Druckvorstufe: Heiße Kartoffel

Multimedia schafft eine neue Branche. Die Abkehr vom Papier ist vorgezeichnet.

WirtschaftsWoche 28/1993

Bewerber haben bei Hartmut Pütterich schlechte Karten. Der Ex-Unternehmensberater, heute Geschäftsführer der SKU Repro GmbH in München, ist im Gegenteil froh, wenn einer seiner Mitarbeiter geht. Das Unternehmen, das aus Originalfotos und Grafiken Druckvorlagen für Verlage und Werbeagenturen herstellt, befindet sich auf einem strammen Konsolidierungskurs. Vor drei Jahren beschäftigte Pütterich noch knapp 100 Mitarbeiter, derzeit sind es 80, Ende des Jahres werden es nur noch 70 sein.

Damit steht SKU im Vergleich noch sehr robust da. Lutz Kredel, geschäftsführender Gesellschafter der Pre Print Publishing Consulting GmbH in Berlin, kennt Reprobetriebe und Setzereien, die ihre Belegschaft mehr als halbieren mußten. „Von denen hat nie einer an Innovationen gedacht“, stöhnt der Berater, „viel zu wenige in dieser Branche wissen, wo es langgeht.“

Die Misere der Unternehmen, die früher ehrfürchtig als Repro-, Litho- und Satz-Anstalten tituliert wurden, hängt eng zusammen mit dem rasanten technischen Fortschritt, der die sogenannte Druckvorstufe obsolet macht. Seit den siebziger Jahren, als der Fotosatz den Bleisatz verdrängte, löschen Computer und Software ein handwerkliches Berufsbild nach dem anderen aus.

Setzer wurden überflüssig, weil Redaktionen und Anzeigenabteilungen ihre Texte nur noch elektronisch anliefern. Metteure mußten erst lernen, mit dem Skalpell Fotosatzfilme zu umbrechen. Heute haben sie nur noch eine Chance, wenn sie Desktop-Publishing-(DTP-) Software am Bildschirm beherrschen. Als nächstes kam der Bildscanner, der die Lithographen arbeitslos machte. Von den vielen Berufen der Druckvorstufe bleibt lediglich der Druckvorlagenhersteller übrig, der alle Arbeitsgänge beherrschen muß.

Mit Hardware und Software der neuesten Generation verschwinden nun die letzten nichtelektronischen Glieder aus der Verarbeitungskette: Die Bildvorlagen werden bereits digitalisiert angeliefert – etwa auf einer Photo-CD – und direkt ins Layoutprogramm eingespielt; der Computer speist die Daten der fertig gestalteten Seite in ein Gerät, das alle Texte und Bilder mit Hilfe eines Laserstrahls unmittelbar in die Druckplatten fräst. Der chemische Film und mehrere Arbeitsschritte entfallen.

Um die wenigen verbleibenden Arbeiten ist mittlerweile ein Verteilungskampf ausgebrochen. Die Satzstudios, die immer öfter nur noch zum Umbrechen und Gestalten bereits erfaßter Texte gebraucht werden, versuchen, mit elektronischer Bildverarbeitung Boden gutzumachen. Doch hier treffen sie bereits auf Fotolabors, die derartige Dienstleistungen ebenfalls als zukunftsträchtig erkannt haben. Die Druckereien wiederum sehen in der technischen Integration der Arbeitsschritte eine Chance, Unteraufträge auf ein Minimum zu reduzieren und alles selber zu machen.

Tuncay Genceller, Mitinhaber der Reproline Offsetreproduktionen in München, glaubt aber, daß Spezialbetriebe mit Qualitätsanspruch ihren Erfahrungsvorsprung nutzen können. Die Newcomer würden bei anspruchsvolleren Aufträgen erst mal ins Schleudern geraten. „Wenn’s bei denen schiefgeht, dürfen wir die heißen Kartoffeln aus dem Ofen holen“, so die Erfahrung von Genceller.

Auch der Berliner Berater Kredel prophezeit eine Renaissance der Qualität. Doch in der Ferne sieht er bereits eine Entwicklung auf die Branche zurollen, gegen die alles bisher Dagewesene harmlos wäre: „Aus dem technologischen Zusammenwachsen der Sektoren Computer, Verlag, Film und Telekommunikation wird eine völlig neue Medienindustrie entstehen.“ In diesem Multimedia-Zeitalter geht der Trend – so Kredel – klar weg vom Papier. Der Berliner rechnet sogar mit einer Neuauflage der längst totgesagten Bildschirmzeitung.

