So sieht die Zukunft der Kommunikation aus: Sie bringen keinen Ton raus und ich verstehe trotzdem jedes Wort.
Ach, wie schön wäre es, wenn Enten nur noch in der Bratröhre landeten und nie in der Zeitung. Aber irgendwann passiert es eben doch. Dann liest das erstaunte Publikum im Focus, Markus Lanz werfe dem RTL-Supertalent Thomas Gottschalk vor, „Wetten dass…?“ schaden zu wollen. Zum Glück hatten die Focus-Redakteure Lanz das Zitat nicht selbst untergejubelt. Es war eine unausgeschlafene Fachkraft aus der ZDF-Pressestelle, die beim „Autorisieren“ der Moderatorenworte den Überblick verloren hatte. Profis unter den Promis geben nämlich nur noch Interviews, wenn ihre PR-Gouvernanten die manchmal etwas krausen Antworten glattbügeln dürfen.
Warum, fragen Sie jetzt sicher, druckt die Presse nicht einfach, was der Befragte wirklich gestammelt hat? Ja, nichts lieber als das! Aber woher soll man das als Interviewer denn so genau wissen? Interviewpartner, die eh schon nuscheln, bestehen ja meist darauf, das Gespräch auf einem jahrmarktslauten Messestand zu führen oder im rappelvollen Café, wo der Reporter vor lauter Gästegeplärr und Geschirrgeschepper schon sein eigenes Wort missversteht, von den Antworten ganz zu schweigen. Da kann ein winziges Silbchen wie „nicht“ oder „nie“ auf dem Weg vom Mund ins Mikro durchaus verschollen gehen.
Zum Glück ist das Rettende nah. Aus Karlsruhe kommt die Nachricht, dass die Informatikerin Tanja Schulz einen Trick gefunden hat, Worte auch dann aufzuzeichnen, wenn sie sich der Wahrnehmung durch Ohr und Mikrofon entziehen. Was die Wissenschaftlerin mitschneidet, sind quasi stille Töne – oder im Forscherjargon „lautlose Sprachkommunikation“. Schulz ersetzt das Diktiergerät durch einen Computer, dessen Sensoren keine Schallwellen registrieren, sondern das verräterische Spiel unserer Gesichtsmuskulatur.
Der Software ist egal, ob wir brüllen, flüstern oder nur die Lippen bewegen wie ein zum Playback auftretender Schlagerfuzzi. Das Mustererkennungsprogramm versteht auch unausgesprochene Wahrheiten: Aus kleinsten Zuckungen der Mundwinkel rekonstruiert es die Silben und verwandelt sie in digitalen Text oder hörbare Laute. Mittels lautloser Sprachkommunikation, schwärmt Forscherin Schulz, könnten Menschen lautlos Passwörter eingeben. Sie will auch Patienten Gutes tun, denen es die Sprache verschlagen hat. Das hätte Google-Chef Larry Page sicher gern genutzt: Der brachte Monate lang keinen Ton heraus, kann allerdings schon wieder heiser krächzen.
Auf solche Fälle sollte der Einsatz des Sprechmuskelscanners keinesfalls beschränkt bleiben. Er ist ein doppelter Segen. Zum einen macht er Unerhörtes hörbar oder lesbar: Während Journalisten vollständige Wortlautprotokolle ihrer Interviews bekommen, können Schupos endlich jede noch so still in den Bart gebrabbelte Beamtenbeleidigung zur Anzeige bringen. Zum anderen könnte die Erfindung jene Stentoren im ICE zum Schweigen bringen, die heute noch von Frankfurt bis Stuttgart ihre gesamten Betriebsgeheimnisse durchs Handy posaunen. Die Herrschaften würden dann nicht einmal mehr in der Ruhezone unangenehm auffallen.
Leider wird es Schulz zufolge noch Jahre dauern, bis Smartphones mit eingebauter Elektromyografie lieferbar sind. Deshalb an dieser Stelle schon ein Hinweis an meine künftigen Interviewpartner: Wundern Sie sich bis dahin bitte nicht, wenn ich Ihnen vor unserem Gespräch einen Satz verkabelter Sensoren ins Gesicht klebe, es tut gar nicht weh. Mir spart es Arbeit – und Ihnen die Sorge, ich könnte Sie falsch zitieren.
ULF J. FROITZHEIM würde die Trefferquote der Technik gerne mal testen – an einem bärtigen Ventriloquisten
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