Blutleere Begriffe

WIRTSCHAFTSWOCHE 28/1997

Ein Computerprogramm der Kölner Universität enttarnt hohles Geschwätz.

Wenn Hans Messelken wieder einmal einen umfangreichen Text begutachten soll, nimmt er ihn am liebsten mit nach Hause in die Eifel. Nicht weil der Kölner Universitätsprofessor dort mehr Ruhe zum Lesen fände. Nein, sein eigener Computer erledigt diesen Job viel schneller als die betagten PCs am Seminar für Deutsche Sprache und ihre Didaktik.

WirtschaftsWoche 28/1997

Reichlich Rechenpower ist ein Muß für Messelken und seinen Assistenten Matthias Ballod. Die beiden Sprachwissenschaftler haben nämlich ein Programm namens Cut (Abkürzung für Computerunterstützte Textanalyse) entwickelt, das alle Arten von Text seziert und auf ihren Gehalt prüft – vom literarischen Klassiker bis hin zur profanen Bedienungsanleitung eines Videorecorders.

Dabei liefert Cut auf Knopfdruck nicht nur eine knappe Inhaltsangabe der Schrift, sondern vermittelt auch Wertungen über deren Verständlichkeit. Cut geht vor allem Schaumschlägern an den Kragen: Autoren, die ihre Leser mit blutleeren Begriffen strapazieren, werden unbarmherzig geoutet. Prominentes Opfer: Jürgen Rüttgers, mit dessen Presseverlautbarung zum Thema „Klonierung beim Menschen“ Messelken seinen Rechner für die Wirtschaftswoche gefüttert hat (siehe Grafik Seite 66). Die programmgenerierte Wertung in den Worten Messelkens: „Die abstrakten, meist undefinierten  Begriffe vermindern die Eindeutigkeit der Aussage.“ Die Frage, ob man klonen dürfe, komme überhaupt nicht vor. Urteil des Professors: „Sprache im Leerlauf.“

So klug die digitale Prüfung, von Messelken verständlich ausformuliert, auch anmutet: Von Künstlicher Intelligenz (KI) will der Wissenschaftler in diesem Zusammenhang nicht sprechen. Zwar sei das Programm vollgestopft mit linguistischem Expertenwissen; es mache aber Forscher, Lektoren, Redakteure oder Kritiker keineswegs überflüssig. „Verstehen ist letztlich ein Willensakt“, ist Messelken überzeugt.

Zum Beweis der Leistungsfähigkeit der Software fütterten die Kölner kürzlich auch den umfangreichen Bestseller „Hitlers willige Vollstrecker“ in den Rechner. Cut lieferte schon nach wenigen Minuten eine aussagekräftige Zusammenfassung des Textes von Daniel Goldhagen. Schon träumt Verständlichkeitsforscher Messelken vom Einsatz seiner computerisierten Textanalyse in Wirtschaft, Medien und Verwaltung. Marketing- und PR-Manager könnten beispielsweise über eine Art Controlling der schriftlichen Korrespondenz sicherstellen, daß alle Mitarbeiter der Kundschaft gegenüber eine einheitliche Sprache sprechen. Lektoren in Schulbuchverlagen könnten Texte dem erlernten Vokabular der jeweiligen Jahrgangsstufe besser anpassen. Und Redakteure hätten es leichter, eine Nachricht aus aufgeplusterten Politikerreden zu destillieren, ohne sich mit leeren Floskeln herumquälen zu müssen.

In vereinfachter Form eignete sich eine solche Software sogar zur Selbstkontrolle, glaubt Messelken: Redenschreiber, Schriftsteller und Journalisten kämen ihren eigenen rhetorischen Marotten auf die Spur. Und bei entsprechender Computerkapazität könnte eine automatisierte Textanalyse sogar die Trefferquote von Suchdiensten in Datennetzen steigern.

Sollten die Bürger dann wirklich via PC und Internet den Politikern auf den Mund schauen, müßte sich Minister Rüttgers hinter seiner Staatssekretärin Elke Wülfing verstecken. Die versteht – sagt Cut – das Kommunikationshandwerk viel besser als ihr Ressortchef. Nur in Behörden, die Messelken gern zur Zielgruppe seines Produkts zählen würde, läßt sich Cut nicht einfach einsetzen: Die vielen Abkürzungen im typischen Amtsdeutsch reduzieren die durchschnittliche Wortlänge derart, daß der Computer einen Text für verständlicher halten würde, als er ist.