Obwohl diese Veränderungen nicht blitzartig hereinbrechen werden, befaßt sich SKU-Geschäftsführer Pütterich bereits mit den denkbaren Optionen. „Wir haben Riesenchancen, mit unserem Potential neue Dinge anzugehen“, glaubt der Münchner. Zu diesen Ideen gehört , die Pflege elektronischer Bildkataloge, die per Datenleitung zugänglich sind. Was den papiernahen Bereich betrifft, ist Pütterich jedoch Pessimist. Wenn der Preisdruck anhalte, komme die elektronische Arbeitsteilung mit Billiglohnlandern wie der Türkei oder Tschechischen Republik. Das koste zwar Jobs, doch die Qualität müsse darunter nicht leiden: „Die Leute sind ja auch nicht dümmer als wir.“

Ulf J. Froitzheim

Printing on Demand: Immer frisch gedruckt

Es ist immer wieder der gleiche Balanceakt bei Druckwerken, die häufig aktualisiert werden müssen: Wenn die Auflage zu klein ist, muß nachgeordert werden, ist sie zu groß, landet der Überschuß im Altpapiercontainer. Doch jetzt können Fachverlage und Unternehmen, die Preislisten und technische Anleitungen herausgeben, beliebig kleine Auflagen nach dem aktuellen Bedarf drucken. „Printing on Demand“ (PoD) wird durch neue leistungsstarke Laserdrucker möglich, die bis zu 340 Seiten pro Minute – fast sechs Seiten pro Sekunde – ausspucken. Sogar doppelseitiger DIN-A3-Druck und Farbdrucke sind möglich, und zum Schluß wird alles noch vollautomatisch gefalzt und ordentlich zusammengeheftet. Im Angebot haben derartige Drucker Siemens-Nixdorf, Kodak und Rank Xerox.

Die Oracle Corp., einer der größten Anbieter von Datenbankprogrammen, gehört zu den ersten Nutzern von PoD. Sie druckt zu jeder erdenklichen Konfiguration das exakt passende Handbuch in der gewünschten Länderversion. Nur die Manuals für das Standardprogramm werden noch auf Vorrat gedruckt.

Auch der auf Patentschriften spezialisierte Wila Verlag W. Lampl GmbH in München macht sich das Potential der neuen Technik bereits zunutze. Wila beliefert Unternehmen wie Mannesmann, Thyssen, VW und Opel regelmäßig mit sauber gedruckten Kurzfassungen aller neuen Patentanmeldungen aus den jeweils abonnierten Fachgebieten. Hätten die Universitätsbibliotheken etwas üppigere Etats, könnten demnächst auch Studenten vom Printing on Demand profitieren.

Technisch ist es überhaupt kein Problem, ganze Fachbücher und Dissertationen PoD-gerecht zu speichern; an der Universität Dortmund gibt es bereits eine Pilotinstallation. Beim dezentralen Drucken aus dem Speicher des Bibliothekscomputers gehen die Verlage nicht leer aus: Sie bekommen für jedes ausgedruckte Stück ihren Obolus. UJF

Hochwürden auf dem Kartentrip

Eine Flut von Chipkarten rollt auf uns zu – als Ersatz für Kleingeld und Krankenschein, Ausweis und Arztrezept. Einige Anbieter ziehen die Notbremse: Per „Multifunktionskarte“ wollen sie die Inflation stoppen.

Wenn noch ein Symbol für den endgültigen Triumph der Plastikkarte gefehlt hatte, dann dieses: Die Pastoren der fünf evangelischen Hauptkirchen in der Hamburger City erwägen ernsthaft die Einführung einer „Church Card“.

Top Business 7/1993

Mit dem analytischen Geist gewiefter Marketingexperten haben die Gottesmänner eine Offerte für die kühl rechnenden hanseatischen Kaufleute maßgeschneidert, die im Schatten des Michel längst die alteingesessenen Gemeindebürger verdrängt haben. „Die Kirche muß sich dem Wettbewerb stellen“, propagiert Hauptpastor Lutz Mohaupt ein konsequent marktwirtschaftliches Christentum. Wer stets brav seine Kirchensteuer zahlt, soll auch etwas davon haben – sei es der verbilligte Eintritt beim Kirchenkonzert oder die Vorzugsbehandlung bei der Kindergarten-Warteliste. „Hochwürden auf dem Kartentrip“ weiterlesen

Private Kombinate

Zwischen Leipzig, Dresden und Chemnitz entwickelt sich langsam eine neue industrielle Infrastruktur. Westkonzerne testen in Sachsen innovative Konzepte – und sind sehr angetan von ihren Werktätigen.

