Atomkraftwerke sind plötzlich wieder recht beliebt in Deutschland. Ihr Image war vermutlich nie besser. Wahr ist zwar, dass sie besser sind als ihr Ruf bis dato war. Neue zu bauen, ist dennoch kein Beitrag zur Lösung unserer Energieprobleme. Hier zur Erinnerung ein paar vergessene oder verdrängte Fakten.
AKWs brauchen viel Wasser
Atomkraftwerke sind, ohne Witz, große Wasserkocher. Die bei der Kernspaltung anfallende Zerfallswärme wird über ein zweistufiges Kühlsystem abgeführt. Der zweite, von der Radioaktivität abgeschirmte Teil sieht so aus, dass Kühlwasser verdampft und eine Turbine antreibt, die dann den Strom erzeugt. Wer von der A8 aus bei Burgau mal nach Norden geblickt hat, kennt die Dampfschwaden der Kühltürme von Gundremmingen. Wasser aus der Donau wurde zu Wolken. AKWe stehen auch an Isar, Weser, Elbe, Neckar, Main und Rhein. Egal, ob man das immer noch warme „Kühl“-Wasser in die Atmosphäre entweichen lässt oder wieder in die Flüsse zurückleitet, man braucht jedenfalls große Mengen davon. Niedrigwasser, wie es im Klima des 21. Jahrhunderts zunehmend auftritt, ist also ein Grund, sich nicht auf AKWe zu verlassen. Sie bieten keine Versorgungssicherheit mehr. Standorte am Meer sind auch nicht ideal. Die Anlagen müssen nicht nur sehr viel besser vor den Naturgewalten geschützt werden als Fukushima. Sie sind auch ganz banal der Korrosion durch das aggressive Salzwasser ausgeliefert. Die Lebensdauer der Kühlsysteme ist geringer, was die Kosten hochtreibt.
Nur Wasserkühlung ist ausgereift
Atomkraft-Fans schwärmen von wasserfreien Kühlsystemen, etwa beim auf dem Papier existierenden Konzept des Dual-Fluid-Reaktors. Tatsache ist aber, dass sich in den sieben Jahrzehnten der friedlichen Nutzung der Kernenergie ausschließlich Siede- und Druckwasserreaktoren durchgesetzt haben. Es gibt weltweit bis heute kein einziges kommerzielles Kraftwerk, das mit alternativen Kühlmitteln wie flüssigem Natrium oder Blei arbeitet. Techniken, wie man sie aus Atom-U-Booten kennt, hatten zuviele konstruktive Nachteile, um sie in großem Stil für die zivile Stromerzeugung anzuwenden. Es gibt einige Versuche vor allem in Nordamerika, es doch noch hinzubekommen, doch die Entwickler kommen seit vielen Jahren kaum voran. Nichts ist auch nur annähernd serienreif.
Atomkraft ist zentralistische Großtechnik
Wir nennen unsere Nuklearanlagen „Meiler“, die Amerikaner „Pflanzen“, die Franzosen „Zentralen“. Dieser Name trifft es am besten. Denn es hat sich erwiesen, dass AKWe um so wirtschaftlicher zu bauen sind, je weniger Standorte man dafür benötigt. Das hat nicht nur mit Skaleneffekten bei der Auslegung der Anlagen zu tun, sondern auch mit den hohen Planungs- und Erschließungskosten. Wo schon ein Block steht, kann man gut einen zweiten und dritten dazubauen, wie man das zum Beispiel von Gundremmingen, Neckarwestheim, Philippsburg, Ohu, Greifswald oder Hinkley Point im UK kennt. Europas größtes AKW in Saporischschja hat sechs Blöcke. Andere Beispiele gibt es in Japan (Fukushima!) oder Südkorea. Je zentralistischer die Energieerzeugung ist, desto verwundbarer ist sie allerdings auch. Und da braucht nicht einmal ein Vladimir Putin einen Angriff zu befehlen, der die Stromversorgung eines halben oder ganzen Landes zusammenbrechen lassen könnte. Ja, aber was ist mit den SMRs, fragen Sie vielleicht, also mit den Small Modular Reactors? Das Problem mit denen ist erstens, dass es so etwas nur in Computersimulationen gibt, aber nicht in der realen Welt. Sollten sie irgendwann in den 30er Jahren serienreif werden und einen Markt finden, würde sich – zweitens – aber eben auch das radioaktive Inventar ganz dezentral über die Welt verteilen. Man bräuchte ein Vielfaches an Fach- und Sicherheitspersonal. Nichts spricht dafür, dass so eine Technik jemals in Produktion, Betrieb und Entsorgung wettbewerbsfähig werden könnte. Deshalb investiert bis dato – drittens – auch niemand viel Geld in diese Entwicklungen.
AKWe sind die teuerste Art der Stromerzeugung
Diese Aussage betrifft zumindest die heute bekannten Konstruktionen einschließlich des französischen, ehemals europäischen EPR-2. Ob Flamanville, Olkiluoto oder Hinkley Point, die Kosten- und Bauzeit-Überschreitungen relativieren sogar BER und Stuttgart 21. (Russische wären billiger, aber die wird niemand, der bei Verstand ist, haben wollen.) Aber die Frage nach den Kosten ist müßig, weil die Flüsse, an denen die Nuklearzentralen stehen könnten, bis zur Fertigstellung irgendwann in 12 oder 15 Jahren ohnehin nur noch ein paar Monate im Jahr genug Wasser führen würden.
Fazit: Es gibt keinerlei realistisches Szenario, in dem wir mit neugebauten AKWen in diesem Jahrzehnt irgendetwas reißen könnten (außer: ein tiefes Loch in die volkswirtschaftlich Kasse). Die existierenden ein paar Jahre weiterlaufen zu lassen, wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein, würde aber den Strommarkt negativ verzerren. Es würde beim Ausbau der Trassen für den Windstrom aus dem Norden den (notwendigen) Druck herausnehmen und den Ausbau der Windkraft im Süden zusätzlich bremsen.
Sie sind der oder die 1403. Leser/in dieses Beitrags.