Um die tatsächlichen Marktchancen zu eruieren, stellen die Kölner Cut bald ins Netz: Ab dem 15. Juli können Interessenten eigene Texte via Internet einreichen, die mit dem Cut-Prototyp auf Herz und Nieren geprüft werden (http://www.uni-koeln.de/ewfak/cut).

ULF J. FROITZHEIM

Sprache im Leerlauf

Hans Messelken: Textauszüge bekannter Autoren und ihre Computerauswertung

Franz Kafka: „Auf der Galerie“

Wenn irgendeine hinfällige, lungensüchtige Kunstreiterin in der Manege auf schwankendem Pferd vor einem unermüdlichen Publikum vom peitschenschwingenden Chef monatelang ohne Unterbrechung im Kreise rundum getrieben würde, auf dem Pferde schwirrend, Küsse werfend, in der Taille sich wiegend, und wenn dieses Spiel unter dem nichtaussetzenden Brausen des Orchesters und der Ventilatoren in die immerfort weiter sich öffnende graue Zukunft sich fortsetzte, begleitet vom vergehenden und neu anschwellenden Beifallsklatschen der Hände, die eigentlich Dampfhämmer sind, vielleicht eilte dann ein junger Galeriebesucher die lange Treppe durch alle Ränge hinab, stürzte in die Manege, riefe das Halt! durch die Fanfaren des immer sich anpassenden Orchesters.

Da es aber nicht so ist, eine schöne Dame, weiß und rot, hereinfliegt, zwischen den Vorhängen, welche die stolzen Livrierten vor ihr öffnen; der Direktor, hingebungsvoll ihre Augen suchend, in Tierhaltung ihr entgegenatmet. vorsorglich sie auf den Apfelschimmel hebt, als wäre sie seine über alles geliebte Enkelin, die sich auf gefährliche Fahrt begibt; sich nicht entschließen kann, das Peitschenzeichen zu geben; schließlich in Selbstüberwindung es [ … ]

Wertung*: Die extreme Häufung von Wortformen, die ein einziges Mal vorkommen (169 von 205), deutet auf einen schwer zu verstehenden Text hin: Üblicherweise versucht ein Autor, die wesentlichen Punkte mehrfach beim Namen zu nennen. Die vielen Variationen zeugen jedenfalls von einer starken ästhetischen Ausdruckskraft, auf die es bei literarischen Texten ankommt. Etwa jedes vierte Wort ist texttypisch, nicht zuletzt weil Kafka aus alltäglichen Wörtern ungewöhnliche Zusammensetzungen bildet, die in den Wortschatz-Datenbanken nicht enthalten sind (etwa „lungensüchtig“ statt „lungenkrank“ oder „schwindsüchtig“). Besonders auffällig ist die Häufung von Partizipien.

❏ Daniel Goldhagen: „Hitlers willige Vollstrecker“

Wie einzigartig Höchstädters cri de coeur in seiner Nüchternheit, seiner „Unnormalität“ und auch seiner Hilflosigkeit ist, wird deutlich, wenn man ihn neben die antisemitischen Außerungen der Bischöfe, Kirchenführer und anderer bekannter Kirchenmitglieder stellt – etwa neben die Bemerkung von Pastor Martin Niemöller, des berühmten NS-Gegners, die Juden vergifteten alles, was sie berührten; oder neben die von Bischof Dibelius überlieferte Hoffnung, die jüdische Gemeinde würde aufgrund ihrer niedrigen Geburtenrate aussterben und Deutschland so von ihrer schädlichen Gegenwart befreien; oder neben die Versicherung von Bischof Wurm, er „bestreite mit keinem Wort“ das Recht des Staates, die Juden als ein gefährliches Element zu bekämpfen, das auf „religiösem, sittlichem, literarischem, wirtschaftlichem und politischem Gebiet“ zersetzend wirke; oder neben die Außerung von Bischof August Marahrens, mit der er nach dem Krieg, im August 1945, sein Bekenntnis der Schuld, nicht für die Juden eingetreten zu sein, ergänzte: „Wir mögen im Glauben noch so sehr von den Juden geschieden sein, es mag auch eine Reihe von ihnen schweres Unheil über unser Volk gebracht haben, sie duften aber nicht in unmenschlicher Weise angegriffen werden.“

Wertung*: Stilistisch entspricht der Text einer gutbürgerlichen Tageszeitung. Er läßt sich ohne große Umstände einfach herunterlesen: Für einen Text mit wissenschaftlichem Anspruch eine bemerkenswerte Leistung. Das Buch enthält jedoch auch syntaktische Problemzonen, die sich durch die Computeranalyse leicht lokalisieren lassen. Der längste Satz etwa erweist sich mit seinen 172 Wörtern als syntaktisches wie lexikalisches Schwergewicht. Allerdings mögen allzu häufige Wiederholungen dem Leser das Gefühl geben, man wolle ihm die sprachliche Botschaft einhämmern, um die Kraft der Argumente noch zu verstärken.

