Jede dritte Software auf deutschen Computern soll illegalen Ursprungs sein. Die Industrie hetzt die Verantwortlichen
Die Ermittler aus der Landeshauptstadt rückten an mit einem Aufgebot, das einer Bande bedeutender Wirtschaftskrimineller würdig gewesen wäre. Genau nach Zeitplan enterten mit Durchsuchungsbefehlen ausgestattete Polizisten und Steuerfahnder am 12. März 1999, einem Freitag, morgens um neun Uhr, gleichzeitig das Internet-Cafe „Update“, das Büro eines Recyclinghofs und die Wohnung des bis dahin unbescholtenen Frank Benne. Verdattert mußte der Geschäftsführer der gemeinnützigen Gesellschaft für Jugendhilfe, Bildung und Freizeitpädagogik (Jubif) mit ansehen, wie die Einsatztruppe mit 10 Kartons voller Unterlagen von dannen zog.
Auffälliges Interesse zeigten einige Fahnder auch für den Inhalt der Festplatten einiger technisch nicht mehr ganz aktueller PCs im „Update“, das ebenfalls von Jubif betrieben wird. Mit der Razzia hatte Barsinghausen, ein beschauliches altes Klosterstädtchen südwestlich von Hannover, seinen Skandal. Eine Institution, die auf verschiedenen Wegen versucht, arbeitslose Jugendliche fürs Berufsleben fit zu machen, stand plötzlich am Pranger. Die Samstagsausgabe der Lokalzeitung berichtete über schwerwiegende Vorwürfe eines früheren Mitarbeiters, denen die Staatsanwaltschaft nachgehen müsse: Der Geschäftsführer habe nicht nur staatliche Zuschüsse zweckentfremdet (was Juristen bei Vorsatz als Subventionsbetrug werten würden) und möglicherweise Steuern nicht korrekt abgerechnet, sondern sich obendrein der Software-Piraterie schuldig gemacht.
In der Tat konnte Benne für einen Teil der Programme, die auf den Rechnern installiert waren, nicht die erforderlichen Lizenzen vorweisen. Wer sich an dieser Stelle schadenfroh ins Fäustchen lacht, könnte selbst der Nächste sein, der Streß bekommt. Nahezu jeder, der in seinem Job auch nur für einen Mitarbeiter mit PC-Arbeitsplatz Verantwortung trägt, riskiert über kurz oder lang Ärger mit der Business Software Alliance (BSA) – einer amerikanischen Organisation, die hier weder als Firma noch als Verein eingetragen ist, gleichwohl aber exzellente Beziehungen zu deutschen Strafverfolgern pflegt.
Nach den strengen Maßstäben dieser juristischen Nicht-Person, die der Staatsanwaltschaft auch im Barsinghausener Fall hilfreich zur Seite stand, gibt es in dieser Republik mehr Software-Piraten als Schwarzfahrer und Steuerhinterzieher. „Jede dritte PC-Anwendung hierzulande ist eine Raubkopie“, behauptet der Münchner BSA-Statthalter Georg Herrnleben, ein eloquenter junger Mann mit dem Titel „Regional Manager Central Europe“ auf der Visitenkarte. Da sich praktisch auf jeder Festplatte auch illegale Software befindet, heißt das im Klartext, daß PC-Besitzer mit vollkommen reinem Gewissen eher eine Minderheit sein dürften.
Nach Herrnlebens Statistik gehören die Deutschen allerdings noch zu den Musterknaben in Europa: In Bulgarien soll vor drei Jahren gerade einmal jede 50. Software legal installiert gewesen sein, allerdings mit Tendenz zur Besserung (siehe dazu auch die Statistik auf Seite 234). Dennoch konzentriert sich die internationale Copyright-Kampftruppe auf die großen Industrienationen. Als größter Absatzmarkt in der Alten Welt führt Deutschland trotz überdurchschnittlicher Bezahlmoral die Schadensliste an: Fast eine Milliarde Mark Umsatz, schätzt die BSA, habe die Branche im Jahr 1997 durch unrechtmäßiges Kopieren jedweder Art verloren – vom selbstgezogenen Duplikat bis zur Mafia-Massenware.
Angesichts solcher Summen zeigt die amerikanische BSA, die von Konzernen wie Microsoft, Apple, Adobe und Symantec alimentiert wird, mit den Ertappten so wenig Gnade wie die Kontrolleure eines Verkehrsverbundes mit den Schwarzfahrern. Wer sich ohne gültige Lizenz erwischen läßt, muß damit rechnen, bloßgestellt zu werden – und mag seine Ausrede noch so gut sein. Geldstrafen für Amateur-Piraten liegen üblicherweise um 20.000 Mark, für Profis gibt es auch Haftstrafen, die bei Ersttätern in der Regel zur Bewährung ausgesetzt werden. Der bisherige deutsche Rekord: 90.000 Mark für vorsätzliches Raubkopieren, angeblich begangen von einer Firma aus der Computer-Branche.
