Im Hausmagazin der Teekampagne bin ich über ein Interview mit dem Oldenburger Professor Niko Paech gestolpert. Dieser fordert eine „Postwachstumsökonomie“. Klingt alles schön sympathisch und ökologisch, was er sagt, jedenfalls für jemanden wie mich, der die „Grenzen des Wachstums“ im Kopf hatte, als er 1978 das Studium begann.
Wirklich überzeugend fand ich Paech nicht, deshalb habe ich mal weitergegoogelt – und bin erst recht enttäuscht, weil die Welt und ihre Menschen nun mal nicht so sind, wie der Herr Professor es sich am Schreibtisch ausgedacht hat. Wer die Welt verbessern will, sollte ja nun doch darauf achten, dass seine Vorschläge realistisch sind.
– Orientierung an einem individuellen CO2-Budget von 2,7 Tonnen pro Jahr.
Schafft das ein Normalbürger ohne technische Hilfsmittel wie Computer, Smartphone und andere Konsumbürger-Gadgets? Ich fürchte, nein.
– Flugreisen vermeiden
Ja, schön. Darum bemühe ich mich. Aber wenn ich beruflich nach Barcelona, Moskau oder London muss, versuche ich nicht, das per Bahn zu tun. Das eigentliche Problem ist die Kombination aus Billigflügen und Billighotels in fernen Ländern. „Führe uns nicht in Versuchung“, heißt es im Vaterunser, aber gegen die Verführung anspruchsloser Bürger durch die Ballermanntouristik helfen weder Gebete noch Appelle eines Oldenburger Akademikers.
– Ohne Auto leben
Auch wohlfeil. Als junger Großstadtbewohner hatte ich kein eigenes Auto (beziehungsweise: „mein“ Auto war auf Erich Sixt zugelassen, ich fuhr also schon dann und wann). Als Familienvater auf dem Land brauchte ich eines. Auch hier in der Kleinstadt funktioniert Car Sharing nicht. Was man tun müsste, wäre das Pendlerunwesen abzuschaffen, aber dafür müssten Arbeitsplätze und bezahlbare Wohnungen wieder näher beisammen sein und/oder der Öffentliche Personenverkehr ausgebaut werden. Der Appell müsste sich an die Politik richten; der einzelne Bürger hat meist nicht die Wahl.
– Arbeitszeit verkürzen, so dass im Lebensdurchschnitt ca. 20 Stunden pro Woche herauskommen
Graue Theorie. Man muss soviel arbeiten, dass man über die Runden kommt, und die wirklich gut bezahlten Jobs, bei denen auch die Hälfte des Gehalts reichen würde, sind selten in Teilzeit zu bekommen – allein schon deshalb, weil der Zeitaufwand dafür, die komplexen Anforderungen noch zu beherrschen, in vielen Berufen zu groß ist, als dass man mit einer Teilzeitstelle noch genug zu produktiver Arbeit käme. Wenn man zehn Stunden pro Woche aufwenden muss, um à jour zu bleiben, ist die Wertschöpfung in einer 40-Stunden-Woche dreimal so hoch wie in einer 20-Stunden-Woche. (30 statt 10 Stunden netto.)
– Weniger tierische Produkte
Zumutbar. Aber dann sollte der Ersatz nicht in aufwendigen Industrieprodukten bestehen, die versuchen, Fleisch zu simulieren.
– Produkte mit anderen teilen
Das kann ich weder mit dem Kühlschrank noch mit der Waschmaschine machen, auch nicht mit dem Fernseher oder Handy. Man landet immer wieder bei der Bohrmaschine, auch in Interviews mit Niko Paech. Der Grund, weshalb viele Haushalte ein eigenes Exemplar haben, ist aber gerade der, dass man ungern wartet, bis zufällig der Nachbar zu einer Zeit zu Hause ist, zu der man selbst Zeit zum Heimwerkern hat. Viele Heimwerker geben ihre Bohrmaschine außerdem ungern aus der Hand, weil Gelegenheitsnutzer oft die falschen Bohrer einsetzen und sie ruinieren. Deshalb warte ich immer noch auf überzeugende Beispiele für Produkte, bei denen das Teilen tatsächlich einen relevanten Nutzen für die Umwelt bringt.
– Gebrauchsgüter achtsam nutzen und so weit möglich selbsttätig pflegen/reparieren
Das fordert technisches Verständnis und vor allem reparaturfreundliche Produkte. Die sind, wenn es sie denn gibt, meistens erheblich teurer als Ex-und-Hopp-Ware. Der Vorschlag ist nicht wirklich massenrelevant. Gefordert wäre die Industrie, darum sollte Paech mal ein Geschäftsmodell erfinden, mit dem er der Industrie seine Philosophie schmackhaft machen kann.
– Nahrungsmittel selbst oder mit anderen anbauen und zubereiten
Agrarsubsistenz ist eine nette Idee für Menschen in Vorstädten und Dörfern, die sich noch einen Garten leisten können. Im Wohnblock in Charlottenburg oder Neuperlach-Süd wird der Anbau schwierig. Wo stelle ich den Apfelbaum hin, wo pflanze ich meine Ananas, meinen Kaffeestrauch, meinen Kakaobaum? Wo lasse ich Kuh oder Ziege weiden, wo säe ich den Roggen aus? Bei der Tierzucht ist es natürlich denkbar, wieder mehr Kaninchen zu essen statt Huhn und Schwein. Das gemeinsame Zubereiten von Speisen hingegen bringt vor allem eines: logistische Probleme. Man bekommt ja schon eine vierköpfige Familie kaum noch gleichzeitig an den Esstisch.
