedient. Der Kunde erledigt seine Bankgeschäfte über den heimischen PC oder vom Büro aus. Über 6,6 Millionen Konten wurden nach Angaben der Gesellschaft für Bankpublizität Ende 1998 bereits online geführt – im Vergleich zu 3,5 Millionen im Vorjahr. Damit hat sich der Boom der vergangenen Jahre fortgesetzt, die Zahl der Online-Konten hat sich erneut fast verdoppelt. Internet und zusätzlich eingeführte elektronische Chipkarten könnten sogar das Bargeld in den meisten Fällen überflüssig machen.
Doch noch streiten sich die Banken über Konzepte und Strategien, noch ist sich die deutsche Finanzwirtschaft uneins über den Weg zu ihrem übergeordneten strategischen Ziel. Es gilt, den gesamten Zahlungsverkehr im Lande komplett zu elektronisieren. Denn jeder Umgang mit Bargeld, Schecks und Überweisungen verursacht vermeidbare Kosten. Beim Euroscheck ist diese Ablösung recht gut gelungen: Kaum ein Einzelhändler, kaum eine Tankstelle, wo man mit der EC-Karte nicht per Geheimzahl – wie es die Banken lieben – oder einfacher Unterschrift – das ist dem Handel lieber – bezahlen könnte.
Soweit auch akzeptiert. Doch beim nächsten Schritt gerieten die Banken mächtig ins tolpern. So sollte der aufladbare Mikrochip nach Vorbild der Telefonkarte, den seit 1997 praktisch alle Sparkassen- und Raiffeisenbanken-Kunden auf ihren EC-Karten bei sich tragen, zügig als Bargeldersatz für kleinere Einkäufe etabliert werden. Parallel dazu entwickelte der Zentrale Kreditausschuß (ZKA), in dem die deutschen Banken und Sparkassen organisiert sind, den technischen Standard HBCI. Bei dem „Homebanking Computer Interface“ wird das unter Homebankern als umständlich geltende PIN-TAN-Verfahren mit dem für jede Transaktion notwendigen Eintippen zweier Geheimcodes durch eine verschlüsselte Benutzererkennung ersetzt. Diese sollte auf dem Chip der Bankkarte gespeichert werden. Zu den Funktionen, die das Homebanking attraktiver machen sollen, gehört die sogenannte Multibankfähigkeit: In einem Arbeitsgang kann der Nutzer Transaktionen veranlassen, die er bei verschiedenen Banken unterhält.
Weiterer Vorteil: HBCI funktioniert im World Wide Web ebenso wie bei T-Online und AOL, könnte aber ein deutscher Alleingang werden: Bisher hat kein anderes Land die Norm verbindlich übernommen. Den Termin für die bundesweite Einführung von HBCI im vergangenen Jahr ließen die Institute einfach verstreichen. Erst nach und nach rüsten die Banken jetzt auf die neue Technik um.
Die Vision war ein praktisches, leicht bedienbares Universal-Zahlungsmittel für reale Welt und Internet. Statt sich Bargeld am Automaten zu ziehen, sollte der Homebanking-User einfach seine EC-Chipkarte in ein kleines, an den PC angeschlossenes Ladegerät schieben. So könnte er von seinem Konto per Mausklick ein Guthaben von bis zu 200 Euro auf den Chip übertragen, um damit sämtliche kleineren Online- und Offline-Einkäufe zu bezahlen, für die sich der Einsatz einer Kreditkarte einfach nicht rentiert.
Alles Theorie. Der erste Anlauf zu dem Projekt geriet zum Desaster: So konnte der ZKA Bahn, Telekom und mehrere Verkehrsverbünde nicht davon abhalten, die konkurrierende, nicht kompatible Chipkarte Paycard auf den Markt zu bringen, deren Guthaben man nur in Telefonzellen auffüllen kann, nicht aber inder Bank und erst recht nichtzu Hause.
Alternative Zahlungssysteme wurden mit dem Voranschreiten des Internets zwar von verschiedenen Banken und Software-Herstellern entwickelt, sind aber noch nicht für die breite Masse – geschweige denn den globalen Handel – geeignet. Das Problem sind die völlig unterschiedlichen Banksysteme innerhalb Europas und im Vergleich zu den USA. So gelten in Nordamerika Scheckbuch und Kreditkarte mit altertümlichem Magnetstreifen als Hauptzahlungsmittel. Hierzulande hingegen hat jeder ein Girokonto, aber nicht immer auch eine Kreditkarte. Sich vor diesem Hintergrund auf einen internationalen Standard zu einigen, ist fast unmöglich.
