Aufstand der Zwerge

Mikrosysteme stehen vor der Markteinführung. Deutsche Unternehmen und Forscher liegen gut im Rennen.

Mit bloßem Auge betrachtet, sehen die Krümel aus wie Fliegendreck. Doch Wolfgang Ehrfeld hält in seinen Händen wahre Kleinode: Ultrakleine Mikroturbinen, die erst unter einem hochauflösenden Mikroskop ihre wahre Gestalt offenbaren. Solcherart Mikrosysteme, da ist sich der Geschäftsführer des Instituts für Mikrotechnik Mainz (IMM) sicher, verändern die industrielle Welt ein weiteres Mal von Grund auf: „Von den meisten Anwendungen haben wir heute noch gar keine Vorstellung.“

WirtschaftsWoche 44/1993

Was bis vor kurzem noch wie Science-fiction anmutete – Kleinstroboter, die selbständig Maschinen reparieren, in Blutgefäßen Verkalkungen abtragen oder mit Mikrosensoren ausgestattete selbstnavigierende Fahrzeuge -, wird in den Labors von Mainz bis Madinson/Wisconsin, von Tübingen bis Tokio langsam, aber sicher Realität. In Glasfasernetzen und medizinischen Apparaturen, aber auch in Allerweltsartikeln wie Tintenstrahldruckern und Airbags werden Mikrokomponenten bereits eingesetzt.

Deutsche Unternehmen und Forscher mischen bei dieser vielversprechenden Zukunftstechnik ganz vorne mit, sind in Teilbereichen sogar führend. Der Berliner Fraunhofer-Professor Anton Heuberger und der Münchner Daimler-Forscher Walter Kroy sind zwei der bekanntesten Pioniere der Silizium-Mikrotechnik. Das neuere und flexiblere Liga-Verfahren, mit dem Kleinstteile auch aus Metall, Keramik oder Kunststoff gefertigt werden können, hat IMM-Leiter Wolfgang Ehrfeld in den achtziger Jahren am Kernforschungszentrum Karlsruhe (KfK) entwickelt. Und die Dortmunder Micro-Parts GmbH – ein Joint Venture der Konzerne Steag, Krupp/Hoesch, Hüls, Rheinmetall und VEW – gilt als weltweit einziges Unternehmen, das die Großserienfertigung von mikromechanischen Systemen beherrscht: Das Team um Geschäftsführer Reiner Wechsung kann in einem Arbeitsgang 120.000 mikroskopisch kleine Zahnräder herstellen. „Bei der Grundlagenforschung und ersten Produkten liegen wir wohl vor den USA und Japan.“ Rainer Günzler vom Institut für Mikro- und Informationstechnik (Imit) der Villinger Hahn-Schickard-Gesellschaft bestätigt den Vorsprung der Europäer, schränkt aber ein: „Bei den Patenten sind die Japaner eindeutig vorn.“ Günzler muß es wissen: Sein vom Land Baden-Württemberg gefördertes Institut hilft mittelständischen Feinmechanik-Fabrikanten beim Einstieg in die Mikrotechnik und beobachtet deshalb akribisch die einschlägigen Aktivitäten im In- und Ausland.

Eine zuverlässige Analyse des künftigen Mikrotechnik-Weltmarkts kann jedoch auch das Imit nicht bieten. Selbst professionelle Marktbeobachter stochern im Nebel. Die Market Intelligence Research Corp. (Mir) aus Mountain View im Silicon Valley sagte im vorigen Herbst voraus, daß der weltweite Umsatz mit Mikrosystemen und Mikrostrukturen schon 1995 die Marke von drei Milliarden Dollar passieren werde; im Frühjahr korrigierte Mirc die Summe dann auf 2,9 Milliarden Dollar – und das Jahr auf 1998.

Widersprüchliches auch beim Battelle Memorial Institute: Hatte dessen inzwischen geschlossene Frankfurter Filiale vor Jahresfrist für das Jahr 2000 ein Marktvolumen von 20 Milliarden Mark prophezeit, erwartet Battelle Europe inzwischen nur noch einen Umsatz von acht Milliarden Dollar in diesem Markt zur Jahrtausendwende.

Sollten hingegen die kühnen Annahmen stimmen, auf die das Bundesforschungsministerium den Entwurf seines zweiten Förderprogramms Mikrosystemtechnik (Laufzeit: 1994-1999) stützt, müßte der zu erwartende Weltmarkt viel größer sein: Volle vier Prozent des Verkaufspreises sollen bei den Autos des Baujahrs 2000 auf Mikrokomponenten entfallen. Das wären selbst bei schlechtester Konjunktur mehr als 20 Milliarden Mark. Allein in Europa sollen dann Mikrosysteme im Wert von 3,6 Milliarden Mark in Telekommunikationsanlagen eingebaut werden.