❏ Jürgen Rüttgers: „Klonierung beim Menschen“

Eineiigen Zwillingen darf die Einzigartigkeit und Schutzwürdigkeit ihrer Persönlichkeit nicht bestritten werden. Entscheidend für die Ächtung des Klonierens ist deshalb nicht die Tatsache der identischen Erbinformationen per se. Ethisch zu verwerfen ist die Klonierung deshalb,
a) weil Menschen zu einem bestimmten Zweck geplant und erzeugt werden
b) und weil Menschen sich erheben, über die Zweckgebundenheit noch zu schaffender Menschen
zu entscheiden.

Die Würde des Menschen und die Integrität der Person ergeben sich aber gerade daraus, daß die Menschen in ihrer Persönlichkeitsentfaltung prinzipiell frei und damit auch zweckfrei sind und bleiben. Die Entscheidung über den Zweck anderer Menschen kann nach dem Verständnis unserer Werteordnung niemandem zustehen. Sowohl die Zweckgebundenheit als auch die Fremdbestimmtheit von Menschen sind fundamental als menschenunwürdig abzulehnen. [ … ]

Wir brauchen internationale Vereinbarungen zur weltweiten Ächtung des Klonierens von Menschen. Der Eindeutigkeit der rechtlichen Bestimmungen in Deutschland steht der Handlungsbedarf auf der internationalen Ebene gegenüber.

Wertung*: Beim ersten Blick auf die Daten scheint der Text leicht verständlich zu sein – die Syntax ist einfach, die Satzgewichte nicht zu hoch. Geht man jedoch in die Feinheiten und betrachtet die Wortlisten, ändert sich der Eindruck. Hier häufen sich sogenannte Prinzipalia – Adjektive mit kategorischem Geltungsanspruch, die für die Unverbindlichkeitsprosa des Politjargons charakteristisch sind: etwa fundamental, prinzipiell.

Dieser administrative Stil, zu dem auch viele institutionelle Begriffe wie Handlungsbedarf und internationale Ebene gehören, erschwert den Zugang zum Text. Die abstrakten, meist undefinierten Begriffe vermindern die Eindeutigkeit der Aussage und vermitteln dadurch den Eindruck einer Sprache im Leerlauf.

* Formuliert von Professor Hans Messelken für meinen Beitrag in der WirtschaftsWoche

WWW-TV: Lieber Computer als Settop-Boxen

WIRTSCHAFTSWOCHE 10/1997

Da staunte die Branche: 93 Prozent der unterhaltungsfreudigen US-Bürger, eruierten die Marktforscher von Dataquest, lehnen Internetfernseher und Zusatzboxen ab, die das World Wide Web (WWW) per Fernbedienung auf ihren TV-Schirm holen. „Das Internet-TV hat – zumindest in seiner jetzigen Form – kein nennenswertes Marktpotential“, verkündete Van Baker, Dataquest-Chefanalyst für digitale Konsumgüter.

Hat er recht, stehen Gerätehersteller wie Philips und Sony vor einem neuen Flop. Das holländisch-japanische Duo, das einst den CD-Spieler im Markt durchgesetzt hat, versucht seit Oktober mit massiver Werbung, träge Fernsehkonsumenten in den USA mit ihrer Internet-Erweiterungsbox WebTV vom Reiz des Web zu überzeugen. Allein die Philips-Tochter Magnavox, einer der großen US-Fernseherhersteller, investierte 50 Millionen Dollar in das Projekt. Bislang erfolglos: Nur gut 30.000 von 100.000 ausgelieferten Geräten, schätzt das „Wall Street Journal“, wurden für 329 Dollar pro Stück verkauft.

Der müde Absatz macht auch Steve Perlman zu schaffen. Der frühere Apple-Manager hatte zusammen mit seinen Exkollegen Bruce Leak und Phil Goldman Konzept und Software für das WebTV entwickelt. Sie spekulierten auf ein lukratives Folgegeschäft: Wer eines der Geräte von Philips oder Sony nutzen will, muß vorab für 20 Dollar monatlich den Online-Dienst des Trios abonnieren. Denn im häuslichen TV-Gerät sind nur solche Web-Texte lesbar, die WebTV Networks zuvor typographisch aufbereitet hat. Jetzt muß Perlman mit monatlichen Einnahmen von deutlich unter einer Million Dollar wirtschaften.

