Private Kombinate

Zwischen Leipzig, Dresden und Chemnitz entwickelt sich langsam eine neue industrielle Infrastruktur. Westkonzerne testen in Sachsen innovative Konzepte – und sind sehr angetan von ihren Werktätigen.

Capital 6/1993 (Fotos: UJF)

Das obligatorische Honecker-Porträt fehlt, und die Gardinen sind frisch gewaschen. Ansonsten entspricht der muffig-spießige Konferenzraum, in dem der Manager Wolfgang Neef seine Besucher empfangen muß, noch voll und ganz dem aus DDR-Tagen gewohnten Bild: ringsum abgewetzte, durchgesessene Polsterelemente in den Farben Orange und Oliv, holzvertäfelte Wände in klassischer Politbüro-Optik, der Blick aus dem Fenster fällt auf eine düstere Kulisse aus größtenteils abbruchreifen Fabrikbauten.

Dennoch ist es nicht das trostlose Ambiente, das den Geschäftsführer der traditionsreichen Sachsenring Automobilwerke GmbH in Zwickau bedrückt. Es sind jene fünf „Profitcenters“, aus denen das Treuhand-Unternehmen heute besteht. Separat, sagt der Nachlaßverwalter der ehemaligen Trabi-Fabrik, könne er die Firmenteile – so unterschiedliche Sparten wie Fahrzeugbau, Ersatzteilhandel, Ingenieurbüro, Autorecycling und Bau von Fertigungsmitteln – privaten Investoren gewiß schmackhaft machen. Doch die IG Metall sperre sich, und darum stehe die GmbH leider nur en bloc zum Verkauf.

„Den Leuten in unserer Region“, stöhnt Neef, der seit seiner Lehre vier Jahrzehnte beim Sachsenring verbracht hat, „wäre doch mit fünf kleinen Betrieben zu je 150 Arbeitsplätzen besser gedient als mit einem großen, bei dem vielleicht 400 Arbeitsplätze übrigbleiben.“ Noch stehen freilich 1700 Menschen auf der Lohnliste, darunter alleine 300 Lehrlinge.

Wie die industrielle Zukunft des Sachsenrings aussehen könnte, ist in der unmittelbaren Nachbarschaft zu besichtigen. Dort hat sich – in einem verwitterten Bau, der einst den berühmten Horch-Werken gehörte – die Siemens Automobiltechnik GmbH (AT) mit ihrer Bordnetz-Fertigung eingemietet. Wie Klöpplerinnen hantieren einige Dutzend Frauen ungemein fix mit bunten Kabeln, bis daraus dicke Stränge werden: die Elektrik für den Golf, den VW hier ganz in der Nähe baut. Weil es Hunderte von Varianten gibt, ist das jeweilige Schema exakt auf der mannshohen Arbeitstafel vorgezeichnet.

Obwohl die Zwickauer Manufaktur mit einem Investitionsvolumen von zehn Millionen Mark zu den kleinsten Flecken auf der Sachsen-Karte der Siemens AG zählt, ist sie bereits zum Vorzeigebetrieb geworden. Nach anfänglicher Skepsis sind die AT-Geschäftsführer Gerhard Sander und Peter Schmitt von ihren 290 sächsischen Werktätigen regelrecht begeistert. „Wir sind sehr rasch eines Guten belehrt worden“, strahlt Sander, „die Motivation unserer Mitarbeiter ist hervorragend.“

Zum Beleg verweisen die zwei Westmanager auf das frische Computerdiagramm, das für jeden sichtbar am schwarzen Brett prangt. Danach hat die Belegschaft in den ersten Apriltagen die vorgegebene Norm um durchschnittlich 15 Prozent übererfüllt: Die Frauen haben schneller geklöppelt, als geplant war. Auch bei Krankenstand und Qualität halten die Kurven großen Abstand von der markierten Schmerzgrenze – die kapitalistische Planwirtschaft funktioniert.