Capital 6/1993 (Fotos: UJF)

Das obligatorische Honecker-Porträt fehlt, und die Gardinen sind frisch gewaschen. Ansonsten entspricht der muffig-spießige Konferenzraum, in dem der Manager Wolfgang Neef seine Besucher empfangen muß, noch voll und ganz dem aus DDR-Tagen gewohnten Bild: ringsum abgewetzte, durchgesessene Polsterelemente in den Farben Orange und Oliv, holzvertäfelte Wände in klassischer Politbüro-Optik, der Blick aus dem Fenster fällt auf eine düstere Kulisse aus größtenteils abbruchreifen Fabrikbauten.

Dennoch ist es nicht das trostlose Ambiente, das den Geschäftsführer der traditionsreichen Sachsenring Automobilwerke GmbH in Zwickau bedrückt. Es sind jene fünf „Profitcenters“, aus denen das Treuhand-Unternehmen heute besteht. Separat, sagt der Nachlaßverwalter der ehemaligen Trabi-Fabrik, könne er die Firmenteile – so unterschiedliche Sparten wie Fahrzeugbau, Ersatzteilhandel, Ingenieurbüro, Autorecycling und Bau von Fertigungsmitteln – privaten Investoren gewiß schmackhaft machen. Doch die IG Metall sperre sich, und darum stehe die GmbH leider nur en bloc zum Verkauf.

„Den Leuten in unserer Region“, stöhnt Neef, der seit seiner Lehre vier Jahrzehnte beim Sachsenring verbracht hat, „wäre doch mit fünf kleinen Betrieben zu je 150 Arbeitsplätzen besser gedient als mit einem großen, bei dem vielleicht 400 Arbeitsplätze übrigbleiben.“ Noch stehen freilich 1700 Menschen auf der Lohnliste, darunter alleine 300 Lehrlinge.

Wie die industrielle Zukunft des Sachsenrings aussehen könnte, ist in der unmittelbaren Nachbarschaft zu besichtigen. Dort hat sich – in einem verwitterten Bau, der einst den berühmten Horch-Werken gehörte – die Siemens Automobiltechnik GmbH (AT) mit ihrer Bordnetz-Fertigung eingemietet. Wie Klöpplerinnen hantieren einige Dutzend Frauen ungemein fix mit bunten Kabeln, bis daraus dicke Stränge werden: die Elektrik für den Golf, den VW hier ganz in der Nähe baut. Weil es Hunderte von Varianten gibt, ist das jeweilige Schema exakt auf der mannshohen Arbeitstafel vorgezeichnet.

Obwohl die Zwickauer Manufaktur mit einem Investitionsvolumen von zehn Millionen Mark zu den kleinsten Flecken auf der Sachsen-Karte der Siemens AG zählt, ist sie bereits zum Vorzeigebetrieb geworden. Nach anfänglicher Skepsis sind die AT-Geschäftsführer Gerhard Sander und Peter Schmitt von ihren 290 sächsischen Werktätigen regelrecht begeistert. „Wir sind sehr rasch eines Guten belehrt worden“, strahlt Sander, „die Motivation unserer Mitarbeiter ist hervorragend.“

Zum Beleg verweisen die zwei Westmanager auf das frische Computerdiagramm, das für jeden sichtbar am schwarzen Brett prangt. Danach hat die Belegschaft in den ersten Apriltagen die vorgegebene Norm um durchschnittlich 15 Prozent übererfüllt: Die Frauen haben schneller geklöppelt, als geplant war. Auch bei Krankenstand und Qualität halten die Kurven großen Abstand von der markierten Schmerzgrenze – die kapitalistische Planwirtschaft funktioniert.