Doch ans Aufgeben denkt vorerst niemand. WebTV-Protagonisten wie Philips-Bereichsvorstand Ed Volkwein glauben an ihr Produkt und suchen die Fehler im Marketing. WebTV-Chef Perlman geht sogar in die Offensive und kritisiert öffentlich die Methodik von Dataquest. Die Attacke fällt ihm um so leichter, als die Gartner-Group-Tochter traditionell der Computerindustrie verbunden ist, die Internetneulingen lieber PCs als Settop-Boxen verkaufen möchte.

UJF

Schrot und Korn

Hersteller von Naturkost und Bio-Produkten haben das Internet als neuen Vertriebsweg entdeckt.

WIRTSCHAFTSWOCHE 10/1997

Die Kaffeetasse lässig in der Rechten, wirkt Arthur Darboven wie die personifizierte Seriosität. Mit seinem Bildschirmdebüt im feinen Zwirn folgt der Sproß einer Hamburger Kaffeeröster-Dynastie der Familientradition: Schon seit den sechziger Jahren verbürgen sich Darbovens im Werbefernsehen für den „magenfreundlich veredelten“ Idee-Kaffee.

Den 33jährigen Chef der Burkhof Kaffee GmbH im Münchner Vorort Sauerland dagegen sucht man auf TV-Monitoren vergeblich. Sein Konterfei wirbt im Internet – auf einer Seite des Feinkostversands Nur Natur Stillern-Mooseuracher, der das Burkhof-Produkt exklusiv vermarktet. Der Web-Auftritt hat finanzielle Gründe: Kosten und Streuverlust von Fernsehspots für den „Cavallo Nero“ (schwarzer Hengst), einen politisch korrekten Premiumkaffee für den Nischenmarkt, wären viel zu hoch.

Arthur Darboven ist nicht der einzige Alternativ-Kaufmann im weltweiten Netz. Die gesamte Öko- und Dritte-Welt-Branche hat den Computer für die Kundenbindung entdeckt. Alles, was der Naturwarenhandel zu bieten hat, läßt sich mittlerweile per Tastatur bestellen: von ökologisch an- und ausgebautem Wein über giftfreie Textilien und Möbel bis zu baubiologisch unbedenklichen Materialien. Im Zweifelsfall weist ein grünes Online-Branchenbuch den schnellsten Weg zum nächstgelegenen Bioladen.

Die ungewohnte Reklamestrategie zahlt sich aus, wenngleich erst in bescheidenem Umfang. Die Online-Bestellungen hätten zwar „wirtschaftlich noch kaum Relevanz“, gesteht Nur-Natur-Geschäftsführer Franz Josef Grenzebach. Immerhin sei der Anfang ermutigend. Im ersten Jahr kamen immerhin 2000 Bestellungen über www.nurnatur.de herein, zum Teil sogar von Stammkunden, die sonst per Post geordert hätten.

„Die Kosten für den elektronischen Katalog im Internet sind längst wieder drin“, freut sich Grenzebach. Kein Wunder: Er muß keine gedruckten Kataloge mehr verschicken, und digital eingehende Aufträge werden vom Computer abgewickelt. Daß die Online-Kundschaft stetig wächst, liegt in einer selbst für Insider überraschenden Erkenntnis begründet: Die Klientel der Ökohändler und die der Online-Dienste haben weit mehr Gemeinsamkeiten, als die gängigen Klischees vom technikfeindlichen Müslifreund oder Junk-food-süchtigen Computerfreak vermuten ließen.

„Den Birkenstock tragenden Alternativen gibt es nicht“, lernte Rolf Mütze, Architekt der großen Naturkost-Internet-Baustelle des Schaafheimer Verlags Gesund Essen, aus einer Marktstudie seines Hauses. Der traditionelle Naturkostladen habe sich vielmehr zum Fachgeschäft weiterentwickelt, dessen Kunden gebildeter und finanzkräftiger sind als der deutsche Durchschnittsbürger.

Auch Versender Grenzebach mußte sich aufgrund von Marktstudien von alten Überzeugungen verabschieden. Nun weiß er, wie elitär sein Publikum ist: 92 Prozent der Nur-Natur-Besteller sind akademisch gebildet, ungewöhnlich viele haben sogar promoviert. Und auch die Geschlechts- und Altersstruktur stimmt: Die Hälfte der Kunden ist männlich, und mit durchschnittlich 35 Jahren sind sie noch nicht zu alt für den Computer. Online-Spezialisten mit Antenne fürs Alternative sind demnach gesuchte Leute. Als der Bamberger Diplom-Ingenieur und Web-Autodidakt Thomas Hörner, 30, im vorigen Sommer sein virtuelles Ökokaufhaus eröffnet hatte, dauerte es nicht lange, bis das erste Übernahmeangebot eines Verlags auf dem Tisch lag. Er schlug es aus und darf sich heute als König der Marktnische fühlen. Seine Kleinfirma Mag List arbeitet unter anderem für Nur Natur, den Möbelanbieter Mac Bett und die Drogerie Spinnrad.