Mit ihrer Kabelbaum-Produktion ist die Siemens AG nur einer von vielen Auto-Zulieferern, die sich auf einen ehrgeizigen Großversuch eingelassen haben: den Umbau einer traditionellen Autoregion zum modernsten Produktionsstandort Europas. Wo früher unter Regie des volkseigenen IFA-Konzerns mit einer Fertigungstiefe von 100 Prozent der Trabi montiert wurde, wächst jetzt um das VW-Werk Mosel herum ein enges Geflecht von selbständigen Unternehmen, die – quasi integriert in ein privatwirtschaftlich organisiertes Kombinat – gemeinsam und höchst rationell des Deutschen liebstes Auto produzieren.

Die Fertigungstiefe der eigentlichen VW-Fabrik sinkt dabei auf bescheidene 30 Prozent, ergo kann der Konzern auch einen Teil der Investitionen auf die Lieferanten abwälzen. Die extreme räumliche Nähe zwischen den Partnerbetrieben – im Westen in diesem Maß überhaupt nicht realisierbar – drückt die Reaktionszeiten der Just-in-time-Lieferanten auf ein absolutes Minimum.

Gegen ein Problem sind die Chefs der Zulieferbetriebe, zu denen neben Siemens auch Ableger von Hella, VDO und Allibert zählen, freilich machtlos – gegen den drastischen Sparkurs ihres Kunden Volkswagen. Die Niedersachsen, die ursprünglich bis 1994 rund 4,6 Milliarden Mark in Sachsen investieren wollten, haben den Endausbau des Standorts Zwickau-Mosel auf 1997 verschoben. Statt 1200 laufen deshalb vorerst nur 400 Exemplare des Golf pro Tag vom Band.

Während die Autobranche auf die Stotterbremse tritt, geben weniger konjunkturanfällige Wirtschaftszweige neuerdings in Sachsen kräftig Gas:

❏ Die Getränkeindustrie, allen voran Coca-Cola und die Bierkonzerne Binding und Holsten, steckt dreistellige Millionenbeträge in supermoderne Braustätten und Abfüllereien in Radeberg und Dresden.
❏ Der Fürther Schickedanz-Gruppe ist ein neues Quelle-Großversandhaus bei Leipzig fast eine Milliarde Mark wert; die fünf gigantischen Hallen, zusammen so groß wie zwölf Fußballfelder, sind für 25 Millionen Pakete pro Jahr ausgelegt.
❏  Die Degussa-Tochter Asta verordnete sich eine moderne Tablettenfabrik in Dresden für 325 Millionen Mark; produziert werden allerdings nur Generika, also Standard-Pillen ohne neuentwickelte Wirkstoffe.
❏ Die Frankfurter Investmentfirma Advanta trieb 250 Millionen Mark auf, mit denen das denkmalgeschützte Taschenbergpalais zum „Steigenberger Hotel Dresden“ umgebaut wird.
❏ Der Aretsrieder Milchgigant Müller, bereits Pächter mehrerer sächsischer Molkereien, greift nach der Devise „Alles Müller oder was?“ nach der Marktführerschaft in ostdeutschen Kühltheken; dazu bauen die Allgäuer südlich von Leipzig eine Großmolkerei samt Käsefabrik für 180 Millionen Mark.

Um ein großes Technologie-Unternehmen, in das noch vor Jahresfrist viele Sachsen große Hoffnungen gesetzt hatte, ist es hingegen sehr, sehr still geworden: das Zentrum Mikroelektronik Dresden (ZMD). Die ehemalige DDR-Chipfabrik sei gerettet, hatte Wirtschaftsminister Kajo Schommer im vergangenen Oktober verkündet. Dresdner Bank und Commerzbank würden in Kürze die Gesellschafteranteile von der Treuhandanstalt übernehmen, das Halbleiter-Know-how stelle die Siemens AG. Ein halbes Jahr später sagt eine Commerzbank-Sprecherin nichts anderes: „Das ist auch heute Stand der Dinge.“

Ulf J. Froitzheim

Dieser Text erschien im Juni 1993 – gekürzt und vermischt mit dem Beitrag einer Kollegin – unter der Überschrift „Testfall für Ostdeutschland“ in der Haupt- und der Ostausgabe von Capital.

