In nur zehn Jahren machte die Russin Natalya Kaspersky aus der Softwarebude ihres Ex-Mannes Jewgenij eine respektierte Weltfirma. Jetzt drängt sie sogar an die Börse.
Text und Fotos: Ulf J. Froitzheim
Für einen kurzen Moment wirkt sie fast mädchenhaft schüchtern, die schmale blonde Frau, die mit einer schlichten Sechs-Saiten-Gitarre die Bühne des riesigen Partyzelts am Ufer der Moskwa betreten hat. Der leicht unsichere Zug um ihren Mund und der rehscheue Blick kontrastieren heftig mit ihrem extrovertierten Gewand: Natalya Kaspersky trägt ein langes schwarzrotgrünes, folkloristisch angehauchtes Kleid, dazu ein schwarzes Kopftuch und viel Goldglitzergehänge. Wie sie da so im Rampenlicht steht, das gnadenlos ihre bemerkenswerte Büroblässe betont, und mit ihren blauen Augen einen imaginären Punkt in der Mitte des 800-köpfigen Publikums fixiert, sieht sie nicht aus wie die Generaldirektorin eines weltweit tätigen Unternehmens, die gerade vor ihre internationale Belegschaft und Manager befreundeter Firmen tritt.
Lampenfieber will allerdings gar nicht passen zu der 41-Jährigen. Die ärmliche Enge ihres früheren Lebens hätte sie niemals überwunden, wenn sie zur Furchtsamkeit neigte. Die Chefin der Moskauer Sicherheitssoftware-Firma Laboratorija Kasperskogo hat eine ausdrucksvolle Altstimme und trifft den richtigen Ton nicht nur, wenn sie redet. Kaspersky holt also Luft, konzentriert sich und intoniert mit wohldosierter Inbrunst den Filmsong „Machnatij Schmel“ (Мохнатый шмель), die Ballade einer tragisch endenden Liebe. Ergriffen lauschen die Gäste der singenden Unternehmerin. Hier kommt die tiefgründige russische Seele zu ihrem Recht. Der Applaus ist nicht nur höflich, sondern richtig herzlich.
Die große Sause am Sandstrand von Serebrjanij Bor (zu deutsch: „Silberwäldchen“), einem Naherholungsgebiet bei Moskau, ist für die Gastgeberin mehr Arbeit denn Vergnügen. Natalya hier, Natalya da, Natalya im Gespräch mit Moskauer Mitarbeitern, Natalya umringt von deutschen, amerikanischen, chinesischen Managern – und immer wieder mit Mikrofon auf der Bühne. Es ist der zehnte Geburtstag von „Kaspersky Lab“ (KL), wie sich das von ihr gegründete Unternehmen abseits der Russischen Föderation nennt.
Die dreifache Mutter hat ehrgeizige Ziele, auch für den Weltmarkt.
Dass diese Firma heute ein florierender Börsenkandidat ist, dass sie der dynamischste Anbieter von Sicherheitssoftware sowie im In- und Ausland erfolgreich ist, sind ganz persönliche Erfolge der dreifachen Mutter. Mit der gerade fertiggestellten „Generation 7“ seines Virenscanners will KL – Russlands erstes und einziges international bedeutendes IT-Unternehmen – die traditionell dominierende US-Konkurrenz nicht mehr nur in Vergleichstests schlagen. Zwar haben Umsatz (2006: 67 Millionen Dollar) und Mitarbeiterzahl (850) nicht gerade Gasprom-Format; umso stolzer sind die Kasperskianer darauf, dass sie den Argwohn besiegt haben, mit dem die westliche Welt den Russen zu begegnen pflegt. Das ehrgeizige Ziel: Nummer drei auf dem Weltmarkt nach Symantec und McAfee. Es wäre der ersehnte Beweis, dass Europas größte Volkswirtschaft nicht bloß bei Öl, Gas und Gewehren konkurrenzfähig ist.
Dass sie jemals so weit kommen würde, konnte die Mathematikerin im Sommer 1997 nicht ahnen. Im Mittelpunkt ihrer unternehmerischen Pläne stand ihr damaliger Ehemann Jewgenij – und der widersetzte sich beharrlich dem Drängen seiner Frau, sich endlich selbständig zu machen. Sie war sich sicher: Ihr „Schenja“, in der anglophilen IT-Fachwelt besser bekannt unter seinem weltläufigen Künstlernamen „Eugene“, hatte das Zeug zu einem Star der Softwareszene. Sie sah ihre Aufgabe darin, seine Managerin zu sein, musste den fachlich international anerkannten Virenjäger aber erst einmal zum Jagen tragen. Dass ihr einziges Startkapital das Wissen in seinem Kopf war, spornte die damals 31-Jährige eher noch an.