Die als besonders vielversprechendes Anwendungsgebiet geltende Medizin- und Pharmatechnik erwähnt der BMFT-Entwurf in diesem Zusammenhang nicht einmal. Einig sind sich die Auguren nur in einem Punkt: daß sich ein weiterer Technologie-Wettlauf zwischen Europa, Japan und den USA anbahnt – mit noch offenem Ausgang.

Alle drei Seiten sind bereit zu investieren. In den Vereinigten Staaten hat sich die Forschungsbehörde Arpa (Advanced Research Projects Agency) des Themas angenommen. Arpa-Manager Kaigham J. Gabriel, selbst ehemaliger Mikrotechniker, darf in drei Jahren 24 Millionen Dollar als Starthilfe (Seed Capital) an Unternehmensgründer auszahlen.

In Japan steht das Micromachine Center (MCC) in Tokio im Mittelpunkt der Mikromaschinen-Entwicklung, an der sich so illustre Firmen wie Fanuc, Hitachi, Kawasaki, Matsushita, Mitsubishi, Seiko oder Toshiba beteiligen, 25 Milliarden Yen (387 Millionen Mark) bewilligte das Industrieministerium Miti 1991 für ein Zehnjahresprogramm, das als konkrete Aufgabenstellung den gemeinsamen Bau eines millimetergroßen, autonomen Blutgefäß-Schrubbers zum Ziel hat.

Ein solches gemeinsames Leitmotiv fehlt beim deutschen Programm für Mikrosystemtechnik, dessen erster Teil Ende des Jahres ausläuft. So verzettelten sich die Bonner Bürokraten während der vergangenen drei Jahre in nicht weniger als 31 (Japan: fünf) Verbundprojekten mit 224 Teilvorhaben, deren 148-Millionen-Mark-Budget je zur Hälfte Industriebetrieben und Forschungseinrichtungen zugute kam. Selbst das volle Dutzend involvierter Fraunhofer-Institute forscht weitgehend unkoordiniert. So gehören nur vier dem paneuropäischen Mikrotechnik-Elitezirkel Nexus an, den Heubergers Berliner Fraunhofer-Institut für Siliziumtechnologie (Isit) betreut.

Während sich das BMFT jetzt anschickt, die mit voraussichtlich 400 Millionen Mark dotierte zweite Förderrunde einzuläuten, kämpft Liga-Erfinder Wolfgang Ehrfeld lieber auf eigene Faust. Als Gründer des von Rheinland-Pfalz getragenen IMM will der Ex-KfK-Mitarbeiter zeigen, wie effizient deutsche Forschung sein kann.

„Ich wünsche mir mehr Konkurrenz in der Forschung und Entwicklung“, provoziert Ehrfeld betuliche Ministerialtechnokraten, „nur dadurch werden jene Reserven mobilisiert, die zur Innovation führen.“

So stampfte der ehrgeizige Professor, unterstützt vom rheinland-pfälzischen Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, binnen zwei Jahren eine komplett ausgestattete Denkfabrik aus dem Boden – überwiegend mit neuwertigem Secondhand-Equipment bestückt. Seither wuchs das IMM auf 100 Mitarbeiter, finanziert sich bereits zu einem Viertel aus Industrieaufträgen und gilt neben MicroParts als die wichtigste Adresse in der Liga-Technik. Das Mainzer Team begnügt sich nicht mit Anwendungen in den Branchen Telekommunikation, Medizin, Pharma, Auto, sondern widmet sich auch der Verbesserung der Fertigungstechnik und der dazugehörigen Geräteentwicklung.

Gemeinsam mit der Lothar-Späth-Firma Jenoptik in Jena entwickelte das IMM einen Präzisionsscanner für die tiefenlithographische Herstellung der winzigen Förmchen, die man für die Massenproduktion von Liga-Mikroteilen braucht. Da es ein vergleichbares Gerät auf dem Weltmarkt nicht gibt, liegen bereits Anfragen und Bestellungen aus Europa, den Vereinigten Staaten und Fernost vor.