Client/Server: Wege zum Lean Computing

Top Business 3/1993

Neue Konzepte für die EDV:

Parallel zum Niedergang des Computermonolithen IBM keimt in vielen Unternehmen der Mut, sich von überholten Informatik-Konzepten zu verabschieden. Die konsequente Dezentralisierung der EDV macht oft ein flexibleres Management erst möglich.

Die Jagd ist eröffnet, die Treiber stehen bereit zur Hatz auf elektronische Dinosaurier.“ Wir blasen zum Halali auf die Großrechner“, stößt Jochen Haink, im Alltagsleben Geschäftsführer der Microsoft GmbH in Unterschleißheim, ins Horn.

Mit so kernigen Sprüchen weiß sich der Münchner Statthalter des amerikanischen Software-Tycoons Bill Gates in bester Jagdgesellschaft. Hatten bisher vor allem Produzenten preiswerter Hardware die bis zu 40 Millionen Mark teuren Mainframe-Computer ins Visier genommen, liegen jetzt immer mehr Waidmänner aus der Softwarebranche ihre Flinten auf sie an.

Unter dem Codewort „Client-Server“ sollen die mächtigen Datenmonster aus ihrem klimatisierten Bunkern verbannt werden, um Platz zu schaffen für eine neue Art der EDV: Lean Computing – die schlanke, dezentrale Datenverarbeitung, die sich passgenau einfügt in das wendige Unternehmen von morgen mit seinen flachen Hierarchien. „Client/Server: Wege zum Lean Computing“ weiterlesen

CeBIT-Special – Kritische Nabelschau der Computerwelt

Auf der CeBIT drängelt sich alles, was in der Branche Rang und Namen hat. Allerdings wird auch immer offener Kritik laut – Grenzen des Wachstums?

Top Business 2/1993

Wer heute mit einem Computerspezialisten innovative Trends bei Hardware oder Software diskutieren will, erntet höchstens noch ein mitleidiges Lächeln. Um ernstgenommen zu werden in der Fachwelt, muß er über Multimedia und Systemintegration reden, am besten aber über Themen wie Vernetzung und Kommunikation parlieren können. Tatsächlich attestieren Markt-forscher diesen Sparten der Informationstechnik noch ein solides Wachstumspotential – wogegen mit traditioneller Rechner-Hardware kaum noch Geld zu verdienen ist.

Was Wunder, daß sich auch die CeBIT mehr denn je als Pflichtveranstaltung für Computervernetzer zu profilieren sucht und gleich vier Hallen der Telekommunikation widmet. Auf Jürgen Müller, Marketing Communications Manager der Novell GmbH in Düsseldorf, machen die neuesten Anstrengungen der Niedersachsen allerdings keinen Eindruck mehr. Nach der CeBIT 1992 zog der Messeverantwortliche des führenden deutschen Anbieters von Personalcomputer-Netztechnik einen Schlußstrich unter das Thema „Hannover“. „Etwa 30 Prozent der Messebesucher waren an Netzen interessiert, und nach unseren Stichprobenzählungen waren die wohl alle auch bei uns auf dem Stand“, denkt Müller nur noch mit Grausen an jene Horden von Seh-Leuten, die es unmöglich machten, „ein ruhiges Wort mit wirklich interessierten Kunden zu wechseln.“ „CeBIT-Special – Kritische Nabelschau der Computerwelt“ weiterlesen

Fotoindustrie: Digital in die Zukunft

Über die Photo CD, ein elektronisches Fotoalbum, will der Kodak-Konzern sein Geschäft mit chemischem Film absichern und gleichzeitig vom Multimedia-Boom profitieren. Doch erst auf lange Sicht verspricht der digitale Zwitter auch Gewinne.

Top Business 2/1993

Die Jubiläumsfilme waren längst im Kino angelaufen, unzählige Reden auf unzähligen 500-Jahr-Feiern schon geschwungen, da leistete Leo J. („Jack“) Thomas noch einen späten Beitrag zum Kolumbus-Jahr. „Es ist, als hätten wir einen neuen Kontinent entdeckt, auf dem die Felder unserer Möglichkeiten nur durch die Phantasie begrenzt sind“, schwelgte der Präsident des Geschäftsbereichs Imaging der Eastman Kodak Company in Metaphern.