„Wir konnten uns nicht einmal eine eigene Wohnung leisten“, erzählt sie bei einem Gespräch in ihrer winzigen Chefbürozelle in einem schmucklosen Zweckbau im Moskauer Nordwesten, „deshalb lebten wir zu sechst bei meinen Eltern in einer Dreizimmerwohnung.“
Sie wusste, was sie wollte – erstes bescheidenes Ziel in Sachen Lebensqualität war eine freiwerdende Vierzimmerwohnung im selben Haus – und er war ein Zauderer, der vor allem wusste, was er nicht wollte. Dem jugendlichen Antivirus-Veteranen, der seinen ersten Virenkiller bereits 1989 als 24-jähriger IT-Offizier im sowjetischen Generalstab geschrieben hatte, behagte zum Beispiel nicht, dass die neue Firma seinen Namen tragen sollte: „Kaspersky‘sches Labor.“ Am liebsten wäre er ja sowieso Abteilungsleiter geblieben bei Kami, der Computerfirma seines einstigen Lehrmeisters und Mentors Alexej Remizow. Eugenes Ehrgeiz war rein sportlicher Natur: Der Workaholic wollte neue Viren schneller unschädlich machen als jeder andere.
Immerhin hatte ihm Remizow 1994 eine Verkäuferin an die Seite gestellt, die sich um das „Antivirus Toolkit Pro“ kümmern sollte: Natalya. Sie zog tatsächlich mehrere kleine Deals an Land, schloss Verträge mit Distributoren und Softwarehäusern in der Schweiz, Deutschland und Finnland. Finanziell kam anfangs nicht viel dabei herum: „Wir hatten nur ein paar Hundert Dollar Einnahmen pro Monat.“ Während Natalya im anarchischen Frühkapitalismus der Jelzin-Jahre autodidaktisch Managementerfahrung sammelte, ging es mit dem Arbeitgeber Kami immer weiter bergab.
Ihren Ex, den Virenjäger, musste sie geschäftlich erst zum Jagen tragen
Als Eugene seine Frau 1997 mit der Bitte überrascht, die von ihm kurz zuvor noch abgelehnte Ausgründung seiner Abteilung doch in die Hand zu nehmen, verliert sie keine Zeit. Als erstes stellt Natalya sicher, dass sie mietfrei als Subunternehmer in den alten Räumen bleiben und auch ihre Computer behalten dürfen. Die von ihr zuvor eingefädelten, nun auf Kaspersky Lab umgeschriebenen Verträge lassen zwar immer mehr Rubel rollen, doch der Cash-flow reicht nicht, um den übernommenen Mitarbeitern Gehalt zu bezahlen, geschweige denn zu investieren. Die Generaldirektorin, wie sie sich als Geschäftsführerin des kleinen Familienbetriebs gemäß russischer Nomenklatur jetzt nennt, spricht das Problem bei ihrem besten Kunden F-Secure an: Kommt Kaspersky nicht über die Runden, hat auch der finnische Lizenznehmer ein Problem. Also zahlt F-Secure per Vorkasse; auch die deutsche G-Data greift der Jungunternehmerin unter die Arme.
Je besser die Kasperskaja das Geschäftliche in den Griff bekommt, desto schwieriger wird ihr Verhältnis zu dem Mann, für den sie sich das alles antut. Ein Jahr nach dem gemeinsamen Sprung in die Selbständigkeit, noch vor dem geplanten Umzug ins größere Appartment, zieht Schenja aus. Seine Frau, die mit ihren Söhnen Maxim und Wanja in der elterlichen Wohnung zurückbleibt, ist fix und fertig. „Es war eine sehr schwierige Zeit für mich“, erinnert sie sich, „aber wir waren klug genug, ein gutes Verhältnis zueinander zu behalten.“ Ihren gemeinsamen 80-prozentigen Gesellschafteranteil an KL teilten im Verhältnis 50:30 zu seinen Gunsten. Fortan waren sie gegenseitig ihre Chefs: Als Leiter der Forschung und Technik war der Anti-Virus-Guru der angestellten Generaldirektorin unterstellt. Gleichzeitig konnte die Gesellschafterversammlung nichts gegen seinen Willen entscheiden.
Je mehr sie privat Abstand voneinander gewinnen, desto näher kommen sie sich als Kollegen – bis sie eines Tages beginnen, wieder zusammen in den Skiurlaub zu fahren, gemeinsam mit den neuen Lebenspartnern. „Wir sind heute wie Bruder und Schwester“, sagt Eugene, der mit einer Literaturwissenschaftlerin verbandelt ist. Ihrerseits hat seine Ex heute eine zweijährige Tochter mit einem Mann, mit dem sie auch Berufliches verbindet: Igor Aschmanov ist IT-Berater und hat ihr eine Technik zum Ausfiltern von Spam-Mails verkauft; das dazugehörige Entwicklerteam arbeitet jetzt für sie. Dass die Kasperskys überhaupt je ein Paar wurden, bestätigt aufs Schönste das Sprichwort „Gegensätze ziehen sich an“.