Vor soviel High-Tech freilich schrecken alteingesessene Unternehmer vielfach zurück, selbst wenn die Innovationen schon bald unmittelbare Auswirkungen auf ihr Geschäft haben werden. Im Maschinenbau, so schätzt das BMFT, werden 60 Prozent der Firmen auf den Einsatz von Mikrosystem-Komponenten angewiesen sein. Doch nur funf Prozent der Unternehmen würden solche Produkte selbst entwickeln.

Viel Überzeugungsarbeit müssen denn auch die Mitarbeiter des Imit in Villingen leisten, das als FuE-Dienstleister etwa den traditionellen Schwarzwälder Feinwerktechnik-Betrieben den
Weg in die Zukunft bahnen soll. Seufzt Rainer Günzler: „Es ist nicht einfach, den Chef eines kleineren Unternehmens zu überzeugen, daß er gerade in der Rezessionsphase in neue Dinge investieren soll.“

Ulf J. Froitzheim

Hochleistungscomputer: Konkurrenz der Parallelen

Nie war die Auswahl an Supercomputern größer als heute – und nie verwirrender für die Kunden. Für einige Hersteller wird jetzt die Luft dünn.

Top/Business 10/1993

Eben noch ganz tief unten im Jammertal, will James G. Treybig schon wieder ganz hoch hinaus. Nach einem verheerenden Quartal, in dem der Verlust seiner Firma mit über einer halben Milliarde Dollar größer ausfiel als der Umsatz, denkt der Chef der Tandem Computers Inc. nur noch ans Dach der Welt: „Himalaya“, die neueste Rechnergeneration, soll dem gebeutelten Silicon-Valley-Unternehmen wieder den nötigen Auftrieb verschaffen. „Es gibt kein System mehr auf dem Markt“, behauptet „Jimmy“ Treybig keck, „mit dem Tandem nicht konkurrieren könnte.“

Des Gipfelstürmers Optimismus scheint berechtigt. Die neuen Maschinen stoßen nämlich in Leistungsregionen vor, die mit herkömmlichen Großrechnern kaum zu erreichen sind, kosten aber nur einen Bruchteil. „Hochleistungscomputer: Konkurrenz der Parallelen“ weiterlesen

Digitaler Hörfunk: Autarkie dahin

Die ARD bremst den UKW-Nachfolger DAS. Das störungsfreie Radio kommt trotzdem.

Fast hätte der digitale Fortschritt nach dem Plattenspieler auch noch das UKW-Radio dahingerafft. Allein in Europa, so sah es der kühne Zeitplan des 125 Millionen Mark teuren EG-Forschungsprojekts Eureka 147 vor, wären bis zum Jahr 2010 mehr als 600 Millionen konventionelle Autoradios, Tuner, Kompaktanlagen und Kofferradios reif für die Wertstofftonne gewesen. Zu jenem Termin nämlich sollte das neue Hörfunksystem Digital Audio Broadcasting (DAB) endgültig das aus den fünfziger Jahren stammende UKW ablösen.

So rasch wird auf der klassischen Ultrakurzwelle nun doch keine Funkstille herrschen. Die Zwangsbeglückung des Publikums mit dem CD-Radio ist im Ansatz gescheitert. Und damit ist auch der Traum der Unterhaltungselektronikmanager geplatzt, binnen 15 Jahren nahezu jedem Bewohner des Kontinents mindestens einen neuen Apparat verkaufen zu können.

Auslöser der Vollbremsung waren die Intendanten der ARD, deren hauseigenes Institut für Rundfunktechnik GmbH (IRT) in München bisher unter den Verfechtern des neuen Super-Hörfunks in der ersten Reihe gekämpft hatte. Auf einer Sitzung Anfang Mai in Köln beschlossen die Anstaltsleiter, den vermeintlichen UKW-Nachfolger, dessen binäre Signale ab der Internationalen Funkausstellung (IFA) 1995 den Äther bereichern sollten, „nicht vor 1997“ einzuführen. Offizielle Begründung: Geldmangel.

Der Aufbau eines Digitalnetzes parallel zur UKW-Senderkette ist nicht aus der Portokasse zu finanzieren. Auf 500 Millionen Mark taxiert Dieter Hoff, Technischer Direktor des WDR in Köln, den Investitionsbedarf: „Es steht außer Zweifel, daß wir uns das mit den jetzigen Rundfunkgebühren, die bis Ende 1996 festgeschrieben sind, nicht leisten können.“

Buchstäblich im letzten Moment haben die Intendanten ein technisches Konzept auf Eis gelegt, das nicht einmal ansatzweise mit der real existierenden Medienszene Deutschlands und seiner Nachbarländer harmoniert. So gibt auch Frank Müller-Römer, Technischer Direktor des Bayerischen Rundfunks und Vorstandsvorsitzender des Vereins DAB-Plattform, unumwunden zu, daß die „Programmkollegen und Intendanten noch zu wenig darüber nachgedacht haben, wie DAB die Rundfunklandschaft verändern wird“.