Deshalb geht die Entwicklung in Deutschland in Richtung Geldkarte. Doch die meisten der bisher ausgegebenen Geldkarten – mehr als 30 Millionen Stück – eignen sich technisch nicht als Zugangsschlüssel fürs Homebanking. Dafür taugt erst die neueste Chipgeneration mit größerem Speichervolumen. Hinzu kommt: Die großen Privatbanken, allen voran Deutsche und Dresdner Bank, boykottierten das Projekt, indem sie ihren Kunden nur auf ausdrücklichen Wunsch statt der normalen EC-Karte eine solche mit Chip ausstellten. Folge: Das Marketing für die Geldkarte blieb den regionalen Sparkassen und Volksbanken überlassen, die sich bis heute schwertun, den Handel von den nötigen Investitionen in Lesegeräte zu überzeugen.
Kleine Pannen am Rande begleiten den Flop mit der als zukunftsweisend beworbenen Geldkarte bis heute: Selbst in Geschäften, deren Inhaber längst das Geldkarten-Logo an die Ladentür geklebt haben, stecken die Kassiererinnen die Karte heute noch routinemäßig falschherum ins Lesegerät – nicht mit dem Chip zuerst, sondern mit dem Magnetstreifen, den man für die teurere Lastschrift-Abbuchung vom Konto braucht. Zu guter Letzt fanden Datenschützer heraus, daß sich Zahlungen mit der Geldkarte zurückverfolgen lassen, weil die Transaktionen nicht vollständig anonymisiert sind.
Noch streiten die ZKA-Mitglieder über geeignete Chipkartenleser für daheim: Einzelne Banken bestehen darauf, nur teure Geräte zuzulassen, in die – wie beim Geldautomaten – Display und Zifferntasten fest eingebaut sind. Sonst könnten Hacker womöglich den Datenverkehr zwischen Lesegerät, Tastatur und PC belauschen. Obwohl alle Sorten von Smart-Card-Readern längst serienreif sind, wird die neue Hardware wegen der Vorlaufzeiten für eine Massenproduktion frühestens mehrere Monate nach der gerade zu Ende gegangenen Cebit in Handel und Geschäfte kommen.
Als Bremser des digitalen Geldes hat das Zentralorgan deutscher Computer-Freaks, die Zeitschrift c’t, Deutsche Bank und Dresdner Bank ausgemacht, die seit über zwei Jahren eigene Zahlungssysteme fürs Internet testen, ohne aber bisher vorzeigbare Ergebnisse erzielt zu haben. Die meisten der In titute, die Internet-Banking heute schon anbieten, behelfen sich deshalb vorerst mit individuellen Webseiten unterschiedlicher Güte. Allerdings kommen diese Angebote, die nach dem alten PIN- und TAN-Schema gesichert sind, nicht sonderlich gut an bei jenen Kunden, die das Internet über Provider wie AOL, Compuserve, Netsurf oder UUnet anwählen. Und die gehören zu der Mehrheit jener zwölf Millionen Deutschen, die nach einer Schätzung der Marktforschungsfirma GfK Zugang zum Web haben.
Doch die Banken fahren durchaus mehrgleisig. Weil nicht jeder Kunde einen PC besitzt, eröffnen die Finanzkonzerne parallel zu ihren Internet-Angeboten vollautomatisierte Mini-Zweigstellen an Bahnhöfen und in Einkaufszentren. In den USA wurden sogar Geräte getestet, an denen man einen Expreß-Kredit beantragen kann. Bei Bedarf meldet sich per Bildtelefon ein Berater auf dem Monitor. Als deutsches Pendant testet die Bank Giro Tel seit einigen Monaten in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin die Beratung per Videokonferenz. Wer etwas persönlich besprechen möchte, kann über das Internet eine Verbindung zu einem Berater aus Fleisch und Blut herstellen.
Nach Ansicht von Kritikern sind solche Maschinen-Filialen Vorboten der durchrationalisierten Bank von morgen, in der nur noch V.I.P.-Kunden das Privileg zuteil wird, zu einem Fachberater vorgelassen zu werden. Schon heute nimmt manche Großbank einen Anleger erst für voll, wenn er seine erste Million zusammenhat.
Der kleine Verbraucher hingegen wird fast auf sich selbst zurückgeworfen. Aber auch dabei hilft ihm die neue Technik weiter: Nachdem er sein Geld auf seine Geldkarte geladen hat, beamt er mit einem in den Kühlschrank eingebauten Scanner die leeren Lebensmittelpackungen an, ergänzt so den Einkaufszettel, den das Display auf der Mikrowelle anzeigt, e-mailt die Bestellung an den Internet-Lieferservice, zahlt per Homebanking und überträgt schließlich die Daten in seine Haushaltsbuchführung.
Denn irgendwie muß er ja auch sehen, wo das ganze Geld bleibt.
Aus Tomorrow 4/1999
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