Für die weitere Expansion hat Hörner vorgesorgt: Rechtzeitig sicherte er sich die Internetadreßnamen www.umwelt.de, www.oekologie.de und www.naturwaren.de. Inzwischen meint der Softwaremann seine Ideen bereits bei mehreren anderen Anbietern wiedererkannt zu haben. „Daß jetzt Nachahmer kommen“, freut sich Hörner, „bestätigt mich nur.“

Nicht minder clever war der Schachzug des Verlags Gesund Essen, sich für sein Infopaket rund um Naturwaren und Umweltschutz die Adresse www.naturkost.de registrieren zu lassen. Hier zeigt sich freilich sehr deutlich, daß viele Anbieter die möglichen Vorteile des Internets noch nicht vollständig nutzen: In der Adreßdatenbank sind zwar die Anschriften nahezu aller deutschen Bioläden und Versender verzeichnet. E-Mail oder gar eine eigene Internetadresse lassen sich aber an den fünf Fingern abzählen.

Den Gesund-Essen-Verlagsexperten Rolf Mütze ficht das nicht an. Er träumt bereits von einer elektronischen Kommunikation zwischen Herstellern und Händlern – und sieht seinen Verlag, der die Naturkost-Kundenzeitschrift „Schrot & Korn“ herausgibt, als Vorreiter. „Wir müssen die Entwicklung vorwegnehmen“, fordert Mütze Gleichgesinnte auf. „E-Mail wird bald so normal sein wie heute das Telefax.“

ULF J. FROITZHEIM

Apple: Weiche Ware

Die Bilanz hat Sanierer Gilbert Amelio im Griff, die Partnerschaft mit IBM bislang nicht.

Wahre Apple-Fans kann nichts mehr schrecken. Der Umsatz des US-Computerherstellers ging im soeben abgelaufenen Geschäftsjahr 1996 (Ende September) um elf Prozent zurück, sackte im letzten Quartal gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum sogar um fast ein Viertel ab. Der operative Verlust kumulierte sich auf astronomische 1,4 Milliarden Dollar – ein Siebtel der Einnahmen von nur noch 9,8 Milliarden Dollar. Während das gegnerische Gespann Intel/Microsoft Rekordeinnahmen feiert, steht der Branchenpionier aus Cupertino, Kalifornien, mehr denn je als Außenseiter des PC-Markts da. Dennoch ist Archibald Horlitz der Humor nicht vergangen: „Was Apple angeht, bin ich hoffnungsloser Optimist.“

WIRTSCHAFTSWOCHE 44/1996

Daß der Berliner Computerhändler, Chef des Macintosh-Discounters Gravis, in der gegenwärtigen „extrem spannenden Phase“ sogar den Kauf von Apple-Aktien empfiehlt, geht auf das Konto des neuen Vorstandsvorsitzenden Gilbert Amelio. Der stille, eher behäbig wirkende Manager – ein harscher Kontrast zu seinem polternden Vorgänger, dem Deutschen Michael „The Diesel“ Spindler – hat das Unternehmen nämlich binnen weniger Monate einer rabiaten Roßkur unterzogen, die jetzt Wirkung zeigt.

So reduzierte Amelio die kurzfristigen Verbindlichkeiten um 60 Prozent, verringerte die Außenstände um mehr als 400 Millionen Dollar und räumte – um den Preis hoher Abschreibungen – die übervollen Läger. Saß Apple vor Jahresfrist noch auf Bergen zugekaufter Bauteile im Gesamtwert von 841 Millionen Dollar, kommt das Unternehmen nun mit einem Lagerbestand von 213 Millionen aus. Die Halden fertiger Produkte schrumpften wertmäßig um mehr als ein Drittel. Zudem brachte der Sanierer Schwung in die Fertigung. „Niemand fragt mich mehr“, klopft sich Amelio auf die Schulter, „ob wir überleben werden.“

Noch ist Apple freilich nicht über den Berg. Zwar konnte Finanzchef Fred Anderson fürs vierte Quartal einen kosmetischen Gewinn von 25 Millionen Dollar ausweisen. Doch indirekt gesteht der Vorstand ein, daß er das nächste Zwischenergebnis wieder mit roter Tinte schreiben wird – nicht zuletzt wegen der kostspieligen Einführung einer neuen Notebook-Baureihe. Erst „ab Ende des zweiten Quartals 1997“, formuliert Amelio vielsagend, rechne er mit einer „anhaltenden Profitabilität“. Selbst wenn der Umsatz 1997 auf neun Milliarden Dollar abrutschen sollte, werde Apple den Break-even schaffen und sich gesundschrumpeln.