Selbst die Medienpolitiker hatten eines übersehen: Ohne eine gründliche Überarbeitung würde DAB vielen kleinen Privatsendern die Existenzgrundlage entziehen. Zwar ist für landesweite Privatsender wie Radio Schleswig-Holstein (RSH) oder Antenne Bayern das neue Digitalsystem recht attraktiv. Denn die zu Sechserpacks gebündelten Bitströme garantieren eine Übertragungsqualität, die an jedem Ort mit der des ARD-Programms identisch ist.

Doch viel zu verlieren haben die Stadtradios. Als Gleichwellennetz ist DAB darauf ausgelegt, daß ein Autofahrer nicht mehr hinter jeder Bergkuppe am Frequenzknöpfchen drehen muß. Diese Technik mag für Rundfunkstationen mit großen Einzugsgebieten das Nonplusultra sein. Für lokale Programmanbieter ist sie eine Katastrophe: Allein in Nordrhein-Westfalen mit seinen 45 lokalen Stationen wären acht separate Übertragtmgsblöcke erforderlich, damit jeder zum Zug käme. Selbst wenn genügend Frequenzraum bereitstünde, müßten die Lokalfunker eine maßlos übertriebene technische Reichweite finanzieren, ohne diese Mehrkosten auf ihre Werbekunden umlegen zu können. Ein Einzelhändler aus Bielefeld bezahlt schließlich nicht dafür, daß man seinen Spot auch in Leverkusen hören kann.

Trotz allem ist die Einführung des digitalen Radios nicht endgültig passe. Die Gefahr, daß die Europäer ihren technischen Vorsprung gegenüber den Amerikanern verlieren könnten, macht sogar der deutschen Verteidigungsbürokratie Beine. So bekam Horst Stumkat, Fachbereichsleiter für Rundfunksender bei der Telekom, plötzlich vom Bundespostminister grünes Licht für Testreihen mit dem von Frankreich favorisierten „L-Band“ (1452 bis 1492 Megahertz), obwohl dieses hierzulande noch teilweise für militärische Zwecke genutzt wird. Ein Teil dieser Frequenzen kann kurzfristig geräumt werden.

Untersuchungen des kanadischen Rundfunks CBC geben dem L-Band wesentlich bessere Noten als den vom Fernsehen abgeknapsten VHF-Kanälen – zumal der L-Bereich ab 2007 sowieso weltweit für den Empfang ziviler Radiosender reserviert ist. Damit gäbe es – wie heute bei UKW – einen einheitlichen Weltmarkt für Empfangsgeräte.

Selbst die Infrastruktur für die Einführung von DAB im L-Band ließe sich leicht bereitstellen. Nach kanadischen Messungen muß mindestens alle 60 bis 70 Kilometer ein Sender stehen. Die Antennenmasten der digitalen Mobilfunksysteme D 1 und D2 stünden demnach bereits heute in vielen Regionen dicht genug beieinander, um das Rückgrat eines solchen Netzes zu bilden.

Nur für die ARD-Anstalten wäre diese Lösung fatal: Ihre Sendernetze sind viel zu weitmaschig. Und der milliardenteure Aufbau eines eigenen Netzes für das L-Band wäre aus den Rundfunkgebühren erst recht nicht zu finanzieren. Die Folge: Auch die ARD müßte sich an die Funktürme von Telekom, Mannesmann Mobilfunk oder des neuen – von Thyssen und Veba geplanten – E1-Netzes anhängen. Die geheiligte ARD-Autarkie wäre dahin.

Für den Verbraucher hätte das L-Band auf jeden Fall Vorteile: Weil es zwischen den Frequenzen von D- und E-Netz liegt, könnten die Hersteller von Autotelefonen ohne großen Aufwand die Radiofunktion in ihre künftigen Geräte mit einbauen und sogar beide Komponenten über dieselbe Antenne versorgen. Und weil DAB nicht auf Audiosignale beschränkt ist, könnten auch tragbare Computer und „digitale Assistenten“ auf diesem Weg Informationen empfangen.

Eine neue Anwendung ist bereits erfunden – die drahtlose Übermittlung brandaktueller Kreditkarten-Sperrlisten an den Handel.