Frank Benne blieb nach dem Lokal-Eklat zwar die Peinlichkeit erspart, seinen und den Namen von Jubif bundesweit in Tageszeitungen und PC-Zeitschriften zu lesen. Für Eingeweihte indes war alles klar, als die BSA noch während der laufenden Ermittlungen eine Triumphmeldung an die Presse gab und von einer „gemeinnützigen Organisation in Barsinghausen“ sprach, ohne sich mit womöglich entlastenden Fakten aufzuhalten: „Der illegale Einsatz der Software ist bereits bewiesen.“
Ist der Urheberrechtsverletzer halbwegs prominent, legen die Anwälte der Lobby-Organisation noch viel härtere Bandagen an. Manchen Delinquenten boxen sie so gekonnt in die Ecke, daß er sich – um schwerere juristische Schläge zu vermeiden – als abschreckendes Beispiel für die Anti-Piraterie-Kampagne hergibt.
So outete die BSA binnen zwei Jahren die Fan-Utensilien-Vermarktungsgesellschaft des 1. FC Köln und die Osnabrücker Künstleragentur Topstar, den US-Autovermieter Budget und den ehemaligen Unternehmer-Kinderstar Lars Windhorst als reuige Sünder. Sogar die Chefs einer renommierten Nürnberger Kanzlei von Rechtsanwälten,
Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern ließen sich – mit virtueller Schandgeige um den Hals – als Büßer durchs globale Dorf treiben.
Manager wie Rudolf Gallist, Geschäftsführer der deutschen Microsoft-Zentrale in Unterschleißheim bei München, stehen zur Einschüchterungsstrategie der BSA. Sie wissen genau, daß viele ihrer Kunden gar nicht daran denken, von einem teuren Produkt freiwillig jedem Mitarbeiter ein eigenes Exemplar zu kaufen, wo das Kopieren doch so simpel ist.
„Das Unrechtsbewußtsein der Anwender läßt zu wünschen übrig“, klagt Gallist, „viele Betriebe unternehmen zu wenig, um ihre Mitarbeiter über die Risiken von illegaler Software aufzuklären.“
Diplomatisch billigt der Gates-Vertreter vielen Missetätern sogar „Unwissenheit“ als mildernden Umstand zu – wobei im Fall der fränkischen Wirtschaftsanwälte Naivität allerdings kaum im Spiel gewesen sein dürfte: 31 Mitarbeiter hatten das Microsoft-Programm „Office“ auf ihren Geräten, die Kanzlei konnte aber nur sieben Lizenzbelege vorlegen.
Am Beispiel von MS Office, dem meistverkauften – und damit auch meistkopierten – PC-Programm der Welt, zeigt sich allerdings sehr deutlich, daß es beim Thema Piraterie keine absolute Wahrheit gibt, sondern Widersprüche en masse: Der Office-Urahn Winword stieg nicht zuletzt deshalb zum populärsten Textprogramm auf, weil es in rauhen Mengen raubkopiert wurde und Microsoft nur gegen gewerbsmäßige Piraterie vorging.
Eine ernstzunehmende Kopierschutz-Technik, die beispielsweise beim Start des Programms eine von Laien nicht fälschbare Krypto-Chipkarte verlangt, hat der Konzern bis heute nicht eingeführt, denn dies könnte Kunden abschrecken.
Die Preispolitik von Microsoft führt immer wieder zu Unverständnis bei denen, die zur Kasse gebeten werden: In Deutschland kostet die sogenannte Vollversion von „Office 97 Professional“ im Handel 1349 Mark. Doch wer über Yahoo im Internet danach sucht, stößt auf den kalifornischen Discounter „Software Direct“, der US-Käufern das Original zu extrem niedrigen Tagespreisen anbietet – am 17. Mai etwa für 88,21 Dollar plus Mehrwertsteuer. Leider haben Europäer keinen Zutritt zu dem virtuellen
Shop.
Daß Software-Preise und Lizenzbedingungen eine Wissenschaft für sich sind, weiß auch Georg Herrnleben. Der BSA-Statthalter zitiert die Klage eines Mittelständlers: „Ich werde hier für etwas haftbar gemacht, das ich gar nicht überblicke.“ Darum sieht sich der Manager zu gleichen Teilen als „Sheriff und echten Aufklärungsarbeiter“.
Selbst Staatsanwälten, die mit Fragen des Urheberrechts eher selten konfrontiert werden, müsse man das Thema oft erst einmal klarmachen. Der Erfolg der BSA-Aktivitäten zeigt sich denn auch eher an sinkenden Raubkopie-Raten als an Bergen von Gerichtsakten oder stattlichen Schadenersatzzahlungen.