Dieses Versprechen wird in der allfälligen Aktionärsmitteilung zum Jahresabschluß gleich wieder durch einen Rattenschwanz von Wenn und Aber relativiert. Denn nach dem großen Kehraus in Cupertino, dem fast die komplette zweite Ebene zum Opfer fiel, hat der promovierte Physiker Amelio seine schwierigsten Hausaufgaben noch vor sich:
❏ Innovative Produkte wie das Betriebssystem MacOS 8 müssen wesentlich schneller marktreif gemacht werden.
❏ Trotz vielversprechender Multimedia-Software hat sich Apple – im Gegensatz zu seinen Kooperationspartnern Sun Microsystems und Netscape – noch nicht als führende Kraft im zukunftsträchtigen Internet-Markt positionieren können.
❏ Apple braucht dringend renommierte Mitstreiter aus dem Hardwarelager, die den in Kooperation mit IBM und Motorola gebauten Power-PC-Prozessor anstelle der marktbeherrschenden Pentium-Chips von Intel einzusetzen wagen.

Die Zeit droht dem Sanierer wegzulaufen. Denn der Umsatzeinbruch des Geschäftsjahrs 1996 ist wesentlich auf den Kurswechsel nordamerikanischer Großkunden zurückzuführen. Chemie- und Pharmakonzerne von Dow Chemical über Eli Lilly bis Monsanto musterten heuer Tausende von Macintosh-Maschinen aus und schlossen sich dem Microsoft-Troß an. Wirtschaftsprüfer wie Ernst & Young und KPMG Peat Marwick gingen fremd oder liebäugelten zumindest mit Bill Gates‘ Windows 95. Allein die kanadische Northern Telecom startete im Frühjahr den Austausch von insgesamt 30000 Apple-Computern gegen Pentium-PC. Nur die Medienbranche erwies sich bisher als resistent gegen die Versuchung, dem Quasi-Monopol nachzugeben.

Auch hierzulande machen Apple-Loyalisten mitunter schwere Prüfungen durch. Der Kemptener Unternehmensberater Gerhard Pleil fühlt sich von Klienten immer öfter als Exot belächelt. Bisher freilich hat er dem Druck nicht nachgegeben. Seine Hoffnung stützt sich auf Gespräche mit Managern anderer PC-Produzenten: „Viele Hardware- und Softwarehersteller würden liebend gerne dem Monopolisten eins auswischen.“ Bisher ist kein Anbieter in Sicht, der einen offenen Streit mit Intel und Microsoft riskieren würde. Welche Folgen Untreue haben kann, erfuhr Compaq-Chef Eckhard Pfeiffer 1995, als er einen Teil seiner Chips beim Intel-Erzrivalen Advanced Micro Devices (AMD) eingekauft hatte. Zähneknirschend kehrte der Deutsche zurück – sonst hätte er sich bei künftigen Pentium-Versionen hinter deutlich kleineren Konkurrenten anstellen müssen.

Doch die Verhältnisse ändern sich. Im nächsten Frühjahr präsentieren Apple, IBM und Motorola nach jahrelangen Vorbereitungen endgültig ihre PowerPC-Plattform. Dieser gemeinsame Standard macht alle mit diesem Chip-Typ ausgestatteten Rechner miteinander kompatibel. Der Clou: Der Kunde kann damit nicht nur das Mac-Betriebssystem oder Unix-Versionen wie das AIX von IBM verwenden, sondern genausogut das Windows NT von Microsoft.

