1949, vier Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, erlebte Deutschland eine Gründungswelle. Nicht nur die Bundesrepublik feierte daher dieses Jahr ihr 60-jähriges Bestehen, sondern auch eine ganze Reihe von gesellschaftlich mehr oder minder relevanten Institutionen und Organisationen – und unter ihnen auch die Deutsche Journalistenschule und der Deutsche Journalisten-Verband, kurz: DJS und DJV.
Welch ein Kontrast: Das DJS-Jubiläum war ein rauschendes Sommerfest im Münchner Prinzregententheater, die Festrede zelebrierte Angela Merkel höchstselbst mit sichtlichem Vergnügen, abends conferencierte Günther Jauch die Tombola. Die Fete war eigentümlich heiter, wenn man bedenkt, welche Berufsaussichten die Absolventen von heute haben.
Der DJV dagegen beging seinen Geburtstag, einen Monat verfrüht, im grauen November, und der Rest vom Fest passte zur Jahreszeit: Unprätentiöser Jubelakt Jubiläumsakt im Kongresstrakt einer städtebaulichen Missgeburt anonymen 90er-Jahre-Bettenburg in Neukölln, deren Adresse "Sonnenallee" der einzige Farbtupfer war – und mit dem für Kulturgedöns fragen zuständigen Staatsminister Bernd Neumann (einem jener Politiker, die man nur unter Androhung von Waffengewalt lächelnd aufs Foto bekommt) als Gesandtem der Obrigkeit. Wer die erbarmungslose protokollarische Hackordnung in Berlin kennt, weiß die Personalie einzuschätzen; wer nicht, schlägt zum Vergleich die Jubiläums-Sonderausgabe des "Journalist" auf und sieht einen DJV-Chef zwischen Theodor Heuss und Konrad Adenauer sitzen. Mit staatstragenden Mienen und erhobenen Zeigefingern reden Präsident und Kanzler auf den Mann ein.
Nun könnte man bittere Tränen weinen über den Bedeutungsverlust eines Berufsstandes, der seine besten Zeiten hinter sich zu haben scheint. Könnte jammern, dass der Kulturadlatus der Kanzlerin nicht nur so schlecht gebrieft war, dass man passagenweise meinen mochte, der gute Mann wähne sich auf einem Kongress des Verlegerverbandes, sondern dass er die Verwechslung nicht einmal während des Vortrags bemerkte. Man könnte andererseits Merkels PR-Leuten die Cleverness unterstellen, sie hätten sich beizeiten über die Tagesordnung informiert und aus dem Antragskonvolut einen naheliegenden Schluss gezogen: Wer diese Filibustereien erträgt, der lässt sich auch mit einer landratshaften Kulturministerrede abspeisen.
Genausogut könnte man freilich fragen, ob ein Journalistenverband bei solchen Gelegenheiten nicht lieber ganz verzichten sollte auf jede Art von Staatsnähe – und sich so auch nach außen hin absetzen von Pseudo-Konkurrenten, die keine Gelegenheit auslassen, sich im Umfeld vermeintlicher Spitzen der Gesellschaft in Szene zu setzen. Vielleicht ist es ja überhaupt kein Grund zu Traurigkeit, dass nicht mehr der Berliner DJV-Landesverband die Semicelebrities zu Presseball und Spargelessen einlädt, sondern irgendwelche geschäftstüchtigen jungen Leute?
60 Jahre "sind wir" alt. Eigentlich Zeit, weise zu werden und sich den wirklich wichtigen Dingen zuzuwenden, nicht wahr?
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