Den folgenden Text habe ich schon vor ziemlich langer Zeit geschrieben und dann unveröffentlicht ruhen lassen, damit sich niemand unmittelbar auf den Schlips getreten fühlt. Er scheint mir aber zeitlos zu sein, wenn ich höre, was Kollegen so über das heute „Content Marketing“ genannte Schreibgewerbe erzählen. Die Überschrift habe ich Bayern3 geklaut, es ist Loddamaddäus-English.
Tatsächlich kann man alt werden wie eine Schindmähre und 30 Jahre Berufserfahrung haben, man lernt immer noch dazu. Ich werde jetzt keine Namen nennen, aber es wäre schön, wenn ich dazu beitragen könnte, dass wir Kommunikationsprofis etwas professioneller miteinander kommunizieren. Meine Lektion fällt unter die Rubrik „Corporate Publishing“ (CP) „Content Marketing“ (CM), sprich: Kundenmagazine. Und sie lässt sich auf den kurzen Nenner bringen: Von manchen Aufträgen lässt man besser die Finger.
Alarmzeichen 1:
Die Wertschöpfungskette ist zu lang oder verzweigt sich auf zu viele Subunternehmer.
Konzern A beauftragt CM-Tochter von Medienkonzern B, die wiederum die Chefredaktion dem freiberuflich tätigen Kollegen C, die Bildbeschaffung der ebenfalls freien Kollegin D und die Gestaltung dem Grafikstudio E überträgt, während die freien Autoren F bis K die A-internen und -externen Zitatgeber befragen und die freien Fotografen L bis P die Bilder schießen. F bis P müssen nun konstruktiv, effizient und pragmatisch mit C, D und E zusammenarbeiten, was dadurch erschwert wird, dass alle oder fast alle parallel Aufträge anderer Kunden auf dem Tisch haben, und jeder nur seine Deadlines kennt, aber keinen Überblick über den gesamten Produktionsprozess hat, so dass er auch nicht erkennen kann, ob der Gesamtplan realistisch ist.
Alarmzeichen 2:
Der Chefredakteur ist Einzelkämpfer.
Auf der Website von Kollege C findet sich kein Lebenslauf, dem zu entnehmen wäre, dass er einige Jahre als Chefredakteur, Chef vom Dienst oder zumindest Ressortleiter Mitverantwortung für redaktionelle Prozesse getragen und (freie oder angestellte) Mitarbeiter geführt hat. Leuchtet zugleich Alarmlampe 1, ist besondere Vorsicht geboten, denn dann ist zu befürchten, dass C den Worst Case noch nicht erlebt hat. Dann läuft alles nach dem Gesetz von Murphy, und der Redakteur hat entweder keine Erfahrung, wie man trotzdem alles noch hinbiegt, oder er traut sich aus Rücksicht auf seinen Auftraggeber B nicht, mit dem Kommunikationschef von A Tacheles zu reden, weil dieser die A-Experten und -Kunden, also Herrn R bis Frau Z, nicht in einer Weise gebrieft hat, die einer reibungslosen Zusammenarbeit dienlich wäre.
Alarmzeichen 3:
Die Experten sind Ingenieure.
Das spricht nicht gegen sie, ohne Ingenieure geht nichts voran in der Technik. Aber Angehörige dieser Zunft drücken sich meist etwas eigentümlich aus und halten diesen Jargon – bedingt durch ihre ganz spezielle akademische Sozialisation – oft für die einzige zulässige und akzeptable Formulierungsweise. Deshalb sollte man sich als Autor F bis K bei Chefredakteur C vor Übernahme des Auftrags vergewissern, dass man mit diesen wenig medienerfahrenen Leuten nicht auch noch die fertigen Texte „abstimmen“ muss, ein Prozedere, gegen das die verhasste Autorisierung eines Interviews durch eine Polit- oder Popdiva ein lässiges Unterfangen ist.