Wenn sich, wie viele Branchenkenner glauben, NT zum Renner bei mittelgroßen PC-Netzen entwickelt, könnte Apple zumindest als Hardwarelieferant davon profitieren. Doch IBM bietet seinen Power-PC nur im obersten PC-Segment an. Alle Großserien-PCs kommen mit Intel und Windows daher. Power-PCs für den Massenmarkt, so der IBM-Manager Horst Oehler, seien bis auf weiteres nicht geplant. Für Apple-Anhänger Pleil ist diese Haltung ein Witz: „IBM hätte die Kraft, das Monopol von Intel und Microsoft zu beenden.“

Ohnehin sähe Gilbert Amelio sein Unternehmen – ganz in der Tradition seiner Vorgänger – lieber als Softwareunternehmen. Gerade bei neuen Konzepten für die weiche Ware war Apple dem Rivalen Microsoft früher immer um mehrere Nasenlängen voraus. So soll es auch wieder werden. Es wäre doch eine feine Sache, schwärmte Amelio bei seinem letzten Deutschland-Besuch, wenn Apple eines Tages die Hälfte seiner Einnahmen mit Software erzielte.

ULF J. FROITZHEIM

„Eiertanz sorgt für Verwirrung“

Jan Gesmar-Larsen*, General Manager Apple Europe, über das geplante Comeback seines Unternehmens, unzufriedene DV-Manager und die Zusammenarbeit mit IBM.

Herr Gesmar-Larsen, Apple schrumpft in den USA. Die Europa-Tochter kam bisher mit einem blauen Auge davon. Fühlen Sie sich jetzt als Musterknabe des Konzerns?

 

WIRTSCHAFTSWOCHE 44/1996

GESMAR-LARSEN: Als Musterknabe nicht. Aber in letzter Zeit haben wir uns bemüht, verstärkt in Märkte zu verkaufen, die höherwertige Produkte verlangen – etwa in die Medienbranche, in Forschung und Lehre. Dadurch hatten wir hier eine viel stabilere Ertragsgrundlage als in den USA, wo das meiste über die großen Einzelhändler verkauft wird. Allerdings haben auch wir gelitten: Unsere Großkunden wollten abwarten, was bei Apple in den USA passiert, bevor sie zusätzliche
Systeme einkaufen.

Wirkliche Großkunden wie in den USA, die  bis zu 30000 Macintosh-Rechner betreiben, haben Sie hier kaum. Waren Sie deshalb weniger verwundbar?

GESMAR-LARSEN: Nein. Wir sind im Prinzip sogar abhängiger von unseren Großkunden wie Bertelsmann oder Springer. Aber zu denen haben wir viel stabilere Beziehungen. Hier gibt es nicht diese internen Computer-Glaubenskriege, wie sie sich in US-Betrieben entzünden.

In Amerika schwenken sogar Apple-gläubige Manager um. Sie glauben, Macintosh zu kaufen, sei ihrer Karriere schädlich.

GESMAR-LARSEN: ln den USA schwingt das Pendel immer sehr weit nach links und nach rechts. An einem Tag ist Apple „great“, am nächsten nur schlecht. Großkunden, die auch in Europa tätig sind – wie KPMG oder Boston Consulting -, sehen das nicht so schwarz-weiß.

Auf die nächste Version Ihres Mac-Betriebssystems, die 1997 kommen soll, wartet die Geschäftswelt ja nicht gerade.

GESMAR-LARSEN: Wir wissen natürlich, daß viele Unternehmen Microsoft NT einführen wollen. Darum werden wir Betriebssystem-unabhängige Computer anbieten, auf denen auch NT läuft. Wir arbeiten gemeinsam mit Motorola an Prozessoren mit bis zu 500 Megahertz Taktfrequenz. Das wäre die Führungsposition in puncto Rechnergeschwindigkeit.

Woher kommt Ihre Zuversicht, daß dieser Kundenkreis ausgerechnet auf Apple-Rechner wartet?

GESMAR-LARSEN: Zur Zeit kann ich mich über mangelnden Auftragseingang nicht beklagen. Wir haben Mühe, alles zu liefern, was die Kunden von uns erwarten. Und wir haben in den vergangenen 18 Monaten gelernt, was Time-to-Market bedeutet.

Wann ziehen IBM und Apple an einem Strang, um dem Kartell Windows-Intel Paroli zu bieten?

GESMAR-LARSEN: Da rühren Sie an einen wunden Punkt. Die IBM ist eine so komplexe Organisation, daß sie zwangsläufig viele Ziele gleichzeitig verfolgt. Die Halbleiterleute ziehen mit Motorola und uns an einem Strang. Sie kämpfen Tag und Nacht, damit wir Monate vor Intel schnellere Prozessoren auf den Markt bringen. Aber IBMs PC Company arbeitet nun einmal eng mit Microsoft zusammen und kann deshalb gar nicht gegen die Wintel-Welt antreten. Dieser Eiertanz hat für einige Verwirrung im Markt gesorgt. Aber wer Hardware verkaufen soll, kann nicht zu 100 Prozent die gleichen Ziele haben wie jemand, der ein Betriebssystem vermarkten will.

