Multiplikatoren des Blödsinns

Kürzlich stolperte ich bei einer Recherche über ein Interview aus Österreich, das insofern bemerkenswert war, als ein Manager eines namhaften Handelskonzerns ziemlichen Unfug erzählte und die Interviewerin aus dem Wirtschaftsressort der „Kleinen Zeitung“ aus Graz ihm das durchgehen ließ. Schon die Überschrift zog mir fast die Schuhe aus: „Wenn die Waschmaschine die Socken bestellt.“

Wenn solche Aussagen in der Welt sind, gibt es immer wieder Kollegen, die sie – wegen der scheinbar sachkundigen Quelle – als Ausgangspunkt für ihre Arbeit nehmen und sich damit zu Multiplikatoren des Blödsinns machen. Deshalb erlaube ich mir, das krauseste Zeug zu zitieren und glattzuziehen. Es ging um eine Prognose zum Handel in zehn Jahren.

„Auf der einen Seite kaufen die Menschen immer globaler ein, bestellen Waren direkt in China oder den USA. Auf der anderen Seite ist die Lokalisierung ein Megatrend, und zwar in Kombination mit location based services, wie Restaurantangeboten in der Umgebung oder Veranstaltungstipps.“

Es gibt auch in Zukunft keinen vernünftigen Grund, Waren in China zu bestellen, denn dann kann man sie im Garantiefall nicht reklamieren. Niemand verzichtet bei Produkten, die einen nennenswerten Wert haben, auf seine Verbraucherrechte. Etwas „direkt“ in den USA zu bestellen, ist völlig absurd, weil die Zeiten vorbei sind, als attraktive Produkte dort hergestellt wurden.

„Für die Innenstädte ist die digitale Revolution eine Riesenchance, man kann auf geringer Fläche das riesige Onlineangebot präsentieren.“

Um das riesige Onlineangebot zu präsentieren, genügt die Fläche eines Bildschirms. Im Laden möchte ich Geräte in die Hand nehmen, Hosen anprobieren, solche Dinge. Und dafür braucht der Handel Platz. Er muss also selektieren und kann gerade nicht alles physisch zeigen, was es online gibt.

„Im Moment kauft die große Mehrheit noch im Geschäft. Das wird sich aber gewaltig ändern, wenn sich die Wearables durchsetzen.“

Abgesehen davon, dass Wearables ein Hype der Neunziger- bis frühen Nullerjahre waren und sich statt dessen das Smartphone als überlegene technische Lösung durchgesetzt hat: Selbst wenn wir noch auf Wearables abfahren sollten, was würde das an unserem Einkaufsverhalten ändern? Nun scheint der Befragte Wearables als Synonym für Smartwatches zu betrachten. Diese sind aber nur Zubehör zu Smartphones oder Tablets.

„Wahrscheinlich werden die Wearables Uhren unter 500 Euro, die eigentlich nur die Zeit anzeigen, ersetzen. Die Menschen wollen sich gerne tracken, also eine Unmenge von Daten über ihre Körperfunktionen für sich zusammentragen.“

Nein, die Mehrheit will das nicht. Warum sollte sie?

„Wir werden digitale Intelligenz in vielen Geräten haben. Die Waschmaschine kann erkennen, wenn Socken oder T-Shirts fusseln, und sie nachbestellen.“

Das ist natürlich die lustigste Variation der steinalten urbanen Legende vom Kühlschrank, der die Milch nachbestellt. Der wurde bekanntlich nie gebaut, obwohl Ingenieure so etwas konstruieren könnten: Man baue ein dichtes Raster an Drucksensoren in die Ablagegläser, installiere jede Menge Mikro-Kameras, die erkennen, was wo steht, damit der Prozessor das Sollgewicht kennt, mit dem er das Istgewicht vergleichen soll, statte dann noch jeden Tetrapak mit RFID-Tags aus, und schon hat man für sehr viel Geld ein Problem gelöst, das niemand hat.

Das neue Märchen mit der Waschmaschine als Heldin ist hingegen deshalb eines, weil a) T-Shirts aus Baumwolle sind und daher im Gegensatz zu Wollpullovern gar nicht fusseln, b) in einer Waschmaschine so großes Kuddelmuddel herrscht, dass jeder Ingenieur an der Aufgabe verzweifeln würde, eine Mustererkennung zu programmieren, die die vielen durcheinandergewirbelten Wäschestücke auseinanderhalten kann, c) eine Mustererkennung innerhalb einer Wolke aus Tensid-Schaum ein Ding der Unmöglichkeit ist, d) tausendfach bei 60 Grad waschbare Kameras erst noch erfunden werden müssen und natürlich e) niemand Wollsocken neu kaufen will, wenn sie fusseln, sondern wenn sie ein Loch haben oder wenn die Waschmaschine die Hälfte eines Paars verschluckt und in die Kanalisation expediert hat.

„Der Kleiderschrank wird intelligent. … Er meldet, ob ich zu- oder abnehme und für den Ball den Smoking ändern muss.“

Wenn Ihre Schmerzgrenze jetzt immer noch nicht überschritten ist, weiß ich es nicht. Aber ich glaube, der liebe Interviewpartner hat zuviel vom Internet der Dinge geträumt oder ein Halluzinogen eingeworfen. Um zu merken, dass ich zunehme, habe ich ein analoges Werkzeug, das nennt sich Gürtel. Wenn ich ihn ein Loch weiter schnallen muss, habe ich zugenommen und passe vielleicht nicht mehr in den Smoking. Dann stelle ich mich auf ein halbdigitales, unvernetztes Gerät namens Waage und weiß, wieviel ich vor dem Ball abtrainieren sollte. Oder ich probiere den Smoking einfach an. Das geht vielleicht doch ein bisschen schneller, als den Kleiderschrank mit Elektronik vollzustopfen und ihn zu programmieren.

„Wir irren uns empor.“

Irren ja, aber doch eher abwärts, gell?

„Wo haben Sie schon geirrt?“

„Virtuelles Ankleiden vor dem Computer, vor der Webcam, wurde nicht angenommen.“

Ja, aber nur, weil Ihr das so dusselig angestellt habt und zu früh wart. Man geht nicht mit neuen Lösungen an den Markt, bevor sie technisch ausgereift sind.

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