Für manche Kollegen bin ich ein berufspolitischer Masochist. Sie belächeln mich, weil ich mir nicht abgewöhnen kann, im Deutschen Journalisten-Verband mitzumischen. Zwar bin ich kein richtiger Funktionär mehr, nur noch bayerischer Delegierter zum Verbandstag in Berlin (8.-10. November). Aber selbst für die niedrigste Stufe des ehrenamtlichen Engagements (die Gewählten stellen sich einmalig für 48 Stunden zuzüglich Anreise in den Dienst der Gemeinschaft) muss man ein gewisses Quantum an Leidensbereitschaft mitbringen.
Das hat damit zu tun, dass die übervolle Tagesordnung von, wie es so schön amtsdeutsch heißt, "innerverbandlichen" Themen dominiert wird – eine quälende Vereinsmeierei, die übrigens nicht der Vorstand zu vertreten hat, sondern ein paar Möchtegern-Rebellen, die auf ihre alten Tage den Reiz des Marschs durch die Institutionen entdeckt haben, aber sonst alles andere als Achtundsechziger sind.
Vielleicht treibt mich ja der Trotz dazu, mich wider alle Logik und Bequemlichkeit immer wieder für unser Vereinsparlament aufstellen zu lassen: Unter Absingen schmutziger Lieder die Flucht zu ergreifen, wie es viele tun, die einmal einen Verbandstag erlitten haben, hat ja auch keinen Sinn. Man würde nur den Leuten einen Gefallen tun, die es darauf anlegen, jede konstruktive Arbeit zu torpedieren. "Kollegen" also, die nichts unversucht lassen, junge, unverbrauchte Mitglieder, die sich einbringen wollen, gleich wieder zu vergraulen. Soll sich bloß niemand profilieren mit frischen Ideen, die den DJV geistig verjüngen würden, die ihn endlich im 21. Jahrhundert ankommen lassen würden, in einer Medienwelt, die ganz anders ist, als wir alle sie gerne hätten!
Tatsache: Es gibt ein paar Menschen in diesem DJV, die ein großes Interesse daran haben, dass der Verband auf keinen Fall jünger und moderner und Freien-affiner wird. Ich meine damit nicht etwa sozialromantische Besitzstandswahrungsphantasten oder Gewerkschaftsbetonköpfe, sondern Leute, die unablässig ebensolche Zerrbilder zeichnen und behaupten, so sei er nun mal, "der" DJV. Das Feindbild dieser Polarisierer bräche zusammen, wenn neue Köpfe Leben in die Bude brächten. Gelingt es ihnen aber, die Jungen, Freien, Pragmatischen davon zu überzeugen, dass Verbandstage völlig unproduktive und somit nutzlose Veranstaltungen sind, verstärken sie die Schlagseite, die sie dem Berufsparlament gerne vorwerfen: Irgendwann bleiben nur noch pflichtbewusste Altkämpen vom Typus Parteisoldat übrig, idealtypisch verkörpert durch den freigestellten Betriebsrat einer regionalen Tageszeitung, der die Leser wegsterben. Dann kann man prima mit dem Finger auf den traurig-trägen Gewerkschaftsdinosaurier zeigen, den man selbst gezüchtet hat. Auf der Strecke bliebe die Demokratie innerhalb unseres Vereins.
Um zu verstehen, wie das infame Spiel läuft, muss man nur einen Blick in den Tagungsordner des Verbandstags werfen. Darin finden sich auf 112 DIN-A4-Seiten (plus 37 Seiten Anhang) 140 Anträge und drei Resolutionen. Mehr als zwei Drittel der 140 Anträge – nämlich 95 – stammen vom kleinsten Landesverband, der nicht einmal mehr ein Prozent der gesamten DJV-Mitglieder repräsentiert. Damit nicht genug: Die offenbar mit reichlich verfügbarer Zeit gesegneten Funktionäre dieses durch beispiellose Mitgliederflucht marginalisierten Mikrovereins, der fünf von 297 Delegierten stellt, haben allein 32 satzungsändernde Anträge auf die Tagesordnung gehievt. Nimmt man optimistisch an, dass der Zeitplan insgesamt 14 Stunden für die Beratung von Anträgen lässt, bleiben pro Antrag durchschnittlich sechs Minuten für Diskussion, Abstimmung und Auszählung. Ja, Auszählung, denn bei einem stattlichen Anteil seiner Anträge fordert der Mini-Verein mit einer an den Haaren herbeigezogenen Begründung geheime Abstimmung, wohl wissend, dass dies das Zeitbudget der von ihm selbst mutwillig überfrachteten Tagung vollends sprengt.
Wer dies als Obstruktion und Sabotage einer demokratischen Veranstaltung per Missbrauch satzungsmäßiger Rechte ansieht, trifft den Nagel ziemlich genau auf den Kopf. Das gilt unabhängig vom Sinngehalt und der Diskussionswürdigkeit der einzelnen Anträge. Aus reiner Berechnung bzw. Nickeligkeit haben die Antragsteller nämlich ein paar durchaus diskussionswürdige Anträge – wenn auch selten mit respektabler Begründung – unter einen Haufen reiner Provokationen gemischt. Allein durch die schiere Masse an Papier, dessen Content wir Delegierten in Berlin durch unsere Synapsen werden schaufeln müssen, fühlt man sich versucht, Anträge schlicht nach ihrem Absender vorzusortieren und das besagte Konvolut diskussionslos in den Orkus zu votieren (und so die Tagesordnung um zwei Drittel zu entrümpeln). Andererseits ist klar, dass genau diese naheliegende Reaktion auf die grobe Respektlosigkeit gegenüber dem obersten Souverän des DJV (das ist der Verbandstag) beabsichtigt ist. Wer einigermaßen logisch denken kann, der kapiert rasch, dass die Antragsteller es mit vielen oder gar den meisten dieser (in ihrem Tenor teils widersprüchlichen) Anträge selbst nicht ernst meinen. Sie werden nur eingebracht, damit man sich nachher über ihre Ablehnung echauffieren und einer überwältigenden Mehrheit Missachtung demokratischer Spielregeln nachsagen kann.