Was den amerikanischen Topmanager zu solch orakelhaften Formulierungen inspirierte, ist die vielseitigste Erfindung, die seine Entwicklungsingenieure seit langem auf die Beine stellten: eine bespielbare Compact-Disc, die konventionelle Fotos in die Welt der Elektronik integrieren soll.

Für Kodak, den diversifizierten Mischkonzern, dessen lebenswichtiges Kerngeschäft mit Filmen und Fotopapier seit Jahren unter Wachstumsschwäche leidet, ist die goldglänzende Photo CD nichts Geringeres als eine Brücke in die digitale Zukunft. Denn wenn Jack Thomas‘ Pläne aufgehen, wird die zwölf Zentimeter große Laserscheibe nicht etwa nur eine kleine Marktlücke stopfen. Als elektronischer Tausendsassa soll sie jeden ansprechen, der im Beruf oder in der Freizeit mit Fotos umgeht.

Die Photo CD ist für Kodak das strategische Produkt der 90er Jahre schlechthin: Vom Erfolg der seit September laufenden Einführungskampagne hängt ab, ob der Konzern aus Rochester seinen traditionsreichen Namen auf Flop oder Top verwettet hat.

Viele Fachleute sehen in der Verknüpfung von traditioneller Fotografie mit digitaler Weiterverarbeitung tatsächlich das Ei des Kolumbus. „Fotoindustrie: Digital in die Zukunft“ weiterlesen

Managementinformationssysteme: Angst vor Mitwissern

Der Widerstand des mittleren Managements gegen moderne Führungs-Software in den Unternehmen läßt nach.

Maximal fünf Tage haben die Manager der 191 Tochtergesellschaften der Henkel KGaA Zeit, dann müssen sämtliche Zahlen des abgelaufenen Verkaufsmonats in der Düsseldorfer Zentrale vorliegen.

WirtschaftsWoche 52/1992

Die Eile hat ihren Grund: Spätestens am sechsten Tag wollen Vorstände, Bereichsleiter und Controller Zugriff auf sämtliche Daten haben: Wieviel Pattex, Pritt, Pril oder Persil ist verkauft worden? Wie hoch war der Umsatz der Spanien-Filiale Henkel Iberica? Welche Vorräte lagern in Wien? Wo stockt der Absatz? Wer ist der beste Kunde?

Nicht weniger als 2000 Korrelationen kann der Computer der Konzernabteilung Planungs- und Berichtssysteme aus den vollelektronisch übermittelten ZahlenkoIonnen herausfiltern und mit alten Ergebnissen vergleichen – bis zurück zum Jahr 1985.

Was für die Düsseldorfer Waschmittel- und Klebstoffverkäufer inzwischen zur Routine geworden ist, treibt in vielen anderen Unternehmen den den EDV- und Finanzverantwortlichen noch den Schweiß auf die Stirn.

Denn bei den Managementinformationssystemen (MIS) – einem Managementinstrument, das in den USA längst alltäglich ist – haben deutsche Firmen noch großen Nachholbedarf. „Hierzulande kommen selten Systeme zum Zug, die nicht von hochdekorierten Betriebswirtschaftsprofessoren abgezeichnet worden sind“, beklagt Vertriebsleiter Peter Rump von der Geminus Software GmbH in Ratingen den mangelnden Mut deutscher Manager.

Doch inzwischen sehen Marktforscher die Programme. die in der Diktion der Anbieter mal als Executive Information System oder Enterprise Intelligence System (EIS), mal als Führungsinformationssystem (FIS) oder MIS bezeichnet werden, auch zwischen Flensburg und Füssen, Saarbrücken und Stralsund unaufhaltsam auf dem Vormarsch. Nach Analysen der International Dara Corp. (IDC) überstieg der weltweite Umsatz mit Führungsinformationssystemen 1991 die 100-Millionen-Dollar-Marke. Die Unternehmensberatung Kienbaum und Partner und die Londoner Consultinggesellschaft Business Intelligence erwarten eine Vervierfachung des Einsatzes von Chefprogrammen in Europa bis 1995. Für den deutschen Markt, der 1991 von sieben auf zehn Millionen Mark anwuchs, prognostizierten sie für das zu Ende gehende Jahr sogar eine explosionsartige Steigerung auf 18 Millionen Mark.