Mit ihrer Kabelbaum-Produktion ist die Siemens AG nur einer von vielen Auto-Zulieferern, die sich auf einen ehrgeizigen Großversuch eingelassen haben: den Umbau einer traditionellen Autoregion zum modernsten Produktionsstandort Europas. Wo früher unter Regie des volkseigenen IFA-Konzerns mit einer Fertigungstiefe von 100 Prozent der Trabi montiert wurde, wächst jetzt um das VW-Werk Mosel herum ein enges Geflecht von selbständigen Unternehmen, die – quasi integriert in ein privatwirtschaftlich organisiertes Kombinat – gemeinsam und höchst rationell des Deutschen liebstes Auto produzieren.

Die Fertigungstiefe der eigentlichen VW-Fabrik sinkt dabei auf bescheidene 30 Prozent, ergo kann der Konzern auch einen Teil der Investitionen auf die Lieferanten abwälzen. Die extreme räumliche Nähe zwischen den Partnerbetrieben – im Westen in diesem Maß überhaupt nicht realisierbar – drückt die Reaktionszeiten der Just-in-time-Lieferanten auf ein absolutes Minimum.

Gegen ein Problem sind die Chefs der Zulieferbetriebe, zu denen neben Siemens auch Ableger von Hella, VDO und Allibert zählen, freilich machtlos – gegen den drastischen Sparkurs ihres Kunden Volkswagen. Die Niedersachsen, die ursprünglich bis 1994 rund 4,6 Milliarden Mark in Sachsen investieren wollten, haben den Endausbau des Standorts Zwickau-Mosel auf 1997 verschoben. Statt 1200 laufen deshalb vorerst nur 400 Exemplare des Golf pro Tag vom Band.

Während die Autobranche auf die Stotterbremse tritt, geben weniger konjunkturanfällige Wirtschaftszweige neuerdings in Sachsen kräftig Gas:

❏ Die Getränkeindustrie, allen voran Coca-Cola und die Bierkonzerne Binding und Holsten, steckt dreistellige Millionenbeträge in supermoderne Braustätten und Abfüllereien in Radeberg und Dresden.
❏ Der Fürther Schickedanz-Gruppe ist ein neues Quelle-Großversandhaus bei Leipzig fast eine Milliarde Mark wert; die fünf gigantischen Hallen, zusammen so groß wie zwölf Fußballfelder, sind für 25 Millionen Pakete pro Jahr ausgelegt.
❏  Die Degussa-Tochter Asta verordnete sich eine moderne Tablettenfabrik in Dresden für 325 Millionen Mark; produziert werden allerdings nur Generika, also Standard-Pillen ohne neuentwickelte Wirkstoffe.
❏ Die Frankfurter Investmentfirma Advanta trieb 250 Millionen Mark auf, mit denen das denkmalgeschützte Taschenbergpalais zum „Steigenberger Hotel Dresden“ umgebaut wird.
❏ Der Aretsrieder Milchgigant Müller, bereits Pächter mehrerer sächsischer Molkereien, greift nach der Devise „Alles Müller oder was?“ nach der Marktführerschaft in ostdeutschen Kühltheken; dazu bauen die Allgäuer südlich von Leipzig eine Großmolkerei samt Käsefabrik für 180 Millionen Mark.

Um ein großes Technologie-Unternehmen, in das noch vor Jahresfrist viele Sachsen große Hoffnungen gesetzt hatte, ist es hingegen sehr, sehr still geworden: das Zentrum Mikroelektronik Dresden (ZMD). Die ehemalige DDR-Chipfabrik sei gerettet, hatte Wirtschaftsminister Kajo Schommer im vergangenen Oktober verkündet. Dresdner Bank und Commerzbank würden in Kürze die Gesellschafteranteile von der Treuhandanstalt übernehmen, das Halbleiter-Know-how stelle die Siemens AG. Ein halbes Jahr später sagt eine Commerzbank-Sprecherin nichts anderes: „Das ist auch heute Stand der Dinge.“

Ulf J. Froitzheim

Dieser Text erschien im Juni 1993 – gekürzt und vermischt mit dem Beitrag einer Kollegin – unter der Überschrift „Testfall für Ostdeutschland“ in der Haupt- und der Ostausgabe von Capital.

Vagabund im Plenum

Ein emeritierter Professor soll die Siemens-Mikrofonanlage im neuen Bundestag sanieren.