Das wird nicht zuletzt auf der ganztägigen Fête in Serebrjanyj Bor offenbar, deren Show- und Mitarbeitermotivationsprogramm beide gemeinsam moderieren – als Indianer verkleidet. Eugenes Wesen entspricht eher dem des trinkfesten Machos, auch wenn die Cateringfirma nicht mit Wodka angerückt ist, sondern mit Franziskaner-Weißbier, Warsteiner und Eugenes Lieblingsbräu Heineken. Auch er singt ein Lied, ein schmissiges, für die Zielgruppe umgetextes „Mack the Knife“.
So geht es den ganzen Tag: Natalya moderiert souverän und betont sachlich auf Englisch für die ausländischen Gäste. Grinsend wiederholt Eugene, wie es scheint, den Text auf Russisch – und die einheimische Mehrheit im Zelt johlt, feixt und giggelt über seine Sprüche. Ein mehrsprachiger Kasperskianer raunt dem Reporter zu, das Gelächter bei dieser Verleihung von Dutzenden von Ehrenurkunden für herausragende Leistungen im Betrieb gelte Eugenes absichtlich falschen Übersetzungen.
Die Rollenverteilung ist in jedem Moment klar. Er macht den Clown; die Regie führt – wie im Betrieb und bei der Erziehung der beiden gemeinsamen Söhne – Natalya. Schwer vorstellbar, dass er sich beim Verlassen der Bühne kurz bücken würde, um die liegengebliebenen Reste einer Geschenkverpackung aufzuklauben. Sie tut es, weil es zu tun ist und sie gerade da ist.
In der Firma ist sie genauso: Als sich im Vorfeld des Festes die Manager der Auslandsfilialen im Moskauer KL-Hauptquartier drängeln, hat sich Deutschland-Chef Andreas Lamm mit seinen Kollegen zur Besprechung auf ein Sofa im Flur gequetscht. Natalya kommt vorbei und schaltet sofort in den mütterlichen Fürsorgemodus und sagt auf Deutsch: „Kinder, das geht doch nicht, ich suche Euch einen Raum.“
Die Mathematikerin hat eine russische Seele, kann aber auch hart entscheiden Diese Seele von Mensch kann allerdings auch anders, wenn ihre Leute keinen guten Job machen. „Ich musste mich schon von mehreren Managern trennen“, sagt sie mit der Nüchternheit der Mathematikerin. Sie selbst hat 2001 neben Arbeit und Kindererziehung an der Open University, einem internationalen Fernlehrinstitut, ein Managementdiplom abgelegt, hält aber Theorien für wenig hilfreich im Unternehmensalltag.
Lamm hat den sehr persönlichen Führungsstil der Russin schätzen gelernt, seit er sie vor vier Jahren kennen lernte – nicht etwa durch Vermittlung eines Headhunters, sondern durch ein Stellenangebot, das sie im Internet geschaltet hatte. Er baute Kaspersky Lab als neue Marke im deutschsprachigen Raum auf, die im PC-Einzelhandel inzwischen mit 30 Prozent Marktanteil auf Platz eins liegt. Aber warum ausgerechnet von Ingolstadt aus? „Ich wohne da, es ist verkehrsgünstig und die Mieten sind niedriger als in München.“ Die Pragmatikerin Natalya hatte nichts dagegen.
Als Lamm und seine Leute auf die Showbühne steigen, um ihre Haus-Oscars abzuholen – erfolgreichste und größte Niederlassung noch vor Russland/GUS; wichtigster Großkundenkontrakt mit der Deutschen Bahn – weiß noch niemand im Publikum, dass dies der letzte große Auftritt der Gründer in ihren bisherigen Funktionen ist. Keine vier Wochen später teilt Pressesprecherin Swetlana Nowikowa lapidar mit: „Kaspersky Lab modernisiert Führungsstruktur.“
Sie hätte auch schreiben können: Die Mutter der Firma legt die Erziehung des Kindes in die Hände des Vaters. Ausgerechnet Natalyas Ex, der bekennende Nicht-Kaufmann, übernimmt fortan die Rolle des CEO. Er lenkt die Firma, die bis dato ohne externe Investoren zu Rande gekommen ist, muss aber hinnehmen, dass sein Anteil im Falle einer Kapitalerhöhung unter die ihm bisher heiligen 50 Prozent sinkt.
Wenn sich der leidenschaftliche Softwerker nun der Herausforderung stellt, den Familienbetrieb fit zu machen für den neuerdings erwogenen Börsengang, tut er das unter einer Machtkonstellation, die das bisherige System der gegenseitigen Kontrolle noch toppt: Im neu geschaffenen Board of Directors sitzen an seiner Seite mehrere stimmberechtigte Manager, die gleichzeitig seine Untergebenen sind, etwa Deutschlandchef Lamm und der langjährige Finanzchef Jewgenij Bujakin. Und den Vorsitz des neunköpfigen Gremiums führt die alte neue Chefin ihres Chefs: Chairman (!) Natalya.
Dieser Text erschien in Capital 20/2007
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