Qua Amt wäre es eigentlich Sache des Pressesprechers, den Experten zu vermitteln, was der Unterschied zwischen einer drögen Fachzeitschrift und einem Kundenmagazin ist. Letzteres bekommen Menschen auf den Tisch, die es nicht bestellt haben und auch nicht von sich aus lesen wollen, sondern zum Lesen motiviert werden müssen. Dass der Pressesprecher kraft seiner Kompetenz inhaltliche Missverständnisse erkennt, sollte ebenfalls selbstverständlich sein. Auch dies spricht gegen das Outsourcing der „Abstimmung“ an den Autor.
Im Zweifelsfall lässt man sich auf derlei Aufträge nur ein, wenn man ursprünglich nicht als Journalist ausgebildet ist, sondern als Ingenieur einer ähnlichen Fachrichtung wie der Befragte. Die Reibungsverluste machen so einen Auftrag sonst schnell zum Verlustgeschäft.
Alarmzeichen 4:
Die Urlaubszeit naht.
Es gibt Pressesprecher und PR-Mitarbeiter, die vergeben schnell noch Aufträge für ihre Kundenzeitschrift und fahren dann mitten in der Produktionsphase in Urlaub – gerne ohne eine Vertretung instruiert oder gar die Autoren informiert zu haben. Es gibt auch Pressesprecher, die erwarten, dass der Autor und der Experte Rückfragen selbst dann „unter sich“ klären, wenn der Experte im Urlaub ist. In diesem Fall hat der Autor die Karte, die man früher „Schwarzer Peter“ nannte (und die heute ein unfeines Gesäß im Namen trägt).
Alarmzeichen 5:
Der Chefredakteur hat keine Familie.
Freiberufler im allgemeinen und Journalisten im besonderen, die kein Familienleben haben oder kennen, halten unorthodoxe Arbeitszeiten für normal. Sie rufen den ganzen Tag lang nicht an, reagieren aber schon mal um 20 Uhr auf eine gegen Büroschluss versendete Mail mit dem Ansinnen, man möge einen Korrekturlauf „möglichst noch heute“ absolvieren, da die Überarbeitung „morgen früh“ beim Kunden vorliegen müsse. Solchen Leuten ist es auch überaus schwer verständlich zu machen, dass es Zeiten gibt, zu denen man seine Mails nicht im Stundentakt checkt, weil man andere Dinge zu tun hat – und sei es nur, zu schlafen, einzukaufen oder ein wenig Sport zu treiben. Und wehe, man hat kranke Angehörige, um die man sich kümmern muss. Das ist beinahe so unverzeihlich wie ein eigenes Privatleben und anderweitige Verpflichtungen.
Alarmzeichen 6:
Der Auftraggeber bietet ein scheinbar anständiges Pauschalhonorar an.
Wer ohne Feilschen eine gute Pauschale angeboten bekommt, sollte erwägen, dass etwas faul ist an der Sache. Im Zweifelsfall wird erwartet, dass er (siehe auch Punkt 5) bis zum Ende des Produktionsprozesses Tag und Nacht auf Zuruf alles stehen und liegen lässt, um Sonderwünsche zu erfüllen. Am fairsten ist ein Honorar auf Tages- oder Stundensatzbasis. Man kann dabei zwar nicht unbedingt jede einzelne Stunde abrechnen, wenn man länger braucht als geschätzt. Aber vom Kunden verlangter Mehraufwand lässt sich immerhin leicht abrechnen.
Alarmzeichen 7:
Der Auftraggeber ist keine Auftraggeberin.
Nichts gegen meine männlichen Kollegen, aber viel für die weiblichen. Erfahrungsgemäß ist die Neigung von Redakteurinnen, einem Freien Unmögliches abzuverlangen, und zwar sofort, deutlich geringer als die von Redakteuren. Sie wissen dank ihrer Sozialkompetenz, dass Wunder meistens etwas länger dauern.
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