Mit den MIS der siebziger Jahre, die von den meisten Führungskräften als zu kompliziert und praxisfern abgelehnt wurden, hat die heute unter diesem Kürzel angebotene Software kaum noch etwas gemeinsam. „Sie liefern nicht mehr nackte Zahlen, sondern hochverdichtete Finanzinformationen,“ erklärt Olaf Tennhardt, Prokurist bei Andersen Consulting in München, den entscheidenden Fortschritt, „deshalb versetzen sie das Management in die Lage, besser und schneller auf Veränderungen zu reagieren.“ Statt dicker Stapel von Endlospapier werfen die Computer heute farbige Diagramme aus, die wichtige Trends auf den ersten Blick sichtbar machen.

Die größere Transparenz von Unternehmensdaten gefällt allerdings nicht jedem: Finanzfachleute konnten früher die Ergebnisse ihrer oftmals langwierigen Auswertungen als Herrschaftswissen behandeln. „Das Monopol der Controller wird geknackt“, so der Sony-Europa-Geschäftsführer Peter Maier. Der Chef der europäischen EDV-Aktivitäten des japanischen Konzerns: „Bei uns bilden die Geschäftsinformationen das Eigentum aller Ressortchefs. Und das zum gemeinsamen strategischen Vorteil.“

Noch größeren Widerstand als die Controller setzen altgediente Abteilungs- und Bereichsleiter den neuen Wunderwaffen entgegen. „Trotz Lippenbekenntnissen ist die neue Transparenz oft nicht wirklich erwünscht“, so der Konstanzer Professor Rolf Hichert, Gründer der Spezialsoftware-Firma MIK Gesellschaft für Management und Informatik, „die anderen sollen zwar ihre Zahlen offenlegen, die eigenen Zahlen aber gehen niemanden etwas an.“
Der MIS-Experte plädiert deshalb dafür, bei der Einführung der Systeme die Psychologie nicht zu unterschätzen und sich in die Rolle der Betroffenen zu versetzen. Die unterschwelligen Ängste vor Machtverlust oder Überforderung, darin sind sich erfahrene Anwender wie Anbieter einig, lassen Sich durch eine einfühlsame Argumentation durchaus abbauen.

Maier gibt gerne seine Erfahrungen, die er bei Sony mit entsprechendem Einfühlungsvermögen gemacht hat, und die Erfolge, die er damit eingeheimst hat, zum besten. Mittlerweile gehört er zu den gefragtesten Referenten auf europäischen MIS-Kongressen, weil viele innovationswillige Finanz- und EDV-Chefs von seinen Erfahrungen profitieren wollen.

Dazu rät auch Herbert Wurst. zuständiger Fachgebietsleiter bei der Unternehmensberatung Kienbaum in Düsseldorf: „Es gilt den Mitarbeitern das Gefühl zu vermitteln, daß sie an Wichtigkeit und Prestige gewinnen, wenn sie sich in das System einarbeiten.“ Wer das Potential der Software gut auszuschöpfen lerne, ernte dafür Respekt bei Kollegen und Vorgesetzten.

Funktionieren kann die interne Öffentlichkeitsarbeit für ein MIS allerdings nur dann, wenn mindestens ein hochrangiger Mitarbeiter dessen Einführung zu seinem persönlichen Anliegen macht. Dieser „Coach“ oder „Sponsor“ kann der Chefcontroller
sein, aber auch der Leiter eines Geschäftsbereichs.

