Artikel 12 für Dummies

Wer diese Seite liest, hat wahrscheinlich einen Link auf Facebook oder Twitter angeklickt und möchte wissen, was es mit den drei furchtbar schrecklichen Artikeln der EU-Richtlinie zum Urheberrecht im Digitalen Binnenmarkt auf sich hat. Hier geht es um Artikel 12, also die Verlegerbeteiligung an Einnahmen von Verwertungsgesellschaften, dort um Artikel 11 und unter diesem Link um Artikel 13.

Was nicht drinsteht: dass Autoren „wieder (fast) die Hälfte“ der Tantiemen an die Verlage abgeben sollen.

Was Artikel 12 wirklich ist: eine Kann-Bestimmung, die es den nationalen Gesetzgebern erlaubt, eine früher im jeweiligen Land zulässige Verlegerbeteiligung wieder zu gestatten.

Was es mit der Hälfte der Tantiemen auf sich hat: Dieser hohe Verlegeranteil geht auf die VG Wissenschaft zurück, die 1978 mit der VG Wort fusionierte und danach in deren neuer Abteilung Wissenschaft aufging. Laut deren Verteilungsplan bekamen die Fachverlage 50 Prozent der Ausschüttung, während den Publikumsverlagen 30 Prozent zustanden. Infolge des bis zum BGH geführten Rechtsstreits zwischen dem Fachautor Martin Vogel und der VG Wort entscheiden die Autoren zur Zeit selbst, ob sie einer Verlegerbeteiligung überhaupt zustimmen. Im Online-Bereich (METIS) ist dieser mögliche Anteil von 40 auf 30 Prozent gesenkt worden, soweit der Text nicht hinter einer Bezahlschranke liegt; er entspricht nun dem traditionellen Anteil bei Presse und Belletristik.

Welche Verlage in der VG Wort überhaupt mit am Tisch sitzen: Belletristik- Verlage, Fachverlage, Bühnenverlage.

Wer nicht mit am Tisch sitzt: Verleger von Tageszeitungen und Publikumszeitschriften, Rundfunkanstalten, Privatsender.

Was passiert, wenn die pauschale Verlegerbeteiligung wieder eingeführt wird: Dann wird nicht automatisch der frühere Status quo wiederhergestellt. Statt dessen muss die Mitgliederversammlung der VG Wort einen neuen Verteilungsplan beschließen, wobei jede Berufsgruppe ihr Veto einlegen kann. Die Erfahrung mit der derzeitigen Regelung zeigt, dass Journalisten bei der derzeitigen Höhe des Verlegeranteils (und das sind in der Publikumspresse nur 30 Prozent) nein sagen, die Verleger also leer ausgehen. Von daher ist eine feste Quote von 50 Prozent weit oberhalb dessen, was die nicht-wissenschaftlichen Autoren mittragen würden, und auch die 30 Prozent für die Publikumspresse sind als feste Quote sicherlich nicht mehr mehrheitsfähig. Da auch die wissenschaftlichen Autoren keineswegs alle bereit sind, den Verlegern noch so viel abzugeben wie „vor Vogel“, werden Autoren und Verlage gemeinsam ein Modell entwickeln müssen, das für beide Seiten akzeptabel ist, also weder auf alter Höhe noch bei Null liegt.

Was passiert, wenn die Richtlinie nicht kommt: Dann kommt es innerhalb der VG Wort früher oder später zu einer Zerreißprobe, die keiner der Beteiligten will. Die Verwertungsgesellschaft wurde 1958 von Autoren und Verlegern gemeinsam gegründet und hat daher immer den Kompromiss zwischen den Interessen beider Seiten gesucht. Eine in der Höhe angemessene Beteiligung der Verleger an den Einnahmen, wie sie der deutsche Gesetzgeber erklärtermaßen will, verhindert eine Spaltung der Organisation, die mittelfristig drohen würde, wenn sich eine Mitgliedschaft für die Verlage nicht mehr lohnen würde. Alle Autorenvertreter in den Gremien sind sich einig, dass ein Ausstieg der Verlage Konsequenzen hätte, die nicht im Interesse der Urheber lägen.

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4 Antworten auf „Artikel 12 für Dummies“

  1. Als Wissenschaftler stellt sich mir hier aber schon die Frage, warum ich (wieder) so deutlich schlechter für meine Publikationsleistungen behandelt werden sollte. In Anbetracht der prekären Arbeitsbedingungen der Wissen-Schaffenden in Deutschland (Professoren mal ausgenommen) wäre das nur ein weiterer Schlag ins Gesicht.

    1. Liegt da vielleicht Missverständnis vor? Tantiemen stehen Ihnen nicht für „Publikationsleistungen“ zu (diese erbringt der Verlag), sondern als Entschädigung dafür, dass Ihre Bücher oder Zeitschriftenbeiträge kopiert werden dürfen. Von „wieder so deutlich schlechter“ kann auch keine Rede sein, weil überhaupt noch nicht absehbar ist, in welchem Umfang die Verlage nach 1) Umsetzung der RiLi in deutsches Recht und 2) Aufstellung eines neuen Verteilungsplans beteiligt werden. Darüber stimmt, wenn es so weit ist, die Mitgliederversammlung der VG Wort ab. Und: Alle Autoren-Berufsgruppen müssen mit 2/3-Mehrheit für den Vorschlag stimmen. Übrigens hat der Artikel 16 (ehemals 12) nicht den Sinn, den Autoren etwas wegzunehmen, sondern dafür zu sorgen, dass gemeinsame Verwertungsgesellschaften wie die VG Wort (1958 von Verlegern und Autoren zusammen gegründet, nachdem Urheber allein mit einem Versuch gescheitert waren) wieder eine stabile Existenzgrundlage haben. Es wäre sicherlich nicht in Ihrem Sinne, wenn die Verlage zu einem Exodus aus der VG Wort getrieben würden, weil damit der Verein auseinanderbräche.

  2. „Was passiert, wenn die Richtlinie nicht kommt: Dann kommt es innerhalb der VG Wort früher oder später zu einer Zerreißprobe, die keiner der Beteiligten will.“

    Warum? Uneins sind sich die Autoren und ihre Verbände so oder so. Und um das Vogel-Urteil umzusetzen, brauchen wir doch gar keine EU-Richtlinie …?

    Oder meinst du eine Zerreißprobe zwischen Autoren- und Verlagsvertretern? Verhindert denn die momentane Rechtslage tatsächlich, dass die Verlage im Boot bleiben und z.B. wegen der Zählpixel auf Verlagsseiten noch einen kleinen Anteil bekommen?

    (T3N macht gerade ganz frisch Panik, die Verlage bekämen durch die EU-Richtlinie automatisch die Hälfte von der VG Wort, das scheint ja Unsinn zu sein.)

    1. Letzteres ist faktenfreier Nonsens. Das entscheidet die Mitgliederversammlung getrennt nach den verschiedenen Ausschüttungstöpfen, von denen ja überhaupt nur ein Teil überhaupt betroffen wäre. Die Zerreißprobe bestünde darin, dass die dem Verein VG Wort angehörenden Verleger keinen Sinn mehr darin sähen, in diesem Verein zu bleiben. Dann käme womöglich die Geschäftsgrundlage diverser Verträge, an denen viel Geld für uns hängt, ins Wanken. Worst Case: Wir sähen jahrelang kein Geld mehr, bis irgendwann alles neu verhandelt ist.

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