Ulf J. Froitzheim

aus der WirtschaftsWoche 34/1993

Druckvorstufe: Heiße Kartoffel

Multimedia schafft eine neue Branche. Die Abkehr vom Papier ist vorgezeichnet.

WirtschaftsWoche 28/1993

Bewerber haben bei Hartmut Pütterich schlechte Karten. Der Ex-Unternehmensberater, heute Geschäftsführer der SKU Repro GmbH in München, ist im Gegenteil froh, wenn einer seiner Mitarbeiter geht. Das Unternehmen, das aus Originalfotos und Grafiken Druckvorlagen für Verlage und Werbeagenturen herstellt, befindet sich auf einem strammen Konsolidierungskurs. Vor drei Jahren beschäftigte Pütterich noch knapp 100 Mitarbeiter, derzeit sind es 80, Ende des Jahres werden es nur noch 70 sein.

Damit steht SKU im Vergleich noch sehr robust da. Lutz Kredel, geschäftsführender Gesellschafter der Pre Print Publishing Consulting GmbH in Berlin, kennt Reprobetriebe und Setzereien, die ihre Belegschaft mehr als halbieren mußten. „Von denen hat nie einer an Innovationen gedacht“, stöhnt der Berater, „viel zu wenige in dieser Branche wissen, wo es langgeht.“

Die Misere der Unternehmen, die früher ehrfürchtig als Repro-, Litho- und Satz-Anstalten tituliert wurden, hängt eng zusammen mit dem rasanten technischen Fortschritt, der die sogenannte Druckvorstufe obsolet macht. Seit den siebziger Jahren, als der Fotosatz den Bleisatz verdrängte, löschen Computer und Software ein handwerkliches Berufsbild nach dem anderen aus.

Setzer wurden überflüssig, weil Redaktionen und Anzeigenabteilungen ihre Texte nur noch elektronisch anliefern. Metteure mußten erst lernen, mit dem Skalpell Fotosatzfilme zu umbrechen. Heute haben sie nur noch eine Chance, wenn sie Desktop-Publishing-(DTP-) Software am Bildschirm beherrschen. Als nächstes kam der Bildscanner, der die Lithographen arbeitslos machte. Von den vielen Berufen der Druckvorstufe bleibt lediglich der Druckvorlagenhersteller übrig, der alle Arbeitsgänge beherrschen muß.

Mit Hardware und Software der neuesten Generation verschwinden nun die letzten nichtelektronischen Glieder aus der Verarbeitungskette: Die Bildvorlagen werden bereits digitalisiert angeliefert – etwa auf einer Photo-CD – und direkt ins Layoutprogramm eingespielt; der Computer speist die Daten der fertig gestalteten Seite in ein Gerät, das alle Texte und Bilder mit Hilfe eines Laserstrahls unmittelbar in die Druckplatten fräst. Der chemische Film und mehrere Arbeitsschritte entfallen.

Um die wenigen verbleibenden Arbeiten ist mittlerweile ein Verteilungskampf ausgebrochen. Die Satzstudios, die immer öfter nur noch zum Umbrechen und Gestalten bereits erfaßter Texte gebraucht werden, versuchen, mit elektronischer Bildverarbeitung Boden gutzumachen. Doch hier treffen sie bereits auf Fotolabors, die derartige Dienstleistungen ebenfalls als zukunftsträchtig erkannt haben. Die Druckereien wiederum sehen in der technischen Integration der Arbeitsschritte eine Chance, Unteraufträge auf ein Minimum zu reduzieren und alles selber zu machen.

Tuncay Genceller, Mitinhaber der Reproline Offsetreproduktionen in München, glaubt aber, daß Spezialbetriebe mit Qualitätsanspruch ihren Erfahrungsvorsprung nutzen können. Die Newcomer würden bei anspruchsvolleren Aufträgen erst mal ins Schleudern geraten. „Wenn’s bei denen schiefgeht, dürfen wir die heißen Kartoffeln aus dem Ofen holen“, so die Erfahrung von Genceller.

Auch der Berliner Berater Kredel prophezeit eine Renaissance der Qualität. Doch in der Ferne sieht er bereits eine Entwicklung auf die Branche zurollen, gegen die alles bisher Dagewesene harmlos wäre: „Aus dem technologischen Zusammenwachsen der Sektoren Computer, Verlag, Film und Telekommunikation wird eine völlig neue Medienindustrie entstehen.“ In diesem Multimedia-Zeitalter geht der Trend – so Kredel – klar weg vom Papier. Der Berliner rechnet sogar mit einer Neuauflage der längst totgesagten Bildschirmzeitung.