Er muß die Mitarbeiter des Controllings und die betroffenen Abteilungsleiter Schritt für Schritt an das System heranführen. „Bei uns konnten die künftigen Anwender bereits an der Konzeption mitwirken“, erinnert sich Henkel-Planungschef und MIS-Pionier Klaus Schwarzrock. Er hatte kaum mit Akzeptanzproblemen zu kämpfen. Auch wenn das System einmal läuft, können die Betreuer die Hände nicht in den Schoß legen. So versucht Claus Lindau, im Bereich Konzernplanung und Controlling von Daimler-Benz für Berichtssysteme und EIS verantwortlich, durch regelmäßiges Feedback die Disziplin aller Beteiligten wachzuhalten: „Ohne den Sponsor würden sicher einige Datenlieferanten rasch nachlässig werden.“

Bei einem mittelständischen Unternehmen, das mit kürzeren Entscheidungswegen auskommt als ein Großkonzern wie Daimler-Benz, tut sich ein FIS-Coach da leichter. So brauchte Otto Fubel, Abteilungsleiter Finanzen bei den Köllnflockenwerken in Elmshorn, nur zwei Jahre für den Aufbau eines EDV-Systems, das die Inhaberfamilie Kölln, die Geschäftsleitung und die Abteilungsleiter jetzt mit einem exakt abgestuften Informationsangebot versorgt. In monatlichen Sitzungen projiziert Fubel vor den Chefs bunte Grafiken an die Wand, auf denen alle unternehmerisch wichtigen Entwicklungen im Nu zu erkennen sind.

„Die Inhaber hatten ihre Geschäftsergebnisse noch nie in dieser Form präsentiert bekommen“, so Fubel. 1993 will er nun auch noch die Kollegen vom Vertrieb mit einem Ableger des Systems beglücken. Dann können die Geschäftsbeziehungen zu allen Handelspartnern einzeln unter die Computerlupe genommen werden.

Wo mit MIS gearbeitet wird, ist kein Platz mehr für große Hierarchien – das Wissen verteilt sich auf eine viel breitere Basis. Die Konsequenz, so Berater Tennhardt: „Wer ein computergestütztes Informationssystem einführen will, sollte die gesamte Unternehmensorganisation neu durchdenken.“ Ein Management, das dies versäumt, mißversteht die neuen Informationssysteme als Spielzeug für den Vorstand und vergißt dabei, daß gerade die mittleren Managementebenen mit ihrer Hilfe mehr Transparenz in ihre Zahlenwerke bringen können.

Voraussetzung dafür ist allerdings die Bereitschaft der Oberen, die Kompetenzen ihrer Mitarbeiter zu erweitern und sie stärker in die Entscheidungsprozesse einzubinden – zum Gewinn für das gesamte Unternehmen. So haI Henkel-Mann Schwarzrock mit dem System „Topinfo“ positive Erfahrungen gemacht: Die Controller können sich wieder mehr ihrer eigentlichen Aufgabe zuwenden, der Analyse von Ursachen und Zusammenhängen.“

Von der naheliegenden Gefahr, daß eine Reihe von Controllern damit über überflüssig werden kann und den Arbeitsplatz verliert, will Kienbaum-Berater Wurst nichts wissen: „Sie bekommen im Gegenteil die Chance, sich höher zu qualifizieren und dann in Aufgaben tätig zu werden, die eben auch Controllingerfahrungen voraussetzen. Doch nicht nur die Arbeit der Controller wandelt sich zum Besseren. Der Konzern profitiert heute sogar von den natürlichen Rivalitäten zwischen Länder- oder Produktmanagern, die regelmäßig den Computer anzapfen: Weil sie ihre Ergebnisse untereinander vergleichen können, wächst ihre Neugier, warum der Kollege besser ist; ihr Ehrgeiz und ihre Lernbereitschaft werden angestachelt.

Eine quantitative Untersuchung, ob und wann sich die Investition in Führungsinformationssysteme amortisiert, hat allerdings noch niemand anzustellen gewagt. Am wirtschaftlichsten wäre es sicherlich, würden die Programme ihre Ausgangsdaten aus einer standardisierten, modernen Software beziehen. Allerdings ist es heute noch die Regel, daß das Analysewerkzeug auf die oft aus den sechziger Jahren stammenden Buchhaltungsprogramme aufgepfropft wird. Progressive EDV-Spezialisten wollen daher die Unternehmensdatenverarbeitung komplett modernisieren, um konsistente Datenstrukturen zu schaffen. „Nach Lean Production und Lean Management wäre jetzt Lean Computing angesagt“, so Softwareexperte Peter Rump, „die heutige Computerei ist leider alles andere als schlank.“

Ulf J. Froitzheim