Obwohl die Zahl der Zivilklagen, Strafanzeigen und Durchsuchungen 1998 gegenüber dem Vorjahr von zwölf auf 76 sprunghaft anstieg, hätte die deutsche BSA-Dependance von der Ausbeute kaum ihre laufenden Kosten bestreiten können. Gerade einmal 340.000 Mark mußten deutsche Lizenzgebühr-Hinterzieher den Herstellern nachzahlen – ein Klacks gemessen an 632 Hinweisen auf illegalen Einsatz von Software und 53 polizeilichen Razzien.
Quantitativ erfolgreicher waren da die zweiten Piratenjäger, die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU), die sich um raubkopierte Spiele-Software und Videokassetten kümmert. Im vergangenen Jahr erwirkte sie 254 Durchsuchungen und 270 Strafverfahren.
Fällt dagegen der Marktanteil der Piraten dank der aggressiven Abschrekkungsarbeit nur um ein Prozent, hat die Branche fast 30 Millionen Mark mehr in der Kasse. Darum läßt Frank Steinhoff, Geschäftsführer von Adobe Systems und nebenbei BSA-Funktionär, keine Gelegenheit aus, der Kundschaft einzuschärfen: „Software-Piraterie ist Wirtschaftskriminalität.“
So sehr diese Aussage auch zutrifft auf jene Fälle, in denen scheinbar ehrenwerte Kaufleute Hunderttausende perfekt gefälschter Office-lmitate in den Markt schleusen, so wenig finden sich Menschen wie Frank Benne darin wieder. „Als Geschäftsführer bin ich natürlich verantwortlich“, gesteht der Jubif-Mann. Sein Vergehen bestand darin, nicht so genau aufgepaßt zu haben, was die Jugendlichen mit den alten Computern anstellten, die in der Wertstoffsammelstelle abgegeben wurden. Wäre alles korrekt gelaufen, hätten sie alle vorgefundenen Programme (darunter Delikatessen wie Photoshop und Filemaker) brav löschen müssen, bevor sie sich die Geräte herrichteten.
Jetzt muß Benne den Jungs wohl oder übel auf die Finger schauen. „Eigentlich will ich nicht mit überzogenen Kontrollmechanismen arbeiten“, bedauert er, „sondern die Selbständigkeit fördern.“ Bitter: Für offizielle Software fehlt der gemeinnützigen Einrichtung das Geld. Immerhin konnte Benne die Filemaker GmbH bewegen, ihre Ansprüche gegen Jubif zurückzunehmen.
Beim Fall Photoshop gelang ihm dies nicht auf Anhieb – das Produkt stammt von Adobe, dem Unternehmen von BSA-Regionalfürst Steinhoff. Der führt gerade eine Kampagne gegen das Laisser-faire, mit dem viele Weiterbildungseinrichtungen Lizenzfragen behandeln. „Wer den Umgang mit Software schult, sollte die Anwender auch über ihre Rechte und Pflichten informieren“, fordert der Adobe-Boß. „Das mangelnde Unrechtsbewußtsein gerade an Computerschulen ist besorgniserregend, denn es hat eine hohe Multiplikatorwirkung.“
Geht es nach der BSA, sollten Teilnehmer von PC-Kursen – wie Firmen-Angestellte – jeden Lizenzmißbrauch der Hotline melden, von der sie postwendend zu einer eidesstattlichen Versicherung gegen ihre (Ex-) Schule aufgefordert werden. Dabei sind nicht immer die Chefs schuld – in der Erwachsenenbildung bringen oft Schüler Raubkopien heimlich in den Unterricht mit.
Diese Art von Vertrauensbruch, so Christian Szeibert, Geschäftsführer der GtW Gesellschaft für technische Weiterbildung in München, lasse sich auch mit Verboten nicht ganz verhindern: „Seriöse Institute ,putzen‘ deshalb regelmäßig ihre Rechner.“
Szeibert, dessen Firma arbeitslose Akademiker umschult, hält allerdings die Lizenzpolitik vieler Software-Häuser für kurzsichtig. Bei teuren Spezialprogrammen, die nur selten zum Einsatz kommen, müssen ein oder zwei Exemplare für den ganzen Kurs reichen – auch wenn sich die Teilnehmer an einzelnen Tagen um die jeweiligen Rechner raufen. Schlauer findet er die Methode von IBM: „Die verschenken Software an Bildungseinrichtungen“, so Szeibert. „Die Berufseinsteiger kommen dann mit Kenntnissen die der Software auf den Arbeitsmarkt. Das haben einige
andere Firmen offenbar nicht nötig.“
Aus Tomorrow 7/1999
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