Ja, und aus welchem Bundesland kommen nun diese Saboteure, diese Provokateure, diese Virtuosen des Filibuster-Handwerks? Wenn man das so genau sagen könnte. Pro forma, aber wirklich nur pro forma, aus Brandenburg. Der Verein ist angemeldet beim Registergericht Potsdam und verfügt über Telefonnummern mit Potsdamer Vorwahl. Aber das so genannte Service-Büro – eine klassische Geschäftsstelle gibt es nicht mehr – befindet sich in Berlin-Charlottenburg in einem Haus, in dem der in Schleswig-Holstein verwurzelte und in der Immobilienbranche tätige Schatzmeister ("Vorstand Finanzen") des Vereins vor Jahren sein Berliner Büro eingerichtet hatte. Der Mann ist bzw. war aber nicht nur Geschäftsführer verschiedener Grundstücksverwaltungsgesellschaften, sondern ist auch Diplom-Ingenieur und Vorsitzender des "Rolls-Royce Enthusiasts‘ Club German Section" e.V. Erstaunlich, dass so jemand auch noch Zeit findet, sich hauptberuflich journalistisch zu verdingen, was ja gewiss so sein wird bei einem Vorstandsmitglied im Journalistenverband.
Welcher Service für die Mitglieder des DJV Brandenburg im schatzmeisterlichen Service-Büro erbracht wird, bleibt auf der Website des Vereins eher unklar. Klar ist nur: Die Mitglieder können Post dorthin adressieren, aber sie brauchen erst gar nicht zu klingeln, denn es ist ja keine Geschäftsstelle.
Wohnen der Vorsitzende und der Geschäftsführer denn in Brandenburg? Falls sie da Wohnungen haben, hängen sie es nicht an die große Glocke. Bekannt sind Adressen im Elsass. In Potsdam residiert immerhin einer von drei als "AR" titulierten Männern, ein Leasing-Kaufmann, organisierter Rolls-Royce-Enthusiast auch er.
AR? Hat der Verein einen Aufsichtsrat? Wozu das? Gerne würde man das in der Satzung nachlesen, doch der Link "Satzung" auf der Seite "Formulare" führt in die Irre: zu einem Aufnahmeantrag. Ein weiterer "AR" wohnt in Ottobrunn bei München, ist Kleinunternehmer und ein alter Spezl des Geschäftsführers. Der dritte im Bunde – er war schon Automechaniker und Reisebürokaufmann, verdingt sich jetzt als PR-Journalist – ist Berliner (und beim Verbandstag in seiner Heimatstadt als "Brandenburger" Delegierter dabei).
Die Repräsentanten jener Fachausschüsse, die überhaupt besetzt sind, weisen den angeblichen DJV-"Landesverband" vollends als überregional ausgerichteten Verein aus: Berliner sind dabei, der PR-Zuständige wohnt und arbeitet in Franken, der Onliner ist Stadtrat im Badischen. Okay, es gibt auch noch ein paar Brandenburger unter den Offiziellen: Für die Freien spricht ein Synchronsprecher aus einem Dorf bei Potsdam, für die Jungjournalisten ein Rechtsanwalt und Direktmarketing-Unternehmer aus Kleinmachnow, für die Zeitschriften der Chefredakteur der Potsdamer Mitgliederzeitung der Linkspartei (als Brandenburger Delegierter, der tatsächlich waschechter Brandenburger ist, fast ein Exot).
Alles in allem ist es also eine illustre Truppe, die die offiziell 349 Mitglieder des DJV Brandenburg vertritt. Politisch reicht das Spektrum mindestens von Wagenknecht bis Westerwelle. Was sie treibt, irrsinnig viel Arbeit in den Versuch zu investieren, die übrigen Delegierten zu ärgern, wissen nur sie selbst. Irritierend ist allerdings, dass jener junge Jurist, der in Brandenburg als Fachausschusssprecher den Journalistennachwuchs unter seinen Fittichen hat (womit er auch dem DJV-Fachausschuss auf Bundesebene angehört), gleichzeitig Schlüsselrollen in zwei Organisationen spielt, die man aus der Debatte um den Presseausweis kennt. Der Interessenkonflikt ist evident, und zumindest bei einer der beiden Organisationen geht es unverhohlen ums Geschäft: Die de jure von dem jungen Direktmarketinganwalt kontrollierte Aktiengesellschaft betrachtet den DJV (der im Gegensatz zu ihr den Mitgliedern gehört) als "Wettbewerber".
Die Führungskraft eines Unternehmens, dessen Geschäftsmodell sich explizit gegen den DJV richtet und das sich bereits mit Abwerbe-Serienbriefen an DJV-Mitglieder gewandt hat, in einem DJV-Gremium zu dulden, ist schon eine besondere Zumutung. Früher nannte man so etwas "verbandsschädigendes Verhalten". Heute muss man es ertragen. So wie den in Antragsform gekleideten Contentschwall auf dem Verbandstag, der wieder mal jeden Ansatz zu einer Modernisierung des DJV im Keim zu ersticken droht.
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