Obwohl diese Veränderungen nicht blitzartig hereinbrechen werden, befaßt sich SKU-Geschäftsführer Pütterich bereits mit den denkbaren Optionen. „Wir haben Riesenchancen, mit unserem Potential neue Dinge anzugehen“, glaubt der Münchner. Zu diesen Ideen gehört , die Pflege elektronischer Bildkataloge, die per Datenleitung zugänglich sind. Was den papiernahen Bereich betrifft, ist Pütterich jedoch Pessimist. Wenn der Preisdruck anhalte, komme die elektronische Arbeitsteilung mit Billiglohnlandern wie der Türkei oder Tschechischen Republik. Das koste zwar Jobs, doch die Qualität müsse darunter nicht leiden: „Die Leute sind ja auch nicht dümmer als wir.“

Ulf J. Froitzheim

Printing on Demand: Immer frisch gedruckt

Es ist immer wieder der gleiche Balanceakt bei Druckwerken, die häufig aktualisiert werden müssen: Wenn die Auflage zu klein ist, muß nachgeordert werden, ist sie zu groß, landet der Überschuß im Altpapiercontainer. Doch jetzt können Fachverlage und Unternehmen, die Preislisten und technische Anleitungen herausgeben, beliebig kleine Auflagen nach dem aktuellen Bedarf drucken. „Printing on Demand“ (PoD) wird durch neue leistungsstarke Laserdrucker möglich, die bis zu 340 Seiten pro Minute – fast sechs Seiten pro Sekunde – ausspucken. Sogar doppelseitiger DIN-A3-Druck und Farbdrucke sind möglich, und zum Schluß wird alles noch vollautomatisch gefalzt und ordentlich zusammengeheftet. Im Angebot haben derartige Drucker Siemens-Nixdorf, Kodak und Rank Xerox.

Die Oracle Corp., einer der größten Anbieter von Datenbankprogrammen, gehört zu den ersten Nutzern von PoD. Sie druckt zu jeder erdenklichen Konfiguration das exakt passende Handbuch in der gewünschten Länderversion. Nur die Manuals für das Standardprogramm werden noch auf Vorrat gedruckt.

Auch der auf Patentschriften spezialisierte Wila Verlag W. Lampl GmbH in München macht sich das Potential der neuen Technik bereits zunutze. Wila beliefert Unternehmen wie Mannesmann, Thyssen, VW und Opel regelmäßig mit sauber gedruckten Kurzfassungen aller neuen Patentanmeldungen aus den jeweils abonnierten Fachgebieten. Hätten die Universitätsbibliotheken etwas üppigere Etats, könnten demnächst auch Studenten vom Printing on Demand profitieren.

Technisch ist es überhaupt kein Problem, ganze Fachbücher und Dissertationen PoD-gerecht zu speichern; an der Universität Dortmund gibt es bereits eine Pilotinstallation. Beim dezentralen Drucken aus dem Speicher des Bibliothekscomputers gehen die Verlage nicht leer aus: Sie bekommen für jedes ausgedruckte Stück ihren Obolus. UJF

Hochwürden auf dem Kartentrip

Eine Flut von Chipkarten rollt auf uns zu – als Ersatz für Kleingeld und Krankenschein, Ausweis und Arztrezept. Einige Anbieter ziehen die Notbremse: Per „Multifunktionskarte“ wollen sie die Inflation stoppen.

Wenn noch ein Symbol für den endgültigen Triumph der Plastikkarte gefehlt hatte, dann dieses: Die Pastoren der fünf evangelischen Hauptkirchen in der Hamburger City erwägen ernsthaft die Einführung einer „Church Card“.

Top Business 7/1993

Mit dem analytischen Geist gewiefter Marketingexperten haben die Gottesmänner eine Offerte für die kühl rechnenden hanseatischen Kaufleute maßgeschneidert, die im Schatten des Michel längst die alteingesessenen Gemeindebürger verdrängt haben. „Die Kirche muß sich dem Wettbewerb stellen“, propagiert Hauptpastor Lutz Mohaupt ein konsequent marktwirtschaftliches Christentum. Wer stets brav seine Kirchensteuer zahlt, soll auch etwas davon haben – sei es der verbilligte Eintritt beim Kirchenkonzert oder die Vorzugsbehandlung bei der Kindergarten-Warteliste. „Hochwürden auf dem Kartentrip“ weiterlesen