ULF J . FROITZHEIM

* Jan Gesmar-Larsen, 36, ist seit Juni 1996 als Vice-President und General Manager Apple Computer Europe, Middle East and Africa verantwortlich für das Europa-Geschäft. Ende 1992 kam Gesmar-Larsen zur Apple Computer GmbH in Ismaning bei München, deren Geschäftsführung er im April 1994 übernahm. Ende 1995 wurde er Vice-President Sales & Customer Service für Europa.

Kreditkartentelefone: Teure Variante

Vorsicht vor privaten Kreditkartentelefonen. Die Gespräche können teuer werden.

WirtschaftsWoche 8/1996

Die Plexiglas-Telefonhaube im Internationalen Congress Centrum (ICC) in Berlin wirkt auf den ersten Blick vertraut. Der Fernsprecher, der jetzt unter der Haube hängt, stammt jedoch eindeutig nicht aus dem Fundus des Fernmeldeamts: rechts neben der Tastatur ein Schlitz zum Durchziehen einer Kreditkarte, links vom Hörer ein grünliches LC-Display, in der Mitte das rote Emblem „CCC“.

Ungewohnte Anblicke bieten sich auch eine Etage tiefer, im ICC-Foyer.

WirtschaftsWoche 8/1996

Auf dem Tresen springt eine türkisfarbene Werbetafel den Besucher an: „Hier können Sie mit Kreditkarten faxen, telephonieren, kopieren“. Davor thront das „Wellcom Fax & Phone“, ein Kombigerät im Design einer Registrierkasse mit einem türkisfarbenen Hörer als Blickfang.

Ein Anblick, an den der Reisende sich gewöhnen muß: Immer öfter begegnet er den Kreditkartentelefonen privater Anbieter. Doch nutzen sollte der Kunde die Angebote lieber nicht. Denn die Tarife der Gesellschaften liegen erheblich über denen der Deutschen Telekom AG.

Statt mit deutschen Gebühreneinheiten oder den auf dem Weltmarkt üblichen Minutenpreisen operiert etwa die 3C Communications GmbH mit einer eigenen Variante. „Eine Gesprächseinheit ist sieben Sekunden“, liest der Kunde auf dem Display. Falls der Benutzer sich an einem jener Standorte befindet, an denen tatsächlich eine Preisliste aushängt, erfährt er auch, was diese Einheit kostet – nämlich zwischen zwei Pfennig für ein Ortsgespräch und üppigen 1,45 Mark für Verbindungen zu Zielen außerhalb Europas.

Ein simples fünfminütiges Gespräch Frankfurt-Hamburg vom Terminal 2 des Frankfurter Flughafens, wo 3C Communications unlängst neben der Delta-Lounge ein „Calling Center“ eingerichtet hat, schlägt sich so auf der Kreditkartenabrechnung mit 17,19 Mark nieder. Zuschlag gegenüber einem Kreditkartentelefon der Telekom: 155 Prozent.

Der zweite Anbieter benimmt sich korrekter. Jedes Gerät der Wellcom Secur Computer Systems GmbH listet übersichtlich sämtliche Preise auf. Obendrein betreibt Wellcom eine kostenlose Hotline und druckt Quittungen mit Verbindungsdaten und Mehrwertsteuernachweis aus.

Billig ist der Kreditkartenapparat dennoch nicht: Für jeden Telekom-Zählimpuls berechnet Firmengründer Hans Weller 35 Pfennig – zuzüglich drei Mark Grundgebühr und alle zehn Sekunden 15 Pfennig Zuschlag. Damit kostet Anrufer das Fünf-Minuten-Gespräch zwischen Hamburg und Frankfurt 16,95 Mark. Fast so viel wie beim privaten Konkurrenten 3C Communications.

Da lohnt es sich, auf einen freien Kreditkartenapparat der Telekom zu warten. Mit 6,75 Mark für fünf Minuten stellt der Kommunikationsriese bei weitem das billigste Angebot für Kreditkartennutzer. Zumindest derzeit noch. „Wir hoffen, daß wir unsere Preise in Flughafenlounges bald selber festlegen dürfen“, sagt Telekom-Sprecher Stephan Althoff. Eine Untersuchung zum Thema läuft gerade beim Bundespostministerium.

Am meisten sparen Reisende sowieso mit den Standard-Telefonkarten der Telekom. Damit kostet die Tarifeinbeit am öffentlichen Apparat 20 Pfennig – nur acht Pfennig mehr als beim Telefonat von zu Hause.

Ulf J. Froitzheim