Gemessen an dem, was in den letzten Monaten alles danebengegangen ist, fällt die Schelte des Sachverständigen verblüffend mild aus. „So peinlich es ist“, stellt sich Professor Georg Plenge schützend vor die Urheber jenes Desasters, dessen Folgen er jetzt minimieren soll, „gegen solche Pannen ist niemand gefeit.“ Sorgsam vermeidet der emeritierte Akustikprofessor einseitige Schuldzuweisungen. Plenges Vorgehen verrät psychologisches Kalkül: Wenn der vom Bundesbauministerium bestellte Troubleshooter seinen Auftrag erfüllen will, den neuen, gläsernen Plenarsaal des Bundestages bis zum Ende der Sommerpause mit einer funktionsfähigen Lautsprecheranlage zu versehen, muß er die Kontrahenten schleunigst an einen Tisch bringen. Dies scheint ihm mit der samtweichen Verpackung seiner Kritik tatsächlich zu gelingen – niemand will zum Schluß als trotziger Verweigerer im Rampenlicht stehen.

Ohne Image-Blessuren kommt allerdings keiner der Beteiligten davon. Denn immer klarer zeichnet sich ab, daß das Versagen von elA, der über sieben Millionen Mark teuren elektroakustischen Anlage des Bonner Parlamentsneubaus, kaum anders als mit der Ignoranz der Partner zu erklären ist. Jeder rur sich auf der Suche nach dem Nonplusultra, schufen Bauherr, Architekt, Akustikplaner und Anlagenbauer ein hochkomplexes Gesamtsystem, dessen physikalische Eigenschaften keiner mehr überblicken konnte.

„Niemals zuvor ist ein so komplizierter Raum durchgerechnet worden“, so Bernd Hackner. Der Kerpener Unternehmer, der vergleichbare Lautsprecberanlagen –allerdings in kleineren Dimensionen – entwickelt, hält den neuen Plenarsaal für ein Jahrhundertprojekt, was die Akustik betrifft.

Die Abgeordneten sollten nicht nur erstmals von ihrem Sitzplatz aus ins Mikrofon sprechen können. Mittels elektronischer Effekte sollte sogar –ähnlich wie im Theater – zu hören sein, aus welher Richtung die Stimme gerade tönt,  und das bei weitgehend gläsernen Wänden, die den Schall reflektieren. Haupttummelplatz der vagabundierenden Wellen ist ausgerechnet das Hauptrednerpult. Das Mikrofon dort verarbeitet den Lärm zu ohrenbetäubenden  Rückkopplungsgeräuschen. Das Pult kann man allerdings nicht verrücken. An jeder anderen Position versperrt es den Ministern auf der Regierungsbank die Sicht auf das Plenum.

Die Audiospezialisten des Siemens-Konzerns, die sich um die Realisierung der geplanten elektroakustischen Anlage bewarben, wußten von Anfang an, daß ihnen das nötige Know-how fehlt. Die Rettung sollte aus den USA kommen. Die Münchner verpflichteten die Innovative Electronics Designs (IED) als Subunternehmer. Großzügig setzten sich die Siemens-Planer über die Tatsache hinweg, daß das Team aus Louisville in Kentucky bisher vor allem Akustikanlagen rur Sportarenen entwickelt hatte. „Diese Erfahrungen haben sie mehr oder weniger linear auf den Plenarsaal übertragen“, rügt Plenge, bis vor kurzem Abteilungsleiter am Institut für Rundfunktechnik GmbH (IRT) in München. Zudem ist ihr „Universal Digital Audio Processing System“ (Udas) in Fachkreisen nicht unumstritten. So urteilt Bernd Albers, Geschäftsführer der NDR-Beratungstochter Studio Hamburg Media Consult International GmbH (MCI): „Die amerikanische Ent wicklung ist alles andere als ausgereift.“

Doch Siemens ließ die Amerikaner fröhlich nach den Vorgaben des Akustikplaners Heinz Graner für die „richtungsbezogene Beschallung“ werkeln. Der erwünschte Stereoeffekt sollte durch eine komplexe Software für die computergesteuerte Akustikanlage erreicht werden. Durch elektronische Verzögerungen treffen die Worte des Redners aus den verschiedenen Lautsprechern in genau demselben Zeitabstand aufs Ohr des Zuhörers, als kämen sie ohne elektrische Umwege an.

Dieses Verfahren ist bei einer kleineren Zahl von Sprechstellen und in Räumen mit einfacher Geometrie Stand der Technik. Doch im Bundestag geht es um ein paar hundert Mikrofone. So etwas Komplexes hatten auch die US-Spezialisten noch nie auf die Beine gestellt.