– Bank wechseln
Zu was für einer Bank soll man denn wechseln?
– Regiogeld nutzen
Regiogeld ist ein längst gescheitertes Konzept, so wenig alltagstauglich wie Bitcoins, die digitale Fetischwährung der libertären Anarchisten. Man muss sich nur mal anschauen, wie irrelevant selbst der viel zitierte Chiemgauer in seiner Region ist. Da Regiogeld in der Regel Schwundgeld à la Silvio Gesell ist, fördert es sogar den Konsum, denn wenn man es nicht ausgibt, verliert es pro Quartal zwei Prozent seines Wertes. Es treibt also unnötigen Konsum sogar voran, statt ihn einzudämmen.
– Einwegverpackungen meiden
Das ist Luxus, den sich Menschen mit geringem Einkommen schlichtweg nicht leisten können – wenn es denn überhaupt Läden oder Marktstände gibt, an denen das möglich ist. Die meisten Händler, die lose Ware verkaufen, weigern sich aber unter Verweis auf Hygienevorschriften, mitgebrachte Dosen zu befüllen. Das einzige praktikable Beispiel sind Pfandflaschen.
– Politischen Widerstand gegen die Kohle-, Flug- und Agrarindustrie etc. organisieren oder unterstützen
Da wird es ideologisch, redundant – und mir zu dumm. Wenn es nicht reicht, über Kaufentscheidungen marktkonform einen Wandel herbeizuführen, wollen ihn die Konsumenten alias Wähler wohl nicht. Billiger Kohlestrom findet immer seinen Absatz, solange Ökostrom der Mehrheit der Bevölkerung sowie den energieintensiven Unternehmen zu teuer ist. Fliegen muss keiner. Und wie soll ich als Nichtfluggast der Flugindustrie „Widerstand leisten“, als Bioladenkunde der Agrarindustrie? Gewalttätige Revolution und Sabotage oder was?
Sie sind der oder die 4698. Leser/in dieses Beitrags.
Die eigenen Lebensmittel anbauen ? Mit Lötkolben selber etwas reparieren ?
Hab ich alles schon gemacht, und dabei hat sich die alte Punkweisheit Bewahrheitet das Arbeit Scheiße ist.
Selbst mit einer Motorhacke ist es einen elendige Plackerei einen Acker umzugraben um Kartoffeln zu pflanzen. Unkraut jäten ist dann jedes Wochenende fällig, und die Ernte geht ganz schön ins Kreuz.
Und wenn der Kartoffelkäfer zuschlägt, kann man froh sein wenn die chemische Keule hilft.
Alternativ kann man natürlich seine Kinder als billige Arbeitskräfte nutzen.
Auch mit dem Reparieren ist das so eine Sache… selbst wenn man die Bauteile noch bekommt und keine Spezialwerkzeuge braucht lohnt es sich in den seltensten Fällen.
Die einfachste Art das Wachstum einzuschränken wäre die Einführung eines demokratischen Sozialismus. Hat in Venezuela wunderbar geklappt, hat aber der Umwelt nicht wirklich geholfen.
Ich beobachte das auch mit Skepsis. Es wird außerdem zu sehr über Produkte und zu wenig über Dienstleistung diskutiert.
Einspruch beim Ballermanntouristen: Mir gefällt das nicht, wenn der Prolet zum Hauptproblem erklärt wird, während die akademisch gebildete Basis der Grünen viel weiter rumkommt als bloß nach Mallorca. Manche sind der ungläubige Thomas, der jeden Winkel der Welt erst selbst gesehen haben muss, um sie als erhaltenswert zu erkennen. Und Individualtouristen und Reiseblogger könnten auch die Tourismusindustrie auf Ideen bringen, wo man einen großen Kasten hinstellen könnte.
Geo erwähnte vor Jahren mal eine Studie, wonach die Rentnerin, die Schweinefleisch im Discounter kauft, mit dem Bus in den Urlaub fährt, zwei Zimmer in der Stadt bewohnt und ihre Schrankwand aus den Sechzigern noch hat, die beste CO2-Bilanz hat. Aber die ist halt nicht so cool wie die Leute, die mit dem neuesten Gadget ihr New-York-Foto auf Instagram posten und ein Hybridauto fahren. Jetzt wo der Ölpreis niedrig ist, wäre eigentlich der perfekte Zeitpunkt, um eine Kerosinsteuer einzuführen, dann regelt der Markt den Rest.
Bei Feministinnen und in der Kunstszene ist übrigens seit rund 10 Jahren Subistenzwirtschaft der große Fetisch. Ich vermute da maoistischen Einfluss von anno dazumal, denn die Protagonistinnen sind teils schon im Pensionsalter und blicken auf einen gelungenen Marsch durch die Institutionen zurück. Hinzu kommt Exotisierung – Akademikertöchter aus der Stadt sind fasziniert vom einfachen Leben der anderen.
Womöglich müssten wir nicht nur über Wirtschaft reden, sondern auch über Kultur. Mao trifft Biedermeier oder so:
http://www.sueddeutsche.de/leben/essay-gruener-wirds-nicht-1.2434486
http://maxvorstadtblog.de/haus-der-kunst-festival-of-independents/