Doch auch bei der Hardware machten Siemens und die US-Helfer alles falsch, was falsch zu machen war. Zahl, Art und Anbringung der Lautsprecher stimmen ebensowenig wie Menge und Zuordnung der Leistungsverstärker. Diese Diagnose stellt jedenfalls der Münchner Gutachter – der glaubt, daß sich derart „grobe“ Fehler ausbügeln lassen. „Selbstverständlich haben wir die Planung der Beschallungsanlage für sinnvoll gehalten“, verteidigt sich hingegen der fachlich verantwortliche Diplomingenieur Hans Sontheim von der Kölner Siemens-Zweigniederlassung treuherzig, „sonst hätten wir den Auftrg erst gar nicht angenommen.“

Nach dem Motto, daß ,,nicht sein kann, was nicht sein darf“, stürzten sich die Siemens-Leute nach der ersten öffentlichen Blamage auf die Mängel der Raumakustik des Plenarsaals. Um zu beweisen, daß der Grund für die Rückkopplungen und den Tonausfall während der Haushaltsdebatte vom 24. November nicht die elA sein konnte, ließ Siemens-Vertriebsdirektor Harald Ibach auf Kosten seiner Firma allerlei Schalldämmungsmaterial installieren. Einen Brief an die „sehr verehrte Frau Dr. Schwaetzer“ beendete er mit dem Postskriptum „…ändert nichts an der von mir gegebenen Zusage zur Wiederaufnahme des Plenarbetriebes im neuen Plenarsaal zum 1. März 1993…“. Das war am 8. Februar.

Keine drei Wochen später bekam der Kölner Manager die Quittung für sein leichtfertiges PS. In einer fingierten Debatte bewiesen zwei grölende Hundertschaften Bundestagsmitarbeiter, daß elA turbulenten Diskussionen immer noch nicht gewachsen war. Entweder war der Mann am Rednerpult nicht zu hören, oder es gab erneut ohrenzerreißende Rückkopplungen.

Mindestens bis zur Sommerpause werden sich die Abgeordneten nun mit dem Wasserwerk begnügen müssen. Zug um Zug werden im neuen Saal die ursprünglich vorgesehenen Schalldämpfer nachgerüstet, wird der Bundesadler „entdröhnt“ und vielleicht sogar ein Acrylglas-Schallsegel über dem Redner aufgehängt. Doch Plenge ist skeptisch. Er hält die Sache nur dann für heilbar, wenn die hoch über dem Redner schwebende zentrale Lautsprecherampel durch eine dezentrale Beschallung ersetzt wird. Doch dann müßte die gesamte Software umgeschrieben werden. Bis zum Ende der parlamentarischen Sommerpause ist das allerdings nicht zu schaffen.

Client/Server: Wege zum Lean Computing

Top Business 3/1993

Neue Konzepte für die EDV:

Parallel zum Niedergang des Computermonolithen IBM keimt in vielen Unternehmen der Mut, sich von überholten Informatik-Konzepten zu verabschieden. Die konsequente Dezentralisierung der EDV macht oft ein flexibleres Management erst möglich.

Die Jagd ist eröffnet, die Treiber stehen bereit zur Hatz auf elektronische Dinosaurier.“ Wir blasen zum Halali auf die Großrechner“, stößt Jochen Haink, im Alltagsleben Geschäftsführer der Microsoft GmbH in Unterschleißheim, ins Horn.

Mit so kernigen Sprüchen weiß sich der Münchner Statthalter des amerikanischen Software-Tycoons Bill Gates in bester Jagdgesellschaft. Hatten bisher vor allem Produzenten preiswerter Hardware die bis zu 40 Millionen Mark teuren Mainframe-Computer ins Visier genommen, liegen jetzt immer mehr Waidmänner aus der Softwarebranche ihre Flinten auf sie an.

Unter dem Codewort „Client-Server“ sollen die mächtigen Datenmonster aus ihrem klimatisierten Bunkern verbannt werden, um Platz zu schaffen für eine neue Art der EDV: Lean Computing – die schlanke, dezentrale Datenverarbeitung, die sich passgenau einfügt in das wendige Unternehmen von morgen mit seinen flachen Hierarchien. „Client/Server: Wege zum Lean